Teasergrafik Altpapier vom 13. Januar 2020: Einkaufswagen mit einen Laptop darin. Auf dem Bildschirm des Laptops ist der Schriftzug "Online News" zu lesen.
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Das Altpapier am 13. Januar 2020 Die Netflixe des Journalismus

13. Januar 2020, 13:00 Uhr

Faktencheck-Fragen und Facebooks Deutschkenntnisse wurden vor Gericht verhandelt. Dass es zu wenig Möglichkeiten gibt, für Onlinejournalismus zu bezahlen, ist nicht das Problem. Außerdem: bemerkenswerte MinisterpräsidentInnen-Äußerungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Es gibt neue deutsche Facebook-Gerichtsurteile. Vorm Landgericht Mannheim hat, wie die FAZ am Samstag berichtete, das durch Spenden und vom Faktencheck-Auftraggeber Facebook finanzierte correctiv.org gegen tichyseinblick.de gewonnen. Verhandelt wurde über einen Beitrag der ersteren aus dem Oktober, der sich dem Beitrag "500 Wissenschaftler erklären: 'Es gibt keinen Klimanotfall'" der letzteren widmete und checkend zur "Bewertung: teilweise falsch" gelangte. FAZ-Redakteur Hendrik Wieduwilt ist kein Fan des weiter rechts stehenden und ebenfalls teilweise spendenfinanzierten Tichy-Mediums, das er "Haudrauf-Magazin" nennt. Das Urteil findet er dennoch nicht sehr überzeugend:

"Den Richtern scheint ihr Schluss selbst ein bisschen kurios vorzukommen: Die Correctiv-Aussage, dass es sich bei den 500 'Wissenschaftlern' nämlich eigentlich nicht um solche handele, sei keineswegs, wie der Begriff 'Faktencheck' nahelegt, eine Tatsachenbehauptung – sondern eine Meinungsäußerung. Allerdings wiege diese eben schwerer als Tichys. Damit installiert das Landgericht kurzerhand eine Pluralismuspflicht ohne Gesetz."

Vielleicht lässt sich das so interpretieren, dass die Richter angesichts der offenkundigen Absicht beider Seiten, bei einer Niederlage weiterzuklagen, die schwierige Aufgabe, die laufende Medien-Entwicklung mit geltenden deutschen Gesetzen abzugleichen, lieber den höheren Instanzen überließen, die sowieso ran müssen. Der umtriebige Anwalt Joachim Steinhöfel, der die Tichy-Seite vertritt, kündigte in einem seiner Internetauftritte nach dem "ersten, sehr interessanten Urteil" auch schon an, in Berufung zu gehen. Twittertypische Begleit-Battles zum FAZ-Artikel (z.B. @Volksverpetzer vs. @hwieduwilt) liegen natürlich ebenfalls vor.

Ob das deutsche Recht Medienintermediäre (wie Facebook und andere heißen werden, sobald der Medienstaatsvertrag in Kraft ist) in den Griff kriegt, ist mittel- bis langfristig spannend. Wenn Facebook sich derzeit an EU-Recht hält, dann vor allem an irisches. In Irland nahm der US-amerikanische Konzern aus so einleuchtenden Gründen wie niedrigen Steuern und niedrigem Datenschutz seinen europäischen Hauptsitz. Außerdem ist Irland neben Malta bald der einzige EU-Mitgliedsstaat mit Englisch als Amtssprache. Was Facebook allerdings nicht davon entbindet, auch Deutsch zu verstehen, wie das Oberlandesgericht Düsseldorf schon entschied.

Auf dieses Urteil aus dem Dezember machte gerade wbs-law.de, der Internetauftritt der auch nicht unumtriebigen Kölner Anwälte Wilde Beuger Solmecke, aufmerksam. Konkret ging es um einen Düsseldorfer, der eine Einstweilige Landgerichts-Verfügung Facebook in Irland zustellen ließ, allerdings erfolglos:

"Eine in Dublin ansässige Kanzlei erklärte, dass Facebook die Entgegennahme der ihr im Verfahren übersandten Schriftstücke ablehne, da keine englische Übersetzung der Schriftstücke zur Verfügung gestellt worden sei und die Rechtsabteilung die deutsche Sprache nicht verstehe."

Der Düsseldorfer klagte dann wohl eher, weil er wegen der von deutschen Rechtspflegern als nicht ordnungsgemäß erfolgt betrachteten Zustellung auf 750 Euro sitzen blieb. Das Urteil, dass Konzerne mit "zahlreichen Nutzern in Deutschland", denen sie auch zustimmendes Wegklicken deutschsprachiger AGBs abverlangen, die Sprache auch sonst beherrschen müssen, könnte dennoch grundsätzliche Bedeutung besitzen – sofern das Landgericht, an das die Sache zurückverwiesen wurde und vor dem sich Facebook sich (sicher auch gedolmetscht) auch wieder wird äußern können, nicht für eine Überraschung sorgt.

Viele bezahl-Möglichkeiten, aber "deprimierende Zahlen"

Spenden, Abos bei Medien, die auch gedruckt erscheinen oder nicht, oder Angebote wie Blendle, wo der erwähnte FAZ-Artikel für nur 55 Cent auch zu haben wäre: An Möglichkeiten, online für Journalismus zu bezahlen, herrscht kein Mangel. Ob sie in ausreichendem Maß genutzt werden, ist eine andere Frage.

Gewiss wächst die Bezahlbereitschaft für Onlinejournalismus irgendwie. Das tat sie laut Bitkom-Verband schon 2016. 2019 stellten sowohl das "Journalismus-Lab" der Düsseldorfer Landesanstalt für Medien ("... Vorsichtig optimistisch stimmt zudem die Erkenntnis, dass jüngere Befragte eher zahlungsbereit sind") als auch das NiemanLab (Altpapier) Ähnliches fest.

Doch die Menge an verfügbaren Daten und Zahlen steigt erst recht. Wie man sie interpretiert, hängt auch vom Rahmen ab, durch den man draufschaut. Die taz, die sich ja auch recht wesentlich durch Online-Zahlungsbereitschaft finanziert, gelangte nun zur ernüchternden Bilanz "Die Zahlen sind deprimierend".

Weil der knackig verknappte Ruf nach einem "Netflix des Journalismus!" gern ertönt, gibt Alexander Graf einen kleinen Überblick über entsprechende Initiativen. Von Blendle und dessen nicht antwortendem Geschäftsführer Alexander Klöpping scheint er eher genervt. Überdies nennt er "Online-Kioske wie Readly, Read-it oder Pressreader", die jeweils ein anderes Prinzip als Blendle verfolgen, nämlich das der monatlichen Flatrate für gedruckt publizierte Inhalte, sowie das österreichische Newsadoo, das sich selbst lieber "Spotify für News" nennt und "international als das neue heiße Ding gehandelt" werde. Zu Readly, Read-it und Pressreader geht's jeweils hier.

Durchklicken lohnt, weil sich eindrucksvoll zeigt, wieviele Inhalte es insgesamt gibt (und dass Unverwechselbarkeit nicht immer zu den hervorstechendsten Merkmalen gehört). So lässt sich ahnen, dass für die an den meist unbezifferten Erlösen "anteilig ... beteiligten" Verlage insgesamt wenig zusammenkommt. Dass die Plattformen "weit davon entfernt, eine ernsthafte vertriebliche Alternative zu werden", seien, sagte der taz die auf vielen Plattformen zu findende Rheinische Post aus Düsseldorf.

Und ob im globalen und weiter globalisierten Wettbewerb, in dem Netflix- und Spotify-Kunden gerne auch New York Times, Guardian oder US-amerikanische Zeitschriften lesen, an solchen Online-Kiosken jemals etwas für regionale Zeitungen abfallen wird?

"Schließlich steht die Medienlandschaft insgesamt unter Druck, ganze Lokalzeitungsredaktionen werden geschlossen. Die Einzigen, die da eine privilegierte Stellung haben, sind die Redakteure im öffentlich-rechtlichen Rundfunk."

Sagte allerdings jemand anderes in völlig anderem Zusammenhang. Mit Armin Laschet geht's weiter zum fortdauernden Topthema des Jahres.

CDU und SPD über ARD und ZDF

Der Spiegel interviewte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten, der ja auch als Kandidat für noch höhere Ämter gehandelt wird, "über die Unabhängigkeit des WDR" und zu anderen Medien-Themen. Nicht allein wegen des schönen Gestikulier-Fotos lohnt das Lesen.

Für Ministerpräsidenten-Medienthemen-Interviews ist dieses ein vergleichsweise differenziertes. Was den Dauerbrenner "Umweltsau" angeht, bleibt Laschet dabei, dass es Gründe gibt, das Lied auch dann noch eher doof zu finden, wenn es von anderen mit schlechten bis falschen Argumenten beschimpft wird ("In diese Situation hinein Neunjährige ihre Großeltern als Umweltsau beschimpfen zu lassen ist kein Beitrag für ein gutes gesellschaftliches Klima."). Melanie Amann und Markus Feldenkirchen vom Spiegel geben beherzt Contra:

"Ihre Medienkritik ist arg selektiv: Als ein Satiriker die AfD-Politikerin Alice Weidel 'Nazischlampe' nannte oder Dieter Nuhr sich an Greta Thunberg abarbeitete, twitterten Sie nicht. Kritisieren Sie nur, wenn es Ihnen nützt?"

Nähern wir uns also dem Karl Valentin'schen Ideal, dass eigentlich alles von jeder und jedem gesagt gehört? Technisch möglich ist's inzwischen ja. (Wobei Valentin laut karl-valentin.de auch "I sag gar nix. Dös wird man doch noch sagen dürfen" gesagt haben soll ... was eine ganz gute Antwort sein könnte. Bloß den letzten Satz müsste Valentin wohl besser weglassen).

Spannender ist, was Laschet sonst so sagt. Schließlich muss in diesem Jahr die Rundfunkbeitrags-Erhöhung durch die Landtage. Er meint z.B:

"Es würde die Akzeptanz erhöhen, wenn jeder, der öffentlich-rechtliche Medien nutzt, wahrnimmt: Es wird professionell, kompetent und objektiv berichtet, und es werden unterschiedliche Meinungen binnenplural erkennbar, die die gesellschaftliche Debatte widerspiegeln. Das würde ich mir wünschen"

Ob der Wunsch oder die Konjunktive bedeuten, dass es dem Ministerpräsidenten des größten Bundeslands Binnenpluralität bei ARD und ZDF derzeit vermisst?  Jedenfalls liefen bereits twittertypische Begleit-Battles, etwa mit den Vorwurf, "rechtspopulistische Narrative zu befeuern" (und lassen zumindest Sorgen, die Linke könnte den Rechten in der Kulturtechnik das Entkontextualisierens von Aussagen, um eigenen Spins Schwung zu verleihen, weit hinterher hinken, unbegründet erscheinen).

Damit zu Tom Buhrow. Nimmt er sich die Rücktrittsforderungen zu Herzen? Davon ließ der frischgebackene ARD-Vorsitzende nichts erkennen, berichtet Imre Grimm bei Madsacks RND von der (regulären) Abschiedsparty für NDR-Intendant Lutz Marmor. "Buhrow selbst lächelte die Affäre weg" und machte einen Witz mit "Motorrad". Derjenige, den Kai Pflaume über Buhrow machte, wirkt etwas lustiger (und ob Pflaume da schon das Laschet-Hammer-Statement "Auch die Honorare für die Moderation von Samstagabendshows erscheinen teilweise zu hoch" kannte, ist unklar).

Welche NDR-Prominenten auf der Party welche Lieder sangen, dokumentiert der NDR. Im RND-Text gibt's dann noch ein kleines Porträt des neuen NDR-Intendanten Joachim Knuth (der sich unter anderem für "intelligente Inhalte" ausspricht!) sowie noch mehr MinisterpräsidentInnen-Zitate.

Manuela Schwesig, Peter Tschentscher und Stefan Weil weilten auch auf der Party, und gute Drähte zur SPD haben die Madsack-Medien ja.

Aufmerksamkeit verdient, was Schwesig sagte:

"Sie bedauere, dass es über ARD und ZDF inzwischen nur noch eine 'Schwarzweißdebatte' gebe: Erhalten oder Abschaffen, ganz oder gar nicht – statt im Detail über Auftrag, Ausgestaltung, Finanzierung und Programm zu sprechen. 'Ich kenne dieses Entweder-oder Denken aus der DDR. Da gab es nur Gut und Böse. Schwarz und Weiß. So sind wir sozialisiert. Ich wünsche mir, dass wir die Vielfalt der Meinungen zulassen, und da spielt auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wichtige Rolle. Wir brauchen ihn grundsätzlich.'"

Hoppla. Das scheint fast, als würden MinisterpräsidentInnen aus SPD und CDU die ARD und das ZDF gerade recht deutlich zu mehr Meinungsvielfalt auffordern, und das, obwohl die Ansichten ihrer eigenen Parteien ja stets ausführlich vorkommen. Die künftigen Debatten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dürften tatsächlich tief in die Details gehen –  was mittel- und langfristig aber auch das Beste wäre, das ihm passieren könnte.


Altpapierkorb ("Spiegel-Gate(s)"? Spannung in Saarbrücken, EU-ePrivacy, Australiens Botschafterin, Geri Nasarski... )

+++ Just als der Spiegel vorige Woche online nochmal so richtig disruptiv durchstartete (und das ergänzende "Online" überall abmontierte ...), kam auch mal wieder ein harter Vorwurf unter der Überschrift "Spiegel-Gate(s)". Oliver Neß vermutet bei mmm.verdi.de  einen Zusammenhang zwischen einer "Zuwendung ... durchaus im Millionenbereich" von der Bill & Melinda Gates Foundation und dem per Spiegel-Titelseite empfohlenen Text "Atomkraft? Ja bitte", in dem auch eine Gates-Firma größer vorkommt. Inzwischen gibt's eine scharf formulierte Spiegel-Stellungnahme, aus der die SZ zitiert ("Es habe noch nicht einmal die Überlegung gegeben, einen Hinweis auf die Finanzierung durch die Gates-Stiftung in den Atomkraft-Text einzubauen, 'weil keinerlei Einflussmöglichkeit noch -absicht bestand'").  Klingt, als gäbe es noch Diskussionsbedarf.

+++ Am Mittwoch könnte es spannend werden in Saarbrücken. Wird die CDU-Landtagsabgeordnete Ruth Meyer, wie von der Groko im kleinen Bundesland verabredet, auf den Chefposten der Landesmedienanstalt gewählt, oder entscheiden sich die Parlamentarier für ein bisschen mehr Staatsferne-Anschein? Volker Nünning blieb für medienkorrespondenz.de am Thema dran.

+++ Was macht eigentlich die ePrivacy-Verordnung der EU-Kommission, die Mathias Döpfner mal "Taliban-Variante des Datenschutzes" nannte? Unklar, "eine Ankündigung des neuen Digitalkommissars Thierry Breton, die Kommission ziehe den Vorschlag ganz zurück, widerrief seine Sprecherin binnen weniger Stunden". Nun zitiert netzpolitik.org aus einem Appell "datenschutzfreundlicher Firmen", darunter mit dem AdBlocker-Hersteller eyeo ein alter Springer-Gegner, endlich aktiv zu werden: "Wenn Werbenetzwerke wie jenes von Google Nutzer:innen nicht mehr durch das ganze Netz verfolgen könne, lasse das weitaus mehr Spielraum für klassische kontextbasierte Werbung, wie sie etwa Nachrichtenseiten bieten könnten".

+++ Das "Dschungelcamp" im RTL-Fernsehen ist angelaufen, RTL zitiert Australiens Botschafterin in Berlin ("Wir sind dankbar für die Fortsetzung der Produktion, die in enger Abstimmung mit den lokalen Behörden die Sicherheit der Crew, der Teilnehmer und der Menschen vor Ort sicherstellt"), spendet und fordert zum Spenden auf. Und die gemessenen Einschaltquoten waren gut (Tagesspiegel). Bloß Moderatorin Sonja Zietlows Satz, dass in Australien derzeit ebenfalls eine einheimische Version des Dschungelcamps laufe, hatte "einen Haken, er ist fehlerhaft: 'I’m A Celebrity … Get Me Out Of Here!' ... wird nicht in Australien, sondern in Südafrika produziert."

+++ "Geri Nasarski hat das Bild, das die Deutschen von ihrem östlichen Nachbarland haben, vor allem als Fernsehjournalistin geprägt - in jenen bewegten Jahren, in denen der Protest der Arbeiterschaft in Polen mit dazu beitrug, dass die Teilung Europas beendet wurde", schreibt der Tagesspiegel im Nachruf auf die erste Chefredakteurin der RBB-Vorgängeranstalt ORB.

+++ Dass Firefox "in den vergangenen Jahren einfach (wieder) ein erheblich besserer Browser geworden" seit, ist nur einer von vielen Gründen, nicht über Googles Chrome ins Netz zu gehen. "Die Chrome-Dominanz ist schädlich für das Web" (Standard).

+++ Dass "Twitter im politischen Nachrichtengeschäft immer wichtiger" wird, obwohl seine direkte Reichweite "sehr gering" bleibt, stellte eine neue Twitter-Analyse von Christian Nuernbergk und Jan-Hinrik Schmidt fest (Tagesspiegel).

+++ "Fast schien es, als würde das Medium den Weltkrieg geradezu herbeisehnen, damit es endlich eine Rechtfertigung gibt für die ganze hyperventilierende Aufregung. Man will sich gar nicht ausmalen, was 'Bild TV' veranstaltet, wenn es wirklich mal eine dramatische Echtzeit-Lage gibt, etwa bei einem Anschlag oder Amoklauf in Deutschland" (Stefan Winterbauer bei meedia.de über die ersten Fernseh-Bemühungen von Springers Bild).

+++ "Die Dialoge sind, sicherlich dank dem Co-Produzenten WDR, durchweg oma- und opatauglich", lautet ein schöner Willi-Winkler-Satz in der SZ heute zum ARD-Mittwochsfilm "Das Geheimnis der Freiheit".

+++ Und "es gilt nun mal weiterhin der zuverlässige Merksatz, dass Dinge, die ein Journalist entdeckt, genau dann neu sind, wenn der Journalist sie entdeckt" (Hans Hoff, dwdl.de).

Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.

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