Podcast: Die großen Fragen Rettet Atomkraft die Welt?

17. April 2023, 10:55 Uhr

In Deutschland endet die Ära der Atomkraft. Die letzten drei AKW sind seit dem 15. April 2023 abgeschaltet. War’s das für immer? Oder müssen wir nochmal reden? Im aktuellen MDR WISSEN Podcast fragen wir nach: Rettet Atomkraft die Welt?

Große Fragen in zehn Minuten

Wissen

Glücklich erscheinder Mensch, auf seinem Kopf sitzt ein Schmetterling.
Ist Dankbarkeit gesund? Bildrechte: MDR
11 min

Große Fragen in zehn Minuten Ist Dankbarkeit gesund?

Ist Dankbarkeit gesund?

Dankbarkeit hilft uns, das Leben zu genießen.
Dieses Gefühl macht uns nicht nur zufrieden und gelassen, sondern ist auch noch gesund.

Mo 29.04.2024 14:32Uhr 10:38 min

Audio herunterladen [MP3 | 9,7 MB | 128 kbit/s] Audio herunterladen [MP4 | 19,4 MB | AAC | 256 kbit/s] https://www.mdr.de/wissen/podcast/zehnminuten/ist-dankbarkeit-gesund-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Wissen

Portrait von Marylin Monroe im Comic-Stil mit virtuellen Vermessungshilfslinien
Bildrechte: MDR
Podcast-Host Karsten Möbius mit einer futuristischen "body modification" im Gesicht
Bildrechte: MDR
Alle anzeigen (64)

Nach Fukushima – das ging ja ratzfatz – machte die Politik endlich mal Nägel mit Köpfen. Und als jemand, der Tschernobyl und das, was danach passiert ist, bewusst miterlebt hat – fand ich die Entscheidung erstmal gut! Wenn es aber darum geht, CO2 zu vermeiden und damit auch künftig extreme Klimaveränderungen zu verhindern – dann denke ich manchmal: vielleicht wäre Kernenergie gar nicht so eine schlechte Idee. Da gibt’s eben keine Schornsteine, aus denen Rauch kommt.

Also Könnte Atomenergie die Welt retten?

Ich glaube, es ist unstrittig, wenn wir keine Kohlekraftwerke hätten, nicht mehr mit Gas oder Öl heizen würden, sondern nur noch Atomkraftwerke oder mit Atom-Energie heizen würden, hätten wir und die folgenden Generationen das Problem mit der Klimaerwärmung so nicht. Vielleicht andere Probleme, aber Klima wäre nicht so das Thema wahrscheinlich. Atomkraftwerke liefern konstant CO2-armen Strom.

Warum nutzen wir die nicht weltweit viel konsequenter, bis die regenerativen Energieformen uns zuverlässig mit Energie versorgen können? In Deutschland schalten wir die Kraftwerke sogar komplett ab. Aus Angst vor einem Supergau.

Mycle Schneider soll mir bei der Antwort helfen. Denn Mycle Schneider kennt sich aus, er berät unter anderem die Internationale Atomenergiebehörde, die UNESCO, die EU und Umweltschutzorganisationen. Grundsätzlich sieht er die Kernkraft eher kritisch.  

Ich bin internationaler, unabhängiger Berater und Analyst für Energie und Atompolitik und Projektleiter und Herausgeber des 'World Nuclear Industry Status Reports'.

Mycle Schneider

Schneider scheint ein totaler Zahlenfreak zu sein. Er rattert die Fakten nur so runter. Zehn Prozent der weltweiten Energieproduktion stammen aus der Kernkraft. Tendenz sinkend. Ihre großen Zeiten sind vorbei sagt er. Nur China und Russland würden in Größenordnungen neue Atomkraftwerke bauen. Kein Wort von Gefahren oder wie super Atomenergie ist.

Fakten, Fakten, Fakten

Schneider: "Ein Punkt, der für mich sehr beunruhigend ist – seit etwa fünf Jahren –, ist der Verlust von faktenbasierter Debatte zum Thema Atomkraft. Man kann heute in den großen Medien sehen, dass im Grunde genommen eigentlich zu dieser Thematik nur noch Meinungsjournalismus betrieben wird. Und ich denke, das ist eines der großen Probleme und hat auch mitgeholfen, dass wir in dieser Situation gelandet sind, wo eigentlich Investitionsentscheidungen, Fokussierungsentscheidungen getroffen werden, die mit Fakten, mit der Faktenlage nichts mehr zu tun haben. Und das ist, denke ich, sehr bedenklich für die gesamte Energie- und klimapolitische Debatte."

Versuchen wir also mal, das Potential der Kernenergie, um den CO2 Ausstoß zu senken, auszuloten.

Wie wäre es denn, wenn wir beschließen würden, komplett auf Kernkraft als Übergangstechnologie in der Energiewende zu setzen? Also statt abzuschalten wie in Deutschland, nur noch Kernkraftwerke zu betreiben, um so uns und den folgenden Generationen ein Klima zu erhalten, das das Leben einigermaßen erträglich macht. Die Risiken des Klimawandels sind bekannt, das Risiko eines Supergaus ist da aber gering. Okay wenn wir heute zehn Prozent der Energie weltweit durch Kernkraft erzeugen, müssten wir zehnmal so viele Kernkraftwerke betreiben. Das wären also statt der aktuell 440 Reaktoren vielleicht 4.000 oder 5000. Und statt der jährlich anfallenden 15.000 Tonnen radioaktiven Abfalls – von denen wir bis heute nicht wissen, wo wir sie wirklich sicher entsorgen können –  hätten wir 150.000 Tonnen.

Nicht jede Rechnung geht auf

Mycle Schneider findet die Idee und das, was ich gerade vorgerechnet habe, totalen Quatsch. Diese Rechnung hat gleich mehrere Denkfehler. Eigentlich bräuchten wir so nämlich noch deutlich mehr, denn die zehn Prozent Kernergie machen für die Primärenergieversorgung nur noch fünf Prozent aus. Und als End- oder Nutzenergie beim Verbraucher kommt davon nur noch die Hälfte an. Hinzu kommt: "Wenn wir uns heute in einem Klimanotstand befinden, dann birgt das ja den Zeitfaktor. Und die Frage muss deshalb sein: Wenn ich heute einen Euro ausgebe, wie viel Reduktion an Treibhausgasemissionen kann ich dafür kaufen – und wie schnell?"

Tja wie schnell würde das gehen? Wenn ich heute beschließen würde, ein Atomkraftwerk zu bauen, dann würde es frühestens in zehn Jahren ans Netz gehen. Vier Jahre Planung – fünf bis sechs Jahre Bau. Und wenn man realistisch rangeht, dann sind es eher 15 Jahre, wie jetzt bei einem Kernkraftwerk in Finnland.

Achtung, dann kommen noch die Kosten: In Frankreich wurden 3,2 Mrd. Euro für das im Bau befindliche Flamanville 3 veranschlagt – bei über 19 Mrd. wird man wahrscheinlich rauskommen. "Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass heute kein Atomkraftwerk der Welt mehr betrieben werden kann für die Kosten, die wir heute für neue Solar- oder Windkraftwerke haben können."

Zeit und Kosten sprechen gegen Atomstrom

Das bedeutet zweierlei: Der Bau von Kernkraftwerken würde viel zu lange dauern. Und wenn ich schon in Energieerzeugung investiere, dann doch gleich in regenerative Energieformen- denn die sind auch viel billiger und werden auch immer preiswerter. Bei der Kernkraft sind sie dagegen gestiegen. Eine Kilowattsunde Atomstrom kostet in der Herstellung gut vier Mal so viel wie eine Kilowattstunde Solarstrom.[1]

In China, rechnet Mycle Schneider mir vor, seien deswegen im vergangenen Jahr auch genau 2,2 Gigawatt Atom aber 125 Gigawatt Solar und Wind ans Netz gegangen. Und die Chinesen sind nicht dafür bekannt, dass sie aus ideologischen Gründen auf erneuerbare Energien setzen, sondern weil sich’s lohnt.

Aber wir brauchen auch zuverlässig Strom, wenn es dunkel ist und kein Wind weht – solange wir das Problem mit den Energiespeichern nicht im Griff haben, entsteht mit den regenerativen Energien immer mal ein Loch. Da brauchen wir eine Energiequelle, die zugeschaltet wird, wenn sie gebraucht wird und runtergefahren wird, wenn Wind und Sonne liefern. Aber auch dafür scheint Kernenergie denkbar ungeeignet, erklärt Schneider.

"Je höher der Anteil der Erneuerbaren, umso unwirtschaftlicher wird eine Atomkomponente. Das eine schließt das andere aus und ist keinesfalls komplementär. Denn das würde ja bedeuten, dass man flexibel Atomkraftwerke rauf- und runterfahren müsste, was übrigens nicht nur wirtschaftlicher Unsinn ist, sondern auch technisch extrem fragwürdig. Denn die Technologie ist nicht dafür ausgelegt, hoch- und runtergefahren zu werden."

Lösung: Mini-Atomkraftwerke?

Und dann gibt es da noch eine Idee der Mini-Atomkraftwerke, die für regionale Stromerzeugung, für Unternehmen möglicherweise interessant sein könnten. Die US-Regierung hat dazu Förderprogramme aufgelegt, Start-ups beschäftigen sich mit der Entwicklung der Mini-Reaktoren, sogenannter Small Modular Reactors. Das Problem, so Schneider, es gibt sie nicht, das sind Power-Point-Reaktoren, die es im Computer gibt, aber nicht in der industriellen Wirklichkeit.

"Deshalb ist es keine Fragestellung, ob man das für richtig oder falsch oder gut oder schlecht hält, sondern man redet über Optionen, die in der industriellen Wirklichkeit überhaupt nicht existieren als Wahlmöglichkeiten. Wenn ein Prototyp irgendwann in den 2030er-Jahren in Betrieb gehen kann, dann könnte ja frühestens eine Serienfertigung in den 2040-Jahren stattfinden. Das heißt, ja, das Klima kann dann warten."

Schluss mit Entweder-Oder-Diskussionen

Aber das Klima kann eben nicht warten. Und deswegen ist diese Entweder-Oder-Diskussion unsinnig, sagt Schneider, Es bringt nichts, Energietypen gegeneinander auszuspielen, sondern man muss schauen: "Was hilft im Klimawandel, was hilft der Versorgungssicherheit? Und da scheiden, und das muss man einfach sagen, in erster Linie die fossilen Brennstoffe aus."

Dass wir im Sinne des Klimas möglichst schnell aus der fossilen Energieerzeugung aussteigen müssen, steht außer Frage. Im Osten Deutschlands soll 2038 mit der Braunkohle Schluss sein, im Westen gegebenenfalls schon 2030. Und der Atomkraftlobbyist Stefan Diepenbrock sagt: Wer global gegen den Klimawandel kämpfen will, braucht eben auch die Atomkraft:

Stefan Diepenbrock: "Ich denke, dass Kernenergie zumindest ein gutes Mittel ist, das mithelfen kann, das Klima zu retten. Das sehe nicht nur ich so, dass sagt ja auch der Weltklimarat etwa. Oder auch andere seriöse Experten, die die Kernenergie aufgrund ihrer einfach sehr geringen CO2-Emissionen für ein geeignetes Mittel halten, um den Klimaschutz voranzubringen. Atomkraftwerke, das muss man einfach so deutlich sagen, erzeugen sehr viel CO2-armen Strom und das fast permanent, Tag und Nacht und etwa 90 Prozent des Jahres oder 90 Prozent der Zeit. Das ist ein Argument für die Kernenergie."

Ich denke, dass Kernenergie zumindest ein gutes Mittel ist, das mithelfen kann, das Klima zu retten.

Stefan Diepenbrock

Emissionen fallen bei der Herstellung der Brennstäbe an, bei Auf- und Abbau der Anlagen und beim Umgang mit dem strahlenden Müll.[2] Im Betrieb der Reaktoren entsteht jedoch kein CO2. Wahr ist aber auch: Über die gesamte Lebenszeit gerechnet, weisen erneuerbare Energien noch einmal weit geringere CO2-Emissionen auf als die Atomkraft.[3]

Wie sicher ist Atomkraft?

Gleichzeitig gibt es das Risiko eines Atomunfalls. Oft passiert das nicht. Aber wenn, dann können die Folgen dramatisch sein. Das muss doch auch Atom-Lobbyist Diepenbrock so sehen, oder? Der sagt, die Kernkraft sei aus seiner Sicht sicher:

"Sie ist einfach auch in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch sicherer geworden. Denn man muss einfach sagen, Unfälle wie in Fukushima sind natürlich kein Ruhmesblatt für diese Technologie. Aber die Branche hat natürlich darauf reagiert. Man kann einen Unfall wie in Fukushima heute komplett analysieren. Man weiß genau, was passiert ist. Und man hat daraus Konsequenzen gezogen und entsprechend neue Sicherheitsvorschriften erlassen und auch umgesetzt. Ich weiß, dass hier in der Schweiz (Diepenbrock arbeitet für das Nuklearforum Schweiz, Anm. d.R.) damals wirklich nochmal erheblich investiert wurde, um die Sicherheit, die ohnehin schon relativ hoch war, nochmal zu verbessern. Und das gilt für viele, viele Kernkraftwerke, sodass der Sicherheitsstandard dadurch nochmal erhöht wurde."

Müll für Millionen Jahre

Nehmen wir das mal so hin. Was ist dann aber mit dem Abfall der Kernkraftwerke? Allein in Deutschland müssen wir uns noch überlegen, wo wir 15.000 Tonnen hochradioaktiven Abfall lagern wollen.[4] Der Rückbau der Atomkraftwerke, so rechnen Umweltschützer vor, könnte bis in die 2060er-Jahre dauern.[5]

Und der Müll strahlt auch noch in Millionen von Jahren, wenngleich dann nicht mehr ganz so stark wie jetzt. Stefan Diepenbrock sieht auch da kein wirkliches Problem – auch wenn er zugibt, dass es anderen da sicher anders geht:

"Die Vorstellung, radioaktiven Abfall für eine Million Jahre in der Erde zu vergraben und das soll ungefährlich sein und der wird nicht beaufsichtigt und derartige Dinge, das ist eine relativ schwere Vorstellung, das kann ich nachvollziehen. Aber auch da muss man sagen, dass es heute einfach wissenschaftlicher Konsens ist, dass diese geologische Tiefenlagerung der beste Weg ist, um ausgediente Kernbrennstoffe über Hunderttausende von Jahren hinweg sicher zu lagern und einzuschließen. Man überlässt im Prinzip der Geologie diese Abfälle. Und das ist für viele vielleicht skurril diese Vorstellung. Aber die Wissenschaft sagt heute, das ist der beste Weg und der sicherste Weg."

Wenn das alles so wäre, wie Stefan Diepenbrock sagt, die Atomkraft sicher und billig, der Müll kein Problem, dann müsste der deutsche Atomausstieg doch international für totales Kopfschütteln sorgen. Und aus Sicht der Atombefürworter tut er das auch, sagt Diepenbrock:

"Also zumindest ist die Situation und die Entscheidung in Deutschland international gesehen sehr einzigartig. Grundsätzlich haben wir etwa 440 laufende Reaktoren in 33 Ländern, wir haben weltweit derzeit, glaube ich, 57 neue Kernkraftwerke im Bau, gut 100 weitere sind geplant oder projektiert. Und auch eine Internationale Energieagentur erwartet bei ihrem Szenario, um auf netto-Null zu kommen, bis 2050 eine Verdoppelung der nuklearen Kapazitäten, also einen Bau der Kernkraftwerke international, ja."

Atomtrend seit Jahren rückläufig

Was man aber sagen muss: Der Trend beim Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromerzeugung ist seit Jahren rückläufig. Aktuell kommen rund zehn Prozent des weltweiten Stroms aus Atomkraft.[6] Die Zahlen sprechen hier ein ganze klare Sprache, sagt Mycle Schneider.

"Die Frage ist doch keine Glaubensgeschichte, wir reden doch nicht über Religion. Es gibt ja auch im Bereich Atomkraft echt noch ein paar Fakten. Und zu den Fakten gehört, wie viel Atomkraftwerke gebaut werden, wie viele ans Netz gehen, welche Baustarts wo stattfinden. Schaut man sich das an, dann sieht man, dass die historischen Höchstwerte der meisten Indikatoren Jahrzehnte zurückliegen."

Die größte Menge an weltweit produziertem Atomstrom? Wurde im Jahr 2006 erreicht. Sie größte Anzahl betriebener Atomkraftwerke? Gab es 2002. Die größte Anzahl von Reaktoren, die neu ans Netz gehen? Wurde Mitte der Achtziger registriert. Und die größte Anzahl von Atomkraftwerken im Bau? Gab es 1979 – vor mehr als 40 Jahren. Dazu kommt: Das Durchschnittsalter der aktuell betriebenen Anlagen liegt bei mehr als 30 Jahren.

Die Atomkraft kann gleich aus zwei Gründen nicht in der Klimakrise helfen, sagt mir Mycle Schneider. Sie ist zu teuer und der Bau der Reaktoren dauert viel zu lange. Schneiders Fazit lautet deswegen: Atomkraft ist irrelevant im Weltmarkt. Und das kann und wird sich wegen der extrem hohen Kosten, der langen Vorlaufzeiten und der gnadenlosen Konkurrenz der Erneuerbaren auch nicht ändern.

 Links/Quellen

[1] https://www.dw.com/de/world-nuclear-industry-status-report-mycle-schneider-zukunft-der-kernenergie-weltweit/a-56458345
[2] https://www.dw.com/de/faktencheck-ist-atomenergie-klimafreundlich-was-kostet-strom-aus-kernkraft/a-59709250
[3] https://www.dw.com/de/faktencheck-ist-atomenergie-klimafreundlich-was-kostet-strom-aus-kernkraft/a-59709250
[4] https://de.statista.com/themen/50/kernenergie/#dossier-chapter3
[5] https://www.bund.net/themen/atomkraft/nach-dem-abschalten/
[6] https://www.grs.de/de/aktuelles/kernenergie-weltweit-2023

Kernkraftwerk Emsland 5 min
Bildrechte: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 15. April 2023 | 08:00 Uhr