Das Altpapier am 01. Dezember 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier am 01. Dezember 2022 Wohin mit den Entscheidungen?

01. Dezember 2022, 11:38 Uhr

Der Medienausschuss des Bundestags diskutiert über die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei geht es um fünf Thesen und die Frage, ob Sender ohne Auftrag überhaupt noch Geld bekommen dürfen.

Rasche Reform jetzt

In der Übersicht der Meldung von "epd Medien" lautet die erste Überschrift am Mittwochnachmittag: "Bundesländer wollen Reform der Öffentlich-Rechtlichen rasch angehen". Endlich. Dann wird es ja jetzt wohl schnell gehen. Oder? Schauen wir es uns einmal an.

Die Meldung ist das Ergebnis eines Fachgesprächs im Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestags gestern, in dem es unter anderem um die Frage ging, wie so eine Reform denn aussehen soll, und wie man vorgehen wird.

Der sächsische Medienstaatsminister Oliver Schenk (CDU) hätte gern eine "breite öffentliche Debatte über die Akzeptanz der Öffentlich-Rechtlichen in der Gesellschaft". Das klingt gut. Die Frage wäre lediglich: Was ist dann denn das, was wir hier seit Monaten machen?

Schenk stellt sich eine externe Kommission vor, die so richtig Öffentlichkeit für diese Debatte herstellt, damit die Diskussion dann nicht nur weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf der Medienseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stattfindet, sondern richtig öffentlich. Vielleicht sogar mit einem Public Viewing?

Das wird dann noch zu klären sein. Erst mal will Schenk sich dafür einsetzen, dass diese Kommission eingerichtet wird. Möglicherweise folgt dann zunächst eine breite öffentliche Debatte über die Frage der Einrichtung dieser Kommission. Vielleicht streichen wir das Wort "rasch" also doch besser aus der Überschrift.

Aber was stellt Schenk sich denn eigentlich vor? Laut der Meldung "ein Angebot für alle Altersgruppen" und "eine Diskussion über Ausspielwege". Die Inhalte dürften zudem "nicht belehrend, einseitig oder tendenziös sein, sondern müssten gut recherchiert und unparteiisch sein". Das klingt ja komisch. Hatte das denn schon irgendwer so gefordert? Oder wie kommt es zu dieser Aussage?

Irgendwoher kennt man das doch. Aber woher? War das nicht, genau, aus der letzten breiten öffentlichen Debatte darüber, ob der Rundfunkbeitrag erhöht werden sollte, die ja im Grunde schon eine breite Debatte über die Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Sender in der Gesellschaft war? Oder nein, es war eine Debatte, in der die AfD und die regionale CDU vehement die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisierten, aber immer wieder durchschien, dass ihr eigentlicher Antrieb die Unzufriedenheit mit der Ausrichtung der Inhalte war. Sie empfanden sie, so schien es, als belehrend, einseitig, tendenziös, schlecht recherchiert und parteiisch, in zwei Worten: zu links.

Vielleicht zwischendurch ein kleiner Programmhinweis. Das NDR-Medienmagazin "Zapp" hat Dominik Drotschmann, den viele als "MrWissen2go" kennen, für ein neues Format engagiert, in dem er in knapp zehnminütigen Videos Hintergründe und Zusammenhänge zum Thema Medien erklärt. In der ersten Folge geht es um Zahlen, Statistik und die Aussage, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei "linksgrün versifft", die sich, jedenfalls mit den vorliegenden Umfragen, so nicht belegen lässt.

Aber noch einmal zurück zu Oliver Schenk. Vielleicht kann die externe Kommission sich das noch einmal gründlich ansehen, und dann können alle gemeinsam darüber abstimmen, ob sie gerne öffentlich-rechtliche Inhalte hätten, die belehrend, einseitig, tendenziös, schlecht recherchiert und parteiisch sind. Das wäre doch vielleicht, na ja, ein Anfang.

Heike Raab, die Koordinatorin der Rundfunkkommission, sagt laut der epd-Meldung, die Kommission wolle in der nächsten Woche über Vorschläge zu Transparenz und Compliance-Verhaltensregeln sprechen. Also doch rasch? Nein, Anfang nächsten Jahres wolle man sich dann in Klausur begeben und über die nächsten Schritte beraten (die dann bis spätestens zum Ende des Anthropozäns erfolgen sollen). Sie persönlich gehe davon aus, so Raab, dass Spartenkanäle wegfallen werden, der Rundfunk neu geordnet werde und mehr Kooperationen unter Sendeanstalten nötig würden.

Und das erscheint in der Tat wahrscheinlicher als eine Operation in der großflächigen Unterhaltung. Wenn es darum geht, ob man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als etwas versteht, das hochqualitative Angebote für sehr viele spezielle Zielgruppen liefert, die vom Markt sonst nicht bedient werden, oder als gefällige Unterhaltung für ein großes Publikum, von dem man sich Akzeptanz erhofft, scheint die Tendenz ja sehr klar zu sein.

Fünf Thesen zur Reform

Wer könnte denn zum Beispiel in so einer externen Kommission sitzen? Der ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch vielleicht? Was für ihn sprechen könnte: Er kennt sich aus. Was gegen ihn spricht: Seine Vorschläge werden auch nicht unmittelbar dazu führen, dass die Ausrichtung der Inhalte sich ändert.

Was Dobusch sich vorstellt, hat er gestern in dem Fachgespräch des Bundestagsausschusses erklärt. Im Oktober hatte er seine Ideen im Medium-Magazin schon etwas ausführlicher dargelegt.

Dort fasst er seine Vorstellung in fünf Thesen zusammen:

1. Weil es hier um ein öffentliches Anliegen geht, muss all das, was mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu tun hat, transparent und öffentlich sein, nicht nur die Aufsicht.

2. Die Aufsicht aber auch. Sie muss die Gesellschaft abbilden, vielfältig sein und möglichst nicht von Parteiinteressen geprägt, also staatsfern.

3. Wichtig in schimmelanfälligen Wohnungen wie auch in für Amtsschimmel anfälligen Führungsetagen von Sendern ist, dass regelmäßig gelüftet wird, frischer Wind von außen kommt und Führungskräfte nicht im eigenen Haus rekrutiert werden.

4. Um den demokratischen Mehrwert zu zeigen, sollten Sender ihre Angebote laut inhaltlich verschränken und zum Beispiel Meinungsbeiträge mit verschiedenen Positionen und von verschiedenen Sendern digital zusammen anbieten (Stichwort Binnenpluralität).

5. Kommentieren kann man öffentlich-rechtliche Inhalte bislang vor allem auf Drittplattformen wie Youtube, und auch sonst müsste man digitale Möglichkeiten besser nutzen, um Inhalte zu demokratisieren, auch über offene Software.

Worum es in dem Fachgespräch sonst noch ging, hat die Presseabteilung des Bundestags zusammengefasst. Danach sind die Parteien sich immerhin darin weitgehend einig, dass es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht. Nur die AfD forderte, "die Medienordnung in Deutschland insgesamt und die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen auf den Prüfstand zu stellen", in meiner Übersetzung: kritische Medien abzuschaffen.

Wobei sie ihre Leute ja doch immer wieder gern in die Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender schicken, wenn sich dort die Gelegenheit bietet, wie Joshua Beer für die SZ schrieb (€), "Verschwörungen" zu verbreiten. 

Kein Geld ohne Auftrag?

Der Rechtswissenschaftler Hubertus Gersdorf von der Uni Leipzig wies in dem Fachgespräch auf ein Problem hin, das sich ergibt, wenn die Politik den Auftrag flexibilisiert – also den Sendern die Aufgabe rüberschiebt, selbst zu entscheiden, ob sie Sendern den Stecker ziehen oder was auch immer sie mit ihnen machen, damit – das ist meine Interpretation – die Politik nicht der Buhmann ist.

In der Zusammenfassung heißt es:

"Gemäß der Urteile des Bundesverfassungsgerichtes sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk gemäß seines Auftrages zu finanzieren. Eine Änderung beim Auftrag würde damit gleichzeitig Fragen der Finanzierung aufwerfen. Dies würde zu einem System der Selbstbedienung führen. Die Grundrechte der Beitragszahler seien aber zu schützen."

Wenn man einzelne Sender also aus dem Auftrag herausnimmt, möglicherweise mit dem Hintergedanken, die Sender sie dann ja auch abstellen können, würde sich die Frage stellen: Ist es dann überhaupt noch gerechtfertigt, für diese Sender Geld auszugeben? Sie sind dann ja nicht mehr Teil des Auftrags.

Nach meinem Verständnis heißt das, am Ende könnte herauskommen. Entweder die Politik gibt den Sendern einen Auftrag, dann ist auch die Finanzierung gerechtfertigt. Oder nicht.

Gersdorfs Vorschlag laut der Zusammenfassung:

"Es müsse eine Kontrollinstanz eingeführt werden, um über die Belange der Öffentlich-Rechtlichen zu entscheiden. Diese Aufgabe könnten die Landesmedienanstalten übernehmen, führte Gersdorf aus. Er warnte zugleich davor, dass eine Flexibilisierung des Auftrages durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht führen könnten."

Dass es zu solchen Klagen kommen könnte, ist nicht unwahrscheinlich, denn was in der ganzen Reformdebatte immer wieder deutlich wird: Wenn nicht klar ist, wer über was entscheiden muss, dann wird versucht, die Entscheidung weiterzureichen. Das Gericht könnte immerhin klarstellen: Die unangenehme Entscheidung darüber, welche öffentlich-rechtlichen Sender es in Deutschland gibt, darf die Politik nicht den Sendern überlassen. Kann aber natürlich auch sein, dass es am Ende anders entscheidet.

Immer auf die Freien

Ein anderes Problem, das ebenfalls damit zu tun hat, dass Entscheidungen dorthin geschoben werden, wo sie am wenigsten Schmerzen verursachen und möglichst einfach durchzusetzen sind, spricht Matthias von Fintel von der Gewerkschaft Verdi an. Ihm geht es seiner Funktion entsprechend um die Rolle der Beschäftigten. Seine Kritik lautet, die Debatte über Struktur und Auftrag werde dazu missbraucht, ein anderes Ziel zu erreichen – nämlich den Rundfunkbeitrag zu senken. Wenn der nicht mehr ausreiche, werde Personal abgebaut und man spare am Ruhegeld von Führungskr… nein, Entschuldigung, man spare an den Honoraren von freien Mitarbeitern.

Das ist einfacher durchzusetzen, als an den Bezügen von fest angestelltem Personal herumzustreichen. Und vermutlich ist das schon die ganze Erklärung. Über die Rolle von freien Mitarbeiterinnen und freien Mitarbeiterin hat Michael Meyer für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" unter anderem mit Dagmar Bednarek gesprochen, die beim RBB die Freien vertritt. Ergebnis: Die Freien finden, sie sollten in Entscheidungen mehr einbezogen werden. Transparenzhalber: Ich selbst bin auch freier Mitarbeiter des MDR. 

Pia Pentzlin hat für Übermedien mit Sigrid März, der Vorsitzenden der Gewerkschaft Freischreiber, darüber gesprochen (€), warum Menschen überhaupt freiberuflich im Journalismus arbeiten. Und wenn Sie sich dafür interessieren, warum Menschen in anderen Bereichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sich keine Sorgen mehr um Geld machen müssen, auch wenn sie weder im Ruhestand sind noch dafür irgendeinen Finger rühren, dann lesen Sie am besten Michael Hanfelds Text auf der FAZ-Medienseite (€), der sich mit den Ruhegeld-Exzessen beim RBB beschäftigt, um die es schon gestern im Altpapier ging. Titel: "So schön ist Ruhegeld."


Altpapierkorb (MDR-Facebook-Kommentare, Diktatorische Tendenzen bei Twitter, Netflix-Werbung)

+++ Öffentlich-rechtliche Sender dürfen Facebook-Kommentare nicht nur löschen, wenn sie keinen Bezug zur Sendung haben, sie müssen es sogar, urteilt das Bundesverwaltungsgericht, wie Wolfgang Janisch auf der SZ-Medienseite berichtet. In diesem konkreten Fall ging es um Altpapier-Host MDR, der auf seiner Facebook-Seite kritische Kommentare gelöscht hatte.

+++ Kurz nach der Übernahme durch Elon Musk war der Twitter-Manager Yoel Roth, zu der Zeit noch Leiter des Bereichs "Vertrauen und Sicherheit", der Meinung, die Sicherheit von Twitter habe sich unter dem neuen Chef verbessert. Inzwischen hat er den Job und seine Meinung gewechselt, berichtet die Agentur Reuters, hier zu lesen beim Spiegel. Warum er ging? "Eine meiner Grenzen war überschritten, als es anfing, dass Twitter eher durch diktatorische Erlasse als durch Richtlinien gesteuert wurde."

+++ Bei Netflix und Amazon kann man mittlerweile kostenlos oder sehr günstig Filme schauen, wenn man bereit ist, Werbeunterbrechungen hinzunehmen. Ein Déjà vu? Lilly Brosowsky schreibt auf der SZ-Medienseite (€): "Erleben wir jetzt also wirklich das Comeback der Fernsehwerbung? Minutenlang stumpfe Kaufangebote, die sich gleich dem Gießkannenprinzip über die Zuschauer ergießen? Nicht ganz. Denn die internationalen Streaming-Anbieter haben ein Publikum vor sich, das sie selbst den Werbeunterbrechungen entwöhnt haben. Da ist sogenanntes Frustrationsmanagement gefragt."

 +++ Ein nach Ungarn ausgewanderter und vom Land begeisterter deutscher Journalist bekommt mehr oder weniger zufällig ein Interview mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, ist hinterher noch mehr von Ungarn und Orban begeistert, aber immer weniger von Deutschland, wo ihm die Meinungsfreiheit fehlt. Ben Kutz erzählt die Geschichte für Übermedien (€), und in ihrem Verlauf wird sehr schön deutlich, warum deutsche Medien, mit Ausnahme der Illustrierten Focus, das 50.000 Zeichen lange Interview nicht aufgegriffen haben.

+++ Der frühere Altpapier-Autor Matthias Dell erklärt in seiner Kolumne für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres", warum er es nur schwer erträgt, wenn Oliver Schmidt Fußballspiele kommentiert – weil dessen Sprachbilder nach seinem Eindruck nämlich so gut wie nie passen ("Eine Wackelpuddingsituation"). Mein Eindruck: Menschen mit einem Faible für Trinkspiele werden Schmidts Kommentare lieben.

Das Altpapier morgen schreibt Annika Schneider. 

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