Teasergrafik Altpapier vom 21. Oktober 2021: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 21. Oktober 2021 Präferenz Bikini

21. Oktober 2021, 09:46 Uhr

Der Playboy wird wegen der Texte gelesen, die Vogue auch, obwohl letztere es seit der Zentralisierung an Vielfalt mangeln lässt. Und das Neueste zu Döpfners Ängsten und ProSiebens Redaktionsversuchen. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Ich lese den Playboy wegen der Artikel

Von wem der Satz "I read Playboy for the articles” im Original stammt, lässt sich leider nicht mehr eruieren. Vermutlich ist diese Phrase ein seit der Entstehung des Hefts in den 50er Jahren geläufiges, gepflegtes, tongue-in-cheek-Männer-Bonmot, das allerdings tatsächlich mit einem potenziellen Wahrheitskern aufwarten kann: Die Interviews mit Malcolm X, Ingmar Bergman, Germaine Greer oder John Lennon und Yoko Ono, die Kurzgeschichten von Nabokov, Roald Dahl oder Margaret Atwood waren Rechtfertigung genug für diejenigen, die nicht zugeben wollten, dass sie einfach gern halbnackte, junge normschöne Frauen angucken.

2009 erschien jedenfalls eine hübsche Arbeit zweier Forschender der Harvard Business School mit dem Titel: "I read Playboy for the Articles. Justifying and rationalizing questionable preferences", hier kann man sie nachlesen. In einer dort enthaltenden kleinen Studie wurde männlichen Teilnehmern die Wahl zwischen zwei inhaltlich gleichen Sportzeitschriften gelassen, von denen die eine auf dem Cover als "Swimsuit Issue" gekennzeichnet war. 74% der Versuchskaninchen (ich verkneife mir mal den Schenkelklopf-Witz mit "Versuchsrammler, jedenfalls fast) nahmen die Swimsuit Issue-Ausgabe. Und rechtfertigten ihre Wahl danach mit Argumenten wie "mehr interessante Artikel" etc.

Ich lese die Vogue trotz der Artikel

Die Vogue ist noch viel älter als der Playboy: Ihre erste Ausgabe erschien 1892 (damals noch ohne Anna Wintour, haha). Die seit 1988 als Chefredakteurin der US-amerikanischen Vogue fungierende britische Signature-Bob-Journalistin ist aber momentan in den Schlagzeilen. Denn die Vogue unterscheidet sich zwar einerseits, zugegeben, doch recht stark vom Playboy, andererseits ist das Konzept ein Ähnliches: Man las die Vogue einst offiziell ebenfalls "wegen der Artikel". Und rechtfertigte beziehungsweise rationalisierte damit eine weitere "fragwürdige Präferenz": Nämlich die in vielen Kreisen als oberflächlich geltende Lust am Anschauen von, nun ja, erstaunlicherweise schon wieder halbnackten jungen normschönen Frauen, immerhin in großartigen Kleidern, oder mit exquisitem Schmuck. Und natürlich den Spaß am Konsumieren.

Dass die angeblichen gesellschaftlichen Werte und Anschauungen, die hinter beiden Beispielen stehen und diese Rechtfertigungen verlangen, durchaus auf vielen Ebenen diskussionswürdig sind, soll hier aber gar nicht das Thema sein. Das Thema (ist mir etwas peinlich, dass ich so weit aushole, aber es passt einfach) ist die Zentralisierung der Vogue, wie es hier (€) die SZ beschreibt:

"Die bislang autarken nationalen Ausgaben mit viel Kenntnis auf ihrem Gebiet gibt es nicht mehr. Künftig berichten so genannte Heads of Editorial Content in den europäischen Ländern per Videokonferenz offiziell an den European Editorial Director Edward Enninful, den ersten schwarzen Chefredakteur in der Geschichte des Verlags. In Wahrheit aber unterstehen sie direkt Anna Wintour, die seit vorigem Jahr Chief Content Officer der gesamten Gruppe ist."

Denkfaulheit bei den Strategen

Es gäbe keine eigenen lokalen Inhalte mehr, berichtet die Autorin, übrigens langjährige Vogue-Mitarbeiterin weiter, sie beschreibt, wie sich die lokalen Ausgaben einst stilistisch und inhaltlich stark unterschieden, wie die Condé Nast-Entlassungswelle "Redaktionen europaweit leergefegt hat", wie man heute fast nur noch Artikel "liftet", also aus der US-Ausgabe übernimmt und übersetzt, und dass die Bezeichnung "Adaption Editor" demnach eine fast lachhaft euphemistischer Ausdruck für diese Funktion des "Übersetzers" ist. Sehr traurig ist das alles. Die Gründe für diese Entwicklung fasst die SZ unter anderem so zusammen:

"Dabei handelt es sich um eine gewisse snobistische Denkfaulheit der Strategen. Während man sich jahrelang trotz Auflagenkrise weiterhin von Anzeigenkunden in Luxushotels einladen ließ, und in einem Dior-gebrandeten Charterflugzeug zu einer Show flog, verschlief man die Digitalisierung. (…) Inzwischen fließen Werbebudgets vor allen in die Taschen von Selfmade-Influencern. Die Leute in den Luxushäusern finden diese Modeklone ohne eigenen Stil zwar auch nicht richtig toll, aber wenigstens werden die gesehen. Außerdem sind sie mit ihren Followern auf Augenhöhe."

Das klingt natürlich ein wenig verschnupft. Und ob in den Luxushäusern tatsächlich ausschließlich gepflegte Ü40-Dandys und Dandettes mit einem perfekten Martini in der manikürten Hand sitzen, und den Kopf über den Oversized-Normcore der Streetstyle-Küken schütteln, mag dahingestellt sein. Im Zweifelsfall weiß es die Autorin aber besser als ich, und ich neige dazu, ihr zu glauben. (Und finde die Vorstellung ohnehin bezaubernd: Neulich habe ich gelesen, dass es auch bei Stanley Tucci, der ja in "Der Teufel trägt Prada" den Assistenten von der Anna Wintour-Figur spielt, zuhause in London jeden Tag um punkt 17 Uhr einen perfekten Martini gibt. Ein Traum.)

Jedenfalls kann man die Vogue momentan ganz offiziell ebenfalls nicht mehr "for the articles" lesen, denn diese sind erstens immer dünner und dünner gesät, und zweitens machen die Übersetzungen der unter Wintour entstandenen Artikel tatsächlich einen Unterschied zu den vor allem im Kulturbereich früher oft sehr schön geschriebenen Texten.

Es bleiben einem also nur die Hochglanzanzeigen und die affirmativen, notdürftig als Reportage verkleideten Werbetexte über irgendwelche Parfumhersteller oder andere "Brands". Das muss man erst einmal rechtfertigen und rationalisieren! Womit wir wieder beim Thema wären.

Wirrköpfe bei Axel Springer

Das wir allerdings gleich hinter uns lassen, und zu weiteren fragwürdigen chefredaktionellen Entscheidungen und Rechtfertigungen hasten: Unter anderem der Tagesspiegel dokumentiert das Video (kann man hier auf YouTube anschauen) von Mathias Döpfner, in dem er sich über die Entwicklung der letzten Tage äußert, und über die berüchtigte DDR-SMS (hier zum Beispiel das Altpapier von gestern dazu) sagt:

"Zumindest mir geht es so, dass ich manches Übertriebene und Unsinnige in einer privaten Unterhaltung sage oder schreibe. Und trotzdem lege ich Wert darauf, dass es privat ist und nicht behandelt wird wie ein Zitat. Das ist doch eine Grenzüberschreitung."

Der Spiegel stellt hier (€) in einer umfassenden Analyse viele Fragen zu Döpfners Verhalten, von denen die letzte die wichtigste ist:

"Was wusste Mathias Döpfner über den Lebenswandel des »Bild«-Chefredakteurs  Julian Reichelt – und wann wusste er es? Fand er dessen Umgang mit jungen Frauen in der Redaktion schon lange verwerflich – oder störte ihn dessen offenbar auf sexuelle Gefälligkeiten gegründete Beförderungspraxis erst, als er mit Springer groß auf dem US-Markt einsteigen wollte und eine Veröffentlichung in der »New York Times« den Politico-Deal gefährdete? Und wie stand Döpfner zu der geradezu sektenhaft anmutenden Boygroup von eingefleischten Ja-Sagern, die Reichelt in der »Bild«-Redaktion um sich geschart hatte? All diese Fragen berühren die moralische Verfasstheit eines Mannes, der nicht nur Vorstandsvorsitzender und Großaktionär des Springer-Konzerns ist, sondern auch noch dem BDZV, dem Verband der deutschen Zeitungsverleger, vorsitzt und in dieser Funktion regelmäßig Reden über die Integrität der Presse hält. Daneben steht aber noch eine wesentlich brisantere Frage im Raum, weit wichtiger noch als jene nach Döpfners moralischem Kompass: Handelt es sich beim mächtigsten Medienmanager des Landes möglicherweise um einen politischen Wirrkopf?"

(Wobei man das Wirrkopf-Sein nochmal genau definieren müsste, um die davon tendenziell ausgehende Gefahr einschätzen zu können.) Die oben genannte SMS jedenfalls und Döpfners dahingehende Rechtfertigung durch das Private lässt der Spiegel keinen Deut gelten:

"Nun kann man ja durchaus verstehen, dass Döpfner Privates lieber privat sein lassen möchte. Aber jetzt sind seine Einlassungen nun mal öffentlich geworden, und da darf man sich schon fragen, für wie stabil Döpfner die hiesige Demokratie hält. Was er an Stuckrad-Barre geschrieben hat, mag übertrieben und ironisch gemeint gewesen sein. Aber all das schließt nicht aus, dass es sich um eine im Kern wahrhaftige Aussage Döpfners handelt."

Angst vor dem Islam

Weiter verweist der Text auf ein Interview mit Döpfner von 2019, in dem er ebenfalls ein bisschen, nennen wir es DDR Bashing betreibt, und fasst Döpfners dokumentierte Reaktionen auf verschiedenste Ereignisse der letzten Jahre (unter anderem der Anschlag eines Rechtsradikalen auf die Synagoge in Halle) wie folgt zusammen:

"Vermutlich sieht Mathias Döpfner nicht im Ernst die Wiederkehr der DDR heraufziehen. Dennoch ist nach Lektüre seiner Reden und Texte der vergangenen Jahre ein Mensch zu erkennen, den große Ängste umtreiben, insbesondere vor dem Islam. Ein Mensch, der offenbar kaum Vertrauen hat in die Institutionen dieses Landes: nicht in seine Politiker, nicht in seine Gerichte. Und auch nicht in seine Medien, sofern sie nicht Springer gehören. (…) Mathias Döpfner sieht sich selbst und Springer und das ganze Land in einem großen Abwehrkampf, umgeben von Feinden. Und Julian Reichelt, der ehemalige Kriegsreporter mit dem Feldbett im Büro, war sein Soldat im Schützengraben. Er war sein treues Geschöpf."

Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es weitergeht mit Axel Springer. Oder ob.

Dyskalkulie bei ProSieben

Ganz kurz noch zu einem letzten klitzekleinen Themchen. Denn wenn der Spiegel lustige rhetorische Fragen stellen darf, dann darf ich das natürlich auch: Welche dyskalkulatorischen Wirrköpfe sitzen eigentlich in der Redaktion des neuen Talkmagazins Zervakis & Opdenhövel, das sich bekanntlich seit seinem Start vor knapp vier Wochen noch nicht so richtig viele Freund:innen machen konnte?!

Die Ausgabe vom 11. Oktober, hier kann man sie übrigens nachgucken, arbeitete sich zwar an dem hochrelevanten Thema Alltagsdiskriminierung ab, aber nebenbei (und abgesehen davon, dass die Wahl von Gil Ofarim als Gesprächspartner garantiert im Nachhinein noch einmal Redaktionsthema war) ging einiges schief. Eine Umfrage mit der selten dämlichen Formulierung "Halten Sie sich für tolerant?" ergab folgendes, überraschendes Ergebnis: 68% der Zervakis & Opdenhövel-Zuschauer:innen halten sich für tolerant, 30% antworteten, das sei "situationsbedingt", und 3% sagten "nein". (Da kann man ja nur von Glück sagen, dass die Frage nicht lautete: Wieviel ergibt 68+30+3?) Eine zweite, ungefähr genauso sinnigen Frage sollte erkunden, ob Deutschland toleranter werden sollte. Raten Sie mal, was geantwortet wurde. Ob wirklich irgendein:e Zuschauer:in auf so etwas reinfällt, und jetzt das Gefühl hat, beteiligt, wahrgenommen, gar ernstgenommen zu sein? Die für die bislang eher mau angenommene Sendung notwendige Quote bringt diese Art der Pseudo-Interaktivität bestimmt nicht.

Später wartete das Thema "Frauen und Geld", und Zervakis moderierte eine Frau an, die "Ihnen zeigt, wie man seinen Lebensabend als Millionärin verbringt", gefolgt (jedenfalls in der Wiederholung am Sonntag) von einer Werbepause, die mit dem passenden Gewinnspiel losschmetterte: "Ziehen Sie in Ihr Traumhaus ein!". Die "Finanzmentorin", die in einem langen Einspieler und dem folgenden Gespräch in aller Ruhe für sich und ihre Dienste werden durfte, empfahl abschließend, Frauen sollten ihr sauer verdientes Geld auf jeden Fall anlegen, am besten in Risiko-Fonds, und sich darüber zum Beispiel in Facebookgruppen oder auf YouTube-Kanälen informieren. Oder eben sie selbst zu Rate ziehen. Vielleicht kann die Finanzmentorin lieber nochmal mit der Redaktion rechnen üben?! Puh. Da stecke ich meine Kröten doch besser in eine Sneakersocke.


Altpapierkorb (... mit Facebook, Alican Uludağ und der Identitätsdebatte)

+++ Apropos Konto: Das Neueste zum Thema Facebook hat die taz hier kommentiert, es geht dabei natürlich um die neue Muttergesellschaft, die FB angeblich gründen will:

"Facebook muss also dringend auf sein Karmakonto einzahlen. Oder zumindest verhindern, dass weiter abgebucht wird."

+++ Die FAZ gratuliert hier dem Preisträger des Raif-Badawi-Preises für mutigen Journalismus, Alican Uludağ. Der Journalist bekam den Preis gestern im Rahmen der Frankfurter Buchmesse verliehen, er schreibt über Menschenrechte, Justizmissbrauch und Korruption. Und das in der Türkei.

+++ Und einen Blick auf die "ziemlich verzwickte Identitätsdebatte" in Bezug darauf, wer eigentlich noch welche Rollen spielen darf und soll, wirft das Redaktionsnetzwerk Deutschland hier angesichts der Aussage einer Schauspielerin, ihr würden nach ihrem Coming Out nur noch lesbische Rollen angeboten werden. (Dazu irgendwann später gern noch mehr.)

Neues Altpapier gibt's am Freitag.

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