Kolumne: Das Altpapier am 13. Juli 2023 Informantenschmutz
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13. Juli 2023, 10:29 Uhr
Eine Recherche der "Zeit" gibt dem Reichelt-Friedrich-Streit einen neuen Spin. Offenbar hat Holger Friedrich den Kontakt zu Julian Reichelt gesucht. Später hat er ihn verpfiffen. Aber was ist dazwischen passiert? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wie Friedrich Reichelt ankumpelte
Nachdem der Verleger Holger Friedrich in zwei Fällen vor Gericht gegen den früheren "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt gewonnen hat (Altpapier) und das gängige Verständnis von Informantenschutz damit in Trümmern liegt, kommen nun neue Details ans Licht, die den Fall wieder etwas anders erscheinen lassen.
Kurz zur Erinnerung: Reichelt hatte Friedrich Material zukommen lassen, mit dem er glaubte, Lügen widerlegen zu können. Friedrich hatte das Material allerdings nicht veröffentlicht, wie Reichelt es sich gewünscht hätte, er gab es an die Springer-Rechtsabteilung weiter.
In einem der beiden Urteile ging es um Friedrichs Aussage im "Manager Magazin", bei dem Material habe es sich um "Vorstandskommunikation" gehandelt. Das sah das Hamburger Landgericht auch so.
Im anderen Fall urteilte das Landgericht Berlin, Friedrich sei nicht zum Quellenschutz verpflichtet, dazu hätte es einer "veröffentlichungsbezogenen Geheimhaltungsvereinbarung" bedurft, wie Anna Ernst es heute auf der SZ-Medienseite noch einmal zusammengefasst. Also anders gesagt: Beide Seiten hätten eine Willenserklärung abgeben müssen.
Damit sieht es nun zumindest vorläufig so aus, als wenn Friedrich sich nicht nur nach seinem eigenen Verständnis rechtskonform verhalten hat, sondern auch nach dem von zwei Gerichten. Der Rechtsstreit wird weitergehen, das kann sich in den nächsten Instanzen noch ändern.
Bislang sah die Geschichte so aus: Reichelt hat Friedrich mehr oder weniger ungefragt Material rübergeschickt, das er gern verbreitet haben wollte. Der hat ihn an seinen Chefredakteur verwiesen. Und nach einer rechtlichen Prüfung im Verlag hat Friedrich dann Springer informiert. Aber war das wirklich so?
Cathrin Gilbert, die Reichelt im Dezember 2021 die Gelegenheit gegeben hatte, in einem verständnisvollen "Zeit"-Interview (Altpapier) seine Sicht der Dinge darzulegen, hat für die aktuelle Ausgabe der "Zeit" Dokumente ausgewertet, die alles etwas anders erscheinen lassen.
Danach geht die Geschichte so: Drei Tage nach Reichelts Rauswurf meldet Friedrich sich bei "Julian". In einer Nachricht schreibt er, er empfinde es als "wenig fair, wie mit dir umgegangen (...) wird". Er kündigt an, dass sein Blatt sich da raushalten werde ("Wir treten nicht zu"), das habe er auch seinen Redaktionen mitgeteilt.
In gewisser Weise tritt Friedrich mit dieser Aussage allerdings trotzdem zu, und zwar seinen eigenen Redaktionen zwischen die Beine. Wenn der Verleger dem Chefredakteur mitteilt, wie die Berichterstattung in einem bestimmten Fall auszusehen hat, dann wird das im Berliner Verlag auch tatsächlich so gemacht? Das würde die Redaktion wieder einmal wie Friedrichs Marionette erscheinen lassen. Hier ist das allerdings nur ein Nebenaspekt.
Die Brisanz des Urteils
Laut Cathrin Gilbert geht die Konversation wie folgt weiter. Friedrich schreibt, "falls es Momente gibt, in denen du nicht weißt, wen du anrufen sollst oder ein ruhiges Essen und eine gute Flasche Wein brauchst, kannst du dich gerne melden". Und wenn das so stimmt, ändert sich zumindest ein Detail in der Geschichte: der Eindruck, Reichelt habe sich ungefragt beim Verleger gemeldet und ihm Material zugeschickt, das der womöglich gar nicht haben wollte.
Wie die "Zeit" berichtet, bot Friedrich an, einen Kontakt zu seinem Chefredakteur Tomasz Kurianowicz herzustellen. Er fragte: "Wie kann ich euch bestenfalls und vertraulich zusammenschalten?"
Gilbert bemerkt, das Wort "vertraulich" könnte im Streit um den Informantenschutz noch einmal wichtig werden. Zum einen das. Zum anderen trafen Reichelt und Kurianowicz sich laut dem Bericht nach der vertraulichen Zusammenschaltung in einem Berliner Café, um über die Sache zu sprechen.
Reichelt hat Friedrich also nicht initiativ kontaktiert und damit den falschen Adressaten gewählt, was gegen den Anspruch auf Informantenschutz sprechen könnte. Er ist auf ein Angebot eingegangen, hat also auf eine bestehende Verbindung zurückgegriffen, um in einer sensiblen Sache einen Kontakt zur Redaktion herzustellen.
Wenn das Berliner Landgericht eine beiderseitige Willenserklärung zur Voraussetzung für den Informantenschutz macht, wäre die Frage: Muss diese tatsächlich durch eine Unterschrift unter einem Vertrag zustandekommen? Oder reicht es zum Zustandekommen der Willenserklärung nicht vielleicht schon aus, dass beide Seiten sich an das gängige Prozedere halten.
Quellen stellen Medien brisantes Material ja nur deshalb zur Verfügung, weil sie davon ausgehen, dass der vertrauliche Umgang selbstverständlich ist.
An dieser Stelle wird die Brisanz des Urteils besonders deutlich: Wenn es elementar wichtig ist, dass Quellen sich vertraglich absichern und keinen Fehler machen, um überhaupt in den Genuss des Informatenschutzes zu kommen, entsteht zuallererst Unsicherheit. Das senkt die Wahrscheinlichkeit, dass Quellen sich entscheiden, mit brisanten Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen.
Das ist mit dem Urteil des Berliner Landgerichts bereits passiert. Die Unsicherheit ist da. Man muss hoffen, dass die nächste Instanz das schnell wieder korrigiert.
Offene Fragen und ein seltsamer Eindruck
Cathrin Gilbert stellt die bisherige Darstellung mit ihrer Recherche noch an einer anderen Stelle in Frage. Sie schreibt, die ihr vorliegenden Dokumente legten "den Eindruck nahe, der Verleger könnte in seinem Brief an Springer die Bedeutung des belastenden Materials übertrieben haben".
Ihre Recherche deutet an, dass die "Vorstandskommunikation", mit der Friedrich die Weitergabe des Materials an Springer begründet hatte, nur aus einer einzigen fünf Zeilen langen Nachricht bestehen könnte – und das wäre keine Nachricht des Vorstands, sondern eine des Springer-Compliance-Chefs in einem Whatsapp-Chat, in dem Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner lediglich Teilnehmer war.
Und da ist noch ein weiteres Detail, das zumindest die Frage offenlässt, ob das, was hier behauptet wird, tatsächlich alles so stimmt. Friedrich hatte angegeben, das Material von Reichelt sei vernichtet worden, aber dann war es plötzlich doch wieder da. Friedrichs Anwälte erklärten das laut Gilbert damit, dass man das Material wiederhergestellt habe.
Das wirkt sehr zweifelhaft. Der IT-Fachmann Friedrich lässt in seinem Haus brisantes Material vernichten, und das lässt sich dann später einfach so wieder herstellen? Rechte Maustaste, aus dem Papierkorb zurücklegen? Wenn es so war, wirkt das unprofessionell.
Am Ende bleibt ein seltsamer Eindruck: Der Verleger gibt seinen Redaktionen Anweisungen dazu, wie zu berichten ist? Er gibt brisantes Material von Quellen weiter, das für die Redaktion gedacht war? Und dieses vernichtet sein Haus dann so nachlässig, dass es dann später doch wieder vorliegt? Man kann für die Berliner Zeitung nur hoffen, dass es anders war.
Das ist durchaus möglich, denn die ganze Geschichte bleibt weiterhin lückenhaft. Eine offene Frage ist: Wie kann es sein, dass sich einer, der sich kurz vorher als Seelsorger angedient und zugesichert hat, nicht zuzutreten, genau das wenig später dann doch macht? Ist in der Zwischenzeit vielleicht etwas passiert, von dem die Öffentlichkeit bislang noch nicht weiß? Man muss davon ausgehen, dass beide Seiten nur die Chatverläufe lancieren, die ihnen nützlich sind. Vielleicht gibt es auch Chats, deren Veröffentlichung beiden schaden könnte.
Menschen tendieren dazu, nur das zu beurteilen, was sie sehen, und das zu vernachlässigen, was sie nicht sehen. Das ist die sogenannte Wysiati-Regel ("What you see is all there is") des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman. In solchen Situationen tendieren Menschen zu voreiligen Schlüssen. Relativ sicher sagen lässt sich bislang nur eines: Alles ist in diesem Fall wohl noch nicht zu sehen.
Altpapierkorb (BBC-Moderator, ZDF-Fusionsvorschlag, Mediengesetz im Saarland, RBB stoppt Gutachten, John Goetz, Zahlungsbereitschaft)
+++ Der Name des BBC-Moderators, der einen 17-Jährigen 35.000 Pfund für Nacktbilder bezahlt haben soll, ist immer noch nicht bekannt (Altpapier vorgestern), aber inzwischen bitten andere BBC-Moderatoren ihn, seine Identität preiszugeben, weil sie sich selbst unter Verdacht sehen, berichtet unter anderem Gina Thomas auf der FAZ-Medienseite. Der unter Verdacht stehende Moderator selbst und der 17-Jährige streiten die Sache ab, die Mutter des Jungen bleibt bei ihrer Darstellung. "Die Geheimhaltung der Identität des Betreffenden wird von einigen Rechtsexperten als ein Zeichen der schleichenden Wirkung von verschiedenen Urteilen zum Schutz der Privatsphäre gewertet. Diese hätten eine Grauzone geschaffen und würden Medienorganisationen dazu verleiten, Selbstzensur zu üben", schreibt Thomas. Im jüngsten Fall komme die Unklarheit darüber hinzu, ob überhaupt ein Straftatbestand bestehe, falls die Beschuldigungen gerechtfertigt seien. In Großbritannien gelten Jugendliche ab sechzehn Jahren als sexualmündig. Sexualisierte Bilder auszutauschen, sei aber erst ab 18 Jahren erlaubt.
+++ Thüringens Medienminister Benjamin-Immanuel Hoff schlägt in einem Beitrag auf der FAZ-Medienseite vor, nicht ARD und ZDF zu fusionieren, sondern das ZDF und das Deutschlandradio. Die Angebote könnten sich ergänzen, um ein "umfassendes Bild der deutschen Wirklichkeit" zu vermitteln, wie es in den jeweiligen Staatsverträgen beider Anstalten festgelegt ist. Dabei wären zum einen Synergien in der Verwaltung möglich. Hoff: "Spannender dürfte es sein, die Zusammenarbeit der jeweils 16 Landesstudios des ZDF und des Deutschlandradios zu intensivieren. Intensivierung ist hier explizit nicht als Euphemismus für Reduktion zu sehen, sondern vielmehr als engere Zusammenarbeit, die den nationalen Anbieter ZDF/DLR noch besser in die Lage versetzt, angemessen und eigenständig über die regionalen Ereignisse von nationaler Bedeutung vor Ort zu berichten, vor Ort in den Ländern präsent und kundig zu sein."
+++ Anke Schaefer berichtet für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" über das neue Mediengesetz, das der saarländische Landtag jetzt auf den Weg gebracht hat. Es sieht im Wesentlichen drei Neuerungen vor. Erstens: die Verkleinerung und eine neue Zusammensetzung des Rundfunkrats. Zweitens: eine Deckelung der außertariflichen Spitzengehälter auf der Führungsebene. Drittens: An der Spitze des Senders soll nicht mehr die Intendanz stehen, sondern ein Leitungsgremium. CDU-Fraktionschef Stefan Toscani kritisierte das als Parteipolitik. In dem Bericht sagt er: "Mehr als 30 Jahre gab es ja beim saarländischen Rundfunk sozialdemokratische Intendanten. Mehr als 30 Jahre haben Sozialdemokraten die Funktion des Intendanten ausgeübt. In all diesen 30 Jahren, da wollte die SPD kein Direktorium. Jetzt gibt es einen parteiunabhängigen Intendanten und jetzt auf einmal will die SPD ein Direktorium neben dem Intendanten." Die SPD beschloss das neue Gesetz mit ihrer absoluten Mehrheit am Ende trotzdem.
+++ Der RBB hat die Zusammenarbeit mit der Kanzlei Lutz Abel beendet, die eigentlich einen Abschlussbericht zum RBB-Skandal liefern sollte, das aber mehrfach verschob und nun nicht mehr muss. Das hat der Sender im Auftrag seines Verwaltungsrats nun mitgeteilt. Die Kanzlei hat dafür laut RBB bis April 1,63 Millionen Euro in Rechnung gestellt, mittlerweile dürften es über zwei Millionen sein. Der Verwaltungsratsvorsitzende Benjamin Ehlers begründet den Abbruch der Untersuchung mit den hohen Kosten, die im Sender schon länger für Unmut sorgen. Die Freienvertreterin Dagmar Bednarek sagte in einen Beitrag des Medienmagazins "Zapp", der Anfang Juli erschienen ist (bei Minute 23.10): "Es werden Millionen rausgehauen für dieses Gutachten, was ja ohne Auftrag und ohne Deckelung herausgegeben wurde – und wir uns fragen: Warum wir eigentlich jeden Cent fünf Mal umdrehen als Programmmacherinnen? Und da fließen die Millionen in Anwaltskanzleien." Dass das Mandat an die Kanzlei "freihändig und ohne Dokumentation" erfolgte, wie Timo Niemeier für DWDL schreibt, begründet der Sender mit Zeitdruck. Das könnte man auf jeden Fall auch noch mal untersuchen. Und by the way: Der frühere RBB-Verwaltungsratschef und Schlesinger Wolf-Dieter Wolf hält auch weiter zur früheren Intendantin und ist in dem Rechtsstreit jetzt "Nebenintervenient", wie dpa schreibt, hier zu lesen bei Newsroom.de.
+++ Die "Welt am Sonntag" hat eine Behauptung zurückgezogen, nach der NDR-Investigativjournalist John Goetz im Jahr 2016 eine Nacht in der Botschaft Ecuadors in London bei Julian Assange verbracht hat, berichtet Frederik von Castell für "Übermedien". Die Zeitung hatte die journalistische Distanz von Goetz zu Assange in Zweifel gezogen, weil dieser den Wikileaks-Gründer an seinem Geburtstag in der Botschaft besucht hatte. Goetz selbst sagt, er sei nach einem beruflichen Termin noch etwas länger geblieben. Kopien von Flugtickets und Hotelbuchungen stützen das. Der NDR nennt den Artikel, den "gescheiterten Versuch, unseren Mitarbeiter mit der Andeutung zu diskreditieren". Die "Welt am Sonntag" hat ihren Artikel zwar korrigiert, aber nicht gelöscht. Die Autoren gäben sich nicht zerknirscht, schreibt von Castell. Sie hätten in der Zwischenzeit neue Fragen geschickt.
+++ Das Instituts für Kommunikationswissenschaft der LMU München hat untersucht, wie man Menschen dazu bringen kann, für Inhalte im Netz zu zahlen. Sie haben dazu vier verschiedene Botschaften getestet, wie Bartosz Wilczek im Interview mit Sebastian Wellendorf erklärt: eine digitale, die auf den Zugang zu personalisierten und exklusiven Online-Inhalten hinweist, eine soziale Botschaft, die den Zugang zu Community-Events hervorhebt, eine normative Botschaft, die das Unterstützen von unabhängigem Journalismus betont, und eine Botschaft zur Preistransparenz, die über die finanzielle Situation der Medienbranche informiert. Ergebnis: Eine Kombination aus der normativen und der Preistransparenz-Botschaft waren am wirkungsvollsten. Also kurz gesagt: Wir machen unabhängigen Journalismus, und das kostet Geld.
Das Altpapier am Freitag kommt von Klaus Raab.