Altpapier vom 27. April 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 27. April 2022 Filter Coffee Not People

(alter Kaffeetassenspruch)

27. April 2022, 10:30 Uhr

Das Uploadfilter-Urteil platzt mitten in die Diskussion um den Wert von Meinungsfreiheit. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Bedeuten Filter Zensur?

Erst mal ne gute dampfende Tasse Uploadfilterkaffee. Normalerweise nehme ich ihn schwarz, heute ausnahmsweise mit Senf aus verschiedenen Quellen. Hier ist, was bislang über die vom Europäischen Gerichtshof abgewiesene polnische Klage gegen einen Artikel, der den Einsatz von Uploadfiltern erlaubt, berichtet wurde (zugegeben, so klingt der Satz unschön kompliziert, aber ich wollte den Sachverhalt zumindest einmal trocken ausformulieren, man kann der Einfachheit auch einfach sagen: Uploadfilter werden kommen, und wer wissen will woher, könnte zum Beispiel dieses Altpapier aus dem letzten Jahr lesen). Der Spiegel erklärt in seinen Eingangsworten:

"Die heftig umstrittene EU-Urheberrechtsreform ist nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) rechtmäßig. Das Gericht in Luxemburg wies am Dienstag eine Klage Polens gegen den bekanntesten Teil der Reform ab – den »Uploadfilter«-Artikel 17. Es verwies darauf, dass die Regelung angemessene Garantien vorsehe, um das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit auf Plattformen wie YouTube zu wahren (Rechtssache C-401/19)."

Und schreibt zum Hintergrund der Debatte:

"Bürgerrechtler und Gegner von Artikel 17 (ehemals Artikel 13) bemängelten vor allem, dass Plattformen wie YouTube schon beim Hochladen prüfen müssen, ob Inhalte urheberrechtlich geschützt sind. Das sei nur über Filter möglich, bei denen die Gefahr bestehe, dass mehr als nötig aussortiert werde, was einer Zensur gleichkäme."

Zensur ist das Wort, auf das man hier besonders achten muss. Der Spiegel (und auch die Zeit, hier) zitiert einen Experten dazu:

"Felix Reda, Leiter des Projekts control © bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, hält das Urteil für nicht ausreichend: »Der Europäische Gerichtshof schließt den Einsatz von Uploadfiltern nicht gänzlich aus, um das Urheberrecht auf Onlineplattformen durchzusetzen«. Immerhin bestätige das Gericht, »was die Zivilgesellschaft seit Jahren betont: Uploadfilter sind nicht in der Lage, zuverlässig zwischen Urheberrechtsverletzungen und legitimen Formen der freien Meinungsäußerung wie Parodien oder Zitaten zu unterscheiden«"

Was ist ein unfreies Netz?

So, jetzt sind wir alle wieder schön drin im Thema, hurra.

Der Tagesspiegel zitiert ebenfalls mehrere Kritiker, und zwar gleich als (etwas sperrigen) Titel des Beitrags: "Unzulässige Einschränkung für das Recht auf freie Meinungsäußerung" ist ein Zitat des "Internet-Branchenverband eco", und der

"wertet das Urteil als schlechtes Signal und 'unzulässige Einschränkung für das Recht der Nutzer:innen von Diensten auf das Teilen von Online-Inhalten, auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit'",

währenddessen der

"IT-Verband Bitkom kritisiert, dass 'Uploadfilter faktisch bestehen bleiben, was dem Grundgedanken des freien Internet diametral gegenübersteht'." 

Puha. In der Zeit wird das Problem, das diesem komplizierten Diskurs zugrunde liegt, so auf den Punkt gebracht:

"Auch der EuGH räumt ein, dass die Regelung die Grundrechte einschränken könne. Dies sei aber durch das Ziel gerechtfertigt, geistiges Eigentum zu schützen. Außerdem habe der Unionsgesetzgeber im Gesetzestext 'präzise Grenzen für die Maßnahmen aufgestellt'."

Gehört der Schutz geistigen Eigentums zu den Grundrechten?

Darin steckt, neben den beiden Nachtmahren "Zensur" und "unfreies Internet", des Pudels Kern: Geht es hier tatsächlich um die Abwägung von Grundrechten gegen den Schutz des geistigen Eigentums? Beziehungsweise – ist der Schutz des geistigen Eigentums nicht auch ein Grundrecht? Das Ganze ist reinste Medienphilosophie um den großen Begriff Freiheit, herrlich. (Und die Diskussion wird weitergehen, seit Elon Musk angekündigt hat, sich das 44 Milliarden-Dollar-Twitter-Schnäppchen zu leisten, um die "Meinungsfreiheit" zu retten, vor allem wenn Musk seinerseits weiterhin Twitteruser sperrt, wie zum Beispiel den Teenie, der unter #ElonJet immer fleißig twittert, wo der Milliardärsjet gerade gelandet ist, wie hier die NZZ und hier die Technikwebsite protocol berichtet, hihi.)

Noch mehr Interessantes zum Thema Uploadfilter wusste jedenfalls der Musikjournalist Mike Herbstreuth in einem Gespräch bei Deutschlandfunk Kultur (hier zum Nachhören): Die US-Polizei spiele bei Einsätzen zuweilen nicht-rechtefreie Musik ab, gar BESONDERS nicht-rechtefreie Musik, zum Beispiel Songs, die dem mit massiver Anwalt-Power bekanntlich nicht geizenden Disney-Konzern gehören. Der Grund soll sein, dass so Handyvideos von ihren Einsätzen nicht bei YouTube landen können, weil der Uploadfilter, der die Disney-Urheberrechte schützen soll, das Video aussortiert. "Zensur durch Urheberrecht" nennt das Herbstreuth. Und damit könnten die Polizisten quasi ungehindert auf friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten einprügeln oder racial profiling betreiben bis sich die Balken biegen, und keiner kann das im Internet teilen und bezeugen, weil im Hintergrund Randy Newmans "You got a friend in me" aus "Toy Story" (besonders perfide!) oder "Let it go" aus "Frozen" läuft. Gruselig und sehr Anthony Burgess-A Clockwerk-Orange-mäßig. Irre auch, dass angeblich sogar Beatles-Songs dazu missbraucht werden, sagte der Kollege, aber nicht, welche – ich tippe mal auf "Revolution". Hier ist der diesbezügliche Originalbericht von CNN:

"Councilmember Johnathan Ryan Hernandez said (…) he wants lawmakers to ban the alleged practice after a viral video from early April showed officers apparently blasting loud music on a residential street in Santa Ana while investigating a report of a stolen vehicle late at night. (…) Disney songs, such as 'You Have a Friend in Me' from Toy Story and 'Bruno' from Encanto, can be heard in the video posted to Santa Ana Audits, a YouTube channel dedicated to filming interactions with Santa Ana Police. Videos posted to YouTube and other video hosting sites are often monitored for potential copyright infringement and risk being removed, therefore limiting how widely the content, like the Santa Ana police interaction, could be shared online.”

Schützen Uploadfilter prügelnde Polizist:innen?

Dass es dort überhaupt einen Extra-YouTube-Channel nur für gefilmte "Polizei-Interaktionen" gibt, ist schon sehr beängstigend. Aber notwendig, wie wir alle wissen und CNN auch nochmal ausführt:

"The tactic of playing loud music comes as officers are under scrutiny following the rise of bystanders filming police activity. Incidents like George Floyd’s death have emphasized the importance of recording these interactions and have even spurred some groups to publish apps that help preserve video.

(Über genauso eine App gibt es hier einen kleinen Bericht.) Und das steckt auch alles in der Uploadfilterdiskussion!

Nochmal kurz zurück zum Beitrag bei Deutschlandfunk Kultur. Die Qualität der Uploadfilter sei nämlich noch so dürftig, dass (zum designierten Ärger der latent prügelfreudigen Polizei) einiges an Musik einfach nicht erkannt werde, wusste der Kollege:

"Die Ordnungshüter überschätzten offensichtlich, wie gut die Uploadfilter seien: 'Wenn das unbestimmt aus einem Auto irgendwo im Hintergrund übersteuert krisselt, dann kapieren die Algorithmen das offensichtlich nicht.'"

Dabei sollte man doch denken, dass diese Filter mindestens so gut sind wie Shazam, und diese fuchsschlaue App wiederum prökelt ja so ziemlich jeden musikalischen Ton aus lauten, vor Stimmengewirr und Glasscheppern nur so brummenden Kneipen und sagt einem, was irgendwo dahinten läuft.

Spielt jede:r algorithmisch so gut wie Chopin?

Noch eine weitere Sache in dem Gespräch fand ich erstaunlich: Angeblich würden die rigorosen Uploadfilter auch rechtefreie klassische Musik zuweilen aufspüren und blockieren, so dass laut dem Experten folgendes passieren könne:

"'Wenn ich Klavier spielen könnte, ein aufstrebender Pianist wäre und ein Konzert von Chopin spielen und auf meinem YouTube-Kanal hochladen wollen würde, dann kann es sein, dass dieses Video vom Filter geblockt wird', erläutert der Journalist: 'Weil ein Klassik-Label vielleicht genau dieses Pianokonzert von Chopin mal auf YouTube veröffentlicht und es so ins Filtersystem geladen hat.'"

Das wundert mich tatsächlich. Denn ich hatte bislang gedacht, dass nur die ganz spezielle, unverkennbare Frequenzsignatur, quasi der Fingerabdruck einer einzigen Version eines Stücks, beispielsweise des "Grande Valse Brillante" von Chopin in der makellosen Interpretation von Arthur Rubinstein den Algorithmus zu ebendieser Interpretation bildet. Und dass dann eben auch nur diese über das Label bei der GEMA gemeldete Version zu einem Suchergebnis beim Uploadfilter (oder bei Shazam) führt.

Das bedeutet, wenn eine Klavierlehrerin aus Herne (nichts gegen Herne…) versucht, mit dem Grande Valse Brillante so zu brillieren, wie der große Meister Rubinstein, dann passiert nichts, weil sie, und weil eben niemand so spielt wie Rubinstein mit seinen flinken fleckigen Fingern. Die Klavierlehrerin kann also hochladen bis die Ärztin kommt, erst wenn sie sich ans weiße Pianoforte setzt, bedeutungsvoll guckt, und die Finger über die Tasten fliegen lässt während im Hintergrund heimlich eine Rubinstein-spielt-Chopin-Platte läuft, wird das Video gesperrt. Vielleicht sollte man das mal ausprobieren, eine Probe aufs Exempel machen und fleißig selbstgespielte Interpretation von Chopins Hits hochladen, nur um zu gucken, ob das geht. (Allerdings würde der hübsche Minutenwalzer bei mir ungefähr 10 Stunden dauern. Das würde sich also quasi von selbst sperren, aus Geschmacksgründen. Dazu ist weder ein Algorithmus noch ein Uploadfilter nötig.)

Altpapierkorb (... mit einer Klimacharta, Piers Morgan und Donald Trump, und einem Musk-Kommentar in 280 Zeichen)

+++ Der Tagesspiegel berichtet über eine neue "Klimacharta" von Journalisten und Journalistinnen, die den Klimajournalismus stärken wollen.

+++ Piers Morgan, der "Krawallmoderator" ist zurück, trifft Donald Trump und nervt auf allen Ebenen, weiß die FAZ.

+++ Und "medienadäquat" eingeordnet hat die Chefredakteurin der taz Elon Musks Shoppingtour – sinnigerweise in einem Tweet, das versteht er zumindest. "Milliardär @elonmusk hat #Twitter gekauft, und plötzlich finden alle schrecklich dass ihr Lieblings-Medium in privater Hand ist? Uh oh das Ende der differenzierten Debatte droht? Wenns schlimm wird: Es gibt so viele Orte, wo wir täglich andere Leute belehren können! #HelloGoodbye"

Neues Altpapier kommt am Donnerstag.

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