Teasergrafik Altpapier vom 12. Januar 2022: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 12. Januar 2022 Unterhalten, informieren, begeistern

12. Januar 2022, 09:55 Uhr

Eine führende Privatsender-Gruppe hat sich einen früher prominenten Zeitschriftenverlag einverleibt. Belebt das den Wettbewerb im medialen Entertainment? Google hat noch einen prominenten Zeitungsverlag in sein Boot geholt. Und ein unscheinbares neues Gesetz namens TTDSG sorgt für Ärger. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Bertelsmann dreht weiter auf

"Deutschlands führendes Entertainmentunternehmen" – das ist ja wohl unsere ARD mit ihrem Fernseh-Leuchtturm "Das Erste". Zumindest solange noch genug frische Quizshow-Aufzeichnungen mit Jörg Pilawa auf ihre Erstausstrahlung und anschließende Wiederholungen in den Dritten harren (also bis mindestens Mitte des Jahres ...) Na ja. Seit gestern gibt's einen noch stärkeren Wettbewerber, der ganz offiziell etwas hat, was ARD und ZDF nicht haben: gedruckte Presse.

"Durch die Zusammenführung von RTL Deutschland und Gruner + Jahr zu Jahresbeginn ist Deutschlands führendes Entertainmentunternehmen über alle Mediengattungen entstanden. Mit 15 TV-Sendern, 50 Printmagazinen, 17 Radiosendern, 75 digitalen Angeboten, einer Podcastplattform und dem Streamingangebot RTL+ bietet es eine in Deutschland einzigartige Medien- und Markenvielfalt. ... Mit seinen 1.500 Journalist:innen und seinem Bekenntnis zu Qualitätsinhalten stärkt das Medienunternehmen den Meinungspluralismus in Deutschland. In Köln, Hamburg, Berlin und an 14 weiteren deutschen Standorten arbeiten 7.500 Mitarbeiter:innen am Erfolg des neuen Unternehmens, das auf positive Unterhaltung und unabhängigen Journalismus setzt",

heißt es in einer Pressemitteilung von Bertelsmanns RTL. Die Kölner Sendergruppe hat die Hamburger Verlagsgruppe nun offiziell eingemeindet. Weiter unten in der PM ist dazu ein dank seiner einminütigen Kürze sehenswertes Image-Video eingebunden. Gar eine Stunde dauerte die gestern "im Intranet übertragenen Feierstunde", von der dwdl.de meint: "Es war ein Vormittag der Symbolik". Zu dieser Fusions-Symbolik gehört ganz besonders ein Teekesselchen, also Doppelbedeutungs-Wortspielchen um "nachhaltiges Wachstum": einerseits im echten Wald, andererseits betriebswirtschaftlich.

Würde man geschriebene Worte der Jubel-Verlautbarung, in der dann auch noch der von den beiden Co-Chefs Matthias Dang und Stephan Schäfer persönlich zitierte Satz "Gemeinsam wollen wir die Menschen in Deutschland unterhalten, informieren und begeistern", äh: begeistert (oder doch eher informiert?), auf die Goldwaage legen, könnte man denken, dass Journalismus jetzt aber wirklich zu einem Subgenre des medialen Entertainments wird.

Aber das sind ja langlaufende Entwicklungen. Die über einige Jahrzehnte hinweg ziemlich große Bedeutung des Zeitschriftenverlags Gruner + Jahr schrumpfte schon vor der Fusion – sowohl dadurch, dass bedrucktes Papier als Hochglanz-Leitmedien-Träger von Displays überholt wurde, als auch durch unternehmerische Entscheidungen. Im Imagefilmchen müssen nun Zeitschriften und Internetauftritte wie Guido und Beef versinnbildlichen, was Gruner + Jahr eigentlich ist.

Zumindest steht ARD und ZDF jetzt ein sich stark gerierender, aber auch tatsächlich kraftvoller Wettbewerber gegenüber. Spannend könnte werden, wie die Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem Rundfunkbeitrags-Privileg sich dazu positionieren. Also ob sie sich zum Beispiel trauen, beim positiven, begeisternden etc. Unterhalten einer- und Informieren andererseits klar andere Prioritäten zu setzen als Bertelsmanns "führendes Entertainmentunternehmen" es tut.

Google wird dank Madsack noch dominanter

Über eine, auch was Geldströme betrifft, spannende laufende Auseinandersetzung liest man eher wenig in den redaktionellen Medien. Schon deshalb, weil die beteiligten Unternehmen zwar rege, aber ebenso diskret und jeweils: jede für sich verhandeln. Entsprechend lassen sie in ihren Medien wenig bis nichts davon verlauten. Wenn schon, dann geschieht das in den Pressemitteilungen wie etwa dieser. Nun hat eine in Norddeutschland große Regonalzeitungs-Gruppe, die auch das überregionale "RND"-Redaktionsnetzwerk betreibt, sich mit einem News-Aggressor ...  pardon: -Aggregator! -Aggregator! geeinigt:

"Die MADSACK Mediengruppe hat mit Google einen Vertrag über die Teilnahme ihrer Titel an dem News-Aggregator Google News Showcase geschlossen. Damit einher geht eine Vereinbarung im Rahmen des Presseleistungsschutzrechts (PLSR). Über die Details des Vertrags haben die Partner Stillschweigen vereinbart."

Das heißt, dass die Privatmedien-Verwertungsgesellschaft Corint Media nicht mehr im Namen der ziemlich großen Mediengruppe Madsack mit Google verhandeln kann. Bei diesen Gesprächen geht es wie gesagt um das inhaltlich diffuse, doch in Deutschland inzwischen (wieder) geltende Leistungsschutzrecht. Insgesamt fordert die Verwertungsgesellschaft 420 Millionen Euro von Google (vgl. Altpapier-Jahresrückblick zu den Medienkonzernen). Diese Zahl basiert auf Berechnungen, denen zufolge Google im Jahr 2020 in Deutschland rund neun Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet habe. Ob das ungefähr zutrifft oder die Einnahmen (die im Corona-Jahr 2021 jedenfalls gestiegen sein dürften) darunter oder darüber lagen, dürfte unklar bleiben, weil ein Erfolg des Corint-Ansinnens durch Madsacks Ausscheiden noch unwahrscheinlicher geworden ist. Wohl auch fürs Bundeskartellamt, das den Google-Konzern wegen dessen "überragender marktübergreifender Bedeutung" sowie des "Infrastrukturcharakters" vieler seiner Dienste unter "erweiterte Missbrauchsaufsicht" genommen hat.

An dieser Stelle passt vielleicht nochmals der Hinweis, wer "mit rund 23,1%" größter Madsack-Gesellschafter ist: Über die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft ddvg ist das die Bundeskanzler-Scholz-Partei SPD.

Googles Strategie des Teilens (im doppelten bis dreifachen Sinne), Stillschweigens und Weiterausbauens der Dominanz geht weiterhin auf. Der Suchmaschinen-Konzern freut sich,  inzwischen "Lizenzverträge für fast 60 Publikationen in Deutschland" abgeschlossen zu haben. Zu denen zählen (außer Madsack mit der Hannoveraner HAZ) schon länger Medien wie die FAZ und die taz (und übrigens auch zur "gemeinnützigen unabhängigen Redaktion Correctiv", um die es im Altpapierkorb erneut gehen wird).

... und dank des neuen Gesetzes TTDSG

Zu den Gründen, aus denen Konzerne wie Google/Alphabet laufend steigende Milliardeneinnahmen schöpfen können, gehört, dass im Internet und auf mit dem Internet verbundenen Geräten jegliche Aktion gemessen werden kann und gemessen wird. Wer sehr viele Dienste anbietet, die von sehr, sehr vielen Menschen genutzt werden (z.B., weil auf sog. Smartphones mit Googles Betriebssystem Android jede Menge kaum abschaltbare Google-Angebote vorinstalliert sind), kann sich eines laufend weiter wachsenden Datenschatzes sowie an dessen Aus- und Verwertung erfreuen. Datenschutz-Bemühungen helfen allenfalls begrenzt.

Zum Beispiel sind "Visits" keine "Page Impressions". Sondern aus einem Besuch eines surfenden Menschen bei einem Internetauftritt können allerhand Impressions entstehen. Das ist der Stand der Reichweitenmessung im Internet – oder war es bis zum Montag, als "bei der ehrwürdigen Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) eine neue Ära eingeläutet" wurde, wie meedia.de bitterlich beklagt:

"Der Datenschutz, der schon an vielen Stellen für Probleme sorgt, tritt hier erstmals auch als Verhinderer von wichtigen transparenten Branchendaten zu Tage. Nicht komplett, aber doch zu einem gewissen Anteil. Das Schlimme daran: Der Datenschutz verhindert hier nichts, was auch nur einem Verbraucher schaden würde. Die Messungen der IVW hat nie personenbezogene Daten erfasst. Es handelt sich um komplett anonyme Messung."

Die Online-Daten der IVW (die ja etwa den kontinuierlichen Auflagen-Rückgang so gut wie aller Zeitschriften und Zeitungen akribisch misst) verlören so "einen Teil ihres Rufes als hundertprozentig objektiv nachvollziehbar gemessen". Anschließend macht meedia.des Jens Schröder in seiner Kritik am "Vergöttern des Datenschutzes " auch noch ein Corona-Fass auf. Auch ohne diese Baustelle zu betreten, lässt sich feststellen, dass es sich das seit Dezember neu geltende, selbst hier im Altpapier ziemlich unbeachtete Gesetz namens "Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz" TTDSG (das auch dwdl.de erläutert) vor allem so auswirkt, dass es bestehende Machtverhältnisse zementiert. Internetportale, die sich (wie die allermeisten, die nicht aus dem Rundfunkbeitrag finanziert werden) über Werbung finanzieren, haben dafür weniger eigene Daten zur Verfügung. Und die von Datenschutzbehörden wie Kartellwächtern insgesamt kaum überblickbare Datenschätze, die Google und Co laufend weiter sammeln, werden noch konkurrenzloser.

Übrigens ist es immer interessant, in die Hot Hundred der deutschen Internetnutzung, die Schröder für meedia.de (hier, unterhalb einer weiteren TTDSG-Wutrede) auf IVW-Datenbasis ermittelt, hineinzuschauen. Da zeigt sich gut, was für eine Nebenrolle Journalismus im engeren Sinne im Online-Entertainment längst spielt.


Altpapierkorb (Strukturverwischung, "Journalistische Berichterstattung bei Einsatzlagen", 150.000 NetzDG-Strafverfahren, ON!, Ippen)

+++ Den noch bis übermorgen zur Online-Diskussion stehenden "Diskussionsentwurf zu Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" einen "schlechten Witz" nennt auf der FAZ-Medienseite (Abo) mit Hans-Günter Henneke ein Mitglied des ZDF-Fernsehrats. Henneke ist als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages im Gremium vertreten. Die Rundfunkpolitik der Bundesländer versuche sich "in einem strukturverwischenden 'Schwarze-Peter-Spiel' zulasten der Rundfunkanstalten und deren Gremien, wodurch bisherige Verantwortungsstrukturen verunklart werden", schreibt er in dem scharf formulierten, aber konstruktiven Beitrag zur eher schläfrigen Diskussion. +++

+++ Die Journalistengewerkschaft DJV hat das Faltblatt "Journalistische Berichterstattung bei Einsatzlagen – Informationen für Medienschaffende und Polizeieinsatzkräfte" veröffentlicht, das sich hier runterladen lässt und u.a. zeigt, wie der "bundeseinheitliche Presseausweis (bePA)" aussieht. Damit will der DJV erreichen, dass die Polizei Journalisten schützt, statt sie aufzuhalten oder ihre Kameras zu beschlagnahmen. Von der Pressekonferenz, auf der der DJV-Vorsitzende Frank Überall von Vorfällen bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sprach (u.a.: "Ein neuer Trend sei, mit mitgebrachtem Licht Kameras von Kolleg:innen zu blenden"), berichten u.a. taz und Tagesspiegel. +++

+++ Das schon (als Googles Showcase-Vertragspartner) erwähnte correctiv.org hat einen "Offenen Brief an die CEO von" Googles "YouTube von Faktenprüfern aus der ganzen Welt" mit unterzeichnet. "Das klingt sehr ehrenwert, ist sicherlich hilfreich, aber auch ebenso dreist. Denn hier wird die Bewerbung für einen Geschäftsbesorgungsvertrag als Dienst am Gemeinwohl und sonst gar nichts deklariert", meint Michael Hanfeld in der FAZ.

+++ In den Startlöchern steht die neue "Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet" (ZMI). "Rund 200 Beamtinnen und Beamten unter dem Dach des BKA" erwarten ab 1. Februar "rund 250.000 Meldungen" und "150.000 neue Strafverfahren" nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, also jener Ergänzung des NetzDG, der zufolge "soziale Netzwerke strafbare Inhalte nicht mehr wie bisher lediglich löschen, sondern an das BKA melden müssen". Das melden taz/epd und das RND. Ob dieses neue Gesetz, gegen das Google und Facebook klagen, eher hilft oder eher schadet, dürfte in Kürze ein großes Thema werden.

+++ Im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es zwar sehr viele Programme, aber keins "für die Wähler der Rechtsaußen-Parteien". So etwas gibt es mit Ongehoord Nederland/ ON! jetzt in den Niederlanden, berichtet die SZ-Medienseite.

+++ Und wie Medien insbesondere des Ippen-Verlags dafür sorgen, "dass tatsächlich interessante Nachrichten aus der Welt der (Astro-)Physik in einem Artikelsumpf über andere Universen, Signale von Aliens, zweite Erden oder ähnliches versinken", schildert verärgert bei uebermedien.de (€) Tim Vollert. Wobei in den oben verlinkten Hot 100 der deutschen Internetnutzung Ippen übrigens auf einem guten Top-Ten-Platz rangiert ...

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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