Teasergrafik Altpapier vom 20. Januar 2021: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 20. Januar 2021 Historischer Tag

20. Januar 2021, 11:27 Uhr

Wer heute Joe Biden gucken will, hat die Qual der Wahl. Müssen sich, was Trump angeht, Journalisten an die eigene Nase fassen? In der ehemaligen deutschen Presse-Hauptstadt Hamburg herrschte wieder Entsetzen. Es gibt aber auch "Anzeichen für Profitabilität" mitten im deutschen Zeitungsmarkt! Außerdem: "die penetranteste Selbstpromotion, die man jemals im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesehen hat". Ein Altpapier von Christian Bartels.

Heute Abend Biden gucken!?

Was für ein historischer Tag, von dem vor allem zu hoffen bleibt, dass er sich nicht noch historischer entwickelt als jetzt bereits in den Sendeplänen vorgesehen. Zwar wurde bereits eine mittlere zweistellige Zahl US-amerikanischer Präsidenten inauguriert, doch wohl noch nie mit so viel gleichzeitiger oder überwiegender Freude über die zugleich stattfindende ... heißt es Exauguration?

Jedenfalls "Der TRUMP-WEG!-TAG" heißt, so groß geschrieben, als ob es sich an Donald Trump selbst richtete, die "vierstündige Sondersendung" mit den Stargästen Thomas Gottschalk und Heiko Maas (SPD), die Springers Bild-TV gemeinsam mit der Deutschen Telekom ankündigte. An Möglichkeiten, medial bei Joe Bidens Amtsantritt dabei zu sein, herrscht freilich kein Mangel. In unserer ARD ist der "Brennpunkt", der quasi nahtlos ans "ZDF-Spezial" anschließt, längst programmiert. Und das deutsche Privatfernsehen engagiert sich geradezu im Rahmen eines Sendezeit-Ausweitungs-Wettlaufs (dwdl.de).

Bilanzen der Trump-Ära

Auch in der Form schriftlichen Textes hagelt es erwartungsgemäß Menge Beiträge, von großem Kino auf der Meinungsseite ("Eine der besten Nachrichten des Jahres", leitartikelt die Süddeutsche, als schwante ihr, dass die Pandemiebekämpfung sich noch laange hinziehen wird ...?) bis zur Medienseite. Dort (€) schildert Jürgen Schmieder mit Bezug auf Fotos wie dieses, das die Los Angeles Times-Korrespondentin Sarah Wire mit ihrer Gasmaske zeigt, die Stimmung unter US-amerikanischen Journalisten. Überdies wird hierzulande breit und viel über die nun endlich abgeschlossene Trump-Ära diskutiert:

"Die meisten Menschen hätten seine Tweets allerdings erst durch die Verbreitung in den klassischen Medien erreicht: 'Warum haben wir das so mitgemacht?'"

sagte etwa Christoph von Marschall, seines Zeichens Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion des Tagesspiegels, beim von Journalistengewerkschaften veranstalteten Online-"Mediensalon", berichtet mmm.verdi.de und zitiert die taz-Korrespondentin Dorothea Hahn mit "Bei Trump müssen wir uns an die eigene Nase fassen". Was ein wenig in die Richtung meiner eigenen medienkorrespondenz.de-Kolumne "Der Trump-Twitter-Komplex: Unbeantwortbare Fragen und einfache Mechanismen" geht. Sehr konkret auf die in USA und EU geltenden, unterschiedlichen Rechtslagen geht Julia Reda in ihrer u.a. bei netzpolitik.org erschienenen "Edit Policy"-Kolumne ein. Reda, die bis 2019 als Piratin (in der Grünen-Fraktion) im Europäischen Parlament saß, kritisiert die Kritik der Bundeskanzlerin an Twitters Trump-Sperrung ("verwunderlich") und die amtlich bestätigte Nicht-Sperrung eines bösartigen Tweets des iranischen Regimechefs gemäß dem deutschen NetzDG. Und sie empfiehlt:

"Die EU-Kommission hat insofern mit ihrem Entwurf für einen Digital Services Act, einer europaweiten Plattformregulierung, einen weisen Vorschlag für einen Mittelweg gemacht: Plattformen dürfen demnach zwar weiterhin ihre eigenen Moderationsregeln definieren, diese müssen aber transparent sein und bei deren Durchsetzung müssen sie die Meinungsfreiheit beachten. Dazu gehört, dass sie nicht willkürlich moderieren dürfen, dass Betroffene von Accountsperrungen ein Anrecht auf eine Begründung und menschliche Überprüfung haben – zur Not sogar vor Gericht. Die zügige Verabschiedung des Digital Services Act wäre also durchaus eine sinnvolle Lehre aus der Diskussion, die die Sperrung von Trumps Social Media-Accounts entfacht hat."

Eine wiederum etwas andere Perspektive auf Trumps Getwitter und die Frage, wie richtig das Deplatforming war, entnimmt der WDR-Blog Digitalistan einer US-amerikanischen Untersuchung des Trump-losen Getwitters der vergangenen Woche. Da seien Falschmeldungen über die Präsidentschaftswahl "um Sage und Schreibe 73 Prozent zurückgegangen". Wobei Jörg Schieb dann aber doch meint, dass "natürlich ....nicht die Plattformen entscheiden [sollten], was gelöscht und wer gesperrt wird, sondern der Gesetzgeber" –  obwohl in den USA der Gesetzgeber zu Trumps Amtszeiten ja .... Es bleibt kompliziert.

Außerdem lohnt ein Blick auf letzte Amtshandlungen der Trump-Regierung. Außer Begnadigungen, Anordnungen zu Hinrichtungen sowie einer ersten Sanktion gegen die "Nord Stream 2"-Pipeline zählt dazu eine Aktion in unmittelbarem Medien-Kontext:

"Die US-Regierung sei 'besorgt, dass der Versuch, die kompetitiven Positionen bestimmter Akteure auf dem schnelllebigen Digitalmarkt gesetzgeberisch zum klaren Nachteil von zwei US-Firmen zu regulieren, zu gefährlichen Ergebnissen führen' könne, heißt es in dem auf den 15. Jänner datierten US-Schreiben an den australischen Senat",

berichtet der Standard. Da drohen also die USA offiziell dem Gesetzgeber in Australien, der schärfer als irgendwo sonst versucht, die Marktdominanz der weitestgehend in Kalifornien angesiedelten Plattformkonzerne zu bändigen (wie in einigen Altpapieren, diesem etwa, vorkam). Konkret geht es um Nutzungsgebühren, die Google und Facebook australischen Medien "für die Verbreitung von journalistischen Inhalten ... zahlen" sollen.

Heißt: Auch wenn die mindestens monopolähnliche Marktmacht von Google und Facebook in den USA umstritten selbst ist, betrachtet die (noch amtierende) Regierung dasselbe Phänomen international unter anderen Prämissen. Auch da wird spannend, ob die Biden-Regierung eine wiederum andere Haltung einnehmen wird.

Stress bei Spiegel und G+J, aber auch gute Lokaljournalismus-News

Ins unmittelbare Inland. In der Welt der vor allem gedruckten Medien tut sich einiges. Beim Spiegel, einem der großen Sturmgeschütz-Flaggschiffe, soll Barbara Hans, einzige Chefredakteurin in der dreiköpfigen, meldet zumindest horizont.net (€). Dem epd (nicht online) bestätigte der Spiegel das nicht, sondern bloß, dass "durch die Restrukturierung ... auch Stellen wegfallen" werden. "Auf jeden Fall aber scheint klar zu sein, dass der Spiegel mindestens vor einem massiven Imageproblem steht, wenn es künftig nur noch eine rein männliche Chefredaktion geben würde", kommentiert schon mal Hendrik Zörner für die Journalistengewerkschaft DJV.

Nicht weit entfernt vom Spiegel-Sitz in Hamburg, bei Gruner+Jahr (zu dem der Spiegel-Verlag ja mit gut einem Viertel gehört), war am Dienstagmorgen "das Entsetzen ... groß". So zitiert die Süddeutsche "einen, der dabei war" bei der Videokonferenz des Stern, in der die Auflösung von dessen "Politik und Wirtschaft"-Redaktion verkündet wurde. Wofür es natürlich auch eine positive Lesart gibt: ein "gemeinsames Hauptstadtbüro" der nicht mehr sehr zahlreichen, äh, starken Marken, über die G+J noch verfügt, und das bei "weitestgehender" Vermeidung von Kündigungen (dwdl.de). Einen "weiteren Schritt in Richtung der erwarteten Zentralredaktionen" sieht halt horizont.net.

Wegen der größeren Perspektive lesenswert bleibt ein kürzlich erschienener meedia.de-Artikel, in dem Gregory Lipinski das nach dem Verkauf der großen französischen Tochter rein deutsche G+J "zu einem Anhängsel des Schwesterkonzerns RTL" werden sieht.

Jetzt aber gute Nachrichten: Morgenluft wittert die Hamburger Morgenpost, die einst (u.a., als dort ein junger Chefredakteur namens Mathias Döpfner die Auflage nicht direkt erhöhte) auch zu G+J gehörte. Bekanntlich (Altpapier-Jahresrückblick) gehört die Boulevardzeitung inzwischen einem nicht aus der klassischen Verlagswirtschaft gekommenen Jungverleger. Er sehe "wieder Anzeichen für Profitabilität", sagte dieser Arist von Harpe nun der dpa, deren Interview Standard und kress.de aufbereiten. Ja, es "seien jetzt wieder mehr Mitarbeiter ... beschäftigt – insgesamt um die 80 und damit grob zwischen fünf und zehn Prozent mehr" als Anfang vergangenen Jahres.

Eine weitere gute Nachricht kommt aus der ungedruckten Sphäre des lokalen Journalismus, von der aber auch die FAZ im Lokalen berichtet: Merkurist, die umtriebige Online-Nachrichtenplattform, die im November während der Corona-Krise aufgeben musste, ist am Originalsitz in Mainz mit neuem Geldgeber wieder da.

"Trailer-Exzess"und künstlich erhöhte Mediatheken-Abrufquoten

Ins Öffentlich-Rechtliche, das ja erst recht immer Gemüter erregt. Christian Meier geht in der Welt ironisch ("Unvorstellbare Dinge aus einem Rundfunkapparat, in dem die Zusammenlegung von IT-Strukturen schon als Coup gilt, das lässt aufhorchen") in den Spagat, in einer Art Offenen Brief dem SWR-Intendanten Kai Gniffke einerseits Mut für seine aus allen anderen als saarländischen Blickwinkeln eher kleine Reform-Idee (dass SWR und SR enger zusammenarbeiten, Altpapier) zuzugestehen, anderersichts natürlich Aussichtslosigkeit, "dass dies gelingen kann", zu äußern.

Eine größere Wutrede kommt von einem engeren Freund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sogar einen Superlativ enthält sie: "Die penetranteste Selbstpromotion ..., die man jemals im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesehen hat", schildert Dieter Anschlag in der Medienkorrespondenz, online mit Screenshots illustriert. Es geht um die beiden umfassendst angetrailerten Ereignisfilme mit den komplizierten Titeln "Ferdinand von Schirach: Feinde - Gegen die Zeit" und "Ferdinand von Schirach: Feinde - Das Geständnis", um die es an dieser Stelle hier schon ging. Anschlag dekonstruiert nicht nur akribisch die dort zitierte ARD-Erfolgsmeldung ("Mehr als 15 Millionen Zuschauer ...") und schildert nicht nur, wie die ARD ohnehin durch Online-Unterteilung von neunzigminütigen Fernsehsendung in zwei oder sogar vier kürzere Online-Folgen "künstlich die Abrufquote" in den Mediatheken erhöht. Sondern er zeiht auch weitreichende Schlüsse:

"Doch löst man sich vom Punktuellen, verfestigt sich alles in allem der Eindruck, dass die Öffentlich-Rechtlichen dabei sind, ihre Erdung zu verlieren, ohne dass sie selbst sich dessen bewusst sind. Oder sich dessen nicht bewusst sein wollen. Der Trailer-Exzess für das 'Feinde'-Projekt der ARD war ein alarmierendes Beispiel für diese Entwicklung, für seit jeher oberflächliches Quotendenken und falsch verstandenen Programmauftrag. Wo ist der Mehrwert von öffentlich-rechtlichem Rundfunk, wenn nicht unter anderem in weniger (Eigen-)Werbung? Noch besser wären völlig werbefreie Programme. Wieso ist niemandem in der ARD klar, dass man durch eine Werbekanonade wie die für 'Feinde' auch seine ziemlich besten Freunde vergrault?"

Ein paar Selbstverpflichtungen, zum Beispiel die Eigenwerbung wenigstens auf – nicht zu viele – Trailer zwischen Sendungen zu beschränken statt sie auch noch mitten in anderen Sendungen aufpoppen zu lassen, wären für die ARD (wie das ZDF) wirklich ein preiswertes Mittel, die eigene Akzeptanz zu erhöhen.


Altpapierkorb (Huaweis "Wolfsgeist", DSGVO-Strafen-Ranking, Bjarne Mädels Regiedebüt, Rügenpolitik der Bild-Medien, Rot-Töne auf Corona-Landkarten)

+++ Lang und lesenswert: was netzpolitik.org mit schweizerischen (republik.ch), britischen und spanischen Partnern über die "Wolfsgeist"-Arbeitsbedingungen bei europäischen Huawei-Niederlassungen recherchierte. Jetzt gibt es politische Reaktionen. Moritz Körner, EU-Abgeordneter der FDP, "zeigt sich erschrocken über das 'in maoistischer Manier verbreitete Klima der Angst und Einschüchterung' in der Europazentrale von Huawei in Düsseldorf." Bloß Vertreter der Bundesregierung, die ja noch das für die EU verhandelte  Investitionsabkommen mit China durchbringen müssen, sagen nichts.

+++ Nicht aus China, sondern aus Kalifornien kommt die App/Plattform namens "Clubhouse", um die es gestern hier schon ging. Damit befassen sich auch die taz ("Die Idee ist nicht neu, aber funktioniert: Der künstlich verknappte Zugang zur App macht sie zum Gesprächsthema") und Samira El Ouassil mit einem uebermedien.de-Dramolett.

+++ Erster ist Deutschland in internationalen Digital-Rankings selten, aber hier: bei "wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung in der EU verhängten Strafen". Fast die Hälfte der 2020 insgesamt verhängten 158,5 Millionen Euro wurden hierzulande verhängt (heise.de).

+++ Falls der Biden-"Brennpunkt" bei 30 Minuten Dauer bleibt, gibt heute um 20.45 Uhr in der ARD Schauspieler Bjarne Mädel sein Regiedebüt. Als Hauptkommissar Sörensen spielt er auch die Hauptrolle in "Sörensen hat Angst". "Ambitioniertes Regie-Debüt ..., mit einem Stoff irgendwo zwischen Krimi, Drama und Kömodie" (sic! hübsch!) , meint der Tagesspiegel. "Ein Schauspielerfilm", meint die SZ, "Tragikomödie" epd medien.

+++ Stefan Niggemeier beleuchtet bei uebermedien.de akribisch die Rügen-Politik der Bild-Medien.

+++ Für die FAZ-Medienseite (blendle.com €) hat Helmut Hartung mit "Was bewegt die Medienpolitik 2021?" "eine Umfrage unter den sechzehn Staats- und Senatskanzleien", in deren Zuständigkeit die deutsche Medienpolitik nun mal fällt, angestellt. Sie besticht durch authentisch-bürokratische Sounds ("Die dringend notwendige Präzisierung des Auftrags durch die Länder müsse dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk – in noch deutlicher Unterscheidbarkeit von kommerziellen Angeboten – erlauben, seinem spezifischen Auftrag zur öffentlichen Meinungsbildung gerecht zu werden").

+++ Und die "immer intensiveren Rot"-Töne auf den Deutschlandkarten, mit denen Medien über die Corona-Lage in Deutschland informieren, sprach Deutschlandfunks "@mediasres" mit einem Wuppertaler Professor für Didaktik der visuellen Kommunikation ("ein dunkles Blutrot stehe für Gefahr") und einem ARD-Grafiker ("Beispielsweise hat sich das regionale Fenster des NDR ... aus Gründen des Corporate Designs für Blau entschieden").

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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