Teasergrafik Altpapier vom 25. Januar 2021: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 25. Januar 2021 Salon oder Ballon?

25. Januar 2021, 11:25 Uhr

Die App Clubhouse ist gerade ein Lieblingsthema vieler Medienleute. Schaden Journalisten, die bei Clubhouse mit Politikern abhängen, der Glaubwürdigkeit des Berufsstands? Und warum scheint Bodo Ramelow zu denken, er sei dort privat? Ein Altpapier von Klaus Raab.

Clubhouse und die "Aufregung um das neue Netzwerk"

Es ist nicht so, dass die Social-Audio-App Clubhouse (Altpapier), die in den vergangenen Tagen von der dpa, der NZZ, dem Socialmedia-Watchblog, Übermedien und dem Bayerischen Rundfunk und zahlreichen anderen zurecht als "Hype" bezeichnet wurde, überraschend vom Himmel gefallen wäre. Spätestens seit dem Frühjahr, als sie in den USA startete, haben Netzweltjournalisten sie auf dem Radar. Michael Moorstedt, zum Beispiel, schrieb schon im Mai 2020 in einem SZ-Text über "die Aufregung um das neue Netzwerk":

"Zum einen sind Audio-Inhalte – bis auf die nur in eine Richtung sendenden Podcasts – eines der letzten großen noch nicht ausgebeuteten Reservoirs, um neue Inhalte und damit auch neue Umsätze zu generieren. Der andere, sehr wichtige Grund liegt darin, dass nicht jeder die App auch nutzen kann. Es gibt nicht mal eine offizielle Website. Von daher ist der Name mehr als passend. Rein kommt nur, wer die richtigen Leute kennt. Exklusivität und künstliche Verknappung, dieser alte Trick der Luxusgüterindustrie, funktioniert auch in der digitalen Welt, in der ja prinzipiell keine Ressourcenknappheit existiert."

Und hier sind wir nun, etwas zeitversetzt, und holen seit dem kürzlich erfolgten Deutschland-Start brav nach, was in Kalifornien schon diskutiert wurde: Wird’s was? Bringt’s was? Ist das gut? Ist der Salon vielleicht nur ein Ballon?

Nun: vielleicht, wer weiß, vielleicht, wer weiß. Journalisten, und das ist im Vergleich zum Start anderer sog.  Social Networks neu, wollen es diesmal aber immerhin selbst herausfinden, statt sich über die Clubmate trinkende Digitalavantgarde erstmal ein paar Jahre lang lustig zu machen. Marcel Weiss hat bei neunetz.com die Lage im erwachsen werdenden Neuland ganz gut beschrieben:

"Der Schritt von ’nichts online machen‘ zu (z.B.) 'Twitteraccount anlegen und twittern' war vor 10 Jahren größer als heute neben Twitter, Instagram, Tiktok, Facebook, Whatsapp auch noch Clubhouse herunterladen und einrichten. Alle haben Smartphones (oder in diesem Fall ausreichend viele haben iPhones), und die Praktik des Online-Austauschs, des ich probier das mal, klingt interessant ist 2021 auch in Deutschland ausgereift."

Problematisch, auch wenn viele iPhones haben mögen, ist allerdings, dass derzeit außen vorbleibt, wer keines hat. Und eine Einladung braucht man ins Clubhouse ja auch noch. Was als Geschäftsmodell schon funktionieren mag, ist für Journalisten nicht unbedingt ein glücklicher Zustand. Soeben haben die Macher der App zwar angekündigt, auch Android-Nutzer irgendwann beglücken zu wollen. Das ändert aber kurzfristig nichts am Status quo in Deutschland und sowieso nichts am bislang praktizierten Invite-only-System: Es ist eine ziemlich exklusive Veranstaltung.

"Bislang sind vorwiegend Bewohner der Medien- und Marketingblase ins Clubhouse eingezogen. Dazu Politikberater und politisches Spitzenpersonal. Ein Großteil der Hausbewohner lebt offenbar in Berlin-Mitte, jedenfalls geistig. Manche Runden wirken wie eine Hipster-Ausgabe von 'Maybrit Illner'", so der Spiegel dieser Tage.

Und tagesschau.de schrieb: "Wer eine Einladung bekommt, darf zunächst nur zwei weitere Nutzer einladen. Wer über wen eingeladen wurde, erscheint zudem im Profil jeden Nutzers. So ist erkennbar, wer wen in diesen exklusiven Club geladen hat. Entsprechend prominent waren die ersten deutschen User. Neben Caro Daur oder Joko Winterscheidt war auch FDP-Chef Christian Lindner schon gleich am Sonntagmittag dabei. Er plauderte ganz entspannt und ungezwungen etwa mit der Journalistin Dunja Hayali."

Die Exklusivität mag Clubhouse zwar nicht exklusiv haben; eine analoge zugangsbeschränkte Diskussionsveranstaltung funktioniert auch nicht unbedingt anders. Aber über Clubhouse wird gleichzeitig so viel und – zum Teil – so offensichtlich gerne geschrieben und der Hype damit derart befeuert, dass man den Eindruck gewinnen kann, der Ausschluss der breiten Öffentlichkeit sei geradezu egal. Die Kritik der ZDF-Journalistin Nicole Diekmann, die sie in einem Thread formulierte, würde ich deshalb teilen:

"Politisch Handelnde und Medienschaffende stehen in einem gewissen Teil der Bevölkerung seit wenigen Jahren im Verdacht, zu lügen, zu kungeln. Klar kriegt man die Hardcore-Lügenpresse-Krakeeler nicht mehr alle eingefangen. Man muss aber aufpassen, weiter sauber zu trennen: Mein Tanzbereich, dein Tanzbereich. Denn sonst laufen leise und lauter Zweifelnde über zu denen, die längst nur noch Quatsch glauben darüber, wie wir arbeiten."

Die Ramelow-Diskussion

So gesehen, ist es begrüßenswert, dass Johannes Boie, der Chefredakteur der Welt am Sonntag, dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow nach einem Clubhouse-Talk einen stellenweise albern überjazzten, aber eben kritischen Kommentar widmete – und die Tanzbereiche damit trennte.

Martin Debes fasst zusammen, was Ramelow verzapft hatte:

"Bodo Ramelow wurde am Freitag zu einer Clubhouse-Debatte eingeladen, zu der sich mehr als 1.000 Menschen einschalteten. Die Teilnehmer, so lautete eine Vorgabe, sollten ein bisschen intelligenten Blödsinn erzählen, 'Trash', wie man heute hipsterweise sagt. Das Ganze schien also nicht ganz ernst gemeint zu sein. Zumal, es war Abend und die gefühlt 1.000. Corona-Woche nebst der gefühlt 100. Ministerpräsidentenkonferenz absolviert, und Ramelow, der sich am liebsten selber zuhört, erzählte sehr viel. Und weil ein Ministerpräsident auch mal cool sein will, berichtete Ramelow davon, wie er während der elend langen Ministerpräsidentenvideokonferenzen gerne das Spiel Candy Crush auf dem Handy daddele. Zwischendurch, huch, nannte er die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland das 'Merkelchen', total scherzhaft und so".

Dass das vor mehreren hundert Zuhörerinnen und Zuhörern nicht im halb-öffentlichen Raum verbleiben würde, hätte sich Ramelow eigentlich denken müssen. Auch ein Clubhouse-Talk ist, sofern ein Ministerpräsident dabei flapsig über seine Arbeit und die Kanzlerin herzieht, kein privater Junggesellenabschied unter Saufkumpels, über den sich danach Schweigen zu legen hat. Diese Selbstverständlichkeit immerhin ist nun abgesteckt. Welt-Medienredakteur Christian Meier kommentiert die Veröffentlichung seines Chefredakteurs Johannes Boie:

"Über die Veröffentlichung hat sich Ramelow beschwert. Ramelows Zorn täuscht darüber hinweg, dass, trotz eines neuen Medienformats und des damit verbundenen unbekannten Terrains, die journalistischen Aufgaben und Regeln gar nicht geklärt werden müssen. Sofern eine Information oder eine Aussage eine ausreichend hohe Relevanz hat, kann nicht nur, es muss berichtet werden. Die These, dass neue digitale Räume wie Clubhouse auch neue journalistische Regeln, also letztlich Beschränkungen, mit sich bringen, führt auf ein Abstellgleis."

Und auch wenn Boies Kommentar stellenweise überdreht ist – allgemein gesagt, ist das richtig. Zumal (so der Spiegel online) für Clubhouse gilt:

"Laut dem Medienjournalisten Daniel Bouhs steht in den AGB von Clubhouse vor allem, dass bei Tonaufnahmen der Gespräche alle Teilnehmer schriftlich zustimmen müssten, damit diese verwendet werden können. Bei Zitaten aus den Runden sei die Regelung dagegen nicht so klar. Wahrscheinlich sei, dass vor deutschen Gerichten das öffentliche Interesse höher eingeschätzt werde als die Geschäftsbedingungen der App, so Bouhs."

Was Malcom Ohanwe bei "Breitband" von Deutschlandfunk Kultur sagte, steht seit u.a. der Ramelow-Geschichte damit andererseits zum Teil infrage:

"Meistens seien nur ein paar Leute in einem Raum, was zu dem Gefühl eines Hinterzimmers führen würde. Ein großer Pluspunkt, wie er sagt: ‚Das finde ich eigentlich etwas Schönes, vor allem weil dann nichts aus dem Kontext gerissen wird. Das hat natürlich die Gefahr, dass du unkontrolliert auch allerlei Lügen und Bullshit erzählen kannst. Aber es verbreitet sich ja dann auch nicht in der Welt.’"

Mal wieder die Debatte demokratisieren

Was könnte man mit Clubhouse aber nun sinnvoll und auch journalistisch anstellen? Nun, die App könnte "neue Räume für bisher ungehörte Stimmen" bieten, so Ohanwe. Die Idee also: die Debatte demokratisieren – ist ja Internet. Auch Christian Meier schreibt: "Die Moderatorin Dunja Hayali schlug am Sonntag in einer Runde vor, noch mehr ‚normale Bürger‘ in Räume mit gesellschaftlich relevanten Themen einzuladen, eine Vermischung der Sphären also aktiv zu fördern".

Und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (Abo) sieht da durchaus eine Chance:

"Wer es schafft, sich durch die inflationären Start-up-Talks und Nischenthemen nicht entmutigen zu lassen, stößt irgendwann auf Runden, die 'Politik unplugged' versprechen (…) – und manchmal funktioniert die wieder einmal angepriesene Demokratisierung des öffentlichen Diskurses sogar ganz gut. Etwa wenn in der Diskussionsrunde "Kunst. Machen, Kaufen, Sammeln" eine Nachwuchskünstlerin etablierte Galeristen mit kunstmarktkritischen Argumenten konfrontiert."

Fehlt nur eben noch, dass die "normalen Bürger" auf Augenhöhe agieren können:

"So ganz kommt es dann aber doch nicht zum Umsturz aller Hierarchien. Natürlich, theoretisch kann jeder ein Gespräch über alles organisieren, Reichweite bleibt aber jenen vorbehalten, die schon Reichweite haben: Influencer, Fernsehfiguren, Journalisten, die ihre Twitter- oder Instagram-Bubble mitbringen."

Ach ja, und was auch noch ein Thema in der Clubhousde-Diskussion ist (SZ u.a.): "Clubhouse fordert Zugriff auf sämtliche Kontakte im Adressbuch des iPhones, was wohl nicht mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung vereinbar ist."

Aber: "Zum Glück gibt es zur Kritik an Clubhouse schon etliche Gesprächsräume."

Nachrufe auf Larry King

Was würde Larry King auf Clubhouse tun? Wenn überhaupt etwas, dann wohl das, was er ohnehin tat: mit Menschen reden.

"Der Sender CNN war sonst um größte Nüchternheit bemüht, brachte Bürgerkrieg und Krise aus aller Welt, Börsenkurse, Firmenpleiten, die täglichen Katastrophennachrichten. Larry King aber brachte Leben in dieses trostlose Programm, Gefühle, das sogenannte Menschliche", schreibt Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung.

Und Bernd Gäbler bei Zeit Online:

"Larry King ging es immer um das gemeinsame Gespräch, aber nie durfte es zu einem Spezialdiskurs ausarten. Relevante politische Fragen wurden ebenso erörtert wie private Erlebnisse und Befindlichkeiten. Politik wurde ganz eng verknüpft mit der Privatperson des Gastes. Prominente aus der Populärkultur wiederum mussten etwas von Nachrichtenwert mitbringen, mindestens aber eine gute Geschichte erzählen können."

Ihre Texte sind Nachrufe. Der große amerikanische Gesprächsjournalist Larry King ist gestorben. Markus Ehrenberg schreibt im Tagesspiegel: "Was in Erinnerung bleibt, ist Kings sanfte Konversation, eine Wohltat in diesen aufgeregten Zeiten."


Altpapierkorb (Ulrich Wilhelm, Katja Wildermuth, Haupstadtjournalismus von ARD und ZDF, Sabine Töpperwien, Aktivismus, Formatierung des Fernsehens)

+++ Zum Abschied von Ulrich Wilhelm als BR-Intendant widmet Kurt Kister ihm den Medienseitenaufmacher der Samstags-SZ (Blendle, 0,79€):

+++ Während die dpa die Nachfolgerin ankündigt, Katja Wildermuth.

+++ Peer Schader nimmt sich in seiner immer lesenswerten DWDL-Kolumne diesmal den Haupstadtjournalismus von ARD und ZDF vor: Die Sendungen schienen "vollständig in ihren Ritualen erstarrt zu sein".

+++ Sabine Töpperwien nimmt ihren Hut. Joachim Huber würdigt im Tagesspiegel ihre Arbeit als Fußballkommentatorin.

+++ In der taz analysiert Tilman Baumgärtel nach der Stürmung des Kapitols das Verhältnis von Aktivismus und Livebildern: "Wenn man zur Kenntnis genommen werden will, muss man sich in den sozialen Medien und in Livestreams zeigen. Damit aber macht man sich gleichzeitig auf eine Weise sichtbar, die angreifbar macht. In den USA sammelt nun das FBI online Aufnahmen von der Stürmung des Kapitols als Beweismittel gegen die Beteiligten. Wer dies begrüßt, darf nicht vergessen, dass es beim nächsten Mal Demonstranten von Black Lives Matter, Antifa oder osteuopäische Regimegegner treffen kann."

+++ Barbara Buhl, die von 2009 bis 2018 die Abteilung Fernsehfilm und Kino beim WDR geleitet hat, kritisiert im Zeit-Interview die Formatierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms: "Fast jeder Sendeplatz ist mit einem Profil versehen, das sich noch dazu zunehmend verengt, nämlich durch die Nachsteuerung von Erfolg und Misserfolg. Beides wird aber lediglich an der Quote bemessen. Dadurch verengen sich die Möglichkeiten, andere Formen zu erproben, andere Fragen zu stellen, andere Zugriffe auf die Realität zuzulassen oder auch ästhetisch etwas auszuprobieren."

Neues Altpapier erscheint am Dienstag.

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