Kolumne: Das Altpapier am 25. Mai 2023 Sägen, was ist
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25. Mai 2023, 13:42 Uhr
Beim Spiegel wackeln wieder die Stühle. Der Chefredakteur muss angeblich gehen. Aber warum eigentlich? Und was ganz anderes: Wie sieht’s eigentlich mit dem Rundfunkbeitrag aus? Ein Zwischenstand. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Was beim "Spiegel" schon wieder los ist
Am Mittwochmorgen meldete die "Spiegel"-Gruppe zwar einen leicht gesunkenen Umsatz, aber doch sehr erfreuliche Zahlen, unter anderem einen Gewinn von über 40 Millionen. Der Anteil des Magazins am Gesamtumsatz war um fünf Prozentpunkte, also ganz beachtlich auf 61 Prozent gestiegen, schrieb unter anderem der Branchendienst "kress". Dazu beigetragen hat danach vor allem das Geschäft mit den Digitalabos, inzwischen sind es laut "kress" über 300.000. Und irgendwann in der Redaktionskonferenz muss "Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann angedeutet haben, dass seine Tage an der Spitze des Magazins wohl gezählt sein könnten – oder jedenfalls wurde das so verstanden. Das Magazin "Business Insider" meldete es zuerst.
Grund ist nach mehreren Berichten ein Machtkampf zwischen Klusmann und Co-Geschäftsführer Stefan Ottlitz, der Klusmann aus Gründen, die nicht klar sind, offenbar gerne loswerden würde.
In der Redaktion sieht man das anscheinend anders. "Business-Insider"-Chefredakteur Kayhan Özgenc twitterte am Abend, es gebe massive Kritik an Stefan Ottlitz. Große Teile der Redaktion stünden hinter Klusmann, die Rede sei von einer Unterschriftenliste. Am Morgen veröffentlichte "Business Insider" einen Brief aus der Redaktion, in dem es unter anderem heißt:
"Ein Auswechseln der Chefredaktion würde keines unserer aktuellen Probleme lösen, wie die sich eintrübenden Geschäftsaussichten. Im Gegenteil, dies hätte eine erneute, mehrmonatige Lähmung des ganzen Hauses zur Folge. Wir fordern daher die KG sowie die Geschäftsführung auf, diesen destruktiven Kurs zu verlassen und zu einem konstruktiven Miteinander der gesamten Führung im Haus beizutragen."
Stefan Winterbauer sieht das in einem Kommentar für Meedia vor allem in der Mitarbeiter-KG. Er schreibt:
"Die KG ist in viele der immer wieder auflebenden Ränke- und Machtspielchen involviert, in deren Verlauf 'Spiegel'-Chefredakteure in teils atemberaubender Geschwindigkeit verschlissen wurden. Wolfgang Büchner, Mathias Müller von Blumencron, Georg Mascolo, Klaus Brinkbäumer, die Online-Chefin Barbara Hans – alle weggebissen und verschlissen. Kein anderes Haus leistet sich einen derartig liederlichen Umgang mit seinem Top-Führungspersonal wie der 'Spiegel'."
Das, was über die Gründe für den Streit bekannt ist, bezeichnet er als "fadenscheinig". Aber so viel ist eben auch gar nicht bekannt.
Marvin Schade schreibt in eine Analyse für den "Medieninsider", man wisse, dass es zwei Kritikpunkte gebe. Zum einen das von den Gesellschaftern bemängelte schlüssige Konzept, um die Zusammenführung von Online und Print zu Ende zu führen. Und die als überzogen wahrgenommene Forderung, 30 neue Stellen zu schaffen. Wobei die Frage sei, ob man das der Chefredaktion anlasten könne.
Falls Steffen Klusmann den "Spiegel" verlassen sollte, was am Morgen weiter offen war, stünde ein Nachfolger mehreren Berichten nach schon bereit. Der Branchendienst "Turi2" schrieb am Abend, Dirk Kurbjuweit solle Klusmann als Chefredakteur folgen. Das sei aus Verlagskreisen zu hören. Kurbjuweit war zwischen 2015 und 2018 schon einmal Vize, zuletzt leitete er in Berlin das "Spiegel"-Hauptstadt-Büro. Er ist mit 60 Jahren allerdings vermutlich eher eine Übergangslösung als die Zukunft. Zudem gilt er eher als Print-Mensch und ist damit keine Optimalbesetzung, um dem Digitalen im Haus mehr Gewicht zu verschaffen.
Neben dem Job in der Chefredaktion könnten auch andere Posten neu vergeben werden. Marvin Schade schreibt, möglich sei auch ein Misstrauensvotum gegenüber der Führung der Mitarbeiter-KG. Morgen dann sicher mehr.
Wie es mit dem Rundfunkbeitrag weitergeht?
Wie geht es denn jetzt weiter mit dem Rundfunkbeitrag? Volker Nünning hat die Gemengelage für den "Medieninsider" ein bisschen entwirrt. Der grobe Rahmen ist recht übersichtlich: Die Anstalten hätten gern eine starke Steigerung, während die Länder genau darauf gerne verzichten möchten. Aber schon da wird es kompliziert, denn die Erhöhung gilt, so Nünning, als "unausweichlich".
Doch auch das müsste nicht so sein, denn die Länder könnten relativ leicht den Auftrag so ändern, dass die Sender mit deutlich weniger Geld auskommen würden. Aber das würde für jedes einzelne Bundesland mit einem öffentlich-rechtlichen Funkhaus unter Umständen bedeuten: weniger Arbeitsplätze. Und das will man dann wieder auch nicht. Oder wie Volker Nünning schreibt, "für solche Entscheidungen fehlt den Ländern der politische Wille".
Daher müssen sie jetzt überlegen, wie es auch anders gehen könnte. Welche Möglichkeiten bleiben?
Laut Nünning mehrere:
- Beitrag einfrieren. Dann müssten die Sender sehen, wie sie klarkommen.
- Beitrag nur für zwei Jahren beschließen, dann könnte er möglicherweise immerhin zwei Jahre so bleiben.
- Überschüsse verwenden, weil zurzeit mehr Haushalte Beiträge zahlen, das könnte die Kosten etwas abfedern.
- Reformvorschläge des Zukunftsrats. Das wäre natürlich am allereinfachsten. Dann müssten Länder und Sender sich selbst nichts einfallen lassen.
- Ungenutzte Einsparmöglichkeiten. Das wäre für die Politik auch ganz praktisch. Gemeint sind damit zum Beispiel noch nicht optimierte Organisationssttrukuren, zum Beispiel IT-Systeme, die man zusammenführen könnte.
Nünning erklärt das in seinem Beitrag alles ausführlich. Viel mehr will ich dann auch nicht spoilern.
Was passiert, wenn die Länderchefs "Nein" sagen
Von den Ländern hört man immer wieder, dass sie einem höheren Beitrag im Zweifel einfach nicht zustimmen werden. Aber geht es überhaupt? Und was passiert dann?
Der frühere Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm sagt im Gespräch mit Ursula Knapp für die Frankfurter Rundschau:
"So einfach geht das nicht. Es gibt ja ein Verfahren dafür. Die Anstalten melden ihren Bedarf an. Die unabhängige KEF prüft die Anträge auf ihre Berechtigung und schlägt einen Betrag vor. Die Ministerpräsidenten schließen auf dieser Grundlage einen Staatsvertrag ab. Dabei sind ihre Möglichkeiten, von der KEF-Empfehlung abzuweichen, stark beschränkt. Ankündigungen von Ministerpräsidenten, man werde einer Beitragserhöhung nicht zustimmen, gehen an dieser Rechtslage vorbei."
Aber was, wenn die Länder einfach nicht zustimmen? Grimm:
"Wenn nicht alle Ministerpräsidenten zustimmen, gibt es keinen Staatsvertrag. Der Fall ist noch nicht vorgekommen."
Und was, wenn es so kommt? Als Sachsen-Anhalts Parlament vor drei Jahren der Beitragserhöhung nicht zustimmte, klagten die Rundfunkanstalten vor dem Bundesverfassungsgericht und bekamen am Ende recht. Grimm sagt:
"Auch wenn die Ministerpräsidenten von dem Vorschlag der KEF abweichen oder sich gar nicht erst auf die Höhe des Rundfunkbeitrags einigen können, hätten die Anstalten die Möglichkeit, sich wegen Verletzung der Rundfunkfreiheit an das Bundesverfassungsgericht zu wenden."
Das würde dann aber wieder dauern. Und irgendwann würde man vermutlich bemerken, dass man so auf Dauer nicht weiterkommt.
Was die privaten Medien sich wünschen
Auf der FAZ-Medienseite setzt Claus Grewing heute an der Stelle an, die wir oben schon passiert haben: Die Länder könnten den Auftrag neu bestimmen. Seiner Meinung nach müssten sie aber noch mehr machen. Grewing ist Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands Vaunet und "Chief Corporate Affairs Officer" von RTL Deutschland. Das könnte man übersetzen mit "Beauftragter für Unternehmensangelegenheiten". Aber wie langweilig klingt das denn bitteschön?
Der Vaunet-Chef fordert, warum auch nicht, eine Diskussion "mit einer breiten Perspektive", denn die privaten Medienanbieter und die öffentlich-rechtlichen Sender seien wie kommunizierende Röhren miteinander verbunden. Damit spielt er auf den Wettbewerb an. Die "weitgehende Entkopplung von ökonomischen Entwicklungen verschiebt automatisch den Druck auf die privaten Medien", schreibt Grewing. Er argumentiert also mit einem Wettbewerbsvorteil der öffentlich-rechtlichen Sender.
Und das führt unweigerlich zu folgendem Satz:
"Nicht nur aus der Perspektive von Wettbewerbern stellt sich die Frage, wofür es im öffentlich-rechtlichen Angebot mehr als 60 Schlager-, Klassik- und Popwellen oder neun dritte TV- Programme als Vollprogramme braucht."
Eine diskussionswürdige Forderung ist die nach inhaltlichen Vorgaben der Länder. Grewing vermisst diese. Sie erinnern sich. Statt den Auftrag einzuschränken, hatte man ihn einfach – auch so ein schönes Wort – flexibilisiert. Die Sender sollen selbst entscheiden, welchen Finger sie sich abschneiden. Grewing:
"Die Flexibilisierung des Auftrags kann dazu führen, dass sich die Grenzen für Angebote eher an den verfügbaren Finanzen als an klaren inhaltlichen Vorgaben orientieren."
Anders gesagt: Wenn es die Möglichkeit gibt, werden die Sender zuallererst versuchen, den Finger nicht gleich zu amputieren.
Der Vaunet-Chef wünscht sich zudem, dass man in der nächsten Staatsvertragsnovelle, anders als beim letzten Mal, auch das Radio- und die Online-Angebote berücksichtigt, denn auch sie erhöhten den Druck auf die privaten Anbieter. Auf Werbung sollen die öffentlich-rechtlichen Sender nach Grewings Vorstellung vollständig verzichten.
Gut, da kann man drüber reden, aber einen Punkt sollte man vielleicht am Ende noch erwähnen. Privaten Medien geht es, gerade weil sie ein wirtschaftliches Interesse verfolgen, eben auch darum, dieses Interesse mit der eigenen Berichterstattung und dem eigenen Programm möglichst nicht zu torpedieren. Das ist ein Grund dafür, dass es in Deutschland ebenso viele Medienseiten in Zeitungen gibt, die sich kritisch mit der eigenen Branche beschäftigen, wie Perpetuum Mobiles – nämlich genau keine.
Die FAZ-Medienseite ist nach meinem Eindruck ein sehr schönes Beispiel für einen medialen Ort, an dem es neben der Berichterstattung auch immer ums Trommeln für die eigenen Brancheninteressen geht. Würde man auf Michael Hanfelds Seite eine Wasserwaage auf die Berichterstattung zum Konflikt zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien legen, man könnte die Blase, die Auskunft über das Gleichgewicht gibt, womöglich gar nicht mehr sehen. Kann natürlich sein, dass mich mein Eindruck täuscht. Wir werden es sehen. Warten wir einfach auf den nächsten Debattenbeitrag, der von der anderen Seite aus auf das Thema schaut.
Altpapierkorb (Caren Miosga, Zapp, Vier-Punkte-Plan, Hassrede, Deutsche Welle, Bild, Wiener Zeitung)
+++ Caren Miosga soll offenbar Anne Wills Sonntagabend-Talk übernehmen; anscheinend geht es nur noch um vertragliche Details – so jedenfalls interpretiert Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite die Meldung, die am Dienstagabend auf tagesschau.de erschienen ist, und in der vom NDR eigentlich nur bestätigt wird, dass man Gespräche mit Carmen Miosga führt. Claudia Tieschky fragt auf der SZ-Medienseite, wie viel Veränderung die ARD ihrem Sonntagspublikum zutraut. Tieschky: "Weil Talkshows zu den Produkten gehören, die als Mediatheken-Ware gar nicht gut laufen, könnte sich auch ein neuer Sonntagstalk hauptsächlich an das konventionelle Publikum richten, das nicht in Mediatheken rumklickt, sondern den Fernseher anschalten", schreibt sie. Aber Miosga werde wohl niemanden verschrecken, man kennt sie ja schon.
+++ Die Redaktion des NDR-Medienmagazin "Zapp" hat bei Twitter eine Erklärung veröffentlicht, in der sie Vorwürfe zurückweist, die ihr nach einem Beitrag über Stadionvlogs gemacht worden waren. In der Stellungnahme, die bei Youtube auch als Kommentar unter dem Video steht, widerspricht der NDR unter anderem der Behauptungen des YouTubers Trymacs, dass er aus dem Kontext zitiert sei und man vorgegeben habe, ihn zu einem anderen Thema zu interviewen.
+++ Die bayerische Staatsregierung hat ein Vier-Punkte-Programm beschlossen, um Medienschaffende besser zu schützen, meldet "epd Medien". Unter anderem will man die Straftaten gegen Journalistinnen und Journalisten jährlich analyiseren. Bliebe nur eine Frage: Warum macht man das nicht schon längst?
+++ Alle Landesmedienanstalten können Verdachtsfälle von strafrechtlich relevanter Hassrede jetzt einer zentralen Stelle beim Bundeskriminalamt melden, schreibt "epd Medien". Von dort gehen die Meldungen, wenn sich der Verdacht bestätigt, an die vor Ort zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Das soll dazu beitragen, dass Hassrede auch tatsächlich verfolgt wird und Meldungen nicht einfach so auf irgendeinem Schreibtisch versanden.
+++ Rabeea Eid und Rashad Alhindi haben über ein Jahr lang recherchiert und in einem 66 Seiten langen Bericht dokumentiert, wie die Deutsche Welle den Vorwurf aufarbeitet, dass ihre Arabische Redaktion von Israel-Hass geprägt sei. Das hatten Süddeutsche Zeitung und das Magazin "Vice" vor zwei Jahren berichtet (zuletzt hier im Altpapier). Die Deutsche Welle setzte darauf hin eine externe Kommission ein. Der deutsch-palästinensische Journalist Alhindi sagt im Interview mit Fabian Goldmann für Übermedien, er halte die Kommission für falsch besetzt, und er kritisiert deren Definition von Antisemitismus. Ein deutsch-israelischer Soziologe, der für die Studie beauftragt wurde, komme in vielen Punkten zu einer anderen Bewertung.
+++ Und noch einmal zur Hassrede: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat einen Gesetzentwurf für ein "Digitales Gewaltschutzgesetz" vorgelegt, um Menschen besser vor Hassrede und strafbaren Inhalten im Netz zu schützen, schreibt Helmut Hartung auf seinem Blog "Medienpolitik.net". Laut dem Entwurf sollen Opfer fordern können, dass Hetz-Accounts auf sozialen Medien wie Twitter oder Facebook gesperrt werden.
+++ Die "Bild"-Medien schwören ihre Regionalredaktionen auf die Digitalisierung ein, schreibt Marvin Schade für sein Magazin "Medieninsider". Kurzer Blick in den Kalender: Mai 2023. Ach ja. Tenor des Berichts: Auch in den Regionalausgaben haben sie jetzt gemerkt, dass es mit der Papierzeitung so wohl nicht ewig weitergehen wird. Und ein Zitat aus dem Text möchte ich gerne hier unterbringen. Es ist von Max Schneider, der in Hamburg zuständig ist für "Bild Nord", und es lautet: "Ein tödlicher Allein-Unfall ist nichts für die Home, wenn wir aber wissen, dass der Vater mit Tempo 200 mit seinem Sohn in den Tod raste, holt es mehr als eine halbe Mio-Klicks." Na ja, was soll man sagen? Vielleicht: Herzlichen Glückwunsch, das klingt ja wirklich ganz wunderbar.
+++ Die Wiener Zeitung erscheint ab Juli nur noch online, beziehungsweise gedruckt nur noch zehn Mal im Jahr. Zwei Drittel der Stellen in der Redaktion entfallen. In der Politik ist das einigen sogar ganz recht, berichtet Michael Meyer für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres".
Das Altpapier am Freitag schreibt Klaus Raab.