Ökosystem Der Wolf muss nicht unser Freund sein – und dafür braucht er Platz

16. Oktober 2020, 11:40 Uhr

Wenn über den Wolf gesprochen wird, dann oft, was er für die Gesellschaft bedeutet. Wirtschaftlicher Schaden trifft auf Faszination. Beim Thema Wolf geht es aber nicht darum, wie wir Menschen ihn finden, wohl aber um Respekt vor dem Tier und vor seiner Rolle im Kreislauf des Lebens. Dazu müssen wir nicht mit ihm kuscheln – sollten wir auch nicht.

Zwei graue Wolfe fressen an einem Schafskadaver in hohen, grünen Gräsern. Man sieht die Rippen des toten Tiers.
Sieht nicht schön aus, aber Wölfe sind nun mal Fleischfresser. Das ist ihre Rolle im Ökosystem. Bildrechte: imago images/alimdi

Im Grunde war es ein einziges Wort, bei dem Thomas Horat hellhörig geworden war: Ausrotten. Das Wort klingt nicht sonderlich schön, weder auf hochdeutsch, noch in der schweizerdeutschen Sprache, die man in Schwyz spricht. Thomas Horat kommt aus Schwyz im Kanton Schwyz in der Schweiz. In der Eidgenossenschaft hat sich vor vier Jahren eine Situation hochgeschaukelt, wie man sie auch aus Mitteldeutschland kennt. Schafsrisse waren der Auslöser, sie zeigten: Der Wolf ist zurück in der Schweiz. Und dann eben sprach eine Gegenbewegung von Ausrotten. "Nur schon das Wort hat mich stutzig gemacht. Denn eigentlich rotten wir ja viele Tierarten aus, ohne das absichtlich zu wollen. Und wenn dann eine schon mal ausgerottete Tierart zurückkehrt, sollten wir das mit anderen Augen sehen."

Neutraler Blick statt Pro und Kontra

Wolfskeptiker glauben wahrscheinlich spätestens hier, dass sie genau wissen, auf welcher Seite Thomas Horat steht. Dabei steht er auf gar keiner Seite, sondern wollte nur mehr über ein Tier wissen, mit dem er bisher keine Berührungspunkte gehabt hatte - und das auch nicht sein Lieblingstier ist. Der 56-Jährige ist Filmemacher, ein preisgekrönter noch dazu. Erst dachte er, er müsse sich jetzt mit dem üblichen Pro und Kontra auseinandersetzen. "Und dann bin ich bald drauf gekommen, dass ich keinen Film für oder oder gegen den Wolf machen möchte, sondern über den Wolf."

Filmszene: Ein Schafhirte mit vielen, durch einen Punkt markierten wollen Schaftieren geht eine Almwiese herunter, Berglandschaft, leicht nebelig
Filmszene aus "Die Rückkehr der Wölfe": Herdenschutz ist für diesen Schafhirten in den Schweizer Alpen kein leichtes Unterfangen. Bildrechte: Mythenfilm

Und eben über die, die mit dem Wolf leben. Naturschützerinnen und Naturschützer, Biologinnen und Biologen, Tierhalterinnen und Tierhalter. Sein Dokumentarfilm "Die Rückkehr der Wölfe" ist im September in den deutschen Kinos angelaufen, noch bis November befindet sich der Regisseur auf Tournee durch die Lichtspielhäuser. Thomas Horat sucht den Dialog, das zeigt sich auch im Film selbst, in dem er es nicht scheut, Menschen untereinander zu konfrontieren. Eine Biologin steht einem Schafshalter gegenüber, der gerade Tiere verloren hat und die Herde zu dem Zeitpunkt nicht schützen konnte. "Das war ein guter Austausch, aber auch sehr emotional", erinnert sich Thomas Horat und spricht gleich ein entschiedenes Thema an, ohne das kaum über den Wolf gesprochen werden kann: Herdenschutz. Was, wenn der Aufwand zu groß ist, der Ertrag aus der Herde zu klein? Wenn es keine Förderung gibt? Ein Einklang zwischen Mensch und Wolf scheint schwierig zu sein. Sind die beiden Arten einfach nicht für ein gemeinsames Ökosystem gemacht?

Ortswechsel, an das andere Ende des deutschsprachigen Raumes. Genauer gesagt nach Husum: Dort arbeitet derzeit Katharina Weinberg in der Schutzstation Wattenmeer. Der Wolf ist kein typischer Wattbewohner, das dürfte klar sein. Aber die Tiere gibt es auch im hohen Norden der Republik. Wenn man Katharina Weinbergs Nummer wählt, landet man also nicht zwangsläufig in wolfsfernen Gefilden. Ohnehin hat Katharina Weinberg das ganze Land im Blick, schließlich leitet sie die Bundesarbeitsgruppe Wolf bei der Umweltorganisation Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU). Angefangen hat das alles im brandenburgischen Barnim. Und jetzt kommt man eben an der Nordsee raus, wenn man etwas über das Zusammenleben von Mensch, Natur und Wolf wissen möchte.

Der Wolf lebt auch, wenn es nicht gerade irgendwo blutet

Seit dreißig Jahren ist Katharina Weinberg im Wolfsgeschäft, wenn man es so nennen möchte. Dazu gehören auch die unschönen Seiten am Fleischfresser: Für das Land Schleswig-Holstein arbeitet sie als Rissgutachterin. Die Bilder von Schafsrissen sind es, die das Antlitz des im Grunde doch ganz schönen Tiers überlagern. Nun ja, der Wolf hatte es eben nie ganz leicht – siehe Rotkäppchen oder auch die sieben Geißlein. "Wenn ein Wolf in die Presse kommt, dann hat es vorher meistens immer etwas Blutiges gegeben. Entweder, dass Tiere gerissen worden sind oder dass ein Wolf totgefahren worden ist – und so etwas erhitzt immer die Gemüter", sagt Katharina Weinberg. Sie hat recht. Einmal das Suchwort "Wolf" in die Nachrichtensuchmaschine eintippen und der nächste Riss ist nicht weit. Wolf und Blut, das gehört wohl irgendwie zusammen.

Kurz und knapp: Europäischer Wolf

Wolf ist nicht gleich Wolf. Der Europäische oder Eurasische Wolf (Canis lupus lupus) zählt zu den Wölfen (Canis lupus) – Canis ist die Familie der Hunde. Von wolfsähnlichen Hunden unterscheidet sie zum Beispiel die Höhe der Beine und die gerade Rückenlinie. Bevor er nach Mitteleuropa zurückkam, war er etwa in weiten Teilen Russlands sowie teilweise in Ost- und Südosteuropa heimisch. Mittlerweile reicht sein Verbreitungsgebiet wieder bis Frankreich und Spanien. In seinem natürlichen Umfeld ernährt sich der Wolf von Rehen, Hirschen und Wildschweinen.

Wölfe fressen Fleisch - das hat einen Grund

Bedeutet das, dass das Tier, was schon die Frau Großmutter im Wald mit Freuden verspeiste, es vor allem auf das mitteleuropäische Fleisch abgesehen hat? Und sich deshalb hier breit macht? Na ja, zumindest ist das im Grunde seine Aufgabe im Ökosystem. Dort hat er seinen festen Platz, wie jedes andere Wildtier auch. "Wenn er Rehe und Aas frisst, macht er genau das, was er soll. Nämlich dafür zu sorgen, dass bestimmte Arten nicht überhand nehmen und dass nicht zu viel Aas in der Gegend ist."

Rehe sind schön anzusehen, wie der Wolf auch, nur eben anders schön. Das, was zu viele Rehe hinterlassen, ist nur leider gar nicht schön. Die Regel ist einfach: Zu viele Rehe machen den Wald kaputt, weil der Wald nicht für so viele Rehe gemacht ist. Im Grunde würde der Wolf dafür sorgen, dass Rehe (und anderes Wild) nicht in ihrem Bestand explodieren. Trotz seiner Rückkehr sind wir davon allerdings weit entfernt. Also muss der Mensch eingreifen und das Wildvorkommen dezimieren. Ob Mutter Natur beim Thema Ökosystem professionelle Jägerinnen und Jäger mitbedacht hat? Möglich, aber unwahrscheinlich. Auf jeden Fall kommt der Wolf wie gerufen, wenn man sich die Zahlen der geschossenen Rehe in den vergangenen zwei Jahrzehnten ansieht. Anders gesagt: Obwohl die Zahl der Wölfe in Deutschland steigt, steigt auch die Zahl der geschossenen Rehe pro Jahr. Zur Jahrtausendwende waren es noch 1,07 Millionen Rehe, inzwischen sind es 1,26 Millionen. Frisst sich der Wolf also an Nutztieren satt, statt auf die Jagd zu gehen? Auch das ist unwahrscheinlich, denn um den natürlichen Effekt auf seine Umwelt zu haben, sind einfach noch viel zu wenige Wolfsrudel unterwegs. Und selbst wenn es so wäre, ist auch hier die Ursache beim Menschen zu suchen, nicht beim Tier. "Der Wolf nimmt das, was er am leichtesten erwischen kann", sagt Katharina Weinberg. Ist ja auch irgendwie verständlich. Also: Herdenschutz, und zwar so, dass Angreifer hungrig von dannen ziehen müssen und das Futter im Walde suchen.

Reh frisst an einem dünnen Zweig mit Knospen an einem Busch oder Baum im kargen Wald. Ansicht von vorn.
Klar dürfen Rehe mal knabbern. Wenn es aber zu viele sind, schadet das dem Wald. Bildrechte: imago/blickwinkel

Wölfe sind hochanpassungsfähig. So wie Pumpak, der 2017 in Sachsen Schlagzeilen gemacht hat. Durch Fütterung in seiner Heimat Polen hatte das Tier ganz offensichtlich eine Vorliebe für Zuckerbäckerei entwickelt, was man ihm wohl auch ansehen konnte. Das eigentümliche Verhalten, ohne Scheu vorm Menschen Kuchen von der Türschwelle zu stibitzen, hatte den Freistaat Sachsen dazu veranlasst, ihn als Problemwolf zum Abschuss freizugeben. Pumpak entwickelte plötzlich ganz offensichtlich nicht nur ein Interesse an menschlicher Nahrung, sondern auch an der menschlichen Presselandschaft. Zumindest hat er sich wohl aus dem Staub gemacht, als es gefährlich wurde – die Boulevardpresse witzelte damals, das Tier könne lesen. Pumpak war zu dem Zeitpunkt kein echter Problemwolf und irgendwie war er es doch. Denn er war ein Sinnbild für eine tiefgreifende Störung des Ökosystems. Und das ist ein Problem.

Distanz wahren statt kuscheln

Katharina Weinberg ist keine Wolfskuschlerin, wie sie sagt. Fasziniert? Ja, klar. Vor vielen Jahren fing alles ganz klassisch an, mit einem Buch, erinnert sie sich. Und dann wollte sie eben mehr erfahren. Katharina Weinberg ist auch keine, die von vornherein sagt, dass Menschen nicht auf Tierhaltung angewiesen sind. Im Gegenteil: Sie weiß, wie traumatisierend der Verlust für Nutztierhaltende sein kann. "Wenn wir Wölfe haben, die sich etwas angewöhnt haben, was wir selbst mit ordentlichem, gut gemachtem Herdenschutz nicht unter Kontrolle kriegen - also es werden permanent Zäune überwunden oder der Kollege schafft es, sich überall durchzubuddeln - dann muss man im Zweifel auch einen Abschuss vornehmen." Klare Worte von Katharina Weinberg. Ganz klar aber auch: keine Sippenhaft. Man könne nicht ein ganzes Rudel dafür verantwortlich machen, dass sich eines der Tiere abnormal verhält, durch Zutun des Menschen wohlgemerkt. Katharina Weinberg erinnert sich aber auch an einen Fall in Dänemark, wo Wölfe bestimmte Fähigkeiten bereits früh gelernt und sie ohne Abschuss mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Nachkommen übertragen hätten. "Ich bin keine Verfechterin von 'Jeder Wolf um jeden Preis'", erklärt Weinberg. "Wenn so etwas ist, darf man auch im Artenschutz eine Abschussgenehmigung aussprechen." Auch dem Ökosystem zuliebe.

Wolf spaziert durch Wasser, Seitenansicht aus Distanz, Hintergrund Ufer unscharf mit Gras und Bäumen
Sieht aus wie ferne Wildnis, ist aber Sachsen. Bildrechte: imago images/alimdi

Das profitiert noch an einer anderen Stelle vom Wolf. Nein, profitieren ist das falsche Wort, in einem System, wo viele Puzzleteile ein großes Ganzes ergeben. Besser: Im Ökosystem hat der Wolf noch an einer anderen Stelle seinen festen Platz. Wie bereits erwähnt frisst er Aas, also das Fleisch verendeter Tiere. Damit rechnet Mutter Natur, also zumindest der Waldboden. Denn wenn er das nicht tut, befinden sich sehr viele Nährstoffe an einem Ort, es entsteht ein Nährstoffüberhang und das Ökosystem kommt wieder mal ein bisschen aus dem Gleichgewicht.

Die Fleischliebe nützt auch Pflanzenfressern

Aber auch andersrum wird der Schuh draus. Dazu lohnt ein Blick nach Übersee, in den US-amerikanischen Yellowstone-Nationalpark. Der dient auch als großangelegtes Wolfslabor. In der sogenannten Northern Range sind fünf Wolfsrudel mit 33 Tieren mit Satellitensendern ausgerüstet. Die Rolle der Tiere im Ökosystem lässt sich somit live mitverfolgen. Forschende aus der Schweiz haben jetzt zusammen mit amerikanischen Kollegen von Wölfen gerissene Huftierleichen untersucht, beziehungsweise den Boden unter den Kadavern. Dort fand sich eine hohe Konzentration sonst seltener Nährstoffe. Und da kommt er in Schwung, der Kreislauf: Der Wuchs besonders nährstoffreicher Pflanzen wird gefördert. Und das wiederum ist attraktiv für Pflanzenfresser (welche möglicherweise wiederum eine Nahrungsquelle für den Wolf sein können. Und der wiederum, na … Sie wissen schon....).

Ein Tierpfleger mit roter Jacke im Polarzoo mit viel Schnee ringsherum, tollt mit zahmen Wölfen im Schnee herum: Packt einen Wolf und hebt ihn freudig hoch.
Herumtollen mit Wölfen? Bei diesen zahmen Exemplaren in einem Tierpark in Norwegen geht das. Ansonsten sind Mensch und Wolf aber dafür gemacht, Abstand zu halten. Bildrechte: imago/blickwinkel

Thomas Horat, der Filmemacher aus Schwyz, wird etwas nachdenklich, das ist auch am Telefon deutlich zu merken. Dann, wenn es irgendwie an die eigene Substanz geht. Denn auch wir Menschen sind – in unserem zeitgenössischen Dasein mehr oder weniger – Teil des natürlichen Ökosystems (und nehmen dort gleichzeitig auch noch die bequemste Position ein). Also ganz nüchtern gefragt: Wo bringt der Wolf uns Menschen etwas? Da kann man weit ausholen, schließlich profitieren wir von intakten Wäldern, einer intakten Natur sowieso. Thomas Horat wird etwas stutzig und verweist auf eine direkte Begegnung auf Sicht mit dem Wolf. Vielleicht nicht am Kuchenbuffet wie Pumpak, aber im Wald. Schon was Besonderes, klar. Dann lenkt der Regisseur ein: Der Wolf bringt dem Menschen so direkt nichts. Sondern: "Der Mensch sollte schauen, dass alle Platz haben. Denn wir vereinnahmen relativ Platz für uns."

Wolf und Mensch gehören nicht zusammen – aber der Wolf braucht mehr Platz

Der Wolf braucht seinen Rückzugsraum, also Wälder. Die haben zwei Feinde: unnatürlich hohe Huftiervorkommen, die grade jungen Trieben zu schaffen machen. Und den Menschen, wenn mehr und mehr Wald landwirtschaftlicher Nutzfläche weichen muss. Und so klingt es schon fast wie eine Binsenweisheit: Wolf im Wald heißt Wolf nicht in der Tierwirtschaft, Wolf im Wald heißt weniger Huftiere im Wald. Weniger Huftiere im Wald heißt mehr Wald. Mehr Wald: Mehr Platz für den Wolf. Und wo es besonders viel Platz für Wölfe gibt, zeigt eine aktuelle Studie des Bundesamts für Naturschutz, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschungseinrichtungen aus Deutschland und Österreich entstand. Wohin die Wölfe tatsächlich ziehen, können die Forschenden nicht sagen. Aber, wo es besonders geeigneten Lebensraum gibt – auch um besser früher als zu spät Maßnahmen zu treffen, z.B. beim Herdenschutz. So sind die in Sachsen und teilweise in Sachsen-Anhalt angegebenen Gebiete in der Lausitz und der Altmark schon gut durch Wölfe besiedelt. Im Harz, Erzgebirge und großen Teilen Südthüringens ist hingegen noch Platz.

Karte zeigt durch Einfärbung aktuelle Territorien des Wolfs und mögliche Lebensräume, besonders im Osten und Nordosten Deutschlands
Die Karte zeigt aktuelle Wolfsterritorien und mögliche Lebensräume: Während die in Sachsen schon gut besiedelt sind, hat Thüringen noch viel Platz für Wölfe. Bildrechte: Bundesamt für Naturschutz (M)

Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass sich für Katharina Weinberg die Frage, was der Wolf uns Menschen bringt, gar nicht stellt und sie die lieber umdreht: Was bringen wir dem Wolf? "Wir haben genauso unsere Nische und es geht bei Wildtieren nie darum, was sie uns bringen. Das ist eine sehr, sehr, sehr menschliche Ansichtsweise." Wenn man allerdings die natürlichen Zusammenhänge auseinanderreißt, so die Expertin, dann bringt das dem Menschen was: ziemlich viel Ärger. Das Ökosystem funktioniert einfach nicht mehr.

Gedenkstein mit Wolfskopf und Schrift, die nur teilweise gut lesbar ist; umgeben von grüner Natur
Dieser Gedenkstein hat die längste Zeit an den letzten geschossenen Wolf von 1835 in Westfalen erinnert. Denn auch dorthin kehrt der Wolf zurück, wenn auch verhalten. Bildrechte: Wikimedia Commons/Markus Schweiss (CC BY-SA 3.0)

Ein neues Wolfszeitalter – Zurück zur Normalität

Und warum ging es dann mehr als 150 Jahre ohne Wolf? Weil der Mensch ein Stück weit die Rolle des Wolfs übernommen hat. Aber wir haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eben auch festgestellt, dass es keine so gute Idee ist, die Tiere zu bejagen – auch das gehört zur Geschichte. Der Wolf kam nicht von sich aus, wir haben ihm den Raum gegeben. Die Wogen glätten sich langsam, das hat Thomas Horat bei seiner Tour durch Ostsachsen bemerkt. "Es sind vor allem die Gebiete, wo der Wolf neu reinkommt, dort gibt es sehr viel Unruhe." Klar. Denn dort stört er schließlich ein 150 Jahre altes "Ökosystem", wenn auch ein menschgemachtes und wenn auch nur eines auf Zeit.

Porträt eines Wolfs mit erhabendem, freundlichen Blick. Große Ähnölichkeit zu Schäferhund oder Husky, grau-braunes Fell. Unten etwas grüne Bläter, Hintergrund unscharf Natur.
Europäischer Wolf: Schön mit Abstand. Bildrechte: imago images/imagebroker

Dieses Ökosystem war eben eins, das darauf basiert, dass alles ein bisschen aus dem Gleichgewicht geraten ist. Und das, wohlgemerkt, nicht nur der Weggang des Wolfes geprägt hat. Dass Raubtiere die große Schlüsselrolle in einem so komplexen Gefüge spielen, ist eine von Forschenden kontrovers diskutierte Ansicht. Klar ist aber, dass das Tier irgendwo seine feste Nische hat.

Jetzt, wo das Ökosystem – zumindest auf den Wolf bezogen – ganz langsam wieder alte Formen annimmt, haben wir mit den Umständen zu knabbern. Denn auch mit zurückgekehrten Wölfen ist inzwischen vieles anders als im 19. Jahrhundert. Wie das trotzdem funktionieren kann? Unterstützung für diejenigen, denen das Wildtier in ihrer Existenz zu schaffen macht, da sind sich alle einig. Dazu gehört, vor allem längerfristig, aber auch die unbequeme Frage, wie zukunftsfähig Nutztierhaltung im heutigen Umfang ist. "Mit dem Wolf zu leben ist nicht einfach", das hat Thomas Horat während der Dreharbeiten gelernt. Was sich aber auch bestätigt hat, nach den viele Gesprächen und Interviews, die er geführt hat: Der Wolf ist keine Gefahr für den Menschen. Denn nur unsere Art kennt Worte wie "ausrotten". Und was sie bedeuten.

Links zu Studien

Die Studie Effects of elk and bison carcasses on soil microbial communities and ecosystem functions in Yellowstone, USA erschien im September 2020 im Journal Functional Ecology.
DOI: 10.1111/1365-2435.13611

Die Studie Habitatsmodellierung und Abschätzung der potenziellen Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland erschien im Mai 2020 beim Bundesamt für Naturschutz.
DOI: 10.19217/skr556

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