Das Altpapier am 9. Juni 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Kolumne: Das Altpapier am 9. Juni 2023 Wir wissen, wer es nicht wird

09. Juni 2023, 09:47 Uhr

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat am Donnerstag vermeldet, wer nicht die künftige Intendantin sein wird: die amtierende. Dafür kandidiert nun doch ein Mann. Offen ist auch die Frage, wie viel man in der RBB-Leitung verdienen sollte. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Katrin Vernau also nicht

Das "Tempo-Desk" des Rundfunks Berlin-Brandenburg hat am Donnerstag um 19.25 Uhr per Pressemitteilung bekannt gemacht, wer die ARD-Anstalt zukünftig nicht leiten wird. Titel der Mitteilung: "Vernau nicht zukünftige Intendantin".

Wenn eine Institution – was nicht jeden Tag passiert – vermeldet, wer eine Position nicht übernimmt, liegt der Spaß nahe, zumindest auch noch ein paar weitere Leute aufzuzählen, für die mit hoher Wahrscheinlichkeit dasselbe gilt. Dieter Nuhr, zum Beispiel. Das Sandmännchen. Oder, ach ja: Patricia Schlesinger.

Aber eigentlich hatte die Eigenmeldung des RBB (die bestätigte, was der "Tagesspiegel" zu dem Zeitpunkt bereits online notiert hatte) natürlich schon ihren Sinn. Katrin Vernau hätte ja durchaus Intendantin hätte werden können und als amtierende RBB-Interimsintendantin bei einer Wahl gewiss nicht die schlechtesten Karten gehabt. Wenn, ja wenn… Wenn der Rundfunkrat sie nicht am Donnerstag trotzdem abgelehnt hätte. Was er aber, so lässt sich die aktuelle Berichterstattung zusammenfassen, vielleicht nicht getan hätte, wenn sie sich ordnungsgemäß im Rahmen der Ausschreibung beworben hätte, statt nur zu bekunden, dass sie gern weitermachen würde. "Katrin Vernau, das muss vermerkt werden, ist nicht an ihrer Leistung seit Amtsantritt gescheitert, wahrlich nicht, wohl aber an ihrem Verhalten im Zuge der Ausschreibung", vermerkt Joachim Huber.

"Sie will gerufen werden", deutete Michael Hanfeld bei faz.net am Donnerstag Vernaus Nichtbewerbung – das war ein paar Stunden, bevor die Absage an sie öffentlich wurde. Die Idee allerdings, dass man sich ausgerechnet bei der Bestätigung als Aufräumintendantin dieser Anstalt an den für alle anderen geltenden Regeln vorbeidrücken könnte: Die ist schon bemerkenswert bzw. sorgte "nicht nur bei externen Beobachtern für Verwunderung" (dwdl.de). War da nicht kürzlich etwas mit einer Intendantin beim RBB?

Katrin Vernau selbst teilte am Donnerstagabend laut "SZ" mit, sie sei "zwar nicht fröhlich, aber ohne Groll" – was zum einen für sie, zum anderen aber auch für das Ganze schön ist: Denn erstens ist kein Groll generell gut fürs Gemüt. Und zweitens ist "kein Groll", was Anwaltskosten betrifft, regelmäßig die günstigere Variante als Groll.

Was bislang (sofern ich nichts übersehen habe) nirgends steht, ist, was den Groll im Zaum gehalten haben könnte: Vernau kam bekanntlich vom WDR und hat, wie berichtet wird, ein Rückkehrrecht (etwa tagesspiegel.de hält das nochmal fest). Laut dem WDR-Geschäftsbericht (pdf) für 2021 verdiente sie beim WDR zuletzt 247.000 Euro pro Jahr, genau so viel wie der soeben wiedergewählte Programmdirektor Jörg Schönenborn. Das wäre, womöglich, sogar mehr, als sie als künftige RBB-Intendantin bekäme.

Was verdient man in der RBB-Intendanz?

Dieses "womöglich" ist ein interessanter Fall. Denn was die nächste Führungsfigur des RBB verdient, darüber wird zwar spekuliert, aber es ist noch nicht klar.

Das Gehalt ist ein Faktor vor allem auch in einer anderen Personaldiskussion rund um die Intendantenwahl. Die ist nun doch nicht mehr nur eine Intendantinnenwahl, wie es am Dienstag der Stand war. Denn Jan Weyrauch ist wieder "im Rennen" (u.a. tagesspiegel.de vom Donnerstagvormittag), nachdem er eigentlich seine Bewerbung zurückgezogen hatte, wohl weil es beim RBB eine Gehaltsobergrenze geben soll (Altpapier vom Mittwoch). Diese Grenze gibt es wohl auch irgendwie, als Annahme und Erwartung. Allein, wo steht’s geschrieben?

In der "Süddeutschen Zeitung" schreibt Claudia Tieschky dazu:

"Die Rechnungshöfe von Berlin und Brandenburg etwa wollen das Intendantengehalt an die Höhe von Ministergehältern koppeln – was es deutlich absenken würde, womöglich unter das von der ARD ausgewiesene Gehalt eines Programmdirektors von Radio Bremen von rund 198000 Euro jährlich. Doch es gibt zu den neuen Gehaltsstrukturen keinen Beschluss im RBB, damit auch keine Klarheit über das Intendantengehalt."

Michael Hanfeld von der "FAZ" macht ein wenig mehr prophylaktische Erregung an die Angelegenheit –

"Die Rundfunkräte wählen zwar die neue Chefin oder den Chef des Senders, das Gehalt aber handelt die oder der Gewählte hernach mit dem Verwaltungsrat aus. Ist jemand einmal gewählt, hat sie oder er beste Karten, den Preis nach oben zu treiben" –

und verweist für eine "mögliche Lösung" der dahinter stehenden möglichen Kontrollgremien-Spannungen auf die Landesregierung des Saarlands und den Saarländischen Rundfunk; eine Lösung, die turi2.de so zusammenfasste:

"Jährlich soll das Gehalt der SR-Intendanz 180.000 Euro 'nicht übersteigen', der aktuelle Intendant Martin Grasmück erhält derzeit 245.000 Euro. Zudem soll der SR als Reaktion auf den RBB-Skandal künftig von einem 'Direktorium als Kollegialorgan' geführt werden, also von mehreren Personen. Die Intendanten-Verfassung schätzt die Staatskanzlei dem Bericht zufolge 'als nicht mehr zeitgemäß und hoch missbrauchsanfällig' ein."

Framen wir die ganze Geschichte mal so: Es ist immer was los rund um Ihre stets unterhaltsame ARD. Popcorn!

Was macht eigentlich: das Framing?

Wäre das Altpapier ein Nachrichtenformat, wäre das jetzt kein zulässiges Framing gewesen – weil es die Vorgänge rund um die Folgen des ARD-Skandals zum Entertainment und die Komplexität der Kontrolle der Öffentlich-Rechtlichen und ihre Reformbedürftigkeit zu einer Seifenoper herabstufen würde.

"Framing"? Schlagen wir sicherheitshalber noch einmal nach bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Dort steht:

"Medien haben die Möglichkeit, bei der Behandlung von Themen und Ereignissen bestimmte Teilaspekte des Themas hervorzuheben und andere zu vernachlässigen. (…) Die Tatsache, dass journalistische Darstellungen aktuelle Ereignisse in einen bestimmten Rahmen stellen, sie einordnen und mit bisherigen Informationen in Beziehung setzen, ist unausweichlich und gehört zu den Aufgaben des professionellen Journalismus."

In einem Gastbeitrag in der "Zeit" wenden sich Marcel Machill, Professor für Journalistik in Leipzig, und Chantal Awassi (die dem Autorinnenhinweis zufolge Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert) allerdings gegen Framing im "nachrichtenbasierten Journalismus"; gegen bewusst Verzerrendes: "Wenn Ecken, Kanten und Widersprüche glatt gebügelt werden, um den Anschein zu erwecken, dass eine Situation eindeutig, ein Widerspruch unsinnig und die Wirklichkeit von einem klaren roten Faden durchzogen sei – dann wird bewusst verzerrt."

Im Text heißt es:

"Mit Studierenden der Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig fand kürzlich ein Projekt statt, das zu einem besorgniserregenden Ergebnis kam. Die Teilnehmer konnten sich für ein Nachrichtenmedi­um entscheiden und mussten dessen regelmäßige Veröffentlichungen zwei Wochen lang studieren. Das Resultat: Von den elf Studentinnen und Studenten identifizierte niemand weniger als fünf Fälle von eindeutigem Framing, viele deutlich mehr."

Und: "Die gefundenen Frames reichen von vagen Andeutungen über Verzerrungen bis hin zu direkten Angriffen auf Politiker."

Als Beispiele genannt werden die Bezeichnung Boris Palmers als "umstritten" (tagesschau.de), einer Fluchtbewegung als "gigantisch" (in der "Zeit") oder die Überschrift "Frankreich streikt erneut gegen geplante Rentenreform" (zeit.de).

"Durch den Frame 'Frankreich streikt' entsteht der Eindruck, als ob ganz Frankreich streike, also die Franzosen schlechthin. Dies ist freilich nicht korrekt. Auch wenn die Auswirkungen des Streiks für Frankreich erheblich sind, entsteht das Bild, der Präsident sei völlig isoliert und das ganze Land stemme sich gegen ihn",

so Machill und Awassi.

Man könnte sich überzeugendere Beispiele vorstellen. In der Formulierung "Frankreich streikt" etwa eine bewusste Verzerrung zu sehen, ist nicht zwingend. Gewiss, längst nicht alle Französinnen und Franzosen mögen gestreikt haben. Da es sich aber um einen landesweiten Generalstreik handelte, mit dem "weite Teile des öffentlichen Lebens" lahmgelegt werden sollten, der also große Teile Frankreichs betraf, würde ich die Überschrift für vereinfachend, aber nicht für bewusst verzerrend halten. "Frankreich streikt" legt jedenfalls meines Erachtens nicht wirklich nahe, dass 100 Prozent der Menschen streiken würden. Aber diskutieren kann man darüber natürlich. Und Reflexionsanlässe sind immer gut. Wer als Journalistin oder Journalist noch nie ein umstrittenes "umstritten" irgendwo hingeschnuddelt oder es sich zu einfach mit einer notwendigen Vereinfachung gemacht hat, kann sich ja nach der Lektüre auf die Schulter klopfen.

Was mich allerdings nicht überzeugt, sind einige der hergestellten Zusammenhänge:

  • "Unsere Gesellschaft ist polarisiert wie schon lange nicht mehr", schreiben Machill und Awassi.
  • "42 Prozent glauben, dass den Medien von Staat und Regierung vorgegeben werde, worüber sie berichten sollen."
  • Oder: "zurzeit ist das Ansehen der Presse auf einem Tiefstand."

Aber: Die These, unsere Gesellschaft sei polarisiert, ist umstritten. Die 42-Prozent-Umfrage stammt aus dem Jahr 2015. Und das Ansehen der Presse ist (sofern Vertrauen in die Medien gemeint ist) der Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen zufolge zuletzt höher gewesen als vor der Pandemie, also zumindest nicht auf einem Tiefstand.

(Zu anderen und den jüngsten Zahlen zum Medienvertrauen, von denen es immer wieder welche gibt, die je nach Fragestellung und Methode mehr oder weniger unterschiedlich ausfallen, nun im Altpapierkorb.)


Altpapierkorb (Medienvertrauen, AfD, Joko Winterscheidt, "Erzähl mir, Inge…", KI)

+++ Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung habe neue Werte zum Medienvertrauen ermittelt, schreibt tagesspiegel.de und fragt: "Müssen diese Zahlen nicht alarmieren?" Nur 58 Prozent der Ostdeutschen würden demnach politischen Nachrichten in den öffentlich-rechtlichen Medien vertrauen, die Unterschiede zwischen Ost und West würden wachsen.

+++ Hier grob anschlussfähig ist Sabine Rennefanz’ spiegel.de-Kolumne "Wie die Medien die AfD groß machen": "Die wichtigen Leitmedien wie 'FAZ', Spiegel oder 'Süddeutsche Zeitung' werden im Osten fast gar nicht gelesen, was damit zusammenhängt, dass die östlichen Länder lange wie der ferne Osten betrachtet wurden."

+++ Joko Winterscheidts sechsteilige Klimawandel-Doku bei Amazon Prime knöpft sich Cornelius Pollmer in der "SZ" vor (gedruckt erschienen am Mittwoch, aber nun auch als Ressortaufmacher im Online-Medienressort): "Hinter allen tollen Schnitten und hinter allem sich bestimmt toll anfühlendem Ernsthaftigkeitsanspruch kommt es einem als Zuschauer zeitweise so vor, als habe man sich vor lauter Dusseligkeit auf eine blasige Berlin-Mitte-Party verlaufen, und auf einmal steht man da in einem Grüppchen mit Luisa und Joko, und Joko sagt, weil er am Nachmittag vom Youtube-Empfehlungsalgorithmus zufällig ein entsprechendes Filmchen eingekachelt bekommen hat, 'habt ihr schon mal von holistic grazing gehört? Das Prinzip ist super easy…'- und man denkt, okay, super easy, ja, aber ich geh' jetzt mal lieber." Andererseits: "Wäre es besser, statt einer solchen Doku lieber keine zu drehen? Vermutlich nicht."

+++  Die "FAZ" schreibt über "Erzähl mir, Inge …": "eine immersive Anwendung, die Meta gemeinsam mit dem Conversational-Video-Spezialisten 'StoryFile' in den letzten eineinhalb Jahren entwickelt hat und die auf Künstlicher Intelligenz basierend dynamisch Fragen beantworten kann. Kern des Projekts sind die bedrückenden Erfahrungen, Erinnerungen und plastischen Beschreibungen der Holocaust-Überlebenden Inge Auerbacher."

Am Montag schreibt Christian Bartels das Altpapier. Angenehmes Wochenende!

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