Collage zur Medienkolumne Das Altpapier am 04. Oktober 2019: 198:13 für die Zweiheit
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Das Altpapier am 04. Oktober 2019 198:13 für die Zweiheit

04. Oktober 2019, 14:10 Uhr

Einheit in der Medienbranche? Den Osten als Abweichung von der Norm zu sehen und in Klischees zu rutschen, scheint ansteckender zu sein, als die Masern und auch bei der Ost-West-Diversität in Redaktionen ist noch einiges zu tun. Aber es gibt auch Formate Abseits von "Defizit-Demografie-Desaster-Schleifen". Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Haben wir in der Medienbranche eigentlich mittlerweile eine deutsche Einheit erreicht? Nope, muss man dazu auch 29 Jahre nach der Wiedervereinigung sagen, wenn man neben dem Einheitskonfetti von gestern ehrlich sein will.

Der Nationalfeiertag sei "einer der wenigen Tage im Jahr, an dem westdeutsch geprägte Medien sich für die DDR interessieren", diagnostiziert z.B. der ehemalige Altpapierautor Matthias Dell bei Deutschlandfunks "@mediasres":

"Wenn es nicht so eintönig wäre, könnte es fast lustig sein, sich vorzustellen, wie das in den Redaktionen abläuft: 'Sollen wir Wolfgang Thierse interviewen? – Ach, nee, den hatten wir doch letztes Jahr erst, wie wär's mal wieder mit Wolf Biermann? – Nee, wir brauchen jemand jüngeren, und am besten eine Frau, die noch einen Pioniernachmittag von innen gesehen hat.‘"

Der Osten, das Andere

Dass die Berichterstattung über die ehemalige DDR und die ostdeutschen Bundesländer immer noch reichlich festgefahren ist, zeigt sich auch an diversen Schlagzeilen:

"Der Osten holt beim Gehalt langsam auf" (n-tv), "Tourismus im Osten hinkt hinterher" (ZDF "heute"), "Osten holt bei Wirtschaftskraft deutlich auf" (Münchner Merkur).

Der Westen, zu dem ja auch der Norden und der Süden gehören, gilt immer noch zu oft als Standard, an dem "der Osten" (der ja ebenfalls nicht so homogen ist, wie diese übergestülpte Bezeichnung suggeriert) gemessen wird.

Das liegt sicher auch an der meist nicht vorhandenen Ost-Sozialisation von Journalist:innen (dazu gleich mehr), aber nicht nur. Denn Schlagzeilen wie diese entstehen häufig rund um die Veröffentlichung des Berichts zur Deutschen Einheit des Ost-Beauftragten der Bundesregierung, in denen der Osten eben an der Situation im Westen gemessen wird. Dabei gerät die Region automatisch in die Position des Anderen, des Abweichens von der Norm. Und dieser Blickwinkel scheint noch ansteckender zu sein als die Masern, denn andere Kriterien finden in der Berichterstattung eher zaghaft statt und dann auch meist in Medien, deren Sitz im Osten der Republik liegt, z.B. im Tagesspiegel ("Fünf Lehren aus dem Osten zur Stärkung der Demokratie") oder beim MDR ("Was der Westen vom Osten gelernt hat").

Abseits vom Tag der deutschen Einheit spielten ost-spezifische Inhalte eine "sehr, sehr, sehr minimale Rolle", kritisierte Marieke Reimann, Chefredakteurin des jungen Portals der ZEIT, ze.tt, im "Heute Journal". Stattdessen gebe es vor allem eine Art "Highlight-Berichterstattung", z.B. über Landtagswahlen oder Ausschreitungen in sächsischen Städten.

Das liege vor allem an den vielen Chefs und Chefinnen ohne Ost-Sozialisierung. Und nicht nur in den Führungspositionen fehlt Ost-West-Diversität, muss man leider hinzufügen, wenn man einen Blick auf eine Befragung des medium magazins verschiedener Journalistenschulen wirft. Bei der taz spießt Steffen Grimberg die Zahlen in seiner Medienkolumne nochmal auf:

"Die Henri-Nannen-Schule meldet 14 (West) zu 2 (Ost), beim ifp München heißt es 34:2, bei der Kölner Journalistenschule 18:2, an der RTL Journalistenschule goes niemand east [Anm. Altpapier: 28:0]. Bei Springer steht es 66:5, bei Burda 23:1 und bei der Evangelischen Journalistenschule 15:1. Von Springer und EJS (beide Berlin) abgesehen sind übrigens alle Schulen – logisch – im Westen."

Das macht also 198:13 für die Zweiheit. Auf eine:n Schüler:in aus einem ostdeutschen Bundesland kommt also mehr als 15 aus den alten Ländern. Dort leben aktuell ca. 68,7 Millionen Menschen, im Osten sind es 13,9 Millionen. Das ergäbe nur ein Verhältnis von knapp fünf zu eins. Klar kommt man auch auf anderen Wegen in den Journalist:innenberuf, aber eine grobe Orientierung, was die Ost-Repräsentation (vor allem in überregionalen) Redaktionen angeht, scheint die Umfrage aber trotzdem zu geben.

Beerdigung der Defizit-Demografie-Desaster-Schleife

Dieses personelle Ungleichgewicht führt wohl auch dazu, dass seit 30 Jahren weiterhin die gleichen Klischees über "den Osten" verwendet werden – zwischen den einzelnen Bundesländern wird dabei, außer bei Landtagswahlen oder einzelnen Statistiken, eher selten unterschieden. In einem lesenswerten Kommentar in der taz fragte sich kürzlich der Soziologe Andreas Willisch, warum häufig so wenig Sachlichkeit herrscht, wenn es um die Bundesländer im Osten geht. Der zentrale Punkt, das zu kurieren sei,

"dass endlich die Defizit-Demografie-Desaster-Schleife beerdigt wird. Zugunsten einer neuen Aufmerksamkeit für jene, die sich Tag für Tag dort, wo sie leben und arbeiten, dafür einsetzen, dass Gesellschaften wieder zum Laufen kommen, dass Orte der Begegnung geschaffen werden, Alltagspolitik wieder möglich wird."

Und weil ich hier in meiner Kölner Wohnung sitze, während ich diese Kolumne schreibe, und selbst auch noch nach dem Mauerfall ganz am westlichen Rand Deutschlands aufgewachsen bin, möchte ich das Wort gerne an drei Kolleginnen weitergeben, die viel mehr zum Thema sagen können. Ihre Podcast-Formate bewegen sie sich abseits von Klischees und Desaster-Schleifen und sind alle drei empfehlenswert:

  • "Ostwärts – Eine Ode an den Osten" von Anne Ramstorf. Die Journalistin gibt darin einen unaufgeregten, liebevoll-detailreichen Einblick in verschiedene Projekte und Entwicklungen im Osten. Sie porträtiert z.B. das Musikensemble "Klänge der Hoffnung" aus Leipzig, oder den Architekten Jochen Dreetz, der aus alten Plattenbauten neue ökologische Einfamilienhäuser baut. Für Medienmenschen ist vor allem Folge 13 interessant, in der Krautreporter Josa Mania-Schlegel über seine Arbeit als "so ne Art Ostdeutschlandkorrespondent" berichtet.

  • Etwas politischer kommt das Format "Ost – Eine Anleitung" von Marie-Sophie Schiller daher. Mit Blick auf die Landtagswahlen spricht die Journalistin mit Soziologen, Journalist:innen und Politiker:innen und beleuchtet Hintergründe aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Interviews sind so hörenswert, weil sie Raum für Erklärungen und Ambivalenzen lassen.

  • Eher rückblickend, aber mit vielen Bezügen zur Gegenwart begleitet Katharina Thoms in "Mensch Mutta" - genau - ihre Mutter dabei, wie sie auf ihre persönlichen Entscheidungen und ihr Leben als alleinerziehende Mutter in der DDR zurückblickt. Dafür wurde die Journalistin in diesem Jahr mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Zuhören lohnt sich vor allem, weil die DDR-Geschichte gleichzeitig sehr persönlich-anekdotisch, aber auch kritisch eingeordnet wird.

Die Podcasts kann man übrigens das ganze Jahr über hören – nicht nur wenn gerade mal wieder Einheits-Duselei herrscht.

Altpapierkorb (geschwärztes Interview, Kürzungen bei Springer, Gesellschafts-Ressort beim Spiegel, "Medien-Monopoly" in Frankreich)

+++ Der journalist hat ein Interview mit Gabor Steingart mit komplett geschwärzten Antworten gedruckt (und online gestellt). Die Eingriffe von Steingart hätten mit einer Autorisierung nichts mehr zu tun gehabt, sagt journalist-Chefredakteur Matthias Daniel: "Ich sehe sie als Versuch, Gesagtes im Nachhinein um- und neuzuschreiben." Der Medienunternehmer habe auch versucht, in die Fragen der Redaktion einzugreifen und sie "zum Teil umzudichten". Letztendlich ließ Steingart die Antworten von seinem Anwalt komplett zurückziehen. Das DJV-Magazin hat damit eine Diskussion über die Sitte und Unsitte der Autorisierungs-Praxis losgetreten. Die bewegt sich bei Twitter zwischen den Polen: Freigabe sei vor allem bei verdichteten Printfassungen wichtig und Autorisierung sollten nach angelsächsischem Vorbild abgeschafft werden. Solche Fälle sind nicht neu, ähnliches passierte zwischen Playboy (dwdl.de) und Wetzlarer Neuen Zeitung (Bonner General-Anzeiger) schon in verschiedensten Redaktionen.

+++ Bei der taz wirft Peter Weissenburger einen Blick auf die Kürzungen bei Springer und das Zusammenrücken von Bild und Welt beim Sport (siehe auch Altpapier von Montag und Dienstag) und problematisiert: "wo immer weniger Journalist*innen an einem Themenbereich arbeiten, werden die Geschichten einförmiger und einseitiger. (…) Bei Bild kommt erschwerend hinzu: Wenn nach und nach immer mehr Redaktionen in der Bild aufgehen, wird der Springer-Journalismus allmählich, aber sicher zur Julian-Reichelt-Show werden. Noch vor wenigen Jahren hatte jede Springer-Marke eine starke Persönlichkeit an der Spitze. Mittlerweile sind Bild und bild.de unter dem Goldene-Kartoffel-Preisträger Reichelt vereint, Bild am Sonntag dürfte demnächst folgen. Streiten könnte Reichelt dann nur noch mit Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt."

+++ Fast ein Jahr nachdem der Spiegel mit den Erkenntnissen zu den Relotius-Fälschungen an die Öffentlichkeit ging, baut das Magazin sein Gesellschafts-Ressort um. Es soll nun "Reporter" heißen und wird von Özlem Gezer geleitet, berichten u.a. die SZ und DIE ZEIT.

+++ Vor dem BGH wurde erneut über die Klage von Kameramann Jost Vacano verhandelt, der am Erfolg des Films "Das Boot" beteiligt werden will. Bei der Verhandlung in Karlsruhe habe es danach ausgesehen, als ob Vacano tatsächlich gewinnen und damit ein Grundsatzurteil erstreiten könnte, berichtet Wolfgang Janisch bei der SZ.

+++ Wem gehören die französischen Medienhäuser und welche Sonderrolle nimmt Le Monde ein? Nach der Entscheidung der Investoren, die Besitzverhältnisse nur in Abstimmung mit der Redaktion der Zeitung zu verändern, dröselt Stefan Brändle beim Standard das "Medien-Monopoly" in Frankreich etwas auf.

+++ Was tut sich in der österreichischen Medienbranche? Der Kurier kauft das Nachrichtenmagazin Profil von VGM zurück, berichtet der Standard. Die Wettbewerbsbehörde habe die Anmeldung erhalten.

+++ Beim Comedy-Preis räumte unter anderem Luke Mockridge ab, berichtet das Hamburger Abendblatt (via dpa).

+++ Die neunte Staffel American Horror Story ist in USA angelaufen (ab November in Deutschland). "Eines der spannendsten Fernsehprojekte der Gegenwart", lobt Jürgen Schmieder bei der SZ.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag.

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