Das Altpapier am 8. Juni 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Jenni Zylka
Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Das Altpapier am 8. Juni 2022 Müde Königin ohne Räder

08. Juni 2022, 11:59 Uhr

Sämtliche Medien überschlugen sich am letzten Wochenende mit der Berichterstattung über das Thronjubiläum von Königin Elisabeth II.. Dabei vermischten sich Bewunderung, Kritik und blaublütiges Klassenbewusstsein. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Ignorieren geht nicht

Ein Max Goldt-Zitat schadet nie. Insofern:

"Na, so eine komische Königin /Die hat ja Räder untendran / Na, das ist ja eine Königin / Wärst Du da gerne Untertan?"

Schon ist man mitten ins Problem gerollt. Denn bei einem Thema wie dem 70jährigen Thronjubiläum gilt: Man kommt nicht drum rum, ob Royalist oder Royalistin oder Monarchie-Abolitionist bzw. -in. Es steckt so viel Politik und Gesellschaft unter der Krone, dass das Ignorieren der königlichen Insel-Feiertage schnell in eine allgemeine Ignoranz ausarten würde, in das Verpassen einer Aktualität.

Daran haben sich in den zurückliegenden Feiertagen sämtliche analogen, digitalen und audiovisuellen Medien zwischen Frühstücksfernsehen und Modemagazin gehalten, und über das Jubiläum (inklusive sämtlicher Picknicks) berichtet, als ob es das letzte wäre, das gefeiert werden kann (obwohl die größtenteils putzmuntere Jubilarin die nächsten fünf Jahre vermutlich auf einer royalen Backe absitzt, und was soll dann zum 75. noch Größeres stattfinden? Eine meterhohe Corgi-Pyramide?).

Wie die royale Familie es geschafft hat, gleichzeitig populär und unpopulär, Popkultur und ihr Feindbild zu sein, hat sich der österreichische Standard in einem Text angenommen:

"Selbst abseits offizieller Anerkennung und Akzeptanz des Unausweichlichen ist die Queen ein Fixstern der Populärkultur geworden, wenngleich es auf dem Weg dorthin nicht immer friktionsfrei ablief."

heißt es da. Denn eigentlich müssten sich Popkultur und Queen abstoßen:

"Die Queen gilt als Sinnbild der Contenance; ihr Leben verläuft entlang einer klar definierten Etikette und entlang festgeschriebener Regeln.(…) Der Popkultur hingegen ist der Regelbruch eingeschrieben. Die Ausschweifungen, die Grenzüberschreitungen, Sex, Drogen und Nasenbohren – zumindest offiziell konveniert nichts davon mit den exakt sitzenden Hüten am Hofe."

Rock ist nicht subversiv

Musikhistorisch interessant ist, wie sehr man an dieser Aussage den Übergang der Popmusik in die Funktion des Rock’n’Roll ablesen kann, der ursprünglich auf Grenzüberschreitungen abonniert war (wie man demnächst in Baz Luhrmanns Feier der Gesten des Rock’n’Roll sehen kann, seinem sinnlichen und herzlichen Elvis-Film). Heutzutage wird Rock’n’Roll jedoch mainstreamkonform von gesetzten Herren gespielt und ebensolchen Damen und Herren rezipiert, so wie am Sonntag in München. Was der Attitüde keinen Abbruch tut, behauptet jedenfalls jubilierend der Rolling Stone:

"Wenn Mick Jagger in diesem typischen Jagger-Stechschritt Bühne und Laufsteg abschreitet, tut er das inzwischen eher gehend als rennend, "Rocks Off" und die höheren Passagen einiger anderer Songs transponiert er, einiges poltert und holpert. All das spielt insofern keine Rolle, weil der tatsächliche Grund, aus dem die Stones sich das alles immer noch antun, in jeder Sekunde dieses denkwürdigen Abends von München offenbar wird: weil sie es lieben, weil es ihr Leben ist, weil sie darin immer noch so unglaublich gut sind."

Aber zurück zu(r) Queen. Denn am letzten Samstag wurde trotz Kolonialvergangenheit, trotz Rassismus bei Hofe und außerhalb, trotz Skandalen und Lügen und Medienklagen in London eine wilde, ganz und gar nicht subversive und unkritische Pop-Party gefeiert, bei der bezeichnenderweise auch die Reste der Band "Queen" zu Ehren ihrer Namensgeberin auftraten, daneben ungefähr jede und jeder Popkunst-Schaffende, der oder die nicht bei drei auf den Zinnen des Palasts ist, wie der Standard weiter berichtet:

"Für Kritiker der royalen Institution verströmt das die Aura von Brot und Spiele. Denn bei allem Verständnis für die schrullige Folklore und die Sympathien, die sie generiert: Königshäuser gründeten sich immer auf Ausbeutung der Armen, der Untertanen. Nur dass sich die milden Revolutiönchen bei den Wahlgängen heute gegen die niederen Vertreter der Parteien richten. Neben ihnen, man denke nur an Boris Johnson, erscheint die Queen natürlich als integre Person."

"The Smiths" waren übrigens immer große Anti-Royalisten, Genau wie die Reste jener Band, die die Queen einst tatsächlich angriff, ihr Konterfei mit ausgerissenen Zeitungsbuchstaben zu einem Mix aus Bekennerschreiben und Raoul Haussman-Collage verschönerte, und ihren größten Hit mit den Zeilen begannen:

"God save the Queen / A fascist regime / They made you a moron / Potential H-bomb

God save the Queen / She ain't no human being / There is no future / In England's dreaming"

Aber diese Band spielte nicht. Soweit geht das Verklären des Skurrilen, das Feiern der Identität, das ironische Ummünzen einstiger Gegenkulturen dann doch nicht. (Hier ist der ganze Sex Pistols-song nochmal zum Nachhören und programmatischen "No Future"-Mitgrölen.)

Adelspflanzen in guter Erde

Wie sehr die mediale Berichterstattung über das royale Pfingstwochenende ins Abgrundtiefe abrutschte, wurde auch an der Entscheidung der Welt-Gruppe klar, neben unzähligen Artikeln noch ein paar Interviews zu veröffentlichen. Zum Beispiel dieses hier, in dem die vom Interviewer als "Eure Durchlaucht" titulierte Fürstin Gloria von Thurn und Taxis unfassbare Dinge über die adeligen Lippen kamen. Unter anderem zum Thema EU, die, laut Durchlaucht, eigentlich den Königshäusern die Idee mit dem wilden Vermischen nur nachgemacht hat, und zum Glück eh ziemlich blaublütig ist:

"Europa ist ein Konglomerat von königlichen Häusern, die untereinander geheiratet haben. Insofern hat der Adel ja die europäische Idee, die wir heute in Brüssel haben schon vorweggenommen mit der Heiratspolitik. (…) So dass wir sagen können, das englische Königshaus ist ja doppeldeutsch. (…) Die englische Königin hat also mehr deutsches Blut als englisches Blut."

Das deutsche Blut rauscht wahrscheinlich jeden Morgen laut ein "Jawoll" in den Ohren der Queen. Und doppeldeutsch hält natürlich eh besser. Später verglich sie den Erhalt des Adels noch mit dem "Züchten" von seltenen Pflanzen, und benutzte die Worte "gute Erde", in die man die seltenen Pflanzen stecken muss. Puh. Ein Welt-Korrespondent diagnostizierte die Absenz der Queen bei einigen Veranstaltungen ihres Jubiläums übrigens ganz simpel:

"Die Königin ist zu müde. Denn es sind eine Menge Stufen für eine 96jährige."


Altpapierkorb (... mit Trans-Streit und Graswurzelrevolution)

+++ Der Tagesspiegel dokumentiert den neuesten Stand bei einem Streit um einen Text zum Thema Transidentität (ein langes Thema, siehe auch AP hier oder hier). Springer hatte nämlich die Idee, diesen Streit durch eine Replik beizulegen:

"Wie bringt man einen unterirdischen Gastbeitrag in der "Welt" von fünf Autorinnen und Autoren zur vermeintlichen 'Sexualisierung' von Kindern durch ARD und ZDF wieder aus aus der Welt? Der Springer-Verlag versucht diese Volte mit einem gegenläufigen Gastbeitrag in seiner Zeitung. Der Bundesbeauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, Sven Lehmann, schreibt in der Montagsausgabe, 'das Pamphlet trieft vor Homo- und Transfeindlichkeit, ist wissenschaftlich nicht fundiert und arbeitet mit Fake News'."

+++ Und ein Jubiläum der ganz anderen Art: Die taz gratuliert der Zeitung "Graswurzelrevolution" zum 50. Geburtstag, und beleuchtet deren konsequent gewaltfreie Haltung vor dem Hintergrund des Angriffskriegs in der Ukraine.

Neues Altpapier kommt am Donnerstag.

0 Kommentare

Mehr vom Altpapier

Kontakt