Teasergrafik Altpapier vom 7. Juli 2021: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 7. Juli 2021 Der Marktwert hält das Mikrofon

07. Juli 2021, 10:14 Uhr

Jetzt noch transparenter: was die ARD-Chefetage verdient. Die magische 400.000-Euro-Grenze wurde geknackt. Kann das Publikum froh sein, solange im Fußball-Rahmenprogramm bloß für harmlose Armbanduhren schleichgeworben wird? Außerdem: Der Deutsche Presserat im Dschungel der Zuständigkeiten und Neues im Fall Assange. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Was die ARD-Chefetage verdient (und wo noch mehr verdient wird)

Auch wenn Rainer Robra, der u.a. für Medien zuständige Staatsminister von Sachsen-Anhalt, an dem (dem Bundesland) Ende 2020 bekanntlich die Rundfunkbeitrags-Erhöhung scheiterte, heute auf der FAZ-Medienseite (€) die öffentlich-rechtlichen Anstalten aufruft, "ihren finanzpolitischen Elfenbeinturm (zu) verlassen": Die neuen ChefInnen-Gehälter der ARD sind da! Das nachrichtlich Neue arbeitet medienkorrespondenz.de, seriös unbebildert, heraus: Während Vorgänger Volker Herres im Rahmen der Möglichkeiten noch ein Geheimnis au seinem Gehalt als ARD-Programmdirektor machte, gab Nachfolgerin Christine Strobl ihres nun bekannt:

"Sie erhalte ein Grundgehalt von 285.000 Euro, heißt es seit mehreren Tagen auf der Internet-Seite der ARD-Programmdirektion",

also hier. Von Bewegungen bei den Intendantinnen- und Intendanten-Gehältern berichtet die MK ebenfalls. Es sind Auf-, aber auch Seitwärts-Bewegungen. Patricia Schlesinger vom RBB und Karola Wille vom MDR bekamen 2020 noch so wenig (oder viel) wie 2016 bzw. 2014. Der inzwischen in den Ruhestand getretene Ex-Intendant des kleinen, überregional unscheinbaren Saarländischen Rundfunks, Thomas Kleist, konnte sein Gehalt 2020 um 12.000 Euro gegenüber dem Vorjahr steigern. Was nicht unbedingt damit zusammenhängt, dass er ein nicht mehr junger, weißer Mann ist: Die Intendantin des ähnlich kleinen, ebenfalls auf den Sender-Finanzausgleich angewiesenen Radio Bremen erhielt 2020 mit 280.000 Euro im Jahr klar mehr. Spitzenreiter Tom Buhrow knackte die psychologisch wichtige 400.000-Euro-Grenze, eng gefolgt vom BR-Kollegen Ulrich Wilhelm, der ihn wohl nicht mehr wird überholen können. Wilhelm, auch Ex-Regierungssprecher, ist ja nun auch im gewiss bestverdienten Ruhestand.

Bestverdienender Intendant im deutschen Sprachraum ist allerdings gar nicht Tom Buhrow!  "Nach Standard-Infos bekommt der ORF-General etwas mehr als der aktuelle ARD-Vorsitzende", meldet der österreichische Standard, während er die deutsche ARD-Liste übersichtlich per Balken-Grafik aufbereitet. Was ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz verdient, beziffert das Blatt nicht genau, denn "der ORF publiziert die Managementgehälter seit 2012 nicht mehr", und pfiffiges Andeuten gehört ja zum Wiener Schmäh.

Können das unsere Öffentlich-Rechtlichen auf sich sitzen lassen, dass im kleinen Nachbarland besser verdient wird? Dass der ORF schon lange eine bessere Mediathek implementiert hat, kann ja wohl kein Argument sein, Gehälter sind ja keine Erfolgsprämien. Wie auch immer, der Standard hat gleich noch eine Top-Personalie: Offenbar hätten der ORF als Wrabetz-Nachfolgerin gerne Christine Strobl angeworben, doch die habe wegen ihrer neuen ARD-Position geehrt absagen lassen. Obwohl sie offenbar klar noch besser verdient hätte?!

Mutmaßlich ein paar Stüfchen hinab im ARD-Verdienste-Niveau ...

Ein Schleichwerbe-Problem in der Fußball-Unterhaltung

Zu den zahllosen Stärken des ARD-Fußball-Experten Bastian Schweinsteiger zählen Loyalität gegenüber alten Partnern wie dem ehemaligen Weltmeister-Trainer Löw, auch wenn an dessen sportlichen Bemühungen schon seit Jahren das Pech klebt, aber auch das stets gepflegte Auftreten. Das kommt neben Jessy Wellmers juveniler Frische  (die "Schweini" eher nicht ausstrahlt) umso besser rüber.

Bei seinem vorvorigen ARD-Auftritt erregte am Samstagabend Schweinsteigers Armbanduhr Aufsehen, die etwa auf dem offiziellen ARD/WDR-Foto im kress.de-Artikel gut zu sehen ist. Das Aufsehen kam über die sog. soz. Medien, nämlich so (Süddeutsche):

"Der Weltmeister von 2014 hatte während der Übertragung der Viertelfinal-Begegnung Ukraine gegen England seine Armbanduhr auffällig präsentiert. Statt, wie sonst oft der Fall, das Mikrofon in der rechten Hand zu halten, hielt es Schweinsteiger in der linken Hand, an der Uhr und dementsprechend auch Fabrikat und Marke deutlich zu erkennen waren. In der Halbzeitpause waren dann auf dem Twitter-Account von Bastian Schweinsteiger zwei Fotos gepostet worden. Eines zeigte den populären 'Schweini' beim Gespräch mit Wellmer. Das andere war eine Nahaufnahme von Schweinsteigers Handgelenk samt des Modells des Herstellers Garmin, der mit Schweinsteiger als 'Kampagnen-Gesicht der neuen Kollektion' wirbt."

Dieses mutmaßliche Schleichwerbungs-Problem wurde zunächst bei Springers Bild erwähnt. Daher habe es in der ARD bzw. vor allem wohl beim "Sportschau"-zuständigen WDR "stundenlange Diskussionen"gegeben, schreibt der Tagesspiegel, dem eine WDR-Sprecherin dann sagte:

"'Dabei haben wir sehr deutlich gemacht, dass die ARD gemäß ihrer Richtlinien keine Form von Schleichwerbung und nicht kenntlich gemachter Produktplatzierung ihrer Protagonisten duldet.' Von weiteren Konsequenzen war keine Rede. Über das Ausmaß dieser 'Deutlichmachung' besteht offiziell anscheinend keine Einigung"

In den zahlreichen Berichten ist von "Rüffel" oder fußballerischer von  "Gelber Karte" für Schweinsteiger die Rede. Inzwischen, am gestrigen Dienstagabend, hat er einen weiteren ARD-Auftritt erfolgreich absolviert. Die Studioregie war so gewitzt, ihm nun gar kein Mikrofon in die Hand zu geben, sodass kaum zu sehen war, ob er wieder diese schicke Uhr trug. Und auf @BSchweinsteiger wurde bloß ein harmloser (auf den Fußballspiel-Ausgang bezogener) "Was meint ihr?"-Tweet gepostet...

Einen Platz in allen Größte-ÖR-Aufreger-Klickstrecken des laufenden Jahrzehnts dürfte Schweinsteiger sich und seinem Werbepartner gesichert haben. Lohnt ansonsten die Aufregung? Die Sendungs-aufblähenden Auftritte von Fußball-Experten bei ARD und ZDF erfüllen bekanntlich multiple Zwecke. Einerseits dienen sie als Rahmenprogramm für die Spielfeldrand-Interviews vor Werbeträger-Tafeln (weil die Sponsoren ja viel bezahlt haben, um oft exklusiv auf vielen Bildschirmen zu erscheinen). Andererseits bezahlten auch ARD und ZDF viel für die Übertragungsrechte, und diese Mondpreise reduzieren sich rein rechnerisch, wenn außer Spielzeit auch noch viel Zeit davor und danach mit im Prinzip demselben Inhalt gefüllt und durch repräsentativ ermittelte hohe Einschaltquoten belohnt wird. Dafür bringen die Experten ihre Prominenz mit, die womöglich Publikum vom Wegschalten abhält. Zugleich erhöhen sie ihren Marktwert

und können ihn überdies ausbeuten. Das ist eine Win-win-win-Situation für fast alle, außer vielleicht fürs Publikum ...

...  und ein künftiges größeres-Problem ebendort

Im Grunde können ARD und ZDF ja froh sein, wenn die eingekauften Experten parallel für harmlose Produkte werben und nicht etwa für Sportwetten.

Heute ärgert sich Michael Hanfeld im FAZ-Medienseiten-Glösschen (Blendle) über die Jubel-Pressemitteilung der AS&S (ARD-Werbung Sales & Services) zur "neuen Sponsoren-Kombi" der nächsten "Sportschau"-Saison. Die ARD gebe sich da "überglücklich", obwohl sie durch den neuen Sponsor Tipico, der durch das jahrelange Werbe-Engagement des früheren Schweini-Kollegen Oliver Kahn bekannt wurde und dem kürzlich mehrere kritische Spiegel-Artikel galten, "möglicherweise der Spielsucht Vorschub leistet".

Allerdings ist das eine komplexe Causa, die zum neuen Glücksspielstaatsvertrag der Bundesländer führt. Demzufolge könnten die Öffentlich-Rechtlichen "Werbung von Wettanbietern nicht mehr ablehnen", hieß es im am Montag hier bereits knapp erwähnte Süddeutsche-Artikel dazu. Davon dürfte noch viel zu hören sein – schon weil Sponsoren ja sehr, sehr, sehr oft im Bild (und Audiodesign) erscheinen.

Neue (und alte) Zuständigkeits-Diffusion beim Presserat

Wegen Schweinsteigers Uhren-Tweet hatte Harald Hordych für die SZ auch bei den Landesmedienanstalten angefragt, von denen einige sich ja auch gegen Schleichwerbung auf Instagram engagieren. Und erfuhr:

"Die Landesmedienanstalt für NRW erklärte sich auf Nachfrage für nicht zuständig, wegen des Verweises in Schweinsteigers Twitter-Impressum auf seine Agentur. Und die sitzt in Grünwald bei München"

An Anstalten, Kommissionen und sonstigen Gremien wimmelt es in der deutschen und europäischen Medienlandschaft. Der Deutsche Presserat etwa erfährt gerade doppelte Medienmedien-Aufmerksamkeit. Einerseits hat uebermedien.de mit der Öffentlichkeitswirkung, die das Niggemeier-/Rosenkranz-Portal mitbringt, gerade "die Selbstverpflichtungserklärung des Deutschen Presserates unterschrieben", doch nicht ohne des Rats "sprichwörtlichen Zahnlosigkeit" zu beklagen. Interessant ist die frische, durch den jüngsten Medienstaatsvertrag beförderte Zuständigkeits-Diffusion:

"Für die Aufsicht über journalistische Online-Medien sind seitdem die Landesmedienanstalten zuständig – es sei denn, sie lassen sich von Selbstkontrollorganen wie dem Presserat kontrollieren. Der Presserat wirbt seitdem offensiv um unabhängige Online-Medien als, nun ja, Kunden: Sie zahlen ein bisschen Geld, müssen dafür aber nicht die konkreten Sanktionen fürchten, die Landesmedienanstalten tatsächlich haben, wenn ein Anbieter 'den anerkannten journalistischen Grundsätzen' nicht entspricht."

Auf althergebrachte Zuständigkeits-Diffusion machte Deutschlandfunks "@mediasres" aufmerksam. Da geht es um eine klassisches Papier-Erzeugnis, ja um eine der meistgelesenen (oder zumindest meist mitgenommenen) deutsche Zeitschriften, die Apotheken Umschau. Vereinfacht zusammengefasst, fühlte sich der Presserat bislang dafür nicht zuständig, weil das Heft gratis in Apotheken verteilt wird. Das Heft wiederum sah den Presserat durchaus als für sich zuständig und freute sich, noch niemals ansatzweise gerügt worden zu sein, obwohl es oft über Medikamente berichtet, deren Hersteller auch gern darin werben.

Um das grundsätzliche Problem gleich auch vereinfacht zusammenzufassen: Die deutsche Medien-Beschwerden-System ist umfangreich bis zur Unübersichtlichkeit. Und das dürfte den meisten Akteuren auch recht sein, weil es so bequem ist, wenn gefühlte, reklamierte und manchmal erfolgreich in die Tat umgesetzten Zuständigkeiten sich meist gegenseitig neutralisieren. Beispielsweise vermeldete der Presserat für 2020 durchaus stolz einen "Beschwerderekord" (Altpapier), um anschließend auszuführen, dass sich unter "4.085 eingegangenen" "auch zahlreiche Beschwerden über Radio- und Fernsehbeiträge, für die der Presserat nicht zuständig ist, befanden". Wer sich über Inhalte öffentlich-rechtlicher Anstalten beschweren will, müsste Beschwerden nämlich bei den zuständigen Aufsichtsgremien einreichen – was noch erheblich müßiger wäre als sich beim Presserat zu beschweren. Immerhin rügt der Rat ja regelmäßig, folgenfrei, aber öffentlich, was sich von Rundfunk- und Fernsehräten nicht behaupten lässt ...

Happy birthday noch, Julian Assange!

Christine Strobl wird, heißt's im eingang verlinkten MK-Artikel, im August 50. Den selben Geburtstag hinter sich hat Julian Assange schon hinter sich, unter bekannt folter-artigen Umständen (Altpapier). Immerhin erhielt aus diesem Anlass mehr Medien-Aufmerksamkeit als seit langem gewohnt.

"Wären die Folgen nicht so bitter, könnte Assange fast stolz darauf sein, wer sich alles gegen ihn verschworen hat. Immerhin sind drei Rechtsstaaten an dem Versuch beteiligt – England, die USA und Schweden – den Whistleblower für immer hinter Gitter zu bringen."

schrieb etwa Bascha Mika in der Frankfurter Rundschau. Gründe, Assange endlich freizulassen, gibt es mehr als genug, Medienfreiheit und Menschenwürde zum Beispiel. Es gibt noch einen neuen, der im FR-Artikel angedeutet wird und sonst, nicht überraschend, in der breiten Mitte der deutschen Medienlandschaft kaum vorkommt. Tagesaktuell auf den Stand zu den neuen Erkenntnissen, dass US-amerikanische Geheimdienste  gegen Assange gezielt Falschaussagen einkauften, bringt Telepolis.

Um hier weit unten noch etwas zuzuspitzen: Alle Kritik an Viktor Orbàn, diesem Feind der Medienfreiheit, wirkt, freundlich formuliert: wohlfeil, wenn das Thema Assange ausgeblendet bleibt.


Altpapierkorb (Mordanschlag; was "das Erste" kostet; Rundfunkpolitik braucht doch wieder länger & bekam potemkinsches Dorf zu sehen; Bild-Zeitung gegen Islamisten im Rundfunkrat & mit Orban-Anzeige)

+++ Nachtaktuell und übel: Mordanschlag auf einen Journalisten in Amsterdam. Siehe u.a. taz/dpa.

+++ In seinem schon eingangs erwähnten Beitrag zur FAZ-Rundfunkpolitik-Debatte freut sich Rainer Robra, dass sich seit dem Stoppen der Rundfunkbeitrags-Erhöhung "die öffentliche Diskussion erfreulich lebhaft und kontrovers entwickelt". Ein Haupt-Anliegen seines Textes: "Niemand weiß genau, was das pauschal als 'das Erste' beauftragte Haupt- und Vollprogramm der ARD eigentlich kostet, denn das Programm wird von den Landesrundfunkanstalten zugeliefert, eine belastbare Abgrenzung der dafür aufgewendeten Kosten gibt es nicht."

+++ Auf derselben FAZ-Medienseite und bei medienkorrespondenz.de weiß man, dass die Bundesländer-Beratungen über Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sich doch wieder länger hinziehen werden als angekündigt war. MK-Redakteur Volker Nünning sieht besonders den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder am Werk.

+++ "Die pompöse Ankündigung von ARD und ZDF, ihre Mediatheken technisch zu 'verschränken'" (Altpapier), die lasse sich auch "als Bühnenstück für die Medienpolitik lesen, in der Tradition eines potemkinschen Dorfes", meint Ellen Nebel bei epd medien.

+++ Hamburgs rot-grüne Regierung wolle "Islamisten in NDR-Rundfunkrat holen", schrieb die Bild-Zeitung kürzlich, bezogen auch, aber nicht allein auf die vom türkischen Erdogan-Regime kontrollierte Ditib.

+++ Für den DJV kommentiert Hendrik Zörner die bezahlte Anzeige des ungarischen "Autokraten" Viktor Orbán, die die Bild-Zeitung kürzlich abdruckte. Medienpolitisch sei das "fragwürdig. Wie glaubhaft sind künftig noch die Einlassungen von Springer-Chef Mathias Döpfner zur Pressefreiheit? Der BDZV", dessen Präsident Döpfner ist, "hat ein Problem". Das wirkt, als breche der Kommentar genau da ab, wo es argumentativ spannend werden könnte ...

+++ Und der Tagesspiegel-Kolumnist (und MDR-Programmdirektor) Klaus Brinkbäumer würde "gern Christian Schertz (Anmerkung: der auch mein Anwalt ist) und den anderen Verteidigern Baerbocks glauben, die von einer Kampagne reden", tut's aber auch nicht.

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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