Teasergrafik Altpapier vom 12. Oktober 2021: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 12. Oktober 2021 Als das "Kleine Fernsehspiel" echt groß war ...

12. Oktober 2021, 10:37 Uhr

Facebooks Microtrageting ist eher keine Inseratenkorruption à la Österreich. Trotzdem wären verbindliche Regeln dafür gut. Was sollten öffentlich-rechtliche Mediatheken enthalten? Laberpodcasts mit Prominenten, Werbung? Außerdem: Eckart Stein ist gestorben. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Neues aus Österreich

Auf bundeskanzleramt.gv.at, dem Internetauftritt des österreichischen Bundeskanzlers, spielt das Thema "Medien" eine größere Rolle. Es ist einer von fünf Punkten im im Startseiten-Menü. Allerdings ist nun, meldet der Standard,

"der Titel des 'Kanzlerbeauftragten für Medien' aus dem Eintrag zu Gerald Fleischmann auf der Website des Bundeskanzleramts verschwunden".

Widerschein lässt sich finden, wenn man den Namen ins Suchfeld eingibt. Den Kontext bildet ein Trendbegriff, der mal nicht aus dem Englischen kommt, sondern zwei ältere, aus dem Lateinischen stammende Fremdworte verknüpft: "Inseratenkorruption" (Altpapier). Nochmals für die deutsche Medienlandschaft fasst der schon am Freitag hier erwähnte Wiener Medienforscher Andy Kaltenbrunner bei Deutschlandfunks "@mediasres" zusammen, worum es geht. Schlagend bleiben die Zahlen. Allein 2020 habe Österreichs öffentliche Hand 222 Millionen Euro für in Medien geschaltete Werbung ausgegeben, "pro Kopf gerechnet das Fünf- bis Zehnfache wie in Deutschland", sagt Kaltenbrunner.

Anderer Vergleich: Schaut man zurück in den Oktober des vergangenen Jahres, als eine Bundes-Presse-Subvention (und auch die Gefahr einer "Subventionsfalle") hierzulande vergleichsweise intensiv diskutiert wurden, ging es um 220 Millionen Euro – allerdings über Jahre gestreckt. Fürs erste Jahr waren rund 20 Millionen Euro vorgesehen. Draus geworden war dann ja gar nix.

Targetleaks.de-Nachklapp aus Mainz

Und Werbung der deutschen Bundesregierung? Bei der "krempelt die Ärmel hoch"-Impfkampagne des Gesundheitsministeriums wurden hoffentlich so ziemlich alle zur Verfügung stehende Werbeflächen ähnlich bedacht. Ansonsten wird in Ministerien wie in Parteien viel aus dem ganz bzw. zu ziemlich nennenswerten Anteilen aus Steuern bestehenden Budget gerne bei Facebook, äh, inseriert. Und das nun echt zu groß, um sich korrumpieren zu lassen. Das zeigte unmittelbar vor der Bundestagswahl Jan Böhmermanns ZDF-Show auf, die dazu den Internetauftritt targetleaks.de anlegte (Altpapier).

Es war ein bisschen spät für größere Aufregung. Eine Konsequenz aber verdient hier noch Beachtung: Der SWR recherchierte die Vorwürfe gegen das  – in einer Ampelkoalition – grün geführte rheinland-pfälzische Umweltministerium nach, das Facebooks Angebot, getrackte Nutzer nach beliebigen Vorlieben zu bespielen, für Wahlwerbung zugunsten der Grünen nutzte, und nun Fehler zugibt:

"Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) sagte dem SWR, das Ministerium werde bis auf Weiteres keine Werbeanzeigen mehr bei Facebook schalten. 'Wir sind da wirklich vorsichtiger geworden', räumte Manz ein. Eine Arbeitsgruppe solle die Social Media Aktivitäten des Ministeriums 'gänzlich auf den Prüfstand stellen'. Auch das sogenannte Microtargeting, also das Adressieren von Werbeanzeigen an bestimmte Zielgruppen. Vom Ministerium heißt es nun: Die 'Zielgruppenauswahl bei Facebook war ein Fehler'*.

Wobei das Ministerium diesen Fehler zuvor drei Jahre lang konsequent beging. Der SWR-Text dröselt mit Unterstützung von allerhand Juristen auf, warum das Ausspielen der "üblichen Botschaften des Ministeriums zu ... Luchsen im Pfälzerwald oder zum Ökolandbau" an ausgesuchte Adressaten problematisch bis illegal ist. Einer der Juristen empfiehlt nun sozusagen "Organklagen – auch von politischen Parteien – ... gegebenenfalls auch zum Landesverfassungsgericht". Das dürfte eine gute Idee sein, um eindeutig und mustergültig deutlich zu machen, was genau illegal ist, wenn Steuergeld für "staatliche Öffentlichkeitsarbeit", also Werbezwecke, an Datenkraken-Plattformen vergeben wird. Dass, nett formuliert: digitale Unbedarftheit in allen politischen Parteien verbreitet ist, zeigen die targetleaks.de-Enthüllungen ja gut.

Wo bleibt das Positive?

"Das Umweltministerium ist nach einer SWR-Umfrage das einzige Ministerium in der Landesregierung, dass so gehandelt hat. Staatskanzlei, Sozial- und Wissenschaftsministerium spielen Werbeposts zwar ebenfalls an bestimmte Zielgruppen aus, nach eigenen Angaben aber nicht an Partei-Interessierte. Die restlichen Ministerien geben an, keine Werbeanzeigen auf ihrem Facebook-Account zu schalten oder keinen Facebook-Account zu betreiben."

Diese restlichen rheinland-pfälzischen Ministerien eignen sich als Vorbild.

Oh, der Hessische Rundfunk erregt Aufsehen

Eine der größeren Fragen, die schon über Monate und mutmaßlich noch Jahre die Medienmedien beschäftigt: wie öffentlich-rechtliche Mediatheken aussehen sollen, damit sie Augenhöhe mit Netflix und Co erreichen.

Doppelt dazu zu Wort gemeldet hatte sich einer der im Vergleich mit Koryphäen wie Tom Buhrow (und auch seiner Nachfolgerin als ARD-Vorsitzendem, Patricia Schlesinger) nicht so prominenten Intendanten der ARD. Manfred Krupp vom Hessischen Rundfunk hatte erstens die Idee ventiliert, die ARD-Mediathek könnte ja auch Werbung enthalten (dwdl.de). Der Aufschrei war nicht so groß, dass diese Idee nicht weiterverfolgt werden dürfte. Und nun erteilte er nochmals einer vereinigten "Supermediathek" von ARD und ZDF eine Absage, und zwar mit diesem erstaunlichen Argument (dpa/ horizont.net):

"Es gebe inzwischen viele Zeitungen, die einen gemeinsamen Mantel und einen unterschiedlichen Lokalteil haben. Und trotzdem stellten die Nutzerinnen und Nutzer eine Bindung zu ihrer Zeitungsmarke her."

Soll das heißen, dass Marietta Slomka und Ingo Zamperoni künftig dasselbe Bundeskanzler-Scholz-Interview zeigen und nur die Fragen jeweils im Mantel von "heute-journal" und "Tagesthemen" stellen? Na ja, Krupp ist gerade auf Abschiedstournee. Über seine Nachfolge wird Ende des Monats entschieden. Und fast könnte man sich beim Aufschlagen der FAZ-Medienseite heute die Augen reiben ob eines Kandidatin-Interviews, das sich gewaschen hat (dwdl.de-Zusammenfassung). Aber nur, bis man bemerkt, dass die Filmemacherin Ina Knobloch zwar wohl von einer Rundfunkrats-Findungskommission "als mögliche Kandidatin gefragt" und "eingeladen, mich zu bewerben"  worden war, es aber zu einem Gespräch dann nicht mehr kam. Knobloch gehört also nicht zu den beiden offiziellen Krupp-Nachfolge-Kandidaten. Kein Wunder, bei Aussagen wie:

"dass mich die Boulevardisierung und 'Inhouse'-Politik des Senders zutiefst geschmerzt hat. Der HR arbeitet seither konsequent fast ausschließlich mit Festangestellten und festen Freien. Das ist nicht nur extrem teuer, sondern hat auch die hessische Filmlandschaft fast komplett ausgetrocknet. Von dem einst stolzen Sender und Zulieferer zahlreicher Flaggschiff-Produktionen für die ARD ist nicht mehr viel übrig geblieben ..."

Zwar kennt sich Knobloch nicht nur gut aus in den Programmen des HR, sondern weiß auch, was für Aussagen Rundfunkräte aufschrecken ("Wenn die Spitze des Senders jetzt nicht glaubwürdig eine Zukunftsvision für den HR als essenziell notwendigen unabhängigen Sender innerhalb der ARD aufbaut, ist die Abwicklung und Fusion mit einem anderen ARD-Sender schon eingeläutet"). Doch formuliert sie so viel so scharfe Kritik am Hessischen Rundfunk, dass die Rundfunkräte, die das, was Knobloch "desaströse Senderpolitik" nennt, natürlich stets unterstützt, begrüßt und mitgetragen haben, dass Knoblochs Wahl zur Intendantin wohl ausgeschlossen ist.

Schade. Allerwenigstens täte es den Rundfunkgremien, die von ihren Mitgliedern abgesehen, ja kaum jemand für scharfe Kontrollinstanzen hält, gut, wenn genau solche Diskussionen in ihnen öffentlich geführt werden würden.

Neuer "Laberpodcast" des ZDF

Es gibt zwei aktuelle Gründe, ins Mediatheken-Angebot des ZDF zu schauen. Erstens ist nun seit über einem Monat "auf allen gängigen Plattformen" der neue Markus Lanz-/Richard David Precht-Podcast abrufbar. Vielleicht ist schon seltsam, auch wenn die ZDF-Mediathek keine Audiothek ist, dass der Podcast sich innerhalb der ZDF-Mediathek gar nicht abspielen lässt, sondern Beitragszahler gleich zu Apple Podcast, Deezer und Spotify gelotst werden (wo man schnell aufgefordert wird, sich anzumelden).

Jedenfalls hat Sandro Schroeder für uebermedien.de eine Podcast-Besprechung geschrieben, die idealtypisch deutlich macht, dass Besprechungen von Produktionen, die dann ausdrücklich nicht empfohlen werden, mindestens so sinnvoll sind wie die euphorische Kritiken, die es oft eher ins Blatt oder auf die Startseite schaffen.

"Und oft habe ich den Eindruck, dass die beiden eigentlich nur abwechselnd reden statt miteinander", lautet einer der schönsten Sätze zum neuesten "Laberpodcast mit zwei prominenten Personen". Schroeder begründet seine Ansichten detailliert:

"Ein beliebtes Stilmittel solcher Formate, das auch hier zum Einsatz kommt: Ein paar Zitate, Ausschnitte aus der Episode gleich am Anfang, als Collage. Mir wird also als Hörer schon mal gezeigt, was ich später wiedererkennen und als Highlight empfinden soll."

Was für ein Zufall, das ist ja genau dasselbe Stilmittel, das kurze bis mittellange Dokus mit Bewegtbildern, die im Fernsehen schon deshalb immer öfter  auftauchen, weil sie außerdem als Top-Inhalt für Mediatheken gelten, auch immer einsetzen.

Aktuell besteht eine zentrale Strategie öffentlich-rechtlicher Mediatheken darin, mehr vom selben alten Wein, der sich in linear gemessenen Einschaltquoten bewährt hat, auch noch in neue, nonlineare Schläuchen zu gießen, lässt sich festhalten. Wobei in Archiven wie dem des ZDF ja wirklich guter alter Wein lagern dürfte, der es allerdings selten oder niemals mehr auf die "Kacheln" der "Stage" schafft

Das zeigt aktuell ein trauriger Anlass

Eckart Stein ist gestorben

"Wie erst jetzt bekannt wurde", ist "am 17. September im Alter von 84 Jahren" Eckart Stein gestorben. Das ist derjenige, der "ein Vierteljahrhundert" lang in der ZDF-Redaktion "Das kleine Fernsehspiel" "große Filmkunst" ermöglichte, schreibt Willi Winkler in seinem Nachruf (Süddeutsche).

Vielleicht wusste es als erstes die Medienkorrespondenz, die am davon twitterte. Die ZDF-Pressesstelle scheint bis zum Dienstagmorgen noch nichts von Steins Tod erfahren zu haben. Winkler leitet seinen Nachruf dann mit Namedropping ein:

"Von Rechts wegen müssten sich jetzt in seinem Namen seine Förderkinder allesamt versammeln und ihren Padrone noch einmal hochleben lassen. Rosa von Praunheim, Jim Jarmusch, Edgar Reitz, Elfi Mikesch, Alexander Kluge, Christian Petzold, Tom Tykwer, Wolfgang Petersen. Viele, denen er mit gutem, ehrlichem Gebührengeld auf die Beine geholfen hat, leben selber schon nicht mehr: Rainer Werner Fassbinder, Derek Jarman, Theo Angelopoulos."

Dann erinnert er daran, dass dieses "Kleine Fernsehspiel" "anfangs tatsächlich klein, kürzer als 25 Minuten" war und im Vorabendprogramm lief. Im Laufe der Zeit rückte es dann "immer tiefer in die Nacht" und verweilt inzwischen ja auf dem linear betrachtet allerundankbarsten Sendeplatz in der Nacht zum Dienstag, wenn im ZDF das sogenannte "Montagskino" (in dem es manchmal Kinofilme, oft aber auch koproduzierte Krimiserien, für die es keinen anderen Sendeplatz fand, versendet) vorbei ist.

"Wenn sie sich beim ZDF ermannen oder auch erfrauen, dann bringen sie in den nächsten Monaten, gegebenenfalls halt tief in der Nacht, eine Eckart-Stein-Werkschau. Das wäre dann Filmgeschichte", schließt Winkler. Tatsächlich wäre so was einer öffentlich-rechtlichen Mediathek würdig. Aber ja mei, gegenwärtig ist das ZDF halt im scharfen Wettbewerb mit unserer ARD der Krimisender Nr. 1 und bietet Markus Lanz zum Abruf bis weit über den Überdruss hinaus. Man kann nicht alles haben.

Altpapierkorb (Landgericht vs. Youtube, deutsche Pegasus-Käufer, "Schatzkammer der Cinephilie", Papiermangel)

+++ Die Videos der zweiten Staffel von "#allesdichtmachen", "allesaufdentisch", haben bei weitem nicht den Erfolg der ersten (Altpapier). Davon kann sich überzeugen, wer will. Zeitweise konnte man das weniger, weil Googles Youtube zwei der Videos löschte. Inzwischen hat das Landgericht Köln diese Löschung untersagt (Berliner Zeitung). Die dürftigen, irgendwo international generierten Begründungen, die Betroffene erhalten, scheinen zunehmend zum Problem zu werden, meinen ungefähr die FAZ und die SZ (€). Im Fall von Youtubes RT Deutsch-Löschung verhielt es sich ja ähnlich (Altpapier).

+++ Die zahlreichen Aufreger von vor kurzem interessieren oft wenig, weil ja laufend neue Aufreger Aufmerksamkeit brauchen. Dennoch: Nach dem Bundeskriminalamt wurde inzwischen auch der Bundesnachrichtendienst als zweiter staatlicher deutscher Käufer der Spähsoftware namens Pegasus bekannt (netzpolitik.org).

+++ Unternehmenssprecherinnen und -sprecher äußern selten eigenen Ansichten. Aber hier mal: MDR-Sprecherin Julia Krittian fordert in der Ärger-Freude-Rubrik des Tagesspiegel "neue Formate der politischen Berichterstattung" und freut sich über Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen.

+++ Über Artes Onlineformat bzw "Webmagazin" "Blow up" als eine "Schatzkammer der Cinephilie" freut sich Karlheinz Oplustil bei epd medien.

+++ Und Hinweise verdichten sich, dass von der allgemeinen Ressourcenknappheit außer der Autoindustrie, der es an Chips mangelt, auch die holzverarbeitende Industrie betroffen ist. "In der Schweiz schränken Zeitungen", darunter die NZZ (nau.ch), ihren "Umfang wegen Papiermangels ein".

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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