Vulkanologie Wiedergeburt: Bei Vulkanen gibt's das
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12. September 2020, 06:07 Uhr
Beim Stichwort Vulkan denken Sie an welchen? Vesuv, Ätna, Stromboli? Oder den isländischen mit dem unvergleichlichen Namen, der 2010 den weltweiten Flugverkehr lahmlegte: Eyjafjallajökull. Dabei sollte man sich eher diesen Namen merken: Bezymianny. Denn der Vulkan auf der russischen Halbinsel Kamaschatka ist sehr aktiv. Ein deutsch-russisches Forscherteam zeigt in einer Studie jetzt, wie er sich quasi wie der Phönix aus der Asche nach einem kompletten Zusammenbruch 1956 neu erfunden hat.
Für Vulkanologen ist der Vulkan Bezymianny (Deutsch "Der Namenlose") auf der Halbinsel Kamtschatka einer der spannendsten überhaupt. Vulkanologe Dr. Thomas Walter vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam erklärt im Gespräch mit MDR Wissen, warum:
Der Bezymianny ist einer der aktivsten Vulkan weltweit und bricht jährlich aus, 2019 zum Beispiel im Juli und Dezember. Die Eruptionen liegen da meist auf einer Skala von 3 bis 4.
Wie berechnet man die Stärke eines Vulkanausbruchs?
Die Stärke eines Vulkanausbruchs wird auf einer Skala von null bis acht gemessen, sie berechnet sich aus der Eruptionshöhe und dem Volumen des Ausstoßes.
So aktiv war der Bezymianny nicht immer. Bis Mitte der 1950er-Jahre galt er als erloschen, 1956 zeigte sich dann, dass es sich offenbar nur um eine lange Ruhepause gehandelt hatte: Mit einem komplett überraschenden und recht heftigen Ausbruch der Stärke fünf, und dem Kollaps des Vulkangebildes. Wie sich der Vulkan seither entwickelt und neu geschaffen hat, haben Dr. Walter vom Institut in Potsdam und seine Kollegin Dr. Alina V. Shevchenko nun in einer Studie dokumentiert.
Militäraufnahmen heute Forschungsmaterial
Dazu konnten sie auf außergewöhnliche Daten zurückgreifen: Aufnahmen, die für russische Militärzwecke aufgenommen wurden, denn der Vulkan lag Jahrzehnte im militärischem Sperrgebiet. Diese Bilder standen jetzt erstmals für Forschungszwecke zur Verfügung. Ein Glücksfall für die Vulkanforschung. Studienleiter Dr. Thomas Walter verdeutlicht das im Gespräch mit MDR Wissen:
Nirgends sonst gibt es über einen solchen Zeitraum so eine zyklische, konsequente Datenlage wie hier. Das ist weltweit einmalig.
Und auch wenn der von der Außenwelt abgeschottete Vulkan in den vergangenen 70 Jahren nicht in wissenschaftlich akkurater Regelmäßigkeit abgelichtet wurde, sind die Fotos eine Fundgrube für die Vulkanforschung. Die alten Aufnahmen wurden mit aktuelleren, die mit Hilfe von Drohnen und Satelliten erstellt wurden, verglichen und ausgewertet. Aus all diesem Material - Bilder vom Boden und aus der Luft, die Vulkanspitze aus allen erdenklichen Perspektiven - errechnete Walters Kollegin Alina V. Shevchenko dreidimensionale Vulkan-Modelle. Diese zeigen nun anschaulich, wie der Vulkan seit 1956 neu gewachsen ist.
Hatten sich anfangs mehrere neue, 400 Meter voneinander entfernte Schlote entwickelt, kristallisierte sich 20 Jahre nach dem Zusammenbruch die Bildung eines einzelnen steilen Kegels heraus.
Wachstum: 1.000 Kipplaster-Ladungen pro Tag
Das Wachstum lässt sich den Forschern zufolge beziffern und ziemlich plastisch vorstellen: Täglich wuchs der Vulkan demnach um 26.400 Kubikmeter. Das kann man mit der Ladung von 1.000 Kipplastern vergleichen. Und anhand dieser Ergebnisse lässt sich berechnen, wann das Gebilde wieder in Bewegung geraten und unter seinem eigenen Gewicht wieder zusammenbrechen wird. GFZ-Vulkanologe Thomas Walter sagt:
Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Zerfall und das erneute Wachstum eines Vulkans einen großen Einfluss auf die Bahnen des Magmas in der Tiefe haben. So zeigen zerfallene und neu gewachsene Vulkane eine Art Erinnerung an ihr verändertes Spannungsfeld.
Was ist anders am jungen Bezymianny?
Der seit dem Ausbruch in den 50er-Jahren neu gewachsene Vulkan unterscheidet sich nicht nur in seiner Form deutlich von seinem Vorgänger, sondern auch in seinem "Wesen": Er ist ständig aktiv und bricht jedes Jahr aus, 2019 beispielsweise zwei Mal. Für Schlagzeilen hatte Bezymianni 2017 gesorgt, als er am 17. Dezember eine insgesamt 15 Kilometer hohe Aschewolke in die Luft schleuderte, die fünf Tage lang zu sehen war.
Binnen 15 Minuten war die Aschewolke auf zehn Kilometer Höhe. So schnell ist keine Warnung möglich. Da kann man nur hoffen, dass Piloten beim Überflug auch aus dem Fenster schauen.
Wie werden Vulkanaktivitäten gemessen?
Zur Vorhersage eines Ausbruchs werden zum Beispiel Gesteinsproben genommen, Wasser und Gase aus Kraterseen gesammelt und im Labor untersucht. Außerdem gibt es verschiedene Messgeräte, die Änderungen im und am Vulkan registrieren: Tiltmeter zum Beispiel werden benutzt um die Hanglage eines Vulkans zu vermessen, denn die ändert sich, wenn im Inneren Magma aufsteigt. Oder Seismometer, die man aus der Erdbebenforschung kennt. Sie registrieren Bewegungen auch im Inneren eines Vulkans.