Das Altpapier am 26. Mai 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 26. Mai 2023 Die Meinungsvielfalt, die Musk meint

26. Mai 2023, 11:56 Uhr

Der "Spiegel"-Chefredakteur wird abgelöst, der Nachfolger ist schon gefunden. Die Datenschutzgrundverordnung wird fünf, und sagen wir so: Da ist schon viel Gutes bei. Und eine Elon-Musk-Ron-DeSantis-Show bringt die Erkenntnis: Das Z in "Twitter" steht für Zuverlässigkeit. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Steffen Klusmann verlässt den Spiegel

"Die Aufregung ist groß im Glaspalast mit Hafenblick." So stand es in anmutiger Medienseitenphrasenprosa geschrieben im Jahr 2013, als der "Spiegel" seine Chefredaktion austauschte. Zehn Jahre und einige Chefs später tauscht der Glaspalast mit Hafenblick wieder den Chefredakteur aus. Wie man es seit Mittwoch läuten hörte, verlässt Steffen Klusmann das Magazin. Der "Spiegel"-Verlag gab am Donnerstag eine entsprechende Mitteilung heraus. Ralf Heimanns Prophezeiung aus dem gestrigen Altpapier kann damit als zutreffend bezeichnet werden. Er schrieb am Ende seiner Zusammenfassung der bis dato vorliegenden Analysen: "Morgen dann sicher mehr."

Die Frage, die heute im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, lautet: warum dieser Wechsel? Klusmann, der direkt nach dem Relotius-Skandal angetreten war, hatte in der Redaktion gewiss den einen oder anderen, aber keineswegs vorrangig Gegner (Altpapier vom Donnerstag); und die "Süddeutsche" schreibt nun faktisch korrekt: "Wie in jedem Unternehmen mit mehr als zwei Angestellten finden sich auch beim Spiegel abweichende Ansichten." Springers "Business Insider" will von einer "toxischen Führungskultur" in einem Ressort wissen und stellt einen Zusammenhang zu Klusmanns Abgang her, aber woran es wirklich lag? Die "SZ" denkt in eine andere Richtung:

"Dass auch in seine [also Klusmanns] Amtszeit Texte fallen, die wegen mangelhafter Recherchen gelöscht oder verändert werden müssen, verärgert manche in der Belegschaft. Anfang des Jahres erregte das Magazin zum Beispiel Aufsehen, als es vier Texte über ein syrisches Flüchtlingsmädchen löschen musste. (…) In den Geschäftszahlen hingegen findet sich keine zwingende Erklärung für die Notwendigkeit, den Chef loszuwerden. Die ergab sich wohl eher aus Dissonanzen zwischen Chefredaktion und Geschäftsführung im Hinterzimmer."

Das wird auch von Klusmann mehr als nur angedeutet. Er wird in der "Spiegel"-Verlagsmitteilung zitiert: "Zuletzt haben Geschäftsführung und ich in entscheidenden strategischen Fragen (…) allzu oft keine Einigkeit erzielt – was nun mein Ausscheiden zur Folge hat."

Was seine Nachfolge betrifft: Während 2013 im Chefredaktions-Findungsprozess noch öffentlich das halbe Telefonbuch vorgelesen wurde, bis man irgendwann mal eine neue Leitung hatte, wird es diesmal einfach der Mann, dessen Name als erster und bislang als einziger gefallen war: Dirk Kurbjuweit.

Kurbjuweit stehe als "Edelfeder" – ein Wort, das noch keine Edelfeder je benutzt haben dürfte – "vor allem für die klassische 'Spiegel'-Kultur und weniger für Aufbruch und digitale Innovation", schreibt welt.de und sieht darin einen "Malus": "Die Entscheidung für einen ausgewiesenen Print-Mann ist erklärungsbedürftig." Auch sonst ist man hier und da etwas skeptisch in der Medienbranche, was einerseits natürlich an den Mechanismen der Branche liegen kann. Andererseits aber auch an einem gestern hier schon zitierten Brief aus der Redaktion, in dem es hieß: "Ein Auswechseln der Chefredaktion würde keines unserer aktuellen Probleme lösen, wie die sich eintrübenden Geschäftsaussichten. Im Gegenteil, dies hätte eine erneute, mehrmonatige Lähmung des ganzen Hauses zur Folge."

Michael Hanfeld mutmaßt in der "FAZ" deshalb, geschrieben noch vor der offiziellen Verkündung des Wechsels: "Sollte Dirk Kurbjuweit tatsächlich nach dem möglichen Kickout von Klusmann Chefredakteur werden, dürfte der Machtkampf nicht beendet sein. Im Gegenteil."

"Machtkampf", "Aufruhr", "Brodeln" – man findet auch sonst die eine oder andere Vokabel aus dem Lexikon des Ausnahmezustands in der Berichterstattung. Fassen wir’s vielleicht für heute mal so zusammen: "Die Aufregung ist groß im Glaspalast mit Hafenblick." Und bei denen, die von außen reinschauen, ist sie auch zumindest nicht zu klein.

Ein Zweiteiler zum DSGVO-Jubiläum

Die Datenschutzgrundverordnung wurde am gestrigen Donnerstag… Moment, erst Cookies prüfen… gleich haben wir’s… noch speichern… so, jetzt aber: Die Datenschutzgrundverordnung wurde am gestrigen Donnerstag fünf. "Seit dem 25. Mai 2018 regelt die DSGVO in der gesamten EU, unter welchen Bedingungen persönliche Daten elektronisch verarbeitet werden dürfen", jubiläumt das Fachportal netzpolitik.org in einem Zweiteiler, der aus den Folgen "Die fünf größten Stärken" und "Die fünf größten Schwächen der DSGVO" besteht.

Zu den Stärken der DSGVO zählen Ingo Dachwitz und Alexander Fanta, dass "das große Versprechen der DSGVO" eingelöst worden sei: "Für all jene, die den Datenschutz wiederholt und absichtlich oder grob fahrlässig verletzen, sollte es teuer werden." Sie machen ein paar Abstriche, aber es gibt ein aktuelles Beispiel, über das diese Woche auch anderswo allerhand berichtet wurde, inklusive Reaktionen und möglicher Folgen (spiegel.de, tagesschau.de, faz.net…):

"(T)atsächlich haben Europas Datenschutzbehörden in den vergangenen fünf Jahren Bußgelder in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro verteilt. Gerade am Montag ist die Ankündigung eines Rekordbußgeldes hinzugekommen: 1,2 Milliarden Euro soll Meta für die illegale Verarbeitung von EU-Daten in den USA zahlen. Die bis dahin höchste Bußgeldsumme lag bei 750 Millionen Euro gegen Amazon in Luxemburg."

In der aktuellen "Zeit" wird dieses Vorgehen gegen Meta gar "ein Wunder" genannt. Also: läuft demnach, die DSGVO. Müsste man allerdings die beiden Netzpolitik-Artikel in einem Satz zusammenfassen, würde er beginnen mit der Formel "Da ist schon viel Gutes bei, aber". Selbst der Artikel "Die fünf größten Stärken der DSGVO" ist geprägt von allerlei Abers, von "Die meisten Strafen fallen allerdings deutlich geringer aus" bis "Viel zu selten nutzen die Aufsichtsbehörden bislang die Möglichkeit, nicht nur Bußgelder zu verhängen, sondern auch bestimmte Datenverarbeitungen zu untersagen".

Die nicht unbedingt größte, aber sicher bekannteste Schwäche der Datenschutzgrundverordnung ist jedoch diese:

"Laut DSGVO können Menschen mit ihrer Einwilligung jede denkbare Nutzung ihrer Daten erlauben. Sie können diese aber auch verweigern. In der Praxis wird bislang meist nur der erste Teil realisiert: Einwilligen müssen wir überall, das Ablehnen ist oft erschwert bis unmöglich. Wenn die Einwilligung immer so freiwillig und informiert erfolgen würde, wie es die DSGVO vorschreibt, dann würden viele Menschen diese nicht erteilen. Deshalb werden viele Unternehmen kreativ, um an den vermeintlichen Blankoscheck zur Datenverarbeitung zu gelangen. Ihnen und dem Konstrukt der Einwilligung haben wir das wohl größte Nervthema der DSGVO zu verdanken: Endlose Cookie-Banner."

Immerhin, und das wäre vielleicht sogar schon wieder eine Nebenstärke: Man kann als Nutzer schon an den Cookie-Bannern etwas über viele der Medien erfahren, auf deren Seiten man gerade unterwegs ist. Ruft man etwa bild.de auf (um längst nicht das einzige, aber ein sehr prominentes Beispiel heranzuziehen), steht man vor der Wahl, entweder ein Abo abzuschließen, dann "ohne Tracking, Cookies und personalisierte Werbung". Oder man stimmt Tracking und Cookies zu. Das klingt wie ein fairer Deal – man hat ja die Wahl. Aber wer glaubt, es gebe bei "Bild" keine Longreads, sollte mal die Liste der Cookies speichernden "Drittanbieter" durchscrollen, die man hinter einem Link im Kleingedruckten findet. Das Kleingedruckte ist das, was oberhalb des sehr schönen roten "Alle akzeptieren"-Buttons steht.

Twitter und Technik

Generelle Frage: Muss man als User eigentlich alles akzeptieren? Zum Beispiel, was bei Twitter an der Oberfläche geschieht? Auf der mischt sich Twitter-Käufer Elon Musk gerade in den US-Präsidentschaftswahlkampf ein.

"Musk will mit Twitter inhaltlich mitmischen. Die Zeiten im Käfig als bloße Plattform scheinen vorüber, der befreite Vogel soll nun auch eigene Inhalte produzieren", heißt es in der Textzusammenfassung eines Deutschlandfunk-Radiobeitrags. "Der High-Tech-Milliardär sieht sich als Verfechter eines freien Meinungsaustauschs, in dem rechtskonservative Positionen – so wie auch seine eigenen – insgesamt zu kurz kommen würden in der Medienlandschaft der USA."

Wo Donald Trump Twitter mehr oder weniger nur nutzte, bis er irgendwann seinen Account verlor, scheint der republikanische Hardliner und Trump-Konkurrent Ron DeSantis in Twitter nun nicht nur eine Plattform, sondern einen Partner zu haben:

"Nun ist Twitter also der Ort, an dem Ron DeSantis, der Vater des 'Don’t say gay'-Gesetzes, seine Kandidatur für die republikanische Präsidentschaftskandidatur 2024 verkündet. Ausgerechnet Fox News bestätigte die Meldung, dass Floridas Gouverneur sich im sogenannten Space äußern werde, also dem Dienst von Twitter, wo Audio-Live-Gespräche möglich sind. Moderator des Interviews: Elon Musk persönlich."

Dieses Audio-Gespräch allerdings geriet "technisch etwas holprig", wie es die "FAZ" im Leitartikel nennt. "Etwas holprig" – oder wie es der Online-"Spiegel" sagt:

"Für Twitter ist das eine Katastrophe. Ein Tech-Unternehmen, das sich vollmundig als 'zentralen Hub' für die Wahlen 2024 in Stellung bringen wollte, scheitert an der Technik. Und für DeSantis ist es ein Desaster."

Sueddeutsche.de schreibt: "Als der Stream um 18 Uhr starten sollte, warteten 600 000 Zuhörer auf Musk und DeSantis. Zu viel für Twitter." Wer hätte aber auch damit rechnen können, dass einem Gespräch, bei dem ein potenzieller Präsidentschaftskandidat etwas verkünden will, ein paar Leute beiwohnen würden? Das Z in "Elon Musk" steht für Zuverlässigkeit.

Altpapierkorb ("BZ am Sonntag", Gretemeier, Grimberg, Gniffke)

+++ Axel Springer stelle die "BZ am Sonntag" ein, berichtet der "Tagesspiegel"; eine "mangelnde wirtschaftliche Perspektive" sei der Grund. Von Springer liegt eine Bestätigung vor (horizont.net/dpa).

+++ Eine Frau, die nach der Elternzeit nicht mehr in ihren Job zurück dürfen könnte: Darüber schreibt Meedia.de. Es geht um Anna-Beeke Gretemeier, die "Stern"-Chefredakteurin. Gregor Peter Schmitz ist seit einiger Zeit Vorsitzender der Chefredaktionen. Dass er ihr "als Chefredakteurin die Führung des 'Stern' operativ überlässt", sei "schwer vorstellbar", so Meedia:"Gretemeier befindet sich noch bis zum Herbst in Elternzeit. In dieser Zeit ist die Journalistin unkündbar. Wollten Schmitz und RTL Gretemeier als Chefredakteurin loswerden, wäre das Vorgehen der Bertelsmann-Tochter befremdlich. Eine junge Mutter in Elternzeit aus dem Job zu drängen, würde so gar nicht in das Selbstbild des Gütersloher Medienriesen passen, der sich nach außen stets für Diversität und einen höheren Frauenanteil in Top- und Führungspositionen einsetzt."

+++ Steffen Grimberg, der zuletzt vor allem beim MDR und hier in der Redaktion von MEDIEN360G gearbeitet hat, die diese Kolumne betreut, übernehme die Leitung des KNA-Mediendienstes, schreibt flurfunk-dresden.de.

+++ Seine "taz"-Kolumne schreibe er weiterhin, heißt es dort auch. In Grimbergs jüngster Kolumne geht es um die Reform der Öffentlich-Rechtlichen. Und einen offenen Brief "von über 25 Medien- und Branchenverbänden, Instituten und Initiativen", entstanden unter Federführung der Deutschen Akademie für Fernsehen (DAFF). Angemeldet werde darin bei der zuständigen Rundfunkkommission der Länder Bedarf an einem "ständigen Medienkonvent".

+++ Derweil in der neuen Ausgabe von "epd Medien": "Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke hat gegenüber der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (Agra) seine Bereitschaft bekräftigt, die Redakteurinnen und Redakteure am ARD-Reformprozess zu beteiligen."

Neues Altpapier gibt es am Dienstag, dann von René Martens.

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