Teasergrafik Altpapier vom 31.5.2019: Ein Laptop, auf dem "Redaktionsgeheimnis" geschrieben steht, fungiert als Schredder
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Das Altpapier am 31. Mai 2019 Durch die digitale Hintertür

Das Innenministerium will Schutzmechanismen des Redaktionsgeheimnisses schreddern. Joko und Klaas hämmern Risse in die medialen Aufmerksamkeitsverhältnisse. Die Berlusconis steigen bei ProSieben ein. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Es war keine entspannte Woche für die Meinungs- und Pressefreiheit. Bei dieser Aussage geht es nicht vorrangig um die Türkei oder Ungarn. Dass innere Sicherheit und Art. 5 GG auch in Deutschland nicht die besten Freundinnen sind und in Zukunft noch weniger Hand in Hand durch die Straßen schlendern könnten, lässt ein Vorhaben des Innenministeriums befürchten (mal Abgesehen von den wirren Äußerungen von AKK zum Thema Youtube und "Meinungsmache").

Das Ganze stützt sich auf einen Entwurf für ein "Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts", den Netzpolitik.org bereits Ende März veröffentlicht hatte. Damit will das Seehofer‘sche Innnenministerium u.a. die Regeln für Online-Durchsuchungen neu aufsetzen und für die Berufsgruppe der Journalist:innen scheint dabei einiges an Schutzmechanismen im Schredder zu landen bzw. durch die digitale Hintertür umgangen zu werden.

"Seehofers Ministerium regelt in diesem Entwurf die Online-Durchsuchung umfassend neu. Bestimmte Berufsgruppen, deren Kommunikation besonders auf Vertraulichkeit angewiesen ist, dürfen mit diesem Mittel nicht ausgeforscht werden. Der Entwurf verweist dazu auf die Strafprozessordnung, die Priestern, Anwälten, Ärzten, Abgeordneten und Journalisten ein Zeugnisverweigerungsrecht zugesteht, und will diesen Schutz übernehmen - allerdings ausdrücklich nur bis zur Nummer vier. Journalisten sind die Nummer fünf",

schreibt Ronen Steinke für die Süddeutsche.

Grabstein für das Grundvertrauen

Die Planungen sind nach der Veröffentlichung des Entwurfs nun erneut so weit oben auf der Nachrichtenagenda, weil die Reporter ohne Grenzen sich die geplanten Änderungen en Detail vorgeknöpft und eine Stellungnahme inklusive neun Änderungsvorschlägen veröffentlicht hat. Zwar bleibe das Verbot für die Durchsuchung von Redaktionsräumen erhalten, für den digitalen Raum gelte das allerdings nicht zwingend, kritisiert die Organisation:

"Künftig soll es dem BfV als Inlandsgeheimdienst jedoch möglich sein, eine OnlineDurchsuchung bei Journalist:innen und Medienunternehmen durchzuführen (§ 9a Abs. 5 S. 3 BVerfSchG-RefE). Die Maßnahme soll nicht generell verboten werden, sondern ihr Schutz soll mit dem Interesse des Staates an der Informationsgewinnung ins Verhältnis gesetzt werden – auch dann, wenn dabei die Identität einer Quelle bekannt würde. Es wäre also möglich, Server großer Verlage und Rundfunksender zu hacken, zu durchsuchen und dabei den Schutz von Hinweisgeber:innen aufzuheben. Dies wäre ein schwerer Schlag für die Pressefreiheit in Deutschland und der Bruch des historisch errungenen Redaktionsgeheimnisses."

Redaktionen und freie Journalist:innen dürften also ohne ihr Wissen ausgespäht werden. Nötig wäre dafür nicht einmal mehr eine richterliche Entscheidung. In einem Kommentar für die SZ erklärt Steinke:

"Die Geheimdienstler dürften laut diesem Plan das Redaktionsgeheimnis übergehen, sobald sie finden, dass gerade Gewichtigeres auf dem Spiel steht. Kein Richter prüft nach, ob das stimmt. Eingeschaltet wird nur die sogenannte G-10-Kommission (kurz für den Artikel 10 Grundgesetz, das Kommunikationsgeheimnis), bestehend aus vier Ex-Politikern im Ehrenamt, die vom Bundestag bestellt sind und nur alle paar Wochen tagen. Man bekommt nie mit, was sie entscheiden. Auch nicht, wie sauber sie prüfen. Alles geheim."

Seit 2017 dürfen Journalist:innen zwar im Ausnahmefall digital ausgespäht werden, aber nur wenn ein Richter es für einen Prozess bei einer schweren Straftat als verhältnismäßig ansieht.

Sie ahnen es, an dieser Stelle kommen wir nicht drum herum, nochmal kurz an das Spiegel-Urteil von 1966 (Einführungsvorlesung "Was mit Medienrecht" lässt grüßen) zu erinnern, in dem ein "gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten" vom Bundesverfassungsgericht betont wurde:

"Er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich darauf verlassen kann, daß das 'Redaktionsgeheimnis' gewahrt bleibt."

Dem Vertrauen in dieses Redaktionsgeheimnis würde die Umsetzung des Entwurfs in seiner jetzigen Form wohl einen Grabstein errichten. Denn der Informantenschutz würde mit den Neuerungen noch weiter erschwert, bzw. nicht mehr garantierbar sein, weil betroffene Journos nicht unbedingt selbst etwas von den Spähereien mitbekommen dürften.

Die Erinnerung an die Pannen rund um die zu Unrecht entzogenen Akkreditierungen beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg (Gedankenstütze z.B. in Altpapier x, y und z) und die euphemistisch formuliert nicht gerade transparente Aufklärung der Vorfälle macht die Sache auch nicht gerade besser. Eine stärkere Kontrolle der Geheimdienstaktivitäten scheint dabei weiterhin nicht geplant zu sein. So heißt es in der ROG-Stellungnahme:

"Diese Einschränkungen der Pressefreiheit sind umso tiefgehender, da entgegen den Aussagen im Koalitionsvertrag einem Mehr an Befugnissen für die Geheimdienste kein Mehr an Kontrolle ihrer Arbeit folgen soll. Trotz der Skandale werden zum Beispiel bestehende Missstände wie die systematische Arbeit mit falschen Daten über Journalist:innen in Datenbanken nicht korrigiert. So soll keine automatisierte Korrektur veralteter Daten eingeführt werden. Auch sollen Journalist:innen weiterhin keine gesonderten Auskunftsrechte über sie gespeicherte Informationen in Geheimdienst-Datenbanken erhalten."

Wie genau es mit der Umsetzung der neuen Ausspähregeln weitergeht, ist aktuell nicht klar. Justizministerin Katharina Barley hat den Entwurf zunächst gestoppt (Heise). Mit ihrem Wechsel ins Europaparlament müssen Horst und sein Entwurf nun aber erstmal warten, bis die Nachfolge geklärt ist.  

Problematisch ist aber nicht nur der Entwurf mit seinen Einschränkungen für Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz, sondern auch die Tatsache, dass das Innenministerium beide Augen davor fest zusammenkneift. Bei der Bundespressekonferenz am Mittwoch sagte BMI-Sprecher Schmid laut einem Mitschnitt des Berliner Journalisten Thomas Wiegold: "In diesem Paragrafen eine Rechtsgrundlage für eine Erweiterung der [nachrichtendienstlichen] Kompetenzen zu suchen, das sehen wir nicht."

Die Schlussbemerkung des ROG-Berichts wirkt angesichts der Weigerung des Innenministeriums, anzuerkennen, inwiefern der Entwurf die grundlegenden Voraussetzungen für journalistische Recherchen einschränken würde, wie ein frommer Wunsch:

"Mit einer Aufnahme der Kritik aus den Reihen der Journalist:innen könnte das Bundesinnenministerium nicht nur seiner gebotenen Pflicht zum Schutz der Pressefreiheit nachkommen. Es wäre auch das klarstellende Signal, dass der Gesetzgeber ein ehrliches Interesse an einer Vermeidung weiterer Skandale hat und Journalist:innen ihr Vertrauen in die Geheimdienste auf Basis von Fakten und Transparenz steigern könnten."

Risse in der Primetime

Blicken wir mal, was bei uns im Altpapier zugegebenermaßen manchmal etwas kurz kommt, in die Privatfernsehlandschaft: Die Klamaukmacher Joko und Klaas holten am Mittwochabend zur Primetime bei ProSieben Hammer und Meißel raus, um ein paar Risse in die medialen Aufmerksamkeitsverhältnisse zu klopfen.

Statt die in der Spiel-Show "Joko und Klaas gegen ProSieben" gewonnenen 15 Minuten Sendezeit zur "Grey’s Anatomy"-Zeit am Mittwoch mit den üblichen Späßen zu füllen, stellten sie mit den Worten

"Es gibt tatsächlich Menschen, die Themen mitbringen, die so’n Bisschen mehr Aufmerksamkeit verdient haben, und die kommen jetzt."

Pia Klemm, Kapitänin des Rettungsschiffs "Iuventa" im Mittelmeer, Dieter Puhl, Sozialarbeiter bei der Obdachlosenhilfe der Berliner Mission und die Schriftstellerin und Aktivistin Birgit Lohmeyer ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit von 1,77 Millionen Zuschauern.

Bei Twitter, Youtube und Co. konnten sich die beiden ProSieben-Gesichter dafür jede Menge Lob und Begeisterung abholen. So erzählte Klemm über eine Rettungsmission:

"Tagelang fuhr ich mit einem toten zweijährigen Jungen in der Tiefkühltruhe in internationalen Gewässern auf und ab, weil kein europäisches Land ihn retten wollte, als es noch möglich war und sie uns dann einen sicheren Hafen verwehrten. Seine Mutter war auch bei uns an Bord – lebendig. Was sage ich einer traumatisierten Frau, deren Kind da in meinem Tiefkühler liegt, über den Friedensnobelpreisträger EU?"

Puhl machte auf die verzweifelte Situation obdachloser Menschen aufmerksam und erzählte von seiner Arbeit am Bahnhof Zoo:

"Da steht ein Abschiedsbaum vor der Tür. Den haben wir gepflanzt, weil wir eigentlich Menschen helfen wollen. Aber wir begleiten sie, wenn es sein muss, auch in ihrem Sterben oder über ihr Sterben hinaus. Das erste Bändchen, das wir anbrachten (…), war Klaus. Klaus starb mit 38 Jahren an Heroin und Glühwein. Und uns ging das mies. Mit 38 Jahren zu sterben, das ist furchtbar. Kleiner Exkurs: Die meisten obdachlosen Menschen in Deutschland sterben 15 Jahre eher, als der Rest der Bevölkerung."

Laut ProSieben durften Joko und Klaas sich die Sendung so zurechtschustern, wie sie wollten. So hieß es bei ProSieben: "niemand weiß, was heute Abend geschehen wird". Nur cleveres Marketing?

"Möglicherweise befürchten die Senderverantwortlichen tatsächlich Schlimmes – oder wollen nur das Interesse anheizen. Jedenfalls gab es bereits den vorsorglichen Hinweis: 'ProSieben distanziert sich von sämtlichen Inhalten von Joko & Klaas LIVE'."

Wie dem auch sei. Sie haben es geschafft, die Zuschauer:innen gleichzeitig zu überraschen, zu unterhalten und eindrucksvoll Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Probleme zu lenken, die sonst im Strudel der aktuellen Nachrichtenlage oft untergehen. Wenn das mal kein gutes Fernsehen ist…

Altpapierkorb (Berlusconi bei ProSieben, Springer und KKR, Regeln gegen Desinformation, Journalismus und Klimawandel)

+++ Speaking of ProSieben: Der italienische Medienkonzern Mediaset übernimmt fast zehn Prozent der ProSiebenSat.1-Anteile, berichtet die Süddeutsche. Mediaset gehört der Familie des ehemaligen italienischen Präsidenten Silvio Berlusconi. Bei FAZ.net ordnet Rüdiger Köhn ein: "Der Vorstoß von Mediaset, größter Privatsender in Italien und Spanien, wird als Einstieg mit dem Ziel gewertet, das Engagement auszuweiten und zu intensivieren. Das nun abgegebene Signal deutet darauf hin, dass nach einem gemeinsamen Vorgehen mit dem Management von Pro Sieben gesucht wird – allerdings unter der Regie von Berlusconis Medienkonzern. Der strebt an, eine Fernseh-Allianz in Europa zu schmieden."

+++ Und noch eine Wirtschaftsnachricht: Springer führt nach eigenen Angaben aktuell Gespräche mit dem US-amerikanischen Finanzinvestor KKR. Laut Bloomberg soll es um ein strategisches Investment gehen, mit dem der Medienkonzern von der Börse genommen werden könnte. Beim Handelsblatt schreibt Catrin Bialek: "KKR hat einschlägige Erfahrung im deutschen Mediensektor. Von 2006 bis 2013 war der Finanzinvestor an Pro Sieben Sat 1 beteiligt. Axel Springer war damals an einer Übernahme des Münchener TV-Konzerns interessiert, was an kartellrechtlichen Problemen scheiterte. Auch aktuell mischen die Amerikaner in Deutschland mit: Zusammen mit Fred Kogel baut KKR seit Anfang des Jahres eine Fernseh- und Filmproduktionsfirma in Deutschland auf." Und Meedia orakelt: "Sollte KKR neuer strategischer Partner werden, könnte Axel Springer im internationalen Mediengeschäft eine größere Rolle spielen. Mit Hilfe von KKR als kapitalstarken Investor im Rücken ist es denkbar, dass Döpfner das Wachstum des Unternehmens nun stärker als bislang massiv vorantreibt – und dies jenseits den Zwängen eines Börsenlistings."

+++ Im Interview mit Michael Hanfeld (FAZ-Medienseite oder hier bei Blendle) spricht Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), über Defizite bei den Regeln gegen Desinformation und für mehr Konzentrationskontrolle im Netz.

+++ Versagen Medien bei der Berichterstattung über den Klimawandel? Die Frage stellt Abby Rabinowitz bei der Columbia Journalism Review. Sie schreibt: "While many leading climate journalists concur newsrooms are not covering climate enough, several told CJR that more climate stories does not necessarily equate to quality coverage. 'Growth is not measured in the number of stories, but in the kind of stories we tell,' Hannah Fairfield, the Times’s climate editor, says. We need creative, personalized stories that engage readers, which might depend in part on form. Fairfield, who has a background in data visualization, says she works to tell stories in phone-friendly ways that are 'new and creative and form-changing'."

+++ Wie Desinformation sich vor der Europawahl in geschlossenen britischen Social-Media-Gruppen verbreitete, hat BBC Newsnight recherchiert.  

+++ Die SZ-Redaktion hat neue Serien-Tipps für den Juni zusammengestellt. Dabei ist auch die zweite Staffel von "Fleabag" (Amazon), einer grandiosen, teils bösartig-pointierten, kammerspielartigen Miniserie der Britin Phoebe Waller-Bridge. Sie selbst spielt auch die Protagonistin und Antiheldin, die sich ihr Recht auf’s Scheitern erkämpft.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag.