Kolumne: Das Altpapier am 12. Januar 2023 Missverständnisse und Siege mit falschen Symbolen?
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12. Januar 2023, 11:29 Uhr
Die Lützerath-Proteste gehen um die Welt. Und die Frage ist: Welche Rolle spielen Medien dabei? Lassen sie sich von den Aktivisten vereinnahmen? Oder von der Polizei? Die Medienthemen des Tages kommentiert Ralf Heimann.
Die Geschichte David gegen Goliath
Lützerath ist zu einem Symbol geworden, zum Finale in einer öffentlichen Inszenierung, zu einer Art Showdown. Hier soll sich entscheiden, ob das 1,5-Grad-Ziel der Bundesregierung erreicht werden kann. Das ist die Geschichte. Dabei spielt der Ort selbst für dieses Ziel kaum eine Rolle. Es könnte auch alles ganz anders sein. Der Name Lützerath klingt schon etwas größer als das, worum es hier geht, nämlich um ein paar Häuser, kleiner als ein Dorf, um einen sogenannten Weiler. Dass diese Häuser verschwinden sollen, ist Teil eines Kompromisses, an dem auch die Grünen beteiligt waren, die ja eigentlich auf der anderen Seite stehen. Danach soll Schluss sein mit dem Landfraß durch Braunkohlebagger. Vor allem aber: Die Menschen, die hier lebten, sind längst umgezogen. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat in dieser Woche gesagt:
"(…) die leergezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht das falsche Symbol."
In der öffentlichen Wahrnehmung ging dieser Satz fast unter, denn das Thema ist allgegenwärtig. Und das liegt auch an der Dramaturgie dieser Inszenierung. Die Aktivistinnen und Aktivisten haben es geschafft, eine Geschichte zu erzählen, die um die Welt geht (Altpapier gestern), weil sie wie geschaffen ist für die Medien. Und an vielen Stellen ist sie eben nicht nur wie geschaffen, sondern geschaffen.
Sascha Lobo schreibt in seiner Spiegel-Kolumne:
"Der Kampf der Klimajugend gegen Staat und Konzerne für Klimagerechtigkeit wird durch die teilweise brillante Kommunikation zu einem Kampf David gegen Goliath, was Auswirkungen auf die Sympathieverteilung in der Öffentlichkeit hat."
Erinnern werde man sich an "das ikonische Bild", auf dem im Vordergrund eine Reihe Polizisten zu sehen ist, kurz vor der viel beschworenen Kante – und im Hintergrund das Schaufelradmonster. Dieses Bild werde auf einen Blick erklären, "gegen wen und warum die Klimajugend kämpfte". Der Titel der Kolumne lautet: "Die Klimajugend hat schon jetzt gewonnen." Dabei sei es egal, wie der Konflikt ausgehe, schreibt Lobo im Text. Und das liege zum einen an der hervorragenden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe, wie auch, zum anderen, daran, dass die Bilder und Erzählungen der Gruppe in jedem Fall nützten.
Schon der Name "Klimagerechtigkeit" sei geschickt gewählt, denn "zum Thema Gerechtigkeit haben alle eine Meinung und eine Haltung". So adressiere man automatisch die ganze Gesellschaft. Dazu handle es sich hier um eine "Communitysierung des Protestes nach Lehrbuch". Die Beiträge auf Twitter, TikTok und Instagram bewirkten, dass die Menschen gern Teil dieser Gemeinschaft wären. Die Geschichte erfülle auch ein wichtiges Kriterium in Veränderungsprozessen. Dabei geht es um die vermittelte Dringlichkeit ("Sense of Urgency"), die hier durch den Teil der Erzählung transportiert werde, es sei "die letzte Möglichkeit, der Katastrophe wenigstens halbwegs Herr zu werden". Wie soll etwas noch dringlicher werden? Und der Lützerath-Protest gebe eine klare Antwort auf die im Marketing zur Aktivierung einer Zielgruppe wichtige Frage: Warum?
Klingt alles wie von der Werbeagentur "Zum Goldenen Schaufelradbagger" durchorchestriert. Und was machen die Medien draus?
Ist Gewalt ein guter Signalverstärker?
Bettina Köster hat für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" mit dem Soziologen Simon Teune vom Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung gesprochen. Der Beitrag beginnt mit einem O-Ton des Polizeieinsatzleiters Willi Sauer von einer Pressekonferenz am Montag. Er wendet sich mit einem Appell an die Medien. Die friedliche Protestszene beklage immer wieder, dass sie mit friedlichem Protest keine Aufmerksamkeit bekomme. "Das ist ein Punkt, der uns sehr weh tut, weil der friedliche Protest dann droht unterzugehen", sagt Sauer. Es heiße dann: "Siehste, wenn ich einen Stein werfe oder Pyrotechnik, dann komme ich in die Presse." Daher fordert Sauer eine "deeskalierende Berichterstattung, eine faire, objektive", sie "hilft uns allen".
Moment, die Polizei macht sich Gedanken darüber, ob der Protest auch genügend Aufmerksamkeit bekommt und gibt den Medien Ratschläge?
Das ist nach Einschätzung von Protestforscher Teune "außergewöhnlich". Aber im Kern gibt er Sauer recht. "Wenn die Erfahrung ist, wir dringen mit unserem Protest nicht durch und Gewalt steht im Mittelpunkt, dann trägt das sicher weiter zur Frustration bei vielen Aktiven bei", sagt er.
Grundsätzlich sei auch der Fokus der Medien richtig. Gewalt sei "ein zentraler Nachrichtenfaktor (…), der dazu führt, dass über Proteste berichtet wird". Und das sei auch "insofern richtig, weil Gewalt ein Zeichen von gesellschaftlichen Konflikten ist".
Wenn Gewalt aber kein Zeichen ist, sondern nur ein strategischer Signalverstärker, dann führt die Berichterstattung nicht unbedingt dazu, dass die Botschaften die Öffentlichkeit erreichen, die durch die Gewalt verstärkt werden sollen. Medien schauen dann vor allem auf die Gewalt selbst, hier sieht Teune ein "durchgehendes Muster in der Berichterstattung". Das Muster bestehe darin, dass "man sich einig ist, dass Gewalt schlimm ist". Aber die Beschäftigung mit Ursachen, mit Dynamiken und Konsequenzen von Gewalt bleibe aus.
Die Berichterstattung über Lützerath sei insofern exemplarisch, sagt Teune.
"Man kann daran ablesen, dass sehr stark auf das Äußere, oft auf Phänomene, auf Abläufe geguckt wird, dass sozusagen die Rolle von Medien oder die Selbstwahrnehmung von Medien vor allen Dingen ist: Man beschreibt, was da ist, man versucht, das einzuordnen und zu analysieren. Aber es gibt sozusagen darüber hinaus nicht die Frage, welche Alternativen zu den politischen Maßnahmen, die da jetzt durchgedrückt werden, es geben könnte."
Einen Teil der Ursache sieht der Protestforscher in den "Produktionslogiken von Medien". Aber wie könnte man die ändern? Teune:
"(…) es gibt Aufmerksamkeitskaskaden, wo man sich an anderen orientiert und dadurch ein Phänomen übergroß macht. Also ein Punkt ist, dass man sozusagen Reflexionsschleifen einbauen sollte. Im Redaktionsalltag, wo die eigene Rolle hinterfragt wird, wo auch gefragt wird: Machen wir hier gerade eine Fliege zum Elefanten? Sind wir nicht gerade Teil von der problematischen Entwicklung in der öffentlichen Berichterstattung?"
Interessant ist Teunes Feststellung, die Polizei habe in der Vergangenheit oft "eine sehr offensive Medienarbeit" gemacht, "um den eigenen Spielraum auch zu erweitern". In anderen Worten: Wenn man den Menschen vorher immer wieder einbimst, wie gefährlich das alles ist, dann werden sie am Ende auch eher den Einsatz von Gewalt schlucken. Über Polizeigewalt etwa beim G20-Gipfel in Hamburg sei dann auch kaum berichtet worden.
Hier geht es um den Einfluss der Polizei auf die Darstellung in den Medien. Der war in der Vergangenheit und ist es unglücklicherweise oft auch noch heute von der weit verbreiteten Praxis geprägt, dass Medien die Polizei als "privilegierte Quelle" behandeln, dass sie also die Darstellung der Polizei übernehmen, ohne sie vorher zu überprüfen. Dass auch die Polizei eine "Konfliktpartei" sei, wie der Deutsche Journalistenverband es betont, das sei bei Protesten immer wieder deutlich geworden.
Wenn man sich etwa scheinbar neutrale Zahlen wie die von verletzten Polizisten ansehe, erwecke das den Eindruck von besonders gewalttätigen Protesten. Oft tauchten aber auch krankgemeldete Kräfte in den Zahlen auf oder solche, die gar nicht im Einsatz waren. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm habe die Polizei eine eigene Definition von Schwerverletzten eingeführt. Und auch zuletzt, in der Silvesternacht, verbreitete die Polizei Zahlen und damit eine Botschaft, die sich später als nicht ganz richtig herausstellte.
Wie sehr dürfen Medien der Polizei vertrauen?
Diese Zahlen hat Ronen Steinke sich etwas genauer angesehen. Er erklärt auf der SZ-Medienseite (€), warum Medien die Informationen der Polizei überprüfen müssen. In Berlin etwa hatte es zunächst geheißen, 145 Menschen hätten die Polizei und Rettungskräfte angegriffen. So eine Information lässt sich später nur noch schwer einfangen, auch wenn sie korrigiert wird. Das passierte in diesem Fall; am Ende räumte die Polizei ein, es seien wohl doch nur 38 Menschen Menschen festgenommen wurden. Und anders als zunächst behauptet hätten nicht zwei Drittel der Festgenommenen keinen deutschen Pass gehabt (Korrekturhinweis: Hier stand vorher "einen Migrationshintergrund"). Im Gegenteil: Zwei Drittel seien Deutsche gewesen, schreibt Steinke.
Die Polizei hätte schon viel früher die Möglichkeit gehabt, die unsicheren Informationen zu korrigieren. Doch das passierte nicht. Was stattdessen passierte, Steinke: "Pressemitteilung, Schlagzeilen, politischer Punktgewinn."
Dass die Polizei eine privilegierte Quelle sei, nennt Steinke "ein Missverständnis". Allerdings:
"In diesem Missverständnis steckt, immerhin, ein wahrer Kern, und zwar ein juristischer. Tatsächlich wird kein Gericht einen Journalisten oder eine Journalistin zu Schadensersatz verurteilen, wenn er oder sie treuen Herzens auf die Informationen der Polizei vertraut hat. So sagen das die Pressekammern der Landgerichte in ständiger Rechtsprechung. Den Verlautbarungen der Polizei dürfe von Medien 'ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden', unter anderem weil 'Behörden in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind'."
Die Folge sei, dass nicht Medien Schadenersatz zahlen müssten, wenn sie falsche Informationen aus öffentlichen Quellen übernehmen. Geschädigte Menschen müssten sich dann an die staatlichen Stellen wenden. Und das beeinflusst natürlich die Art der Berichterstattung, denn oft geht es um die Frage: Was stimmt denn nun eigentlich? Können Medien der Polizei oder anderen Behörden vertrauen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, werden sie möglicherweise diese Variante wählen, also die Behördeninformationen veröffentlichen, auch wenn es Hinweise darauf gibt, dass diese Informationen nicht so richtig zuverlässig sind. Überhaupt schwächt das den Anreiz, Informationen zu überprüfen.
Auch hier sieht Steinke ein Missverständnis, nämlich
"dass damit Medien schon aus ihrer Verantwortung heraus wären. So ist es nicht. Nur weil die Pressekammern die Journalisten vom Haken lassen, sind diese ihrer Verantwortung noch nicht gerecht geworden".
In Gerichten sei ein idealisiertes Bild von Polizei-Pressestellen verbreitet. Laut ständiger Rechtssprechnung, einer Auffassung also die vom höchsten Gericht immer wieder vertreten wird, dürfen Medien der Polizei unter anderem deshalb "ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen", weil "Behörden in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind", zitiert Steinke. Tatsächlich aber würden "News produziert, bewusst einseitig in eine bestimmte Richtung". So würden "Sicherheitsbehörden instrumentalisiert, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, natürlich über den Umweg der Medien". Und das sei "eine PR-Eifrigkeit, die jenen, die 'in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte gebunden' sind, nicht gut zu Gesicht steht".
In anderen Worten: Medien müssen nicht nur die Informationen der Polizei kritisch überprüfen. Sie müssen auch die Einschätzungen von Gerichten kritisch sehen – unter Umständen sogar dann, wenn zu erwarten ist, dass die Gerichte auf ihrer Seite stehen.
Altpapierkorb (Medienpolitik, Klamroths Premiere, Fake-Interview, zu nette Serienmörder, Intendantenrennen, Medfluencer)
+++ Helmut Hartung hat den wichtigsten Medienpolitikerinnen und Medienpolitikern des Landes drei Fragen gestellt, unter anderem, welches die medienpolitischen Schwerpunkte des Jahres werden. Gestern hat Hartung die Antworten von Heike Raab (SPD) und Thorsten Bischoff (SPD) veröffentlicht, der rheinland-pfälzischen Medienstaatssekretärin und ihrem Pendant aus dem Saarland. Am Dienstag veröffentlichte Hartung die Antworten von NRW-Medienminister Nathanael Liminski.
+++ Louis Klamroth hat zum ersten Mal die Polit-Talkshow "Hart aber Fair" moderiert. Volkan Agar schreibt für die taz, Klamroth habe "bestimmt aber empathisch" durch die Diskussion geführt, doch am Ende habe er ein zu versöhnliches Ende gesucht. Christian Geyer-Hindemith schreibt in der FAZ, die Sendung sei "eher ein harmloses Schlafmittel (…) als ein harmloses Vergnügen" gewesen. Cornelius Pollmer hat die Sendung "aber als buchbare Rückenmassage" wahrgenommen – "mit dem klaren Produktversprechen, sämtliche Verspannungen mal wieder zu lösen und sei es nur für eine Nacht", schreibt Pollmer (€) auf der SZ-Medienseite vom Mittwoch.
+++ Die "Bild"-Medien sind auf einen Betrüger reingefallen, der sich als der Rainer Winkler aka "Der Drachenlord" ausgegeben hat, berichtet Marvin Schade für das Medien-Magazin "Medieninsider". Aufgefallen ist das offenbar nicht, weil man sich auf ein schriftliches Interview einließ, schreibt Schade. "Bild" verteidigt sich damit, dass man die Person aufgefordert habe, einen Ausweis vorzulegen, doch der sei gefälscht gewesen. Es sei "kriminelle Energie" im Spiel gewesen. Nach dieser Darstellung wurde "Bild" hier zum Opfer. Und die Kommunikationsstrategie kennen wir doch irgendwoher.
+++ Das NDR-Medienmagazin "Zapp" beschäftigt sich in einem 20-minütigen Beitrag mit den sogenannten "Medfluencern", also Ärztinnen und Ärzten oder Menschen, die Medizin studieren, und ihr Wissen bei Youtube, Instagram oder TikTok vermarkten. Das kann zum Beispiel dann problematisch werden, wenn diese Menschen Werbung machen. Ärzte dürfen das gar nicht, Studentinnen schon. Die Frage ist in jedem Fall, ob sie das sollten.
+++ Die frühere Altpapier-Autorin Kathrin Hollmer kritisiert in einem Beitrag für "Übermedien", dass bemerkenswert viele Serien Serienmördern eine Bühne bieten und leitet diesen ein mit dem vielleicht ältesten Problem der Medienkritik: "Es fühlt sich nicht gut an, einen Text über Serienmörder zu schreiben, wenn man eigentlich dafür plädiert, Serienmördern keine weitere Bühne zu bieten."
+++ Hier noch zwei Meldungen von unserem Altpapier-Host MDR: Im Auswahlverfahren um die Nachfolge von Karola Wille als MDR-Intendantin sind noch zwei Kandidaten und eine Kandidatin im Rennen, berichtet die Leipziger Volkszeitung (€). Laut einer Zusammenfassung von Alexander Krei für DWDL sind das KiKA-Chefin Astrid Plenk, Verwaltungsdirektor Ralf Ludwig und Funkhaus-Chef Boris Lochthofen, wobei Lochthofen Favorit sei.
+++ Die MDR-Talkshow Riverboat hat drei neue Moderatoren: Programmchef Klaus Brinkbäumer, den Komödianten Matze Knop und dem Moderator Wolfgang Lippert, berichtet unter anderem die Agentur dpa, hier nachzulesen bei der FAZ.
+++ Und ein Hinweis auf eigene Inhalte: Die MDR-Redaktion "MEDIEN360G" hat ein umfangreiches Dossier zum Thema "Haltung, Meinung, Journalismus" zusammengestellt. Wenn Sie mal reinschauen mögen, Sie finden es hier.
Das Altpapier am Freitag schreibt Klaus Raab.