Teasergrafik Altpapier vom 17. Januar 2020: Prinz Harry and Meghan Markle in einer offenen Kutsche
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Das Altpapier am 17. Januar 2020 Das Ewig-Weibliche

17. Januar 2020, 10:00 Uhr

Wie wird man eigentlich Adelsexperte, und muss man dafür Blaubluter, Entschuldigung, Blaublüter sein? Nicht nur die Boulevardmedien können sich dem dramatischen Appeal der unerhörten Selbstfindung im britischen Könighause nicht entziehen. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Huch??!! Kann das sein? "Das Unbeschreibliche / Hier ist’s getan / Das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan." Goethe. Oder: "The Devil is a Woman". Josef von Sternberg. Oder auch: "Devil with a blue dress on". Mitch Ryder & The Detroit Wheels. Und dabei kannten die Meghan Markle ja noch nicht einmal!

Aber der Konsens ist eindeutig: Schon wieder hat eine nicht-weiße Schlange Zwietracht gesät. So wie einst die personifizierte Teufelin Yoko Ono die Fab Four vernichtet hat – "Pussy Trap", nuschelten damals die konsternierten Restbeatles, und kurz darauf die gesamte Fanwelt.

Der darauf bezugnehmende Instagram-Post, auf dem Harry das böse Weib mit den langen dunklen Haaren (so etwas sieht nach Hexe aus! Wussten schon The Sonics, zweite Strophe: "She’s got long black hair!) innig umarmt, geht momentan um die Welt, und das bedeutet, dass sich auch die BILD-Zeitung positionieren darf, natürlich in der ihr eigenen Wurschtigkeit, und mit noch viel mehr "lustigen" Megxit-Posts. Einige sind allerdings wirklich lustig, zum Beispiel das Trailerpark-Foto.

Verwunderlich ist dabei weniger, dass die royalen News seit Tagen echten Neuigkeiten den Rang ablaufen – königliche Familien waren (allein was die Outfits betrifft!) schon immer für Eskapismus gut, und bei William und Harry kommt bekanntlich einiges an gelebten, glücklicherweise auch thematisierten Traumata dazu. Solche Dinge sind, so leid einem beide Männer tun, die Stoffe, aus denen Geschichten entstehen, und apropos: Hat Netflix sich schon wegen der Verfilmungsrechte gemeldet? Kleiner Witz, wenn, dann macht es die BBC.

Wie wird man eigentlich Adelsexperte?

Aber dass sich tatsächlich nicht nur windige Hofberichterstatterblätter wie "Gala" oder "Bunte" auf den königlichen Zankapfel stürzen, sondern die Garde der selbsternannten "Adelsexperten" momentan so oft in öffentlich-rechtlichen Zusammenhängen auftaucht, wie sonst nur bei Blaublut-Hochzeiten, das ist schon kurios. Da möchte man sich abends den sonoren, unaufgeregten Stimmen von Deutschlandfunkkultur hingeben – und hört dort einen privatfernsehgeübten "Adels- und Societyexperten" geradezu ungehörig lebendig den Rückzug von Harry und Meghan kommentieren.

Aber Hut ab, der weiß Bescheid, kennt die Vorzüge "des heißen Südafrikas" gegenüber "dem kalten London", und weiß, wie viel Harry von Lady Di geerbt hat (mit oder ohne Schmuck?!). Und dass das alles erstens "zum Schutze der Kinder", genauer gesagt "des kleinen Archies" passiert, und zweitens, noch wichtiger, weil sie sich von den Medien bedrängt fühlen, das steht außer Frage. Medien können einen schließlich ganz schön bedrängen, vor allem in Form von Societyexperten und –expertinnen.

Wie wird man eigentlich Adelsexperte? Muss man dazu blaublütig sein? Beziehungsweise, wie kommt man denn sonst auf die Schlosspartys? Es fängt ja schon damit an, dass es wahrlich nicht leicht ist, diese schicken Einladungen zu fälschen, denn dieses Büttenpapier muss man erst einmal haben! Ziemlich sicher ist zudem, dass es bei Einlass weder Bändchen noch Stempel gibt. (Obwohl das mit dem Stempel eigentlich ganz hübsch wäre: Man könnte das eigene Wappen stempeln!) Und dann kennen die sich dort ja alle, weil sie alle miteinander verwandt sind... Und, letzte Frage dazu, findet der Societyexpertenkurs gleichzeitig mit dem Adelsexpertenkurs statt, oder baut der eine auf den anderen auf?

Die Frau ist schuld

Jedenfalls, um auf das Eingangsthema zurückzukommen: Dass Meghan Namensgeberin der Chose ist, und das Ganze nicht nach Harry etwa #Harrivederci heißt, hat einen Grund. Hier steht er, zusammengefasst von Samira El Ouassil für uebermedien.de: "’Die Frau ist schuld’ ist ein tief ins erzählerische Unbewusste eingesickertes Leitmotiv".

Genau, Meghan, diese Schlange, diese Hexe, und dazu kommen das freundliche Lächeln und der "Charme", den die britische Boulevardpresse immer wieder strunzrassistisch als "exotisch" einstufte, wie die SZ bereits im Jahr 2018 berichtete.

Frauen sind wirkungsmächtiger als Männer

Der Spiegel, ganz bestimmt kein Boulevardmedium, beweist dies durch seinen seriösen Beitrag zum Thema: Ein zünftiges Wirtschaftsexpertengespräch, in dem ein Berater von "inhabergeführten Familienunternehmen" sein Wissen preisgibt.

"Angeheiratete Familienmitglieder können manchmal einen negativen Einfluss auf die Stabilität des Unternehmens ausüben. Und schon kracht’s", sagt der Mann, und konstatiert, dass Frauen "da übrigens oft wirkungsmächtiger als Männer" sind.

Oops, redet der etwa auch von den bösen Schlangen mit der Pussy Trap?! Weit gefehlt: "Oh nein, das sage ich nicht aus Chauvinismus, sondern aus Respekt. Frauen sind empathischer und verstehen sofort die Zusammenhänge. Männer - in diesem Fall Schwiegersöhne - stehen oft viel länger auf der Leitung." Genau, Frauen sind ja soooo empathisch.

In "Star Trek – The Next Generation" gab es sogar mal eine außerirdische Superfrau, deren besondere Fähigkeiten das Empfangen von fremden Gefühlen war: Die Betazoidin Deanna Troi. Irritierend ist jedenfalls in dem Spiegelschen Royal-Economy-Talk, dass es mit dem Satz "Blut ist bekanntlich dicker als Wasser" endet – wieso steht denn da bitteschön nicht, dass "Blaues Blut" dicker als Wasser ist? Der Witz liegt doch dick und fett auf der Straße! Mööönsch.

Das royale Kartenspiel

Auch irgendwie am Witz vorbei hat der Merkur seine Überschrift zum Thema getextet: "Ein Stich ins Herz der Queen" – wenn das nicht an ein royales Kartenspiel erinnert...? Wo bleiben schlüpfrige Skat-Formulierungen wie "Trumpf ist die Seele vom Geschäft" oder "Von hinten immer eine neue Farbe"...?

Stattdessen weiß die Münchner Zeitung, was Meghan, die Spalterin, denkt: "Auf Fotos, die dem Blatt vorliegen, sieht man sie mit einem strahlenden Lächeln auf dem Weg zu einem Wasserflugzeug. Die Entscheidung der Queen scheint sie wohl glücklich zu stimmen." Das wird wohl so sein. Vielleicht hat sie sich aber auch einfach nur gerade einen Witz erzählt, den sie noch nicht kannte.


Altpapierkorb (Widerspruchslösung zur Organspende, Diversität und Filmpreise, Regen bringt nicht nur Segen)

+++ Der Tagesspiegel kommentiert zum Scheitern der von Bundesgesundheitsminister Spahn geforderten Widerspruchslösung, dass dennoch kein Weg daran vorbei führt, wenn die Spenderzahlen weiterhin so niedrig bleiben. Die SZ zitiert in ihrem Titel des Textes zum gleichen Thema einen Mann, der mit einem transplantierten Organ lebt, und für den die Entscheidung "Ein Schlag ins Gesicht" ist. Spiegel beschreibt die Debatte. Und ich frage mich, wieso überhaupt der Bundestag darüber entscheiden darf, dessen Mitglieder für ihre politischen Positionen gewählt wurden, die aber in diesem Fall ohne Fraktionszwang abstimmen dürfen und dies auch tun? Für wen sprechen sie denn dann? Jedenfalls nicht für über 80% der Bevölkerung, wie es vielen Umfragen immer wieder herauskommt.

+++ RP-Online stellt die Oscar-Nominierungen vor – und die BBC schätzt sie ein: Kein gutes Jahr für Diversität in den Top-Kategorien, genauso wenig übrigens wie bei den britischen BAFTA-Awards. Woran das liegt? Strukturelle Gegebenheiten gepaart mit einem höchstens behäbigen Veränderungswillen der Akademie.

+++ Und es hat zwar in Australien angefangen zu regnen, aber das könnte die Löscharbeiten mancherorts noch erschweren, weiß der Spiegel.

Neues Altpapier kommt am Montag.

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