Das Altpapier am 18. Juli 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels.
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 18. Juli 2023 Der RBB fast wie Hollywood

18. Juli 2023, 09:23 Uhr

Bei der Berlin-Brandenburger Krisen-Anstalt streiken die Freien. Was ist davon zu merken? RTL bringt heute eine vermutlich bemerkenswerte Sondersendung. Sollte Deutschland sowieso medienpolitisch (wieder) von Nachbarländern wie Luxemburg lernen? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Nullrunde, Schaltfehler, Wiederholungen (RBB)

"Liebe Ulrike Demmer, herzliche Grüße von Ihrer künftigen Belegschaft! Sie können es sich denken: Die Stimmung im Sender hat einen neuen Tiefpunkt erreicht ..."

So beginnt ein offener Brief an die Mitte September antretende künftige RBB-Intendantin. Bei rbbpro.de, im Internetauftritt der Freienvertretung, ist er als PDF runterladbar. Mit diesen Grüßen haben mehr als 350 (hier kann man zählen...) von insgesamt gut 1500 Freien des RBB angekündigt, "statt wie sonst die Lücken in den rbb-Dienstplänen zu stopfen", in diesem Jahr selbst Urlaub zu nehmen – und zwar alle gemeinsam, eine Woche lang." Womit die schon ältere #wirsindnichtda-Aktion (siehe z.B. dieses Altpapier von 2021) fortgeführt wird.

Darüber berichten etwa "FAZ" und "taz" sowie die Journalistengewerkschaften. Die noch amtierende Intendantin Kathrin Vernau habe den freien Mitarbeitern zwar nach zweijährigen, also noch von ihrer Vorgängerin Schlesinger übernommenen Tarifverhandlungen eine Erhöhung und eine Inflationsausgleichsprämie zugesagt, das aber "an die verbindliche Zusage geknüpft, dass die Mitarbeiter für die Jahre 2025 und 2026 einer Nullrunde zustimmen", schreibt der "FAZ".

Das sei "nicht nur wirtschaftlich unzumutbar, denn in den beiden Jahren dürfte die Inflationsrate nicht auf null Prozent absinken. Es ist auch pure Erpressung", kommentiert beim DJV Hendrik Zörner. "Vernau hatte ihre Ansage damit begründet, dass es keine Beitragserhöhung geben werde", heißt es dann noch im Bericht von mmm.verdi.de. Das dürfte wohl politisch einer Mehrheitsmeinung entsprechen, ist aber prozedural stärkerer Tobak ist, weil es ja die streng vorgegebenen Abläufe mit der KEF, Abstimmungen in allen Landtagen und zur Not dem Bundesverfassungsgericht gibt.

"Streik beim RBB" lautet jedenfalls spektakulär die "FAZ"-Überschrift. Und einzelne Programmereignisse deuteten offenkundig auf so etwas hin. "Statt der Abendschau wurde heute in Berlin die Sendung Brandenburg Aktuell ausgestrahlt. Gegen 19:38 Uhr konnte das Problem behoben werden", twitterte ein RBB-Account etwa. Heißt: Statt der relativen Hauptnachrichtensendung des einen Bundeslands, für das der RBB sendet, lief zumindest zeitweise die des anderen, wobei es sich laut rbb24.de aber um einen "Schaltfehler" gehandelt habe. "Trotz Protesten keine großen RBB-Programmeinschränkungen", lautete dagegen die Überschrift einer Meldung der Nachrichtenagentur epd gestern:

"Die Aktion 'Wir sind nicht da' der freien Mitarbeiter sei lange vorher angekündigt gewesen, sagte eine RBB-Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst ... 'Daher konnte dies in der Programmplanung berücksichtigt werden.' Die Sprecherin sagte, für das Publikum werde es spürbare Einschränkungen des Programms 'absehbar nicht geben, weder im Fernsehen noch im Radio oder online'. Zu möglichen Änderungen der Programmplanung äußerte sich der RBB nicht."

Da "Wiederholungen im RBB-Programm ohnehin keine Seltenheit sind", wie Kurt Sagatz im Berliner "Tagesspiegel" zurecht schreibt, müsste schon sehr leidenschaftliches Publikum sein, um zu bemerken, ob da Beiträge erstausgestrahlt oder wiederholt werden. Könnte beim RBB, der im linearen Radio ohnehin häufig auf kurze, sich wiederholende Formen setzt (die immer auch Publikum, das zulange dranblieb, sozusagen rausschmeißen), und sich im Fernsehen abends eigentlich nur noch aus den riesengroßen Archiven der ARD bedient, also ein Streik überhaupt ähnliche Aufmerksamkeit erregen wie beispielsweise einer bei der Bahn (von dem, also dessen vorläufigem Ausbleiben, gestern auch im RBB-Radio häufiger die Rede war)? Oder wie ein Streik in Hollywood, von dem auch noch niemand etwas bemerkte, der nicht gerade an roten Teppichen auf Stars wartet, über den aber bereits breit berichtet wird?

Bemerkenswerte RTL-Sondersendung

Eine Moderationsüberleitung in multithematisch-magazinigen Zusammenhängen könnte an dieser Stelle betonen, dass zwar die Stimmung auf neue Tiefpunkte sinkt. Aber immerhin steigen die Temperaturen. Schwups hätte man, mit sommerlicher Musik und/oder eingeblendeten Sonnenstrand-Fotos im Hintergrund das Publikum emotional schön mitgenommen, auf dass es hoffentlich dranbleibt. Funktioniert das noch so, während die Temperaturen an vielen Stellen beängstigende Höhepunkte erreichen (Altpapier gestern)?

Der Reflex, "dass Hitzemeldungen noch mit Badespaßbildern unterlegt werden", passt nicht mehr, sagt Leonie Sontheimer vom Netzwerk Klimajournalismus in "mediasres" nach gut anderthalb Minuten. Die Textfassung bei deutschlandfunk.de illustriert dann auch ein bemerkenswert konträres Fotos eines "vertrockneten Flussbetts in Spanien". Auf die Frage nach den richtigen Begriffen – "Sagt man Klimawandel, Klimakrise, Klimakatastrophe?" – gibt Sontheimer sympathischerweise keinen Rat. Dafür, dass die Festlegung auf einzelne Begriffe mindestens so sehr zu Gewöhnungseffekten führt wie vielleicht auch zu mehr Bewusstsein, gibt es ja gerade allerhand Beispiele. (Wobei, "Klimakrisenverschleppung" bzw. "-verdrängung", würde Samira El Ouassil in ihrer jüngsten, auch schon 150. uebermedien.de-Kolumne sagen ...).

Wie Medien damit produktiv umgehen können, zeigt jedenfalls RTL, das am heutigen Abend um 20.15 Uhr kurzfristig eine viertelstündige Sondersendung unter dem alarmierenden Doppeltitel "Extremhitze am Mittelmeer - Urlaub im Glutofen Südeuropa" einschiebt:

"RTL selbst hat bereits in diesem Jahr gute Erfahrungen mit einem "RTL Aktuell"-Spezial über die Hitze gemacht. Vor rund vier Wochen wurde eine entsprechende Sendung zur besten Sendezeit von mehr als 2 Millionen Menschen gesehen, der Marktanteil in der klassischen Zielgruppe lag bei starken 18,8 Prozent",

wissen die Zahlenfüchse von dwdl.de. Vielleicht haben ja Marktforschungen ergeben, dass im Sommer RTL-Publikum viel eher nach Malle etc. fliegt als öffentlich-rechtliches (das ja älter ist und vielleicht lieber in die Nebensaison ausweicht), weshalb sich Sondersendungen bei RTL ohnehin eher anbieten als bei ARD und ZDF. Vielleicht aber macht RTL, was immer sich ihm sonst vorwerfen lässt, auch einfach ganz gutes aktuell-lineares Programm.

Medienpolitisch von Nachbarländern lernen?

Die 736 Abgeordneten des deutschen Bundestags – deren Diäten übrigens niemals Nullrunden einlegen, sondern zum Juli "automatisch, ohne Debatte und öffentliches Aufsehen ... um 268,41 auf 10.591,70 Euro monatlich" stiegen, bevor sie nächstes Jahr stärker steigen werden (steuerzahler.de) – sind in der Sommerpause. Übers lang schon diskutierte Thema einer Zeitungszustellungs- oder generelleren Journalismusförderung werden sie wahrscheinlich vor der nächsten Wahl gar nicht mehr abstimmen. Das war vorige Woche hier Thema.

Steffen Grimberg hat die Frage für den KNA-Mediendienst weitergedreht, den Weimarer Medienwissenschaftler Christopher Buschow dazu interviewt und so viel Interessantes erfahren, dass gar nicht alles im Wortlaut-Interview steht, sondern teilweise nur in Grimbergs Kommentar dazu. Z.B. was den instruktiven Blick in Nachbarländer angeht. "Es gibt Länder, die zum Teil schon über Jahrzehnte Erfahrungen mit Presse- und Journalismusförderung gemacht haben", von denen Deutschland lernen könne – sowohl, wie man es besser nicht macht, als auch, wie womöglich doch. Wie nicht, dafür bildet die auch in den hochdeutschen Sprachgebrauch eingegangene "Inseratenkorruption" aus Österreich ein Beispiel. Wie womöglich doch, zeigten nordeuropäische Beispiele wie "eine funktionierende Innovationsförderung etwa in Dänemark", wo auch ein Mittelweg zwischen der Förderung von Zustellung gedruckter Zeitungen und von digitalen Inhalten gefunden wurde. Außerdem zeigten die Höchstplatzierungen nordeuropäischer Staaten in der vielbeachteten Medienfreiheits-Rangliste der Reporter ohne Grenzen, dass staatliche Förderung, wenn sie richtig umgesetzt wird, keineswegs verderblichen Regierungseinfluss bedeuten muss.

Ideen eines auch deutschsprachigen Landes zu beachten, rät Buschow außerdem, nämlich die der Luxemburger Presseförderung:

"'Dort wurden von Anfang an mehrere Kriterien eingeführt, dazu gehört unter anderem eine Mindestanzahl von unbefristet beschäftigten Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen.' Seit der Neufassung der Medienförderung 2021 erhalten alle Zeitungen einen jährlichen Grundbetrag von 200.000 Euro, zudem wird jede Redakteursstelle mit 30.000 Euro pro Jahr bezuschusst. Damit sichert das Großherzogtum eine beachtliche Pressevielfalt. Im nur rund 650.000 Einwohner zählenden Land erscheinen allein fünf Tageszeitungen."

Tatsächlich kommt Luxemburg in der deutschen Berichterstattung kaum mehr vor, seit Jean-Claude Juncker nicht mehr in den Talkshows sitzt. Weder im negativen Sinne, in dem Luxemburg dem Super-Datenkraken Amazon Steuervermeidung im großen Stil gestattet, noch im positiven, in dem Deutschland schon mal medienpolitisch von ihm gelernt hatte. Ältere Mitbürger erinnern sich vielleicht, dass das "L" im Namen RTL für Luxemburg steht – und lange dafür stand, dass privater Rundfunk dort bereits erlaubt war, als er hierzulande noch für Teufelszeug gehalten wurde.

Medienpolitik der EU

Falls wer den Sommer nutzen möchte, um noch tiefer in medienpolitische Verwicklungen, wie sie sich laufend ergeben, einzusteigen, wäre dieser Artikel der schon erwähnten Reporter ohne Grenzen zu empfehlen. Da geht es um SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation), also strategisch zur Einschüchterung gegen Journalisten eingesetzte, teure und langwierige Klagen. Eigentlich bestand schon lange Einigkeit, dass was dagegen getan werden müsse. Aber in den Mühlen der EU zwischen dem Europäischen Parlament (das ja fast so groß ist wie der Bundestag), der von Ursula von der Leyen geleiteten EU-Kommission und dem Rat der Europäischen Union, in dem alle aktuellen Mitgliedsstaaten-Regierungen direkt vertreten sind, wurde und wird immer länger daran rumgefeilt. Wie genau das vor sich geht, wird schon wegen der Schwer-Erklärbarkeit und der Dauer dieses Verfahrens selten groß berichtet. Daher lohnt sich zu lesen, was nun die ROG/RSF beklagen:

"... Der im Entwurf der Kommission vorgeschlagene Mechanismus, nach dem eine offensichtlich unbegründete SLAPP schnell vom Gericht abgewiesen werden kann, wurde vom Rat geschwächt. Die die Möglichkeit, in Berufung zu gehen, wenn eine solche schnelle Ablehnung einer SLAPP nicht stattfand, wurde gar ganz gestrichen. Dieser Mechanismus ist aber der Kern der ganzen Idee, zu verhindern, dass sich offensichtlich unbegründete Klagen über Jahre hinweg in die Länge ziehen ...",

So ungefähr geht die Medienpolitik der EU gerade, leider.

Altpapierkorb ("Mittagsmagazin"-Diskussion, Vernetzungsplattform der ARD, WDR-"Filmhaus", Journalismus-Sittengemälde)

+++ Unter der Überschrift "Wie 'ostdeutsch' zum Kampfbegriff wurde", versucht Helmut Hartung auf der "FAZ"-Medienseite Licht in die komplexe Lage rund ums "Mittagsmagazin" (bzw. um dessen ARD-Ausgaben) zu bringen. Und Fragen, wer mit wem wann wie kommunizierte und dabei was sagte und was nicht schrieb, zu klären: "So stehen Aussagen gegen Aussagen, und es gerät ein Reformprojekt unverdient in ein negatives Licht, das eine andere Aufmerksamkeit verdient. Das 'Mittagsmagazin' des RBB kostet jährlich drei Millionen Euro für eine Sendestunde, die Redaktion besteht aus neun Mitarbeitern, ohne Moderatoren. Beim Bayerischen Rundfunk waren es vier Beschäftigte. In dieser Größenordnung soll sich auch das künftige MiMa-Team beim MDR bewegen. Durch Zulieferungen anderer Anstalten und Synergien innerhalb des MDR sollen sich die Kosten für die geplante zweistündige Sendezeit nicht verdoppeln, sondern weit unter sechs Millionen Euro liegen..." +++

+++ Von einer "Vernetzungsplattform" der ARD, auf der sie auch "mit Hilfe Künstlicher Intelligenz" privatwirtschaftlichen Presseverlagen "kostenlos Video-Inhalte für deren Online-Portale" anbietet,  von der aber auch der Zeitungsverleger-Verband BDZV kaum was wusste, berichtet "epd medien".

+++ Die Freischreiber, quasi die Gewerkschaft freier Journalisten, haben einen neuen neunköpfigen Vorstand. +++

+++ "Wer heute auf der Nord-Süd-Fahrt in der Kölner Innenstadt unterwegs ist, findet noch immer eine Baustelle vor", deren Kosten schon 2019 von 130 Millionen auf dann 240 Millionen hochgeschnellt waren. Schon 2024 aber könnte der WDR sein possierlich "Filmhaus" genanntes Hochhaus wieder beziehen, nur "vier Jahre später als ursprünglich geplant", schreibt dwdl.de.

+++ "Hart arbeitende Transhumanisten halten den Laden zusammen, sprechen auch nach Feierabend weiter mit Pferden oder recherchieren zur 'Pink Cocaine Wave', alles, um die Zukunft des Jugendmagazins für eine Generation heute nicht mehr so junger Jugendlicher zu retten - während Menschen mit Massagesitzen im Auto sich noch schnell selbst Schecks ausstellen": Da bringt die "SZ"-Medienseite ein Journalismus-Sittengemälde von Philipp Bovermann. In den Hauptrollen Twitter, "wo für kaum noch irgendwas Geld ausgegeben wird außer für Elon Musks digitalen Hofstaat", sowie als idealtypischer Kontrast das Alt-Münchener Original Baby Schimmerlos. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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