War Branson gar nicht im All? Kármán-Linie: Wo beginnt das Weltall?

12. Juli 2021, 17:50 Uhr

Milliardär Richard Branson hatte allen Grund zur Freude: Noch vor seinem Rivalen im Rennen um den kommerziellen Raumfahrttourismus, Amazon-Gründer Jeff Bezos, gelang seinem Unternehmen Virgin Galactic ein Testflug ins All. Die "VSS Unity" soll auf eine Höhe von mehr als 80 Kilometern gestiegen sein – inklusive Schwerelosigkeit. Aber Fachleute sind sich uneins: War Branson in dieser Höhe tatsächlich schon im Weltall?

Auf die Frage, wo eigentlich das Weltall beginnt, gibt es keine eindeutige Antwort. Ganz abgesehen von der philosophischen Sichtweise, die uns ohnehin als ständigen Teil des Universums sieht, gibt es auch aus "erdzentrierter" Sicht mehrere Antworten auf diese Frage – je nachdem, wen man fragt.

Wolkendecke der Erdatmosphäre
Über den Wolken: Wo der Luftraum endet und das All beginnt, ist nicht eindeutig definiert. Bildrechte: imago/UPI Photo

Wo die irdische Luft endet und der Weltraum anfängt, ist eine Frage der Definition. Denn natürlich ist der Übergang fließend: Die Atmosphäre hat keine feste Obergrenze, sie dünnt nach oben hin einfach immer weiter aus. So gesehen zieht sie sich mehrere tausend Kilometer, bis selbst die leichten Helium-Atome der Schwerkraft entwischen können. Das Ende der Schwerkraft ist also erst dort erreicht, wo für uns im allgemeinen Verständnis längt das Weltall ist. Das kann also nicht die Grenze sein. Forscher haben außerdem nachgewiesen, dass Teile der Erdatmosphäre sogar bis zum Mond reichen.

Die Kármán-Linie

Im Prinzip gibt es bei der Frage, wo genau jetzt der Weltraum eigentlich beginnt, zwei konkurrierende Ansichten. Auf der einen Seite gibt es da nämlich eine Festlegung. Der internationale Luftsportverband Fédération Aéronautique Internationale (FAI) hat für sich entscheiden: Die Grenze vom Luft- zum Weltraum liegt demnach bei einer Höhe von 100 Kilometern. Das ist keine willkürliche Festlegung, sondern wird begründet mit den Erkenntnissen von Theodore von Kármán – einem ungarisch-amerikanischen Physiker.

Kármán machte sich in den 1950er-Jahren – als die ersten Pioniere der Raumfahrt immer höher in den Himmel flogen – Gedanken um die Frage, wo denn eigentlich der Luftraum und damit auch die Luftfahrt aufhört und der Weltraum bzw. die Raumfahrt beginnt. Der Physiker hat deshalb die Höhe ermittelt, in der die Aerodynamik aufhört – also ein Flugzeug nicht mehr von den aerodynamischen Kräften getragen wird. Es müsste dafür so schnell fliegen, dass die Fliehkraft, es aus der Erdumlaufbahn katapultieren würde. Diese Grenze wurde später auch als Kármán-Linie bezeichnet und sie liegt laut FAI bei 100 Kilometern Höhe.

Die US-Air Force-Definition

Doch die FAI ist zwar der internationale Luftsportverband, aber dennoch eine Nichtregierungsorganisation. Auf politischer Ebene ist dieser Wert also nicht bindend und bisher sind noch alle Anstrengungen gescheitert, dass sich die Politik auf einen international einheitlichen Wert einigt.

Der ESA-Astronaut Alexander Gerst arbeitet mit dem NASA-Besatzungsmitglied und Kommandeur der Internationalen Raumstation an einem Experiment des DLR, bei dem mithilfe eines innovativen 3D-Fluoreszenzmikroskops Zellveränderungen in Echtzeit beobachtet werden. Dieses Experiment bietet einen völlig neuen Einblick in menschliches Gewebe, Zellkulturen, Mikroorganismen und Pflanzen im Weltraum.
Um in den USA als Astronaut zu gelten, muss man nicht erst auf die ISS (ca. 400 Kilometer Höhe). Bildrechte: ESA / NASA

Und so wird man auch eine andere Antwort bekommen, wenn man die Regierung der USA, die NASA und insbesondere die US-Luftwaffe fragt, wo in ihren Augen eigentlich das Weltall anfängt. Schon seit den 1950er-Jahren setzte sich hier nämlich die Betrachtungsweise durch, dass der Weltraum dort anfange, wo der dynamische Druck auf die Steuerflächen eines Flugzeugs so gering wird, dass es nicht mehr aerodynamisch gesteuert werden kann. Das passiert etwa ab einer Flughöhe von circa 80 Kilometern. Deshalb vergab die US-Air Force auch die sogenannten Astronautenflügel an Piloten des Testflugzeugs X-15 – ein raketengetriebenes Experimentalflugzeug, das es mehrfach auf mehr als 80 Kilometer Höhe brachte. Alle Air Force-Piloten, die diese Höhe überschreiten, werden ebenfalls als Astronauten bezeichnet und bekommen die Astronautenflügel verliehen.

Harvard-Physiker: Liegt die Kármán-Linie tiefer?

Expertinnen und Experten haben schon länger diskutiert, dass die Kármán-Linie ihre Schwächen hat. So sei eine universelle Grenze ohnehin schwer zu ziehen, denn sie wird ja dauernd beeinflusst – etwa durch die Aktivität der Sonne, die für eine schwankende Dichte in der Hochatmosphäre sorgt.

Erde Atmosphäre Aufbau Schichten Troposhäre Stratosphäre Mesosphäre Thermosphäre Exosphäre
Harvard-Physiker Jonathan McDowell zufolge liegt die Grenze zwischen 70 und 90 Kilometern Höhe - je nach Flugobjekt. Bildrechte: Colourbox.de

Insbesondere eine Arbeit des Physikers Jonathan C. McDowell vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics hat für Aufmerksamkeit gesorgt. Er sagt: Die Kármán-Linie ist eher ein Spektrum und das liegt je nach Flugobjekt niedriger als 100 Kilometer. Nach der originalen Definition des Physikers liegt diese Grenze zwischen 70 und 90 Kilometern Höhe, schreibt McDowell. Nach dieser Auffassung wäre Branson also definitiv im Weltall gewesen – und sogar im Spektrum der Kármán-Linie.

Schwerelos dank Weltraum?

Nun könnte man stutzen: Sind Branson und seine Mitreisenden nicht schwerelos durch ihre Rakete geschwebt? Und Schwerelosigkeit ist ja bekanntlich typisch für den Aufenthalt im Weltraum. Doch das ist ein Trugschluss. Die "VSS Unity" hat einen Suborbitalflug gemacht. Dabei verbringen die Passagiere nur wenige Minuten im All. Aber viel wichtiger: Es handelte sich dabei um einen sogenannten Parabelflug. Auf so einem Flug kann auch schon weit unterhalb der Grenze zum Weltraum Schwerelosigkeit erreicht werden. Die Raumfahrtorganisationen führen sie zum Training der Astronauten oder zu Forschungszwecken durch.

Vier Männer und zwei Frauen in blauen Uniformen vor einem Fenster
Milliardär Richard Branson (3. v.r.) und seine Crew Bildrechte: Virgin Galactic

Das Rennen der Milliardäre

Die Antwort auf die Frage, ob Richard Branson nun überhaupt im Weltraum war, lässt sich also nicht ganz eindeutig geben. Dieses Risiko will sein Konkurrent, Amazon-Gründer Jeff Bezos, nicht eingehen: Er plant mit seiner New Shepard-Rakete bei einem ersten bemannten Testflug direkt die 100 Kilometer-Marke zu knacken. Branson und Bezos liefern sich ein Rennen auf dem Feld des Weltraumtourismus. Beide wollen mit ihren Raketen kommerziell Suborbitalflüge anbieten – also kurze Stippvisiten im Weltall.

(kie)

1 Kommentar

part am 13.07.2021

Na dann warten wir mal bis es die erste Panne gibt mit dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, die dann etwas länger dauern könnte infolge von Abwesenheit von Schwerkraft. Auf jeden Fall finde ich solche Unternehmungen, die nur dem Ego von Superreichen dienen und nicht der Wissenschaft, abartig, denn sie tragen in hohem Maß weiter zur Klimaveränderung unseres Planeten bei...