Das Altpapier am 22. Juli 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier am 22. Juli 2022 Der Journalismus als PR-Klavier

22. Juli 2022, 11:59 Uhr

Eine Verlegerin will einem Medienmagazin ein PR-Interview unterjubeln und verschätzt sich. Und: Warum es vielleicht nicht klug ist, aber durchaus rational für Medien sein kann, die Qualität zu senken. Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Die Geschichte einer misslungenen Autorisierung

Marvin Schade hat für den "Medieninsider" ein Interview mit Katharina Wolff geführt (€), der Verlegerin des Magazins "Strive", die eine Marktlücke mit der Idee gefüllt hat, Wirtschaftsberichterstattung für den Geschmack von Frauen zu machen. Das Interview ist an einer üblichen Soll-Bruchstelle gescheitert: an der Autorisierung – oder, wie Marvin Schade es schreibt, "an offensichtlich unterschiedlichen Auffassungen von journalistischem Handwerk".

Möglicherweise geht es hier nicht nur um Auffassungen vom Handwerk, sondern um abweichende Verständnis-Varianten von Journalismus generell, die sich nicht so leicht in Einklang bringen lassen.

Von der einen Seite aus betrachtet, ist Journalismus eine Art PR-Klavier, auf dem man nach Belieben spielen kann, um die eigenen Klänge in die Welt zu befördern. Ungefähr so scheint Katharina Wolff sich das vorzustellen. Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass sie das Gespräch, so schreibt Marvin Schade es, über einen PR-Berater anbieten lassen hat. Ein Interview, das später aufgeschrieben wird, bedeutet maximale Kontrolle. Was gesagt worden ist, bekommt man in Deutschland vor der Veröffentlichung zugeschickt – mit der Möglichkeit, das Geschriebene zu verändern.

Je nachdem, wie man mit dieser Möglichkeit umgeht, kann die Autorisierung für das Publikum sinnvoll oder schädlich sein. Sinnvoll ist sie, um das Gesagte in eine besser lesbare Form zu bringen, also um Formulierungen zu glätten, um ausufernde Antworten zu kürzen, um aus einem stundenlangen Gespräch einen Text zu machen, der auf eine Zeitungsseite passt.

Sinnvoll ist die Autorisierung damit auch, wenn die Person, die das Interview geführt hat, schlecht vorbereitet war, den zu interviewenden Menschen einfach reden lassen hat, das Gespräch völlig ziellos herummäandert ist oder – was vor allem bei Lokalmedien oft passiert – Gespräche nicht aufgezeichnet und aufgeschrieben, sondern aus Notizen rekonstruiert werden.

Für das Publikum weniger von Vorteil ist eine in Politik, Wirtschaft und Unterhaltung beliebte Möglichkeit: In der Autorisierung lassen sich Aussagen wunderbar entschärfen oder sogar ins Gegenteil verkehren, aus einem Interview lässt auf diese Weise mit wenigen Eingriffen ein PR-Text machen.

Das sollte hier offenbar passieren. "Stehen blieb größtenteils nur, was der Vermarktung von Strive nützte", schreibt Marvin Schade. Und das ist eine völlige Missachtung der Übereinkunft, die mit so einem Interview getroffen wird. Natürlich verspricht sich eine Unternehmerin einen Vorteil, wenn sie sich die Zeit für ein Gespräch nimmt. Sie kann Botschaften platzieren, aber das hat einen Preis.

Das Medium stimmt dem Gespräch zu, weil es in einem Interview die Möglichkeit erhält, mithilfe von Fragen, eben auch von kritischen Fragen, ein Bild zu zeigen, das etwas eher der Wirklichkeit entspricht als das in der Werbung oder PR-Texten verbreitete, wobei die Autorisierung diese Möglichkeit einschränkt. Dieser Spielraum wird in Verhandlungen ausgelotet.

Hier kommen dann auch Dinge wie Wertschätzung und Respekt ins Spiel. Einem Medium einen auf die nützlichen Aussagen reduzierten Text zurückzuschicken und dazu noch anzumerken, der Text könne anders nicht erscheinen, wie Katharina Wolff es in diesem Fall getan hat, bedeutet, offen zum Ausdruck zu bringen, dass es hier ausschließlich um das eigene Interesse gehen soll, dass man das Medium und dessen journalistisches Anliegen im Grunde nicht ernst nimmt – überhaupt: dass es hier nicht um Journalismus gehen soll, sondern um ein Imitat des Ganzen.

Es soll ein Text veröffentlicht werden, der möglichst aussieht wie Journalismus, also der äußeren Form nach einem journalistischen Text entspricht, aber den kantigen und unter Umständen unangenehmen Teil ausspart. Wenn das im Einverständnis mit dem veröffentlichenden Medium passiert, nennt man so etwas Content Marketing.

In diesem Fall geht der Versuch noch etwas weiter. Zusätzlich wollte Katharina Wolff dem Eindruck nach die Reputation des Interviewenden als Glaubwürdigkeitssiegel missbrauchen. Eigentlich erwartbar, dass ein Journalist sich mit journalistischen Mitteln dagegen wehrt. Dass Texte über gescheiterte Autorisierungen veröffentlicht werden, passiert ja nicht zum ersten Mal.

Hier kommt das andere Verständnis von Journalismus ins Spiel, nach dem die Aufgabe von Journalismus eben gerade darin besteht, derartige Manipulationsversuche zu verhindern und öffentlich zu machen.

Dass Katharina Wolff anscheinend nicht damit gerechnet hat, dass ihr so etwas passieren könnte, offenbart entweder Naivität oder eine Fehleinschätzung. Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass andere Medien so etwas mit sich machen lassen. Darauf kommen wir gleich noch einmal zurück.

Aber zunächst zur Schadensaufnahme. Ihrem Magazin hat Katharina Wolff mit dieser vermeintlichen PR-Aktion keinen Gefallen getan. Zum einen lässt der Streisand-Effekt grüßen. Zum anderen bleibt die Frage, ob sich das von ihr praktizierte Verständnis von Journalismus auch in ihrem Produkt wiederfindet.

Marvin Schade hat sich das Magazin nach der gescheiterten Verhandlung etwas genauer angesehen und ist auf ein Profil einer Person gestoßen, die bei "Strive" mehrere Texte veröffentlicht hat. Doch diese Person gibt es nicht, das bestätigt Katharina Wolff.

"Vielmehr sei das Profil als 'einheitliches Alias' angelegt worden, da es 'zum Beispiel Praktikant:innen' gegeben habe, 'die nicht unter ihrem Namen veröffentlichen wollten'",

schreibt Schade. Die Erklärung klingt unglaubwürdig, denn wozu macht man ein Praktikum bei einem Magazin, wenn nicht um Referenzen zu sammeln. Das bemerkt Schade völlig zu Recht.

Mit seinem Text ist ihm am Ende viel mehr gelungen, als es mit einem autorisierten Interview möglich gewesen wäre. Schade hat offengelegt, dass dem Publikum ein unvollständiges und damit irreführendes Bild präsentiert werden sollte, dass man also den Eindruck bekommen kann: Hier mangelt es an Aufrichtigkeit. Und das führt zu der Frage: Kann unter so einer Führung Journalismus produziert werden, der selbst Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt, um Wahrheit und Wirklichkeit zu zeigen – der also glaubwürdig ist?

Diesen Zweifeln wird Katharina Wolff mit ihrem Magazin nun wieder ausräumen müssen, am besten offensiv und offen – und nicht, wie man es nach der Nummer mit dem Interview erwarten würde, durch Schweigen und Aussitzen.

Bis wohin ist es noch Qualitätsjournalismus?

Ich hatte es oben schon angerissen: Lassen viele Medien sich im Autorisierungsprozess einfach alles unterjubeln? Ist es also gar nicht so überraschend, wenn Interviewte nichts daran finden können, sich auf diese Weise zu verhalten?

Die gestern hier schon erwähnte Studie der Otto-Brenner-Stiftung, die sich unter anderem mit dem Arbeitsdruck beschäftigt, könnte zumindest einen Teil der Erklärung liefern.

Ein gutes Interview zu führen, ist aufwändig. Es muss vorbereitet werden, schon hier fehlt die Zeit in kleineren Redaktionen. Es muss geführt werden. Das lässt sich nur dann vermeiden, wenn man die Fragen schriftlich übermittelt. Das ist die letzte Stufe der Kapitulation, aber auch das passiert, und dann stehen am Ende noch die aufreibenden Autorisierungsverhandlungen.

Wie würde sich ein Mensch verhalten, der ohnehin schon überlastet ist?

Muss man also vielleicht hier ansetzen? Rainer Nübel, einer der vier Autoren der Otto-Brenner-Studie, sagt im Interview mit Brigitte Baetz für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" auf die Frage, ob er die Hoffnung hat, dass Medienhäuser die Arbeitsbelastung senken, indem sie mehr Menschen einstellen: "Realistischerweise leider nicht."

Das ist schon mal sehr deutlich. Nübel führt das noch aus. Er sagt:

"Dieser stumpfe Automatismus auf natürlich auch belegbare Erlöseinbrüche nur mit Personaleinsparungen zu reagieren, ist nicht nur ökonomisch unkreativ, sondern es ist fatal für den Zustand der Journalist:innen einerseits, aber auch für die Qualität des Produktes. (…) Wenn ich immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteile, dann kann ich auch als Medienmangement dem Versprechen, meinen Kund:innen gegenüber, ich liefere euch Qualität, nicht nachkommen."

Wäre die Qualität etwas, das man mit einem gut geeichten Qualitometer bis auf die siebzehnte Nachkommastelle hin bestimmen könnte, gäbe es hier kein Problem. Dann könnte das Publikum erkennen, wenn ein Medium an Qualität verloren hat und sich entscheiden, ob es den Preis dafür nach wie vor zahlen möchte.

Tatsächlich aber spielt die Informationsasymmetrie den Medienhäusern hier vermeintlich in die Hände. Das Publikum kann kaum erkennen, wenn nicht mehr neun Menschen an einer Publikation arbeiten, sondern nur noch acht. Eine bedruckte und bebilderte Seite ist eine bedruckte und bebilderte Seite.

Nach diesem Verständnis ist es sehr lange möglich, Personal und Aufwand abzubauen, ohne von der Behauptung abrücken zu müssen, es handle sich hier um Qualitätsjournalismus.

So haben Medienhäuser es über viele Jahre praktiziert, und die Entwicklung ist keineswegs zu Ende. Die Stuttgarter Zeitung, um die es gestern im Altpapier noch ging, geht diesen Weg. Hinter den Umstrukturierungen im Passauer Verlagshaus, über die @mediasres am Mittwoch berichtet, stehen ähnliche Gedanken. Natürlich geht es auch darum, sinkende Erlöse aufzufangen, das muss man fairerweise sagen. Aber über allem steht die Frage: Wo verläuft die Grenze dessen, was man investieren muss, um ein Produkt zu verkaufen, dessen Qualität nicht unangenehm auffällt?

Schaut man aus der anderen Richtung, erkennt man, warum dieser Weg nur nach unten führt. Der Ökonomie-Nobelpreisträger George Akerlof hat im Jahr 1970 einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er erklärt, warum Märkte zusammenbrechen können, wenn die Informationen über die Qualität der gehandelten Produkte ungleich verteilt sind – wenn Menschen also nicht wissen, welche Qualität ein Produkt hat, das ihnen angeboten wird.

Der Aufsatz heißt "The Market for Lemons". Lemons ist ein umgangssprachlicher Begriff für Gebrauchtwagen. Die Situation auf dem Medienmarkt hat aber durchaus Ähnlichkeit. In jedem Fall hilft sie, zu verstehen, warum es irrational sein kann, die Qualität eines Produkts zu erhöhen, zum Beispiel durch zusätzliches Personal.

Wenn die Qualität auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, senkt das die Zahlungsbereitschaft. Auch die Bereitschaft für zusätzliche Qualität mehr Geld auszugeben, ist an diesem Punkt eher gering.

Ein Verlag hat also durchaus einen Anreiz, Personal abzubauen – bis zu dem Grad, an dem der Qualitätsverlust sichtbar wird. Das findet man in der Regel durch Trial and Error heraus, wobei man dem Gefühl nach ein bisschen sichtbaren Qualitatsverlust oft eher inkauf nimmt als ungehobene Sparpotenziale.

Den Weg zurück gehen auf diese Weise denkende Medien nur dann, wenn sich an anderer Stelle Nachteile ergeben, also zum Beispiel der Krankenstand zum Problem wird, die Unzufriedenheit so groß wird, dass sich auch die Qualität spürbar senkt oder immer mehr innere Kündigungen den Weg nach außen finden.

Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll warnt nach einem Bericht von Marc Bartl für Kress, die Branche stehe kurz vor dem kollektiven Burnout.

Daraus könnte sich ein kollektives Bemühen ergeben, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, denn die Situation bedroht die Unternehmen nicht nur, weil unter Umständen Kundschaft abspringt, der die Qualität nicht mehr gefällt, sondern weil sich unter jungen Menschen herumspricht, dass Journalismus zwar ein erfüllendes Betätigungsfeld ist, aber leider eines, in dem man für sehr viel Arbeit unter eher schlechten Bedingungen eher wenig Geld bekommt, dafür aber eben noch dazu einen Burnout.


Altpapierkorb (Google,Ärger um SWR-Podcast, Putin-Clown, Metaverse, New York Times und ein Gerücht, Zeitungsoasen)

+++ Weil es Google und der Verwertungsgesellschaft "Corint Media" bislang nicht gelungen ist, sich darüber Leistungsschutz-Vergütungen zu einigen, hat Google jetzt eine Schiedsstelle eingeschaltet, berichtet Ulrike App für Meedia.

+++ Im SWR-Podcast "Sack Reis" geht es in einer Folge um Bosnien. Die Journalistin Melina Borčak hat viele Fehler gefunden, unter anderem werde der von allen EU-Ländern anerkannte Genozid von serbischen Truppen geleugnet. Für das DJV-Magazin "Journalist" hat sie einen Faktencheck gemacht – und beschrieben, wie der SWR mit einer Korrektur ihrer Auffassung nach alles noch schlimmer machte. "Genozidleugnung wurde als 'Meinung' bezeichnet. Indirekt wurde Toleranz für solche 'Meinungen' gefordert", schreibt sie.

+++ Die NZZ hat ein Bild abgedruckt (hier die Online-Version), das Wladimir Putin mit Regenbogen-Schminke und Clown-Nase zeigt. Es ist die Variation eines Memes, das Russland schon vor Jahren wieder einfangen wollte, allerdings erfolglos. Jetzt droht die russische Botschaft in Bern der NZZ. Und was macht die Zeitung? "Die NZZ hat sich bislang auch auf SZ-Anfrage nicht zu dem Fall geäußert. Ihr Artikel ist derzeit online weiterhin abrufbar, mitsamt dem verlinkten Tweet zur Karikatur", schreibt Anna Ernst auf der SZ-Medienseite (€).

+++ In der Wirtschaft ist das Metaverse weitgehend unbekannt. Das ist ein Ergebnis einer Studie der Bundeswehr-Universität München. Helmut Hartung berichtet für Medienpolitik.net.

+++ Die New York Times berichtet, in der Demokratische Partei sorge man sich, dass Joe Biden zu alt sei für eine zweite Amtszeit. Ist das so? Oder ist es vielleicht doch nur ein Gerücht? Auf der FAZ-Medienseite schreibt Patrick Bahners (€) über das Phänomen und den Mechanismus, den die Behauptung in Gang setzte. Bahners: "Die Anlasslosigkeit der Berichterstattung war für die Konkurrenz paradoxerweise ein Grund, sie besonders ernst zu nehmen. Es war ja nicht so gewesen, dass ein möglicher innerparteilicher Konkurrent Bidens sich mit einer taktlosen Bemerkung des Inhalts exponiert hätte, ihm merke man sein Alter an, und dass die 'New York Times' im Anschluss daran exponiert hätte, dass solche Redensarten hinter den Kulissen verbreitet seien. Ein solcher Anlass fehlte – aber gerade das wurde als Indiz dafür genommen, dass die behauptete Stimmung sehr stark sein müsse und an die Öffentlichkeit dränge."         

+++ In vielen Gegenden der USA gibt es keine lokalen Medien mehr. In größeren Städten an der Küste ist das noch anders. Kerstin Zilm erklärt in einem Beitrag für "@mediasres", warum funktionierender Lokaljournalismus demokratierelevant ist, unter anderem anhand eines Beispiels.

Neues Altpapier gibt es am Montag. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

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