Teasergrafik Altpapier vom 17. März 2020: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 17. März 2020 Noch ist alles ziemlich abstrakt

17. März 2020, 10:33 Uhr

In der mutmaßlich bestmöglichen Medienlandschaft läuft jetzt auch noch ein Wettbewerb der werktäglichen Virologen-Podcasts. Helfen so etwas Datenjournalismus und "Datenspenden" der Menschheit? Der Journalismus fordert schon mal Bewegungsfreiheit bei möglichen Ausgangssperren. Die Krise ist eine Chance und bleibt dennoch vor allem eine Krise. Außerdem: Für Öffentlich-Rechtliches gibt es keinen Presserat. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Wettbewerb bei Virologen-Podcasts

"Der Corona-Aufklärer der Nation", "Deutschlands einflussreichster Arzt", "Super-Virologe": Das ist jeweils vom Charité-Mediziner Christian Drosten die Rede, dessen NDR-Podcast auch an dieser Stelle mit Recht oft empfohlen wurde. Jetzt hat er sozusagen Konkurrenz. Auch in der jungen Mediengattung des werktäglichen, circa halbstündigen Virologen-Podcasts gibt's nun Wettbewerb.

Der ebenfalls öffentlich-rechtliche MDR [zu dessen Angebot auch das Altpapier gehört] bietet mit "Kekulés Corona-Kompass" nun ebenfalls einen Podcast an. Befragt wird der Leiter der Mikrobiologie der Uniklinik Halle, ein Mediziner mit aktuell kaum geringerer Medienpräsenz.

Wie zuvor schon äußert sich Alexander Kekulé schärfer kritisch als Drosten über die Bundesregierung und ihr Robert-Koch-Institut. "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand", sagt er in der gestern veröffentlichten ersten Folge und spricht (ab Min. 19:50) von einem nachwirkenden "Kommunikationsfehler" der Bundesregierung und des Instituts. Immerhin das Prinzip der Medien- und damit auch Meinungsvielfalt funktioniert also.

Um rasch mich selber zu zitieren: "Vermutlich haben wir die beste Medienlandschaft aller Zeiten". Ob die in einer Krisensituation hilft, richtig zu handeln, ist spannendes, gerade laufendes Experiment mit offenem Ausgang. Darum geht es in meiner ebenfalls gestern erschienenen medienkorrespondenz.de-Kolumne. Schön wäre, wenn es das derzeit spannendste Experiment wäre. Das ist es nicht. Das ist die "wahrscheinlich die erste globale Gesundheitskrise, die sich in einem solchen Ausmaß und so rasant verbreiten konnte", selbst.

Erklärstücke, Datenjournalismus, "Datenspenden"

"Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein Phänomen, das erst durch die extreme globale Vernetzung der letzten Jahrzehnte in dieser Geschwindigkeit möglich ist. Und es ist das erste Mal, dass eine solche Ausbreitung nahezu in Echtzeit beobachtbar ist – weltweit",

leitet tagesspiegel.de einen Überblick über "Die besten Erklärstücke zum Coronavirus weltweit" ein. Es handelt sich um eine Art Meta-Kolumne, die auch aufs Altpapier-Lesern bekannte Stilmittel häufiger, mitunter etwas erratischer Fettungen setzt (wobei sich beim Tsp. unter den Fettungen Links verstecken). Das erste Stück dieser Art ist es natürlich nicht. Bereits vorige Woche etwa brachte netzpolitik.org "die spannendsten und hilfreichsten Visualisierungen". Es gibt eben, insbesondere datenjournalistisch, wirklich viele, oft gute Inhalte zum alles beherrschenden Thema. Hoffentlich hilft's.

Ist es journalistisches Handwerk und/oder einfach menschlich, der Hang zum positiven Ausblick? Der aktuelle Tsp.-Überblick bietet abschließend erst was Optimistisches (Rückgang der Luftverschmutzung), dann was Heiteres:

"Eine sehr lustige Webseite haben drei Digitalkünstler aus den USA entwickelt. Mithilfe von Gesichtserkennung und maschinellem Lernen kann man dort üben, sich selbst nicht ins Gesicht zu fassen ..."

Ob man wildfremden Webseiten einfach "webcam access" gewährt, muss man sich freilich überlegen. Zumindest behauptet donottouchyourface.com: "all the calculations from your webcam ... are never sent over the internet". Wer in solchen Hinsichten keine Bedenken hegt oder sie aus übergeordneten Gründen überwindet, könnte in Kürze auch Möglichkeiten zu altruistischen "Datenspenden" ("Sie können ihr Bewegungsprofil (etwa: Google Maps) der vergangenen 14 Tage hochladen") bekommen.

Der WDR-Blog "Digitalistan" stellte gerade Pläne für entsprechende Apps vor, die von den Plattformen sowieso getrackte Spuren Infizierter und mutmaßlich nicht Infizierte sinnvoll und "komplett anonymisiert" einsetzen wollen. Denn "Google könnte vermutlich mühelos sagen, wer im Heinsberger Karneval mitgeschunkelt hat", wie Jörg Schieb einleitet. Auch diese Vorstellung ist gruselig, aber das ist derzeit ja vieles.

Appelle (Journalismus-Systemrelevanz, Krise als Chance, Drehstopps)

"Heute geht es in Deutschland für die meisten noch recht abstrakt um Fallzahlen und Kurven, aber bald werden viele jemanden kennen, der krank ist, Bekannte, Freunde, Verwandte. Covid-19 bringt nicht nur Menschen in Gefahr, die daran erkranken, sondern auch andere, die ..."

Da spricht von Georg Löwisch, Noch-Chefredakteur der taz, in deren Hausblog über "Die Zeitung in Zeiten von Corona". Löwisch kriegt schön tazzig die Kurve von Zeitungsbotinnen über Provider-Technikerinnen zu den "an die 300 Leuten", die unmittelbar für die taz arbeiten und sich jetzt wie alle für noch verschärfte Krisensituationen zu wappnen versuchen.

"Außerdem sollen Journalisten in die Liste der systemrelevanten Berufsgruppen aufgenommen werden", fordert der DJV, also eine der beiden größeren Journalistengewerkschaften. Ihr Chef Frank Überall hat da sowohl die "uneingeschränkte Bewegungsfreiheit ... selbst bei möglichen Ausgangssperren", die er also bereits antizipiert, als auch Journalistenkinder-Betreuung, "damit ihre Eltern recherchieren und berichten können", im Sinn. Für den optimistischen Beiklang sorgt im DJV-Blog Mika Beuster, Bundesvorstands-Beisitzer aus der hessischen Provinz:

"Corona ist nicht nur Herausforderung, die Krise ist zeitgleich eine große Chance für den deutschen Lokaljournalismus – Vertrauen zu gewinnen, echten gesellschaftlichen Nutzen zu bieten in wirren Zeiten ... Lokaljournalisten dürfen, können – nein: müssen nun zeigen, was sie können."

Von der hierzulande noch recht abstrakten Krise sind sämtliche Menschen und alle Berufsgruppen betroffen. "Was Medienunternehmen blüht" und erst recht ihren häufig freien Mitarbeitern, war schon gestern hier Thema. Jede Menge Medien-Gewerke sind betroffen. Der Deutsche Hörfilmpreis des Blinden- und Sehbehindertenverbands etwa, eine der im Normalfall sehr, sehr  zahlreichen Medienpreis-Festivitäten, wurde vorige Woche zunächst von der eigentlich geplanten Gala zur "Veranstaltung ohne Publikum ..., die im Internet per Livestream übertragen werden sollte", runtergefahren. Und dann musste auch der Livestream abgesagt werden, da sich immer noch mehr 50 Menschen versammelt hätten, was in Berlin bereits untersagt war.

Tagesaktuell wird viel über "ruinöse TV-Drehstopps" (der österreichische Standard mit Blick auf Sky-Serien und öffentlich-rechtliche "Landkrimis") berichtet. "Weil es kein klassischer Produktionsausfall sei, zahle die Versicherung nicht", sagt ein Produzent. Und "wenn jetzt die versprochen Staatshilfen nicht wirklich greifen, stehen achtzig bis neunzig Prozent der Filmproduzenten vor der Pleite", beklagt Stefan Arndt von X Filme, der durch "Babylon Berlin" und "Die Känguru-Chroniken" derzeit Fernseh- wie Kino-Erfolgsproduzent ist, im SZ-Feuilleton. Was der Lobbyverband Produzentenallianz ("Film und Fernsehen stehen zusammen") sowie Ufa-Chef Nico Hofmann, aktuell appellieren, ist heute Thema auf der FAZ-Medienseite.

Für die Öffentlich-Rechtlichen gibt es keinen Presserat

"Nun befinden wir uns seit ein paar Tagen in einer weltweiten Krise, die dazu führt, dass um uns herum Dinge passieren, die wir bisher nur aus Filmen und Romanen kennen. In dieser Situation, in der auf einmal so vieles, was man nie erwartet hätte, Realität wird, scheint es manchen auch möglich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich über den Tod alter Menschen freut."

Tom Buhrow mal wieder? Nein, da spricht Funk, also das öffentlich-rechtliche Jugendangebot, und zwar im Rahmen der Argumentation, dass der "zugegebenermaßen schwarze" Humor des "Bohemian Browser Balletts"  "jenseits von Krisenzeiten" schon "verstanden worden wäre", bloß halt in der überraschend aufgepoppten Krise nicht so. Dass der exemplarisch unglückliche Zweiminüter "Corona rettet die Welt" genau diese Krise vorige Woche drastisch, wenngleich lustig gemeint, vorweg ausmalte, lässt die Argumentation ein bisschen gewunden erscheinen.

Immerhin, ganz große Aufregung erzeugt der Fehlgriff nicht. Sogar Michael Hanfeld von der FAZ sagte ausdrücklich "Ja! zum Bohemian Browser Ballett!". Und tagesaktuell berichtet der Tagesspiegel mit der Wendung, dass zum via Youtube verbreiteten Video bereits "400 Beschwerden beim Presserat" eingegangen seien – der für öffentlich-rechtliche Dinge allerdings nicht im geringsten zuständig ist.

Diese Freiwillige Selbstkontrolle der privatwirtschaftlichen Print- und Onlinemedien hat sich mit dem Verweis "auf die zuständigen Stellen in den Sendern: also auf die ARD-Rundfunkräte und den ZDF-Fernsehrat", dann auch nicht sehr präzise  ausgdrückt. Zwar ist Funk ein ARD-ZDF-Gemeinschaftsdings, aber für die einzelnen Angebots-Angebote sind jeweils einzelne Anstalten zuständig. Bereits 42 beim ZDF-Fernsehrat eingegangene Zuschriften führen also ebenfalls zu nichts, und bei der ARD handelt es sich ja gar nicht um eine Anstalt, sondern um eine Anstalten-Arbeitsgemeinschaft.

Wer sich übers Browser Ballett beschweren wollen würde, müsste das beim RBB tun. Viele Beispiele für Programmbeschwerden bei öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien, die wenigstens so etwas wie die völlig harmlosen, aber immerhin öffentlichen Rügen des erwähnten Presserats nach sich zogen, sind freilich nicht bekannt ... Kurz: Im deutschen Medienlandschaft herrscht jener Hardcore-Föderalismus, der sich in der Corona-Krisensituation hoffentlich nicht als großer Nachteil erweisen wird, seit jeher in verschärfter Form. Das System müsste an die digitalisiert-globalisierte Gegenwart angepasst werden. Bloß gibt es jetzt tausende dringendere Dinge.

Wenn nun das erhebliche krassere BBB-Video das eher harmlose, aber Anfang des Jahres viel diskutierte Oma-Kinderlieds des WDR in der Wirkung nicht übertrifft, hängt das vermutlich einfach damit zusammen, dass es inzwischen echt wichtige Themen gibt.


Altpapierkorb  ("Lagerfeuereffekt", "virale Infodemie", Spaniens Zeitungen, Cahiers du cinéma-Revolte, Dietmar Hopp)

+++ Wir bleiben beim Mega-Meta-Thema Corona-Virus: Dieser belebe den alten "Lagerfeuereffekt" des linearen Fernsehens, sagt die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Videoforschung in Deutschlandfunks "@mediasres". +++ Dennoch stehen auch Anstalten und Sender, deren Programme gerade wieder mehr gesehen werden, vor "großen Herausforderungen" (epd).

+++ Heute auf der SZ-Medienseite: ein Beitrag (€) über "virale Infodemie" bzw. darüber, "warum sich Fake News zum Thema Corona-Virus in diesen Tagen so rasant im Netz verbreiten", mit Blick vor allem in die USA. Sowie zehn gute Ratschläge "gegen die Lügen", die nicht oft genug gegeben werden können.

+++ Heute auf der FAZ-Medienseite: ein Blick in Spaniens Zeitungslandschaft (€), die sich gerade verschärft digitalisiert, obwohl die Kioske weiter geöffnet haben. +++ Ferner wundert sich die FAZ über österreichische Regierungs-Pressekonferenzen, bei denen zur Coronavirus-Eindämmung nur noch die Presseagentur APA und der öffentlich-rechtliche ORF zugelassen sind.

+++ Hey, ein coronaloses Thema! Über eine "kleine Revolte ..., die in der cinephilen französischen Kulturwelt kräftig nachhallt", nämlich den Rücktritt der gesamten, fünfzehnköpfigen Cahiers du cinéma-Redaktion, weil sie die Wünsche neuer Eigentümer, "'chic' und 'freundlicher'" zu werden, nicht erfüllen wollte, berichtet Gerhard Midding bei epd medien.

+++ Was Positives zum Ausstieg? Es geht um Dietmar Hopp, den in Fußballstadien, als sie noch voller Menschen waren, massiv (und oft von Fans "mit Gazprom-Schriftzug auf der Brust oder Qatar-Airways") geschmähten Milliardär. Sicher, die Meldung vom Ansinnen des US-amerikanischen Präsidenten, eine Impfstoffe entwickelnde Tübinger Firma, deren Forscher oder Patente für sehr viel Geld exklusiv in die USA zu holen, das erst die Bundesregierung beunruhigt habe und dann vom Haupteigentümer der Firma abgewiesen wurde, eben Hopp, ist schon älter und rumgegangen. Aber das "exklusive" Interview dazu hat, wenngleich online offenbar nur in kurzer Textform, der kleine private Sport-Fernsehsender Sport1. Und dass jeder mal wichtig werden kann, zeichnet eine vielfältige Medienlandschaft ja auch aus.

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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