Teasergrafik Altpapier vom 26. Oktober 2021: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 26. Oktober 2021 Klotz am Standbein

26. Oktober 2021, 14:12 Uhr

Frische Enthüllungen über Facebook zeigen, wie kompliziert die Lage für sogenannte soziale Medien ist, zum Beispiel auf arabisch. Die Enthüllungen über Springer werden weiter fleißig kommentiert. Und Markus Söder hat eine was-mit-Medien-Rede gehalten. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Die neuen "Facebook Files"

Wenn der Springer-Verlag eine Art Hecht im Karpfenteich ist, dann wäre Facebook, um ungefähr im Bild zu bleiben, eher ein Fischer, der aus zahlreichen Teichen, nicht nur dem der deutschen Presseverlage, Karpfen und Hechte herausfischt und monetarisiert. Jedenfalls betreibt Facebook mehrere milliardenfach genutzte Infrastrukturen – und steht nun wieder im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Eine Reihe von Tweets aus Facebooks Newsroom kündigte vorige Woche "a curated selection out of millions of documents at Facebook ..." an.

Heißt: Was von der Whistleblowerin Frances Haugen bisher erschien, zunächst anonym im Wall Street Journal, dann prominenter, sobald ihr Name publik wurde, war

"nur eine Art Vorhut: Frances Haugen hat Teile jener digitalen Dokumente, die sie von Facebook mitnahm – die Rede ist von umgerechnet Zehntausenden Seiten Material –, nämlich danach auch noch weiteren Redaktionen zugänglich gemacht".

Schreibt spiegel.de über die "Facebook Files". Wobei zu diesen weiteren Redaktionen die des Spiegels vorerst nicht gehört, dafür die ähnlich früh wie CBS, gleich nach dem WSJ, im Boot befindliche Kombi SZ/NDR/WDR. Insofern hat die Süddeutsche nun online eine Subseite zu den "Facebook Files" angelegt und heute gedruckt eine komplette Doppelseite im Feuilleton dazu. Ein sechsköpfiges SZ-Team bereitet "die sieben zentralen Erkenntnisse aus den Facebook Files" auf. Und tagesschau.de, also der NDR-Partner, fasst in vier Punkte, "was Facebook nicht in den Griff bekommt":

"Beispiel Arabisch: Obwohl mehr als 220 Millionen Nutzer arabisch sprechen und damit die drittgrößte Gruppe auf den Plattformen stellen, fehlen akut Moderatoren für die verschiedenen Länder. In einer internen Studie wird kritisiert, dass die Moderatoren vor allem aus Marokko und Syrien kommen, die aber Inhalte beispielsweise aus dem Jemen oder der Golfregion nicht wirklich einordnen können. ... Auch die Entwicklung von künstlicher Intelligenz, die Hass und Hetze aufspüren soll, bevor die Inhalte Nutzern gezeigt werden, ist in anderen Sprachen teuer und sehr mangelhaft. Auf arabisch können die Algorithmen beispielsweise nicht zwischen Koranzitaten und tatsächlichen Aufrufen zu Gewalt differenzieren ..."

Mehr Aufschluss gibt dazu einer (€) der SZ-Artikel:

"Was der Algorithmus von Facebook und Instagram als Aufruf zu Gewalt liest, sind in Wahrheit ebenso fromme Aussagen. Die Programme reagierten auf Worte wie 'Märtyrer' und 'Krieg', ohne zu erkennen, dass es sich um Koran-Zitate handelt, die muslimische Nutzer während der heiligen Wochen millionenfach posten. Der Fall zeigt: Die von Mark Zuckerberg viel beschworene Automatisierung zum Aufspüren von Hass und Hetze bei Facebook funktioniert. Manchmal sogar zu gut. Die Fehlerquote zu Ramadan sei ein klassischer Fall von 'overenforcement' ...",

zitiert dieser Artikel aus den geleakten Dokumenten. Was zeigt, dass die längst eingetretene Situation viel komplizierter ist. Wenn sog. KI oder menschliche Moderatoren "zwischen Koranzitaten und tatsächlichen Aufrufen zu Gewalt differenzieren" könnten, wie sollten sie sich dann verhalten? So, wie es das saudi-arabische Folterregime gerne hätte, das ja einen lukrativen Markt regiert, so, wie es die jeweilige US-amerikanische Regierung gerade empfiehlt, oder nach deutschen Gesetzen? Bekannte Standorte arabischsprachiger Facebook-Moderation befinden sich in Casablanca und in Essen.

Das ist also ein weites Feld. "In den kommenden Wochen werden weltweit viele Geschichten über das Leak erscheinen", heißt's in der SZ. Noch eine Übersicht zum aktuellen Stand bietet netzpolitik.org, und dort wiederum weiterführende Links: "Ein Motor für Desinformation sind hochaktive Nutzer:innen, die gleich über mehrere Accounts Inhalte verbreiten. Wie eine Recherche von Politico zeigt, wusste Facebook davon."

Politico? Das ist doch die neuerdings 100-prozentig im Besitz von Axel Springer befindliche Medienmarke!

Die aktuellen Springer-Fragen

Der Springer-Konzern bleibt ein großes Medienmedien-Thema.

Ex-Grimmeinstituts-Chef Bernd Gäbler beginnt sein Interview in Deutschlandfunks "@mediasres" (nur Audio) mit einem herzlichen Lachen, das sich durch schöne Sprachbilder wie das, dass mit der Bild-Zeitung nun "das Standbein von Springer ... zunehmend zum Klotz am Bein" werde, dann auch rechtfertigt.

U.a. geht es um die Rolle der Medienkritik. "Drei Leute von KKR im Springer-Aufsichtsrat werden am Ende mehr bewirken als 100 Medienkritiker", sagt Gäbler. Tatsächlich verdient, was KKR betrifft, also den New Yorker Finanzhai, dem Springer fast zur Hälfte gehört, ein Interview Aufmerksamkeit, das das manager magazin, bekanntlich eine Medienmarke des Spiegel-Verlags (der bekanntlich bei den Springer-/Bild-Recherchen wieder vorn dabei ist), just vergangene Woche mit zwei "KKR-Partnern" führte. "Partner" ist in der KKR-Hierarchie als Hierarchiestufe noch oberhalb von Geschäftsführern zu verstehen. "Wir vertrauen Mathias voll und ganz", lautet der Partner-Satz, der noch oberhalb der Bezahlschranke steht

Eine andere der offenen Springer-Fragen lautet, ob Springer-Chef Döpfner auch Präsident des Zeitungsverleger-Verbands BDZV bleiben wird. Da "beginnt ein allmählicher Absetzungsprozess", sagt Gäbler und glaubt, Döpfner werde bei der nächsten Wahl, die erst 2024 stattfinden dürfte, einfach nicht nochmal antreten. Der Tagesspiegel hakt ein, indem er vom Verbands-Vizepräsidenten sowie Madsack-Geschäftsführer Thomas Düffert geäußerte Kritik an Döpfner nochmals zitiert. Eigentlich aber hätten "der Verband und seine Mitglieder derzeit ganz andere Sorgen, nämlich die drastisch steigenden Papierpreise und die "staatliche Unterstützung bei den Zustellkosten", über die 2020 zwar länger, aber letztlich völlig ergebnislos diskutiert wurde. Und: "Nach dem Regierungswechsel im Bund müssen zudem die Kontakte neu sortiert werden."

Da könnte Düffert gewiss helfen. Größter Madsack-Gesellschafter ist ja die langjährige Regierungs- und mutmaßlich künftige Kanzler-Partei SPD.

Was einen der vergleichsweise kleineren Fische der Presseverlage-Landschaft betrifft, den Ippen-Verlag (der mit seiner spektakulären Nicht-Veröffentlichung der spektakuläreren Recherchen seiner Investigativreaktion die aktuelle Springer-Aufregung anstieß), verdient  eine "Transparenzhinweis"-Aktualisierung Aufmerksamkeit. Ippens Medien werden die inzwischen wohl weitgehend anderswo veröffentlichen Springer-Recherchen selbst nicht mehr veröffentlichen, doch ihre Reporterin Juliane Löffler "wird weiterhin zu Machtmissbrauch in der Medienbranche recherchieren."

Mal wieder ein Medienkongress

Wenn Sie das Gäbler-Audio ganz gehört haben: Da wurde auch eine aktuelle Markus-Söder-Rede erwähnt. Jawohl, der ehemalige Kanzlerkandidat der Herzen hat eine Was-mit-Medien-Rede bei den Münchener Medientagen, die gestern als "hybrider" Medienkongress begannen, gehalten.

Dazu fällt auf, dass die Süddeutsche, die am Veranstaltungsort erscheint, nix berichtet. Dafür hat die FAZ eine halbe Spalte (Blendle), derzufolge Söder sowohl die "Medien im Wahlkampf" kritisierte als auch Facebook ("'Die Algorithmen müssen verändert werden.' Wer einmal Unsinn anschaue, werde 'immer mit Unsinn bombardiert'..:"). Eine knappe dpa-Meldung steht bei horizont.net, ein Autorenbericht zu den Eröffnungsveranstaltungen bei dwdl.de ("... Den Anspruch, ebenso wie die Öffentlich-Rechtlichen hohe Qualität zu liefern, vermisse er bei den sozialen Medien komplett, sagte Vodafone-Chef Hannes Ametsreiter. 'Das ist ein Verstärker, ein Trampolin für zum Teil gesellschaftlich nicht akzeptierte Nachrichten.'"). Darüber, ob "akzeptiert" in diesem Kontext eine glückliche Formulierung ist, müssten der Vodafone-Chef und sein PR-Team vielleicht noch mal nachdenken. Klingt insgesamt so, als müsste niemand bedauern, in diesem Kino (Bild 2 der feschen Fotostrecke der Bayerischen Staatskanzlei) nicht dabei gewesen zu sein.

Über Eckart Stein nochmal

Vor zwei Wochen hatte ich mich an dieser Stelle (unter der Überschrift "Als das 'Kleine Fernsehspiel' echt groß war ...") darüber gewundert, dass es kaum Nachrufe auf Eckart Stein gab. Inzwischen stehen in der "ZDF-Chronik" fünf Zeilen zu Stein (wenn man in der nicht sehr zum Lesen einladenden Meldungs-Aufzählung den "17. September" aufklappt). Und es ist ein noch ausführlicherer Nachruf als der hier zitierte von Willi Winkler erschienen.

Dietrich Leder, einer der besten Kenner der längerfristigen Medien-Zeitgeschichte, schildert in der Medienkorrespondenz das Wirken Steins, der "Das kleine Fernsehspiel" bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 leitete ("Ihm, der den Mainzer Sender in- und auswendig kannte, stand der Sinn nicht nach Aufstieg"), und in dieser Redaktion Filme so unterschiedlicher Filmemacher wie Achternbusch und Fassbinder, Helke Sander und Chantal Akerman ermöglichte:

"Manche, die damals die Produktionen dieser Redaktion gesehen haben, werden sich noch an den von Jan Lenica gestalteten Zeichentrickvorspann erinnern ...: An einem Kopf, der in Seitenansicht zu sehen ist, sprießen Blumen mit Blüten aus Augen und Ohren. Man kann diesen Vorspann programmatisch sehen: Das, was da mit dem Untertitel 'Studioprogramm' oder 'Kamerafilm' angekündigt wurde, bedurfte der wachen Sinne des Sehens und Hörens. Es verlangte den Zuschauern etwas ab, die neugierig auf ungewöhnliches Fernsehen waren, die staunen konnten und sich auch mal irritieren lassen wollten, die sich den autonomen Bildern und Tönen anvertrauten, die von Filmkünstlern gestaltet worden waren ..."

Das relevanteste kulturelle Gedächtnis enthält diesen Vorspann. Es ist natürlich kein öffentlich-rechtliches, sondern Youtube.

(Und wenn wir bei Nachrufen sind: die der kirchlichen Mediendienste auf Gerd Ruge sind ebenfalls erschienen. Den der MK verfasste ebenfalls Leder; für epd medien schildert mit Uwe Kammann ein weiterer Ex-Grimmeinstituts-Chef, wie Ruge einst den WDR mit aufbaute: "Als dann Köln der rheinische Brückenkopf des Senders wurde", des NWDR, "sah er seine Chance: noch mehr Aufbruch und Spielraum bei nur 35 Mitarbeitern, wo es in Hamburg schon vierzehnmal so viele waren. Hart waren die äußeren Bedingungen, der leere Magen bekam Grießbrei und Bluna ...")


Altpapierkorb (Bundestag im Fernsehen, MdB-Berater, "Trusted Flagger", "Maithink X")

+++ Wie sagte Heiner Müller? Natürlich sind zehn Deutsche klüger als fünf, oder war's andersrum? (Siehe hier im muellerbaukasten.de, ganz unten). Jedenfalls ist der neue Bundestag noch größer als der bisherige, und heute tritt er erstmals zusammen. Im Tagesspiegel kommentiert Joachim Huber etwas hin und her gerissen, was unsere ARD zur heutigen Parlaments-Eröffnung sendet, ausfallen lässt (eine "Wer weiß denn sowas?"-Wiederholung) und nicht ausfallen lässt ("Rote Rosen"!). +++

+++ Wer von der gewachsenen Größe des Bundestags profitieren könnte, zumindest wenn man den Giovanni di Lorenzo-Satz von der "maßgeschneiderten Aufgabe" ernst nimmt, den meedia.de zitiert: Journalisten. Es geht darum, dass Georg Blume, der einst für die taz aus China berichtete und zuletzt für die Zeit arbeitete, "neuer Berater der grünen Bundestagsabgeordneten Sandra Detzer" wird. +++

+++ Über ein Arbeitsgerichts-Urteil zu einem "MeToo-Vorwurf beim SWR" bzw. in einem Seitenstrang dieses Falls berichtet die taz. +++

+++ Ein Brief, in dem sich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, einer "Junior-Gag-Autorin" wegen über den Umgang des ZDF mit Antisemitismus sorgt , ist Thema bei FAZ und Welt. +++

+++ Die bei Youtube einst wichtigen "Trusted Flagger", "auf Deutsch: vertrauenswürdige Hinweisgeber:innen", fühlen sich abserviert, übersetzt und berichtet netzpolitik.org. +++

+++ "Ein echter Gewinn für das Fernsehprogramm" (Süddeutsche), "eine Premierensendung, die letztlich viel besser war als die ersten Minuten befürchten ließen" (dwdl.de), lauten Kritiken zu Mai Thi Nguyen-Kims ZDF-Show "Maithink X". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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