Das Altpapier am 20. Dezember 2017 Wird jetzt losreguliert?

Facebook bekommt es mit dem Kartellamt zu tun, das im Vergleich zu Datenschützern schärfere Sanktionsmöglichkeiten hat. BBC und Guardian haben juristischen Ärger wegen der Paradise Papers – kann der deutsche Quellenschutz in Großbritannien ausgehebelt werden? RTL holt sich die Formel-1-Rechte. Und in Österreich arbeitet ein unzensuriert.at-Kopf jetzt im Innenministerium. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Früher hieß es, dass die Meldung "Hund beißt Mann" keine sei. Insofern ist die Frage, ob es eine Nachricht ist, wenn es nun über Facebook heißt, das Unternehmen sei

"in der Lage, übermäßig viele Daten über seine Nutzer zu sammeln – ohne deren ausdrückliche Einwilligung".

Vor Überraschung vom Stuhl fällt man da ja erstmal nicht. Allerdings steht die Meldung nicht nur bei der eben zitierten SZ, sondern auch zum Beispiel bei der FAZ auf der Titelseite. Denn manchmal ist halt auch der Überbringer der Nachricht die eigentliche Nachricht, und in diesem Fall handelt es sich dabei um das Bundeskartellamt. Das geht, heißt es, davon aus, dass Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke marktbeherrschend sei. "Der Kern des Vorwurfs der Behörde", so die SZ im Wirtschaftskommentar von Helmut Martin-Jung:

"Die Nutzer müssen, wenn sie dem sozialen Netzwerk beitreten wollen, die Nutzungsbedingungen in Gänze akzeptieren. Entweder das oder eben kein Konto bei Facebook."

Auftakt für die Facebook-Regulierung?

Das Kartellamt selbst sieht nach eigenen Angaben "vor allem die Datensammlung außerhalb des sozialen Netzwerks von Facebook und ihre Zusammenführung mit dem Facebook-Konto als problematisch an". Meedia fasst das zusammen: "Facebook darf die Daten von WhatsApp, Instagram oder anderen Drittseiten nicht mit den eigenen Beständen mischen." So weit ist es allerdings längst nicht, es handelt sich erst einmal um eine "vorläufige Einschätzung", wie es offiziell heißt. Die ist aber trotzdem bemerkenswert, weil, wie es unter dem Foto eines Plastikwolfs beim verlässlich in Kontext gebadeten netzpolitik.org heißt:

"Mit dem Datenschutzrecht konnte der Konzern rücksichtlos umgehen – auch, weil die Höchststrafen äußerst gering waren. Das ist mit dem Wettbewerbsrecht anders. Das Bundeskartellamt als Gralshüter der kapitalistischen Marktwirtschaft hat mit Sanktionsmöglichkeiten von bis zu 10 Prozent des Konzernumsatzes ein ungleich schärferes Schwert zur Verfügung."

Insofern, kommentiert Markus Reuter ebd. in bestem Leitartikeldeutsch:

"Es bleibt zu hoffen, dass das Verfahren der Auftakt ist, um Facebook endlich ordentlich zu regulieren. (…) Wer so groß ist, kann sich nicht mehr auf seine privatwirtschaftlichen Community-Guidelines zurückziehen und nach Gutsherrenart Inhalte moderieren oder Nutzer abstrafen. (…) Die Regulierung von Facebook wird dem sterbenden Web gut tun und die fortschreitende Zentralisierung des Netzes zurückdrehen. Das muss das Ziel sein."


Wir werden es sehen. Und bis dahin legen wir das Ganze ganz oben auf die Ablage mit den Dauerthemen.

Quellenschutz im internationalen Kontext

Eine gewisse Dringlichkeit hat auch ein anderes Thema, von dem – aus Gründen – zuerst der Guardian und die BBC wussten: "BBC and Guardian sued over Paradise Papers leaks" (BBC); es wurden also juristische Schritte gegen die beiden eingeleitet, sie sollen die Dokumente rausgeben. Das betrifft letztlich auch die Süddeutsche Zeitung. Im November hatten (Altpapier) zahlreiche Medien aus aller Welt, koordiniert vom International Consortium for Investigative Journalists (ICIJ), unter dem Dachnamen "Paradise Papers" von Offshore-Geschäften, Geldanlagen und Steuervermeidungsstrategien von Unternehmen und Prominenten berichtet. Die Süddeutsche Zeitung hatte ihr zugespielte Dokumente zuvor mit dem ICIJ geteilt.

Diese, also die SZ, schreibt auf der Medienseite:

"Der Großteil der veröffentlichten Geschichten hatte seinen Ursprung in den internen Kundendaten der internationalen Steuerkanzlei Appleby, die der Süddeutschen Zeitung zugespielt worden waren. Die Kanzlei geht nun juristisch gegen den Guardian und die BBC vor."

Wolfgang Krach, einer der Chefredakteure der SZ, wird im Guardian zitiert, er sei

"extremely worried about the attempt to force a journalistic enterprise to hand over highly sensitive data that could endanger the life and wellbeing of sources".

So ähnlich steht es auch in der SZ:


"Der Versuch (…), gerichtlich die Herausgabe der Paradise Papers zu erwirken, stellt eine Bedrohung dar, die sich möglicherweise nicht nur gegen die Medienhäuser richtet, sondern auch gegen die Quelle der Paradise Papers. Es ist kaum auszuschließen, dass sich in einem dieser Dokumente eine Spur zur Quelle oder den Quellen finden lässt, was diese in Gefahr bringen könnte."

Guardian und BBC haben angekündigt, sich gegen die juristischen Schritte "eindringlich zu verteidigen" (Original: "robustly defend"), und Krach wird zitiert, die SZ werde nicht "erlauben", die geleakten Dokumente Dritten zugänglich zu machen. Doch der Fall wirft schon Fragen auf. Zum Beispiel die, ob der deutsche Quellenschutz auch in anderen Ländern ausgehebelt werden könnte, etwa wenn, wie in diesem Fall, so viele Journalisten von so vielen internationalen Medien an einem Großprojekt beteiligt sind.

RTL hat eingekauft

Außerdem ist heute ein Interviewtag. Michael Hanfeld befragt für die Frankfurter Allgemeine den RTL-Programmgeschäftsführer Frank Hoffmann (derzeit nicht frei online), was nicht ohne die Hinweise von Interviewer und Interviewtem vonstatten geht, dass die Öffentlich-Rechtlichen "Gebührenmilliarden" hätten und ihr Geld "zum Fenster raus" werfen würden – wobei es wohl eher eine Nachricht wäre, wenn so etwas da nicht stünde. Die SZ dagegen interviewt die MDR-Intendantin Karola Wille (ebenfalls derzeit nicht frei online), die nun den ARD-Vorsitz abgibt. Zwei Interviews, das gibt uns die Chance für das beliebte Wer-hat’s-gesagt-Spiel:

1 "Wir sind und machen Mainstream" – wer sagt das: Frank Hoffmann oder Karola Wille?

2 "Neben der Fiction leisten wir uns wochentäglich fünf Stunden Nachrichten- und Magazinberichterstattung live, beschäftigen siebenhundert Journalisten".

3 "Weil junge Menschen zunehmend zeitunabhängig fernschauen, haben wir" unsere eigene Plattform "an den Start gebracht. Vor zehn Jahren. Da waren Netflix und Co bei uns noch nicht mal in Sicht. Heute aggregiert die Plattform unter dem Namen 'TV Now' alle Sender­angebote unserer Gruppe zum zeitversetzten Abruf und wird gerade von jungen Nutzern verstärkt nachgefragt."

4 "Somit können die Fans internationalen Vereinsfußball im Free TV nur noch bei uns sehen, live und kostenlos."

5 "Wir haben die Formel 1 hier groß gemacht, sie begeistert ein Millionenpublikum und ist ein wichtiger Baustein der Marke geworden. Wir haben die neuen Rechteinhaber überzeugen können und die Zusammenarbeit um drei Jahre verlängert."

Na? Na? Wer sich für Medienhintergründe nicht allzu brennend interessiert, kann RTL und ARD schon mal verwechseln. Aber schon richtig, alle Zitate sind von Frank Hoffmann. Wobei die letzten beiden Passagen News enthalten (die neben der FAZ auch Bild hat): RTL hat die Rechte an der Fußball-Europa-League erworben und zeigt weiter die Formel 1. faz.net fasst das Ganze kurz zusammen, und DWDL ordnet ein, "die neuen Formel-1-Rechteinhaber um John Malone" hätten sich, "gegen das Pay-TV und höhere Lizenzeinnahmen und für eine höhere Reichweite und damit eine höhere Werbewirkung entschieden."

Das SZ-Interview mit der MDR-Intendantin ist differenziert, zeichnet sich aber vor allem durch die Beharrlichkeit von Interviewerin Claudia Tieschky aus, die Karola Wille vorhält, sie sei als ARD-Vorsitzende "bei der großen Reform" gescheitert: Die Einsparungen bei den Öffentlich-Rechtlichen, zu denen die Länder aufgefordert hätten, seien zu gering; die angestrebten Veränderungen nicht tiefgreifend.

Hier ein paar Takte aus Tieschkys Fragen:

  • "Die Länder, die den Sendern den Reformauftrag gegeben haben, sind damit keinesfalls zufrieden".
  • "Nach vielen Monaten der Selbstfindung kommt dann etwas heraus, das man als Minimum wahrnimmt."
  • "Die Politik wird trotzdem mehr verlangen. Die Stimmung hat sich so sehr gegen die Öffentlich-Rechtlichen gewendet, dass die Länder für harte Streichungen sogar Applaus bekommen könnten. Wäre es nicht besser gewesen, den Verzicht selber in Betracht zu ziehen?"
  • "Kann es sein, dass Sie etwas spektakulär und radikal finden, von dem Sie erst erklären müssen, dass es spektakulär und radikal ist?"

Die österreichische Neue Rechte und die Medien

Am Ende geht es schließlich auch um die Frage, "wie gefährlich" die AfD "in dieser Situation" ARD und ZDF werde. Wille sagt:

"Die AfD stellt die Grundsatzfrage. Es geht um die Abschaffung des Beitrags und um nur noch ein bundesweites öffentliches Fernseh- und Radioprogramm. Damit sind sie bei der Aufhebung eines vielfältigen Mediensystems und am Fundament dessen, was meiner Meinung nach für eine funktionierende Demokratie wichtig ist."

Das leitet über zum letzten Thema des Tages: Wir blicken nochmal nach Österreich. Am Dienstag ging es hier schon um medienpolitische Aspekte, die die neue Regierung mit FPÖ-Beteiligung aufbringt. Was im Verlauf des weiteren Dienstags dann einige Aufmerksamkeit auf sich zog, war eine Personalie. Alexander Höferl heißt der Mann, von dem es zunächst hieß, er werde Pressesprecher des FPÖ-Innenministers Herbert Kickl ("der bislang vor allem als Scharfmacher aufgefallen ist", so die SZ), im Lauf des Dienstags wurde dann korrigiert, er werde Kommunikationschef "und damit nicht in der Tagesarbeit tätig" sein.

Wer ist dieser Alexander Höferl? Eine "sehr fragwürdige Personalie" – sagt zumindest falter-Chefredakteur Florian Klenk im Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres, das Klenk zusammenfasst:

"Als ehemaliger Chefredakteur der FPÖ-nahen Internetplattform 'unzensuriert.at' sei es Höferls Aufgabe gewesen, 'rechte Medien zu beliefern'. Nun habe Höferl 'auf einmal Zugriff auf vertrauliche Informationen'."

Vielsagend ist, was das "Team Wallraff" im Sommer für RTL herausfand. Einer Journalistin, die sich undercover bei unzensuriert.at beworben hatte, soll Höferl gesagt haben – und man findet einen entsprechenden RTL-Beitrag auch noch online, wenn auch nur bei YouTube: 

"Soweit können wir das ja zugeben: Wir machen ja nicht dieses Medium, weil uns am unabhängigen Journalismus so sehr gelegen ist, sondern weil wir diese politischen Bewegungen in gewisser Weise unterstützen wollen. Im Prinzip wollen wir versuchen, dass wir uns mittelfristig vor allem gegenüber der AfD ähnlich positionieren, wie wir in Österreich gegenüber der FPÖ positioniert sind. – Eine reine Positiv-Berichterstattung zu fahren."

Wie Christian Bartels am Dienstag an dieser Stelle schrieb: "Beobachtet zu werden verdient diese österreichische Regierung also in vielen Ressorts."

Altpapierkorb (Fernsehpreis-Nominierungen, Türkei, "Fest&Flauschig", YouTube-Kanäle, "Krawall-Barbie")

+++ Die Nominierungen für den Deutschen Fernsehpreis sind raus. Acht Mal nominiert ist "Babylon Berlin", sechs Mal "4 Blocks", fünf Mal "Das Verschwinden" und vier Mal "Der gleiche Himmel". Unter anderem. Der Tagesspiegel hat die Liste ausformuliert.

+++ Wie ist die Lage in der Türkei einzuschätzen? Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu ist auf freiem Fuß (siehe wiederum Altpapier vom Dienstag), der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner ist frei, am Dienstag wurde auch bekannt, dass der deutsche Soziologe Sharo Garip nach Deutschland ausreisen darf. 150 andere Journalistinnen und Journalisten sind aber noch in Haft. Und Deniz Yücel? "Yücel hat den Nachteil, dass er der prominenteste deutsche Gefangene in der Türkei ist." Der Fall sei kompliziert, schreibt Zeit Online. Aber "Beobachter halten es nicht für ausgeschlossen, dass nach Steudtner und Tolu auch dem Welt-Korrespondenten ein langer Prozess erspart bleibt. Die Politiker in der Türkei können durchaus pragmatisch sein, weil die Gesellschaft es auch ist. Sollte Yücel freigesprochen werden, spräche den Präsidenten niemand mehr auf seinen Vorwurf an, Yücel sei ein Agent. Denn zur türkischen Realität gehört auch, dass Steudtner, Tolu und Yücel in der Öffentlichkeit keine große Rolle spielen."

+++ Cornelius Pollmer hat in der SZ einen Text über den Böhmermann-Schulz-Podcast "Fest&Flauschig" geschrieben, der nicht nur als Rezension, sondern auch als Primärtext funktioniert: "Fest & Flauschig, das ist Weltbetrachtung im Moulinex, das ist alles kann, nichts muss; erlaubt ist, was gefällt."

+++ Übermedien hat eine Geschichte mit Bildblog-Ansatz: Die Empörung ist groß, dass eine Masse von Menschen in Deutschland 'Tod den Juden' skandiert und dass die Polizei nicht dagegen einschreitet. Doch es ist erstaunlich schwer, einen Beleg dafür zu finden, dass diese Rufe ertönten."

+++ Der Tagesspiegel fasst nochmal die politische Lage für die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen.

+++ Die taz, der Bayerische Rundfunk und die Frankfurter Rundschau schreiben via epd, gegen die Bild-Berichterstattung über eine dort "Krawall-Barbie" genannte junge Frau seien bis Dienstagnachmittag fünf Beschwerden beim Presserat eingegangen.

Das Altpapier meldet sich am Donnerstag wieder.