Das Altpapier am 17. April 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 17. April 2023 Entschuldigung, schlapp und schläfrig

17. April 2023, 10:45 Uhr

Es gibt viele medienjournalistische Themen, aber der Umgang von Springer-Chef Mathias Döpfner mit seinem Handy schlug am Wochenende alles: Es ging um Nudeln al dente und, wichtiger, um Axel Springers Compliance-Regeln. Sogar "Bild" schrieb. Und Döpfner selbst dann auch. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Feindbildbedienung und Hingabe

Springer-Chef Mathias Döpfners Umgang mit Messengerdiensten (Altpapier vom Freitag) hat auch am Wochenende für eine Menge Reaktionen und Artikel gesorgt. Hätte man nur die Texte vorliegen und wüsste nicht, welcher in welchem Medium erschienen ist – wahrscheinlich könnte man dennoch viele korrekt zuordnen. Die "taz" etwa bediente ziemlich ungebrochen ein altes Feindbild ("Unser Trump"). Die "Berliner Zeitung" schoss sich heftig und mit einem, wow!, Rattenvergleich auf die "Zeit" ein, die Döpfners Nachrichten veröffentlicht hatte (und die in derselben Verlagsfamilie erscheint wie der "Tagesspiegel" als größter Konkurrent der "Berliner"). Die "Süddeutsche Zeitung" brachte am Samstag unter anderem eine ganze süffisante Seite 3. Und die folgende Döpfner-Verteidigung –

"Döpfners Texte, auch seine SMS-Prosa, lesen sich würziger und kantiger, als viele Leitartikel die in Deutschland verfasst werden. Sein Problem: Das wissen die Verfasser labbriger Texte sehr genau. Sie hassen sich und ihn für genau diesen Unterschied: Seine Nudel ist al dente. Ihre hängt schlapp und schläfrig über der Gabel" –,

die ist ein klassischer Gabor Steingart, dem man immerhin lassen muss, dass er wirklich einen ganz eigenen schlechten Stil kultiviert hat. (Dass Axel Springer erhebliche Anteile an seinem Medienunternehmen hält, wie auf seiner Website steht, hätte er freilich irgendwo im Rahmen seiner hingebungsvollen Döpfner-Verteidigung auch kurz mal fallen lassen können.)

Wie "Bild" über Döpfner schreibt

Steingart ist aber nicht der einzige Autor eines Springer-Beteiligungs-Mediums, das in die Döpfner-Berichterstattung eingestiegen ist. Noch vor ihm, online am Freitagabend, brachte die "Bild" zwei Texte über ihren eigenen Vorstandsvorsitzenden. Und sie wurde halbwegs deutlich. Der Kommentar von Chefredakteurin Marion Horn endete mit dem Absatz: "Ja, Mathias Döpfner hat Sätze gesimst, die so wie sie dastehen, absolut nicht in Ordnung sind. Aber das ist nicht, was wir bei BILD oder in diesem Verlag denken. Eigentlich ist eine Entschuldigung fällig, Chef!"

Was ist die Strategie hinter dieser Vorwärtsverteidigung? Dass die sich von Döpfner beleidigt fühlenden ostdeutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihm womöglich gerne einfach öffentlich sagen wollten, was sie von seinen Einschätzungen halten, ist das eine. (Dass ausgerechnet die Stellungnahme der Redaktion im zweiten "Bild"-Text aber vor Veröffentlichung entschärft worden sei, berichtete am Sonntagnachmittag die "SZ": "Kürzungen gehören – schon aus Platzgründen in der Papierausgabe – zum Redaktionsgeschäft, aber die entfernten Stellen hielten einige Mitarbeiter für wesentlich", schreibt sie. Die Formulierungen, dass die Redaktion "wütend und enttäuscht" sei und sich einen Vorstandschef wünsche, "der sich und seine Ausdrucksweise jederzeit im Griff hat", die in einer längeren Fassung gestanden haben sollen, standen bei bild.de jedenfalls nicht.)

Darüber hinaus ist "Bilds" Döpfner-Berichterstattung Krisen-PR. Zum einen gehe es darum, so analysiert dwdl.de, "die Leserschaft im Osten der Republik zu beruhigen". Zum anderen darum, die Unabhängigkeit von "Bild" zu betonen. In der Möglichkeit, dass sie beschädigt werden kann, liegt das Kernproblem für die Springer-Redaktionen: Es ist der Eindruck entstanden, Döpfner – der nicht Teil der Redaktion ist, sondern qua Job Konzerninteressen vertritt – nehme durch seine Machtposition top-down und nach Gusto Einfluss auf die Berichterstattung. Diesen Eindruck soll Horns Kommentar wohl zu zerstreuen helfen: "Ich lasse mir von niemandem sagen, was BILD zu schreiben hat."

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt. Einer der "Bild"-Texte beginnt so:

"'Schlüpfriges vom Springer-Chef – was er wirklich denkt über Merkel, Trump und die Ossis!’ – eine typische Boulevard-Story im BILD-Stil. Erschienen ist sie aber in der 'Zeit', gefolgt von Dutzenden 'Nachdrehen' anderer Medien."

"Schlüpfriges vom Springer-Chef"? In dieser Formulierung steckt der Versuch, die Angelegenheit zur Stilfrage herabzustufen. "Bild" tut hier so, als hätte sie aus dem Material selbst am ehesten eine bunte Story geschnitzt. Aber das hätte sie selbstverständlich nicht getan. Bei "Bild" arbeiten genug gewiefte Leute, die erkannt hätten, worin die Brisanz liegt: zum einen in der Beleidigung ganzer gesellschaftlicher Gruppen. Und zum anderen, und vor allem, in der versuchten Einflussnahme eines Konzernlenkers. Wenn der schreibt, er habe auf einen Spitzenpolitiker beim Abendessen eingewirkt, er möge den Kurs ändern, und dann seine Angestellten kurz vor einer Bundestagswahl dazu bittet, dessen Partei zu unterstützen, als "patriotic duty": Dann stünde in "Bild" sinngemäß etwas wie: "So will dieser Chef eines Wirtschaftskonzerns die Wahl beeinflussen". Oder würde sie gar eine "Manipulation" beklagen? Lediglich "schlüpfrig" fände sie es jedenfalls kaum.

Zumal Döpfner eben ein "Manager eines globalen Wirtschaftskonzerns mit Spartenunternehmen" ist und nicht etwa nur Verleger, wie es Felix W. Zimmermann bei lto.de, also bei "Legal Tribune Online", in einem instruktiven Text definiert. "Vom Grundsatz her ist eine Einflussnahme durch einen Verleger nicht verboten", heißt es dort. Aber: "Angesichts dieser breiten unternehmerischen Aktivitäten ist die Gefährdung der redaktionellen Unabhängigkeit durch den Einfluss der Konzernspitze deutlich ausgeprägter als bei reinen Medienverlagen, wo sich Konflikte regelmäßig darauf beschränken, keine Werbepartner zu vergraulen." Zimmermann verweist vor allem auf Springers Compliance-Regeln, in denen es heißt: "Die Geschäftsleitung überlässt journalistische Entscheidungen allein der Redaktion und mischt sich in diese nicht ein."

Und Döpfner? Bat am späten Samstag tatsächlich via "Bild" um Entschuldigung, dafür, "dass ich mit meinen Worten viele gekränkt, verunsichert oder verletzt habe". Allerdings hing seine Entschuldigung etwas schläfrig über der Gabel. Er entschuldigte sich jedenfalls nur exemplarisch, bei der Zielgruppe der sogenannten "Ossis".

Interessanter ist, wofür er sich nicht entschuldigte. Für einen Verstoß gegen die eigenen Compliance-Regeln etwa. Kein Wort an Muslime, keines zu seinen wüsten Einlassungen über ein Deutschland an der Schwelle zu "33" oder über den Klimawandel. Er schreibt: "Wenn ich wütend oder sehr froh bin, wird mein Handy zum Blitzableiter. Ich schicke dann manchmal Menschen, ­denen ich sehr vertraue, Worte, die 'ins Unreine' gesagt oder getippt sind. Weil ich davon ausgehe, dass der Empfänger weiß, wie es gemeint ist." Davon zumindest kann Döpfner wahrscheinlich schon ausgehen: dass der das weiß.

Und die restliche Welt?

Bei Springers "Welt", wo dem "Medieninsider" zufolge die Forderung nach einem Kontrollgremium laut geworden, lief Döpfner-Kritik, wenn ich nichts übersehen habe, online (zumindest bis Sonntagnachmittag) nur über einen Newsticker der dpa ein. Weitere Politikerinnen und Politiker haben demnach Döpfners Aussagen über Ostdeutsche kritisiert. Immerhin forderten sie nicht seinen Rauswurf wie Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, der am Freitag hier im Altpapier zitiert wurde mit der These, Döpfner sei "endgültig nicht mehr tragbar". Rauswürfe von Medienkonzernchefs und Rauswurfforderungen, wie sie auch die Landesgruppe Ost in der SPD-Bundestagsfraktion erhoben hat, sind nicht das Business der Politik und schon gar nicht von Regierungsmitgliedern. Der Hinweis, der mich dazu via Twitter erreicht hat, ist richtig.

Ein lesenswerter Kommentar: "Warum der Rundfunkbeitrag sinken muss"

Alle anderen Medienthemen dieser Tage kommen nun ein wenig kurz. Aber als öffentlich-rechtlich finanzierte Medienkolumne wollen wir, wie auch sonst, auch die Berichterstattung über die Öffentlich-Rechtlichen aufgreifen. Bitte schön, wenn auch knapp: Lesenswert ist Imre Grimms Kommentar zum Rundfunkbeitrag und zur ÖRR-Reform, der bei rnd.de frei online steht. Der Rundfunkbeitrag dürfe nicht nur nicht steigen; eigentlich müsse er sinken, fordert er mit Argumenten, denen ich nicht widersprechen möchte:

"Seit Jahren schon haben ARD und ZDF ein Legitimationsproblem – vor allem, weil ihre Manager trotz üppigster Garantiefinanzierung in Sachen Sparwillen und Reformanstrengungen noch immer keine Maximalbereitschaft zeigen, Gewohnheitsrechte und Privilegien aufzugeben, solange sie nicht müssen. Zu häufig steht der Be­stands­schutz im Vordergrund. Von innen mag sich die Erneuerung schon jetzt anfühlen wie eine schmerzhafte Rosskur. Von außen aber und im Gesamtbild ist sie bisher kaum mehr als Kosmetik. ARD-Chef Kai Gniffke etwa will die Social-Media-Accounts der Sender halbieren. Das ist die aktuelle Flughöhe der Reformpläne."

Am Rand bezieht sich Grimm auch auf "die Skandale beim rbb und beim NDR". Ersterer begann mit der Schlesinger-Affäre, die längst juristisch ausgetragen wird. Neuester Move: Nachdem die ehemalige Intendantin Patricia Schlesinger ein Verfahren gegen den RBB angestrengt hat und ein Ruhegeld von 18.400 Euro pro Monat fordert, verklage der RBB sie auf Schadensersatz von 250.000 Euro, so Springers "Business Insider". Auch der "Tagesspiegel" berichtet.

Alles Weitere nun im…


Altpapierkorb (über mögliche Interessenkonflikte – und noch viel mehr über Mathias Döpfner)

+++ Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender hätten bei möglichen Interessenkonflikten eine besondere Verantwortung, wird Volker Lilienthal, Journalistikprofessor in Hamburg, bei tagesschau.de zitiert: "Die Staatsferne des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk wird gerade heute von bestimmten politischen Milieus grundsätzlich abgestritten. Und da kommt es umso mehr darauf an, dass alle Beteiligten, also Mitarbeitende genauso wie Vorgesetzte, dieses Problem im Auge haben." So die Einordnung in einem Artikel, in dem es vor allem um fünfstellige Honorare geht, die eine freie Journalistin und Moderatorin auch öffentlich-rechtlicher Sender für die Moderation von Veranstaltungen des Bundeskriminalamtes bekommen hat (siehe auch Altpapier vom Donnerstag).

+++ Gibt es eigentlich keine muslimischen Springer-Mitarbeiter, die sich von Mathias Döpfners Kollektivabwertungen beleidigt fühlen? Einen Grund könnten sie finden – Stichwort: Döpfners Formulierung "fuck the intolerant muslims und all das andere Gesochs", die aber fast nirgends im Zentrum der Betrachtungen steht, siehe dazu freitag.de.

+++ Auch die "FAZ" hat mittlerweile eine große Analyse der Döpfner-Affäre, einen Gastbeitrag des Soziologen Nils Kumkar, der schreibt: "Zy­nismus, der sich einer populistischen Sprache bedient und Ressentiments entfacht, um eigene Interessen zu verfolgen, ist die Unterstellung. Dass in Wirklichkeit die politische Kommunikation innerhalb des Verlags, zumindest vonseiten ihres CEOs, gar nicht zynisch ist, sondern genau dieselben Ressentiments und politischen Ziele bis hin zum Tonfall einfach reproduziert, ist die Überraschung."

+++ Ein und dieselbe Kanzlei vertrete ungewöhnlicherweise sowohl Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt als auch eine Frau, die ihm Machtmissbrauch vorwirft. Schrieb am Samstag die "SZ" auf der Medienseite. (Zusammen mit einem weiteren Text über den Amtsantritt des neuen – eigentlich ostdeutschen – "Bild"-Chefs Robert Schneider.)

Das Altpapier vom Dienstag schreibt Christian Bartels.

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