Fische in einem Korallenriff
Die Artenvielfalt in den Meeren ist durch viele Faktoren gefährdet. Bildrechte: PantherMedia/Jolanta Wójcicka

Überfischung, Klimawandel, Verschmutzung Die größten Gefahren für die Artenvielfalt im Meer

10. Juli 2022, 05:00 Uhr

Dass unser Umgang mit der Erde und ihren Ressourcen grob fahrlässig ist, wissen viele. Die Ozeane wird es in den kommenden zehn Jahren spürbar treffen, sagt ein Forschungsteam und listet 15 gefährliche Gamechanger auf.

Überfischung, Klimawandel, Verschmutzung: Das sind die drei offensichtlichen Probleme, mit denen die Meere und deren Flora und Fauna kämpfen. Eine internationale Forschungsgruppe mit 30 Spezialistinnen und Spezialisten aus elf Ländern hat jetzt eine Liste mit Einflussfaktoren vorgelegt, die unsichtbare Kettenreaktionen im und an den Meeren anstoßen. Ihr Appell: Es müssen jetzt die Weichen für eine nachhaltige Nutzung der Ozeane gestellt werden.

Die "Ocean-Gamechanger" lassen sich drei großen Gruppen zuordnen, zum einen dem Bereich Ökologie, zum anderem den Bereichen Ressourcen-Ausbeutung und Technischer Wandel. Was zählt beispielsweise zu den ökologischen Faktoren?

Vermehrte Niederschläge, Stürme, Auftauen des Permafrosts und Erosion an den Küsten: Material, das ins Meer geschwemmt wird, kann mit zu Algenblüten führen, so dass sich die Küstenregionen im Wasser "verdunkeln". Eingeschwemmtes Material durch veränderte Landnutzung, Ausbaggerungen und Grundfischerei stört den Meeresboden, wirbelt Sedimente auf und trübt auch das Wasser. Organismen am Meeresboden fehlt so das nötige Licht für ihre Stoffwechselprozesse. Auch giftige Stoffe, die über Metalle ins Wasser ausgewaschen werden und den Wasser-PH-Wert ändern, wirken sich auf das Leben im Meer aus, genau wie deren Erwärmung. So weit, so schlecht, wenn auch wenig überraschend.

Quallen als Collagen-Quelle

Und was ist mit dem Faktor Ressourcen-Ausbeutung? Hier kommen tatsächlich wenig bekannte Gamechanger aufs Tablett. Collagen kennen vermutlich viele aus der Hautcreme-Werbung, spielt aber auch in der Pharmazie und Biochemie eine wichtige Rolle. Schwein und Rind sind dafür bisher Quellen. Aus religiösen Gründen und um die Übertragung von Krankheiten zu vermeiden, wird nach neuen Collagen-Quellen gesucht. Und hier kommen Quallen und Schwämme aus den Meeren ins Spiel. Quallen gehen als ungenutzter Beifang aus der Fischerei ins Netz, argumentieren die Forscher. Zudem gibt es im Mittelmeer und im Japanischen Meer regelmäßig sogenannte Quallen-Blüten, die so tatsächlich nutzbringend sein könnten. Für die Collagen-Herstellung liegen hier offenbar unkompliziert nutzbare Quellen offen.

Schwimmblasen-Gier tötet Schweinswale

Anders ist die Lage auf dem Markt der Fisch-Schwimmblasen. Fisch-Schwimmblasen? Zum Beispiel die des Totoaba-Fisches, dessen getrocknete Schwimmblase in asiatischen Ländern als Heilmittel gilt, dem Luststeigernde Eigenschaften nachgesagt werden. Ein Kilo Totoaba-Schwimmblase bringt auf dem Schwarzmarkt tausende Euro ein. Pech, dass beispielsweise bei der Jagd auf Totoabas in mexikanischen Gewässern auch die ähnlich großen Vaquita-Schweinswale ins Netz gehen. Die müssen im Gegensatz zu den Totoabas regelmäßig an die Wasser-Oberfläche zum Luftholen. Sie verenden dann mangels Sauerstoff als Beifang in den Totoaba-Netzen. Und reißen wieder andere, für Menschen nicht direkt sichtbare Löcher in das feingesponnene ökologische Netz der maritimen Lebensgemeinschaften.

Tiefseefische: CO2-Pumpen oder praktisches Fischfutter?

Auch auf die Tiefsee-Fische in tausenden Metern Tiefe wirft die Wirtschaft ein Auge, warnt die internationale Forschungsgemeinschaft: Kreaturen wie der Anglerfisch sind zwar nicht essbar, den Forschern zufolge gibt es aber Überlegungen, sie zu Fischmehl zu verarbeiten, als Nahrungsquelle für die zur Aufzucht anderer essbarer Fische. Nun könnte man sagen, wen stört 's, wenn in 200 bis 1.000 Meter Tiefe gefischt wird?! Forscherin Dr. Ann Thornton aus dem 30-köpfigen Expertenteam erklärt das Problem: Diese Fische spielen eine wichtige Rolle für den CO2-Kreislauf im Meer, so transportieren und verlagern sie durch ihre tägliche vertikale Wanderung den Kohlenstoff aus den Oberflächengewässern in Tausende von Metern tiefere Gewässer, wo er schließlich gebunden wird.

Neue Technologien, biologisch abbaubare Stoffe: Gut gemeint, aber mit Risiko

Und was haben Technologien mit der Artenvielfalt in den Meeren zu tun, die Welt versucht ja nicht aus Jux und Dollerei von Erdöl, Kohle und Gas auf andere Energieträger umzusatteln?! Der unsichtbare-Problem-Beifang offenbart sich erst beim genaueren Hinschauen. Zum Beispiel Lithium, gebraucht für die E-Auto-Industrie. Tatsächlich gibt es in den Ozeanen sogenannte "Solen", Wasserregionen mit hohem Salzgehalt. Ähnlich wie an Land könnten sie als Lithiumquellen genutzt werden. Aber in ihnen gedeihen einzigartige maritime Lebensgemeinschaften, wenn ihnen nicht genau dieses lithiumhaltige Wasser "abgegraben" wird. Wie diese Lebewesen wiederum mit dem Leben in benachbarten Wasserregionen verknüpft sind, welche Folgen dieser Sole-Abbau für die Meere hätte, kann noch kein Mensch sagen.

Gehen uns die Omega-3-Fettsäuren aus?

Makroaufnahme von Phytoplankton
Stellt das Phytoplankton weniger Omega-3-Fettsäuren her, ändert das auch langfristig den Nährwert der Speisefische. Bildrechte: imago/imagebroker

Weiterhin weisen die Autorinnen und Autoren der Schrift auf eine andere Kettenreaktion hin, die durch die Erwärmung der Meere an ganz anderer Stelle angestoßen wird: EFAs, essentielle Fettsäuren. Die entstehen beispielsweise beim Stoffwechsel des Phytoplanktons, das essentielle Fettsäuren wie Docosahexaensäure aus der Klasse der Omega-3-Fettsäuren herstellt. Erwärmen sich die Meere, ändert das den Stoffwechsel des Phytoplanktons, es enthält dann weniger EFAs, was sich wiederum auf die Fischwelt, die von Phytoplankton lebt, auswirkt. Und so indirekt auf die Menschen, die sich von Fisch ernähren.

Die Hoffnung der Forschungsgruppe: Sind die potenziellen Kettenreaktionen bekannt, lassen sich rechtzeitig Regeln aufstellen, die das Leben in Ozeanen und an den Küsten vor nachhaltigen schweren Folgen schützt.

Links/Studien

Die komplette Schrift der 30-köpfigen Forschungsgruppe lesen Sie hier.

lfw

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