Das Altpapier am 3. August 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann
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Kolumne: Das Altpapier am 3. August 2023 Stereotypisch

03. August 2023, 11:43 Uhr

In der Debatte um Fabian Wolff geht es inzwischen um sehr viel mehr als seine falsche jüdische Identität. Der Fall handelt von Graustufen in der Bewertung, offenen Flanken in Redaktionen und von der Frage, ob man nicht auch Wolff Unrecht tut. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was war mit der Ex-Freundin?

Die Schriftstellerin Mirna Funk hat vor einer Woche in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über einen Kontakt zur Ex-Freundin von Fabian Wolff geschrieben, dem Publizisten, der sich über Jahre als Jude ausgegeben und dann sogar noch sein 70.000 Zeichen langes Geständnis für seine literarische Selbstinszenierung genutzt hatte (Altpapier).

Die Ex-Freundin hatte sich bei Funk gemeldet, von persönlichen Dingen berichtet, zum Beispiel davon, dass Wolff ihr den Kontakt zu ihrer Familie verboten habe, weil er "eine solche Bindung als antisemitisch empfinde", und dass sie Englisch mit ihm sprechen müsse, "weil Deutsch die Judenmördersprache sei". Funk zitiert aus einer E-Mail an die Ex-Freundin, in der sie, Funk, schrieb: "Auch wir vermuten, dass er kein Jude ist, sondern psychisch krank". Wolff habe die Frau monatelang einschüchtert. Er habe ihr sogar einen Anwalt auf den Hals gehetzt, er habe "wohl eine junge Frau in die Verzweiflung getrieben". Im letzten Satz steht, dass die Ex-Freundin nun tot sei. Danach ist die Debatte wieder aufgeflammt, denn es stellen sich viele Fragen, die auch damit zu tun haben, wie Medien mit so einem Fall umgehen sollten. Die erste Frage ist allerdings: Hätte die FAZ den Text von Mirna Funk so veröffentlichen sollen?

"Spiegel"-Redakteur Anton Rainer schrieb schon am Montag bei X aka Twitter:

"Man sollte diesen Text von Mirna Funk vermutlich sehr schnell lesen, bevor ihn gut beschäftigte Medienanwälte zerfetzen."

Bislang ist das nicht passiert, was auch daran liegen könnte, dass die Fakten für sich genommen belegbar sind. Problematisch ist aber vor allem der Gesamteindruck, der Tod der Ex-Freundin könnte mit dem Verhalten Wolffs etwas zu tun haben. Doch dazu lässt sich wenig Verlässliches sagen.

Der Tagesspiegel schreibt, die Frau habe sich umgebracht. Das entspricht auch der Darstellung einer Nutzerin bei Twitter/X, die sich als Freundin der Frau ausgibt und detailliert beschreibt, wie sie, also Wolffs Ex-Freundin, vor ihrem Suizid eine Nachricht an eine anderen Freundin programmierte, in der sie ihre Entscheidung erklärt habe. Um Fabian Wolff sei es da nicht gegangen, es sei nicht mal sein Name gefallen.

Die Geschichte ist kein Beleg für irgendetwas, denn ich kann nichts über ihren Wahrheitsgehalt über die Identität der Nutzerin sagen. Aber die Erzählung ist ein Hinweis darauf, dass es hier nicht zwingend einen Zusammenhang geben muss. Es wäre hilfreich gewesen, wenn die FAZ Mirna Funk gebeten hätte, in ihrem Text zu ergänzen, dass der Zusammenhang unklar ist – oder andernfalls Belege dafür beizubringen, dass es ihn möglicherweise doch gibt.

Dieses Detail ist wichtig, denn der Fall Wolff könnte in Zukunft zu einer Referenz werden, wie es der Fall Marie Sophie Hingst für den Fall Wolff wurde. Die Historikerin hatte sich umgebracht, nachdem der "Spiegel" ihre falsche Herkunftsgeschichte aufgedeckt hatte.

Lebenserhaltende Maßnahmen – für wen?

Mirna Funk schreibt in ihrem FAZ-Text von E-Mails und Beweisen für "Fabian Wolffs Lügen", gesammelt von Wolffs Ex-Freundin, die sie, Funk, an einige "Wortführer der jüdischen Community und einige Redaktionen" weitergegeben habe. Mit Verweis auf Marie Sophie Hingsts Suizid schreibt sie allerdings: "Wir entschieden, die Geschichte nicht publik zu machen." Ein zentraler Satz lautet:

"Wir wollten uns nicht schuldig machen, und so waren die lebenserhaltenden Maßnahmen wichtiger, als die Lüge aufzudecken.

Der Suizid der Ex-Freundin Wolffs könnte nun als Beleg dafür gewertet werden, dass die Entscheidung richtig war. Nur möglicherweise hat beides eben nichts miteinander zu tun.

In ihrem Text erwähnt Mirna Funk auch einen Kontakt der Ex-Freundin zu einem "Zeit"-Redakteur und auch zu anderen, denen die junge Frau ihre Bedenken schilderte, von denen sie aber "abgewimmelt" wurde.

Der "Zeit"-Redakteur gab die Information innerhalb der Redaktion jedoch nicht weiter, oder sie wurde dort falsch eingeschätzt. Jedenfalls erreichte sie aus Hamburg nicht die "Zeit Online"-Redaktion in Berlin. Dort lag sie nicht vor, als Wolff sein 70.000 Zeichen langes Geständnis begutachtete, was der Verlag nun bedauert.

Mit der Frage, wie das passieren konnte, beschäftigt sich "Zeit Online" nun nach eigenen Angaben intern, das ist auch Thema in einem Faktencheck zum Fall Wolff, der im "Zeit Online"-Transparenzblog erschienen ist.

Eine Frage an Mirna Funk wäre: Wenn sie die Belege für Wolffs falsche jüdische Identität für so stichhaltig hielt, dass sie die Belege an einige Redaktionen weitergab, warum informierte sie dann nicht alle größeren Redaktionen, in denen Wolff regelmäßig publizierte, zum Beispiel eben "Zeit Online"? Dann wäre es zum letzten Akt dieser Publizisten-Karriere, dem 70.000 Zeichen langen Finale, möglicherweise gar nicht mehr gekommen. Oder hat man ihre Bedenken dort auch dort nicht ernst genommen? Das kann ja auch sein.

Dann wäre die Frage einfach: Warum? Warum nimmt eine Redaktion so einen Vorwurf nicht ernst? Einen Teil der Antwort liefert vermutlich ein psychologisches Phänomen, das aus verschiedenen anderen Kontexten bekannt ist. Es nennt sich "Social Proof", und es beschreibt einen Zusammenhang, nach dem sich Menschen in unsicheren Entscheidungssituationen gern an anderen orientieren.

Dieses Phänomen hat wahrscheinlich auch dazu geführt, dass es so lange dauerte, bis Claas Relotius überführt werden konnte. Es mochte da Zweifel geben, aber seine Beiträge erschienen ja immerhin im "Spiegel", dort prüfte sogar eine Dokumentation die Inhalte, und es gab viele bekannte Namen, die viel von Relotius hielten, unter anderen in den Jurys von Journalistenpreisen. In Teilen war es auch dieses Mal so. Wolff schrieb für fast alle renommierten überregionalen Medien. Hinzu kam seine jüdische Identität. Welcher Deutsche mochte bei jemandem, der angab, ein Jude zu sein, anzweifeln, ob das auch wirklich so stimmt.

Das Herdenphänomen

Lukas Pazzini schreibt in einem am Mittwoch erschienenen "Perlentaucher"-Beitrag, der Fall Wolff sei eigentlich ein Fall Zeit Online:

"Seine Argumente gegen die 'konservativen Juden', die nicht seine Positionen teilen, sind aufgebaut mit einem 'Ich als Jude darf sagen, dass…'. Warum hat das niemand überprüft?"

Die Frage ist einerseits berechtigt, andererseits gibt es durchaus Erklärungen dafür, dass das nicht passierte. Dazu muss man sich aber in die Situation vor der Enthüllung versetzen. Und dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder die Zweifel an seiner Identität waren bekannt – das würde der Aussage von "Zeit Online" widersprechen –, dann wäre tatsächlich die Frage: Warum wurden die Hinweise nicht ernst genommen?

Oder eben sie waren nicht bekannt. Dann könnte man sagen: Muss ein Jude, der über seine Perspektive als Jude schreibt, erst mal belegen, dass er überhaupt Jude ist? Das kann man "Zeit Online" zugute halten. Wolff hat sich nicht einfach eine Website zusammengezimmert, auf der ein geschönter Lebenslauf zu finden war. Er hat sich ein Merkmal zugelegt, mit dem Menschen in Deutschland aus gutem Grund sensibel umgehen, so hat er mehrere Redaktionen bewusst oder unbewusst getäuscht. Und wenn jemand regelmäßig für den "Spiegel" oder die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, dann nehmen Redaktionen auch das als Beleg dafür, dass man Texte von diesem Menschen wohl ohne größere Bedenken drucken kann. Das ist die Folge des "Social-Proof"-Phänomens, eine Art Herdenverhalten. Und ganz wird sich auch in Zukunft nicht verhindern lassen, dass so etwas passiert. Um mit Autorinnen und Autoren zusammenzuarbeiten, ist ein gewisses Grundvertrauen nötig.

Der jüdische Professor Meron Mendel, dem "Zeit Online" am Wochenende die Gelegenheit gegeben hat, den Fall zu kommentieren, schreibt:

"Es wäre doch verheerend, wenn Autorinnen und Autoren ihr Jüdischsein erst mal amtlich bescheinigen lassen oder gar eine Beschneidungsurkunde vorlegen müssen, bevor sie sich als Juden öffentlich äußern dürfen."

Trotzdem ist der Fall Wolff ist eine gute Gelegenheit, noch einmal zu überdenken, wo dieses Vertrauen beginnen darf und wo es enden muss.

Nach der Relotius-Enthüllung haben viele Redaktionen ihre Standards verschärft und Kontaktdaten von den Menschen verlangt, um die es in Texten geht. So konnte etwa das SZ-Magazin einen weiteren Fall verhindern.

Fake Jews und Marktlücken

Der Fall Wolff böte Anlass, auch andere Dinge zu reflektieren. Die Judäistin Barbara Steiner beschreibt in einem Interview mit dem BR-Magazin "Kulturwelt" eine offene Flanke, die Wolff nützlich war. Steiner sagt:

"Naja, das ist natürlich für Zeitungen ganz angenehm, wenn sie unliebsame Positionen an Juden delegieren können. Und da müssen sie sich natürlich selber nicht dem Vorwurf eventuell des Antisemitismus aussetzen und so weiter. Das hat für die Zeitung große Vorteile, so eine jüdische Sprecherstimme zu haben."

Nach dieser Deutung hat Wolff den Redaktionen das gegeben, was sie haben wollten, und was sie deshalb möglicherweise keiner ganz so sorgfältigen Prüfung unterzogen. Er hat eine Marktlücke ausgenutzt, so steht es in einem schon Ende Juli in der "Jüdischen Allgemeinen" erschienenen Interview mit Steiner in der Überschrift ("Fake Jews bedienen eine Marktlücke").

Wolff hat sich eine Identität und damit eine Sprecherposition angeeignet, die seine Meinung zu einer kostbaren Ware machten, die es überhaupt erst ermöglichte, sie zu drucken. Israelkritik von einem deutschen Lehrer – Wolff arbeitet als solcher an eine Schule in Berlin – hätte sich vermutlich nicht ganz so gut verkauft. Der Mechnismus ist auch in anderen Zusammenhängen gebräuchlich.

Wenn Medien Probleme bei der Migration kritisieren wollen, sich aber nicht den Vorwurf einhandeln wollten, ausländerfeindlich zu sein, dann kann es ein Pluspunkt für einen Kritiker oder eine Kritikerin sein, wenn er oder sie selbst einen Migrationshintergrund hat.

Wie aggressiv Wolff seine falsche Identität nutzte, beschreibt Linus Volkmann im "Kaput Magazin" aus eigener Erfahrung. Volkmann:

"Er setzt seine Sprecherposition stets offensiv ein, ich sehe darin anfangs eine Möglichkeit, mehr über die Betroffenenperspektive zu lernen. Doch irgendwann ist klar, hier geht es nie um einen Austausch, ich kann in seinem Auftauchen bei mir nur noch den Willen einer Diskreditierung erkennen."

Wolff bringt sich also mit einer falschen Angabe in eine Position, die ihn unangreifbar macht und ihm dazu noch Aufmerksamkeit verspricht.

Der beste Jude – ein Deutscher

Meron Mendel erklärt in seinem Text für "Zeit Online" den Unterschied der Rolle als Jude hier und in Isreal, wenn er schreibt:

"Während in Israel eine jüdische Identität eine Vorbedingung ist, um Teil der Mehrheitsgesellschaft zu wer den, um sich mit den Symbolen des Staates identifizieren zu können und nicht zuletzt, um nicht diskriminiert zu werden, liegt hierzulande der Wunsch, Jude und damit Teil der größten Opfergruppe der Shoah und der von Deutschen verübten Verbrechen zu sein, ganz woanders."

Man könnte sagen, er hackt die Medienlogik, nutzt sie zu seinen Gunsten, um als jüdischer Intellektueller mit einem Alleinstellungsmerkmal zu Aufmerksamkeit und Ansehen zu kommen, in der Opferrolle aber gleichzeitig unangreifbar zu sein. Auf diese Weise erreicht er das Gegenteil von dem, was er vorgibt zu wollen.

Barbara Steiner sagt im "Kulturwelt"-Interview:

"Naja, also der Fabian Wolff, der fantasiert sich in diesem Dossier schon auch in ein Bild von Juden hinein, wie man es durchaus auch aus antisemitischen Stereotypen kennt. Und das ist ja das Problem mit diesen Fake-Juden insgesamt, dass sie Bilder von Juden entwerfen, die so nicht existieren und damit die insgesamte Arbeit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland konterkarieren und stören."

Mirna Funk schreibt in der FAZ:

"Der beste Jude der Republik ist eben niemals ein Jude, sondern immer nur ein Deutscher."

Danach hätte Wolff sich selbst als Klischee entworfen, das man sich so vorstellt, das es aber so unter Umständen so gar nicht gibt.

Klischees und Vorurteile

Und hier zieht Johannes C. Bockenheimer  in einem NZZ-Kommentar eine weitere Parallele zum Fall Relotius.

"Denn auch der 'Spiegel'-Reporter Claas Relotius hatte ein brillantes Gespür für die Klischees und Vorurteile, die seine deutschen Leser umtrieb. Er erfand Protagonisten und Ereignisse, mit denen er sie in ihrem Blick auf die Welt bestätigen konnte."

Nach dieser Deutung hat er für sich selbst den maximalen Nutzen daraus gezogen, dass er den Redaktionen und dem Publikum genau das gab, was sie haben wollen. Offen bleibt die Frage, welches Motiv er hatte.

Anders als im Fall Relotius gibt der Faktencheck, den "Zeit Online" am Mittwoch veröffentlicht hat, keine eindeutigen Antworten. Dort heißt es zwar:

"Hätten uns die im Folgenden zusammengetragenen Informationen früher vorgelegen, wäre Fabian Wolffs Beitrag 'Mein Leben als Sohn' in dieser Form nicht erschienen."

Aber dort steht auch:

"Bisher haben wir im Text 'Mein Leben als Sohn' keine Informationen gefunden, die belegbar nicht der Wahrheit entsprechen oder gar auf einer Lüge basieren, wie es viele Texte nahelegen."

Und:

"Wir können Fabian Wolff bisher nicht nachweisen, an anderer Stelle bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben."

Die Redaktion hat nach eigenen Angaben zwei Personen aus "dem engsten Umfeld der verstorbenen Mutter" befragt, die erst so von Fabian Wolffs Geständnis-Essay erfahren hätten. Sie hätten versichert, dass die Mutter im kleinen Kreis von einer jüdischen Identität berichtet habe. Solche Aussagen gingen auch aus E-Mails der Mutter hervor. Man müsse davon ausgehen, dass sie ihrem Sohn tatsächlich erklärt habe, dass seine Großmutter jüdisch sei, dass das also keine Erfindung ist.

Die Redaktion hat auch Belege dafür gefunden, dass Wolff im vergangenen Frühjahr versuchte, seine eigene Familiengeschichte zu recherchieren. Das gehe aus der "uns vorliegenden Kommunikation mit dem Staatsarchiv Leipzig" hervor.

Allerdings bemerkt "Zeit Online":

"Eine Täuschung kann auch auf dem gezielten Weglassen von wichtigen Informationen beruhen."

Und dieser Vorwurf lässt sich erhärten. Im Text heißt es:

"Viele für ihn unvorteilhafte Umstände hat Wolff in seinem Beitrag zwar selbst angeführt. Einige andere jedoch, auf die wir nun gestoßen sind und die ein schlechtes Licht auf seine Glaubwürdigkeit, besonders auf die viel zu späte Aufarbeitung seiner Identität werfen könnten, hat er ausgelassen."

Am Ende schreibt "Zeit Online":

"Aus Transparenzgründen lassen wir diesen Beitrag vorerst (…) online, versehen mit einem entsprechenden Hinweis."

Probleme mit dem Wolff’schen Narrativ

Hier ist die Frage: Ist das der richtige Weg, um mit einem Text umzugehen, den man nach jetzigem Wissensstand nicht veröffentlicht hätte. Und ist der Hinweis ausreichend? Er lautet:

"Hinweis: Nach Erscheinen dieses Beitrags wurde in anderen Medien nahegelegt, Fabian Wolff schreibe hier die Unwahrheit. Wir haben diesen Artikel deshalb einem umfangreichen Faktencheck unterzogen. Ein vorläufiges Ergebnis haben wir in unserem Glashaus-Blog veröffentlicht."

Die Süddeutsche Zeitung hat sich für einen anderen Umgang mit Wolffs Beiträgen entschieden. Sie hat seine Buch-Rezensionen gelöscht. Beide Vorgehensweisen liefern Angriffsflächen für Kritik.

Meron Mendel macht das in seinem Text für "Zeit Online". Dort schreibt er:

"Es fühlt sich für mich seltsam an, wenn – wie im Fall der SZ – nun sämtliche Texte 'depubliziert' werden, nicht weil sie zwangsläufig Fehler enthalten, sondern weil die Redaktion vom Autor Abstand nehmen will. Insofern ist mir der Umgang von ZEIT ONLINE zunächst sympathischer. Das Problem liegt meines Erachtens vielmehr in der Formulierung des Hinweises. Mit der vollständigen Übernahme des Wolff'schen Narratives wird die Loyalität zum Autor vor die Pflicht zur Objektivität gestellt. So sehr ich Wolff glauben will, dass es alles stimmt, was er erzählt, kommen die Fakten nicht wirklich zusammen und verdichten sich nicht zum stimmigen Plot."

Aber was wäre ein richtiger Umgang?

Meron Mendel formuliert selbst einen Vorschlag für einen Hinweis über dem Text. Und der klingt so:

"Liebe Leserinnen und Leser, auch wenn wir es nicht wissen konnten und nicht beabsichtigt haben, ist uns inzwischen bewusst geworden, welchen Schaden die Veröffentlichung des Textes Nur in Deutschland von Fabian Wolff vor zwei Jahren angerichtet hat. Wir entschuldigen uns dafür. Darüber hinaus nehmen wir Abstand vom aktuellen Text des Autors. Wir hätten ihn vor der Veröffentlichung einem besseren Faktencheck unterziehen müssen. Das holen wir nun nach. Wir haben unsere Lehre aus der Causa Wolff gezogen. Vielen Dank und weiterhin viel Spaß in der Saure-Gurken-Zeit! Mit lieben Grüßen, Ihre Redaktion."

"Zeit Online" hat seine Untersuchung noch nicht abgeschlossen. Der Faktencheck ist ein vorläufiges Fazit. Das Bild kann sich also durchaus noch verändern.

Fabian Wolff hat sich inzwischen auch selbst zu der Sache geäußert. Andreas Busche hat für den "Tagesspiegel" mit ihm gesprochen. Der Text ist in der Mittwochsausgabe erschienen. Dort zeigt Wolff sich "überrascht von dem bisher geringen Interesse an seiner eigenen Meinung", so Busche.

Im Text geht es auch um die Ex-Freundin. Ihren Tod nenne Wolff "einen der härtesten Trauerfälle meines Lebens". Dass er seinen Geständnis-Essay veröffentlicht habe, um einer Entlarvung zuvorzukommen, streitet er ab. Laut Busche sagt er:

"Weil ich im öffentlichen Diskurs als jüdischer Autor positioniert war, aber gleichzeitig etwas Neues über meine Familiengeschichte und meine Identität heraus gefunden hatte, war es mir im Sinne der intellektuellen und moralischen Redlichkeit wichtig, diesen Irrtum selbst aufzuklären."

Auf die Frage, warum er keine Reue zeige, sagt er, "dass er es für keine gute Idee halte, seinen eigenen Text zu kommentieren".

So spricht ein Künstler über ein literarisches Werk. Möglicherweise hat Wolff immer noch nicht verstanden, dass er im öffentlichen Diskurs jetzt eine neue Rolle hat.


Altpapierkorb (WDR-Panne, Plädoyer für gemeinnützigen Journalismus, Lindemann)

+++ Beim WDR hat sich ausnahmsweise nicht Intendant Tom Buhrow entschuldigt, sondern Chefredakteur Stefan Brandenburg, darüber schreibt "epd Medien" (hier in der "Neuen Westfälischen"). Ein WDR-Reporter hatte für einen Beitrag über eine Werbeaktion des Discounters Penny eine Supermarkt-Kundin befragt, die für den WDR arbeitet, im Beitrag war das nicht zu erkennen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" spricht Brandenburg von einem "Kommunikationsfehler", das sei "ein saublöder Fehler einfach", sagt er. Die Frau hatte offenbar gesagt, sie komme gerade vom WDR, der Reporter hatte laut Brandenburg verstanden, sie habe im WDR von der Nachricht gehört. Wir kritisieren hier im Altpapier ja durchaus, wenn öffentlich-rechtliche Sender, auch unser Host, der MDR, Dinge nicht so gut machen oder intransparent mit Fehlern umgehen. Hier klingt der von Brandenburg geschilderte Hergang des Missverständnisses allerdings plausibel, weil es, wie Brandenburg selbst im Interview mit Alexander Krei für DWDL sagt, sehr einfach gewesen wäre, eine Person zu finden, die das sagt, was die Frau dem Reporter gesagt hat – dass sie die Penny-Werbeaktion gut finde. Im Deutschlandfunk erklärt Brandenburg, warum der Fall seiner Meinung nach so viel Aufmerksamkeit bekommt. Kurz zusammengefasst: Es gibt Accounts, die das Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender sehr genau scannen, um etwas zu finden, das sich leicht zu einem Skandal verformen lässt. Und das stellen Medien, die Kritik an öffentlich-rechtlichen Sendern zum Teil ihres  Geschäftsmodells gemacht haben – das ist meine Ergänzung – mit Kusshand auf die eigene Startseite, um die eigene Erzählung vom "Staatsfunk", der die Menschen belehren möchte, auch hier wiederholen zu können. CDU-Leute wie Serap Güler machen da gern mit. Sie empfahl dem WDR zwischen "Ideologie und Journalismus" zu trennen. Bleibt die Frage: Und dahinter steckt garantiert gar keine Ideologie? Claudia Tieschky transportiert diesen Verdacht, das alles sei absichtlich passiert, auf der SZ-Medienseite nicht. Sie bemerkt zwar, dass es in der ARD immer wieder zu Problemen komme, wenn Menschen für Beiträge zufällig befragt werden. Aber sie lässt Brandenburg dazu Stellung nehmen. Der sagt, das sei alles nicht so trivial, er könne WDR-Personal ja nicht verbieten, sich öffentlich zu äußern. Und dazu muss man sagen: Ein echter "Staatsfunk" hätte da vermutlich keine so großen Skrupel.

+++ Alexander von Streit hat für das DJV-Magazin "Journalist" ein Plädoyer für einen Journalismus formuliert, der die Gesellschaft besser macht.

+++ Das Landgericht Hamburg hat der Youtuberin Kayla Shyx einige Aussagen in ihrem Video über ihre Erfahrungen beim Rammstein-Konzert verboten, berichtet Shyx in einem Instagram-Video. Es geht vor allem um Aussagen, in denen die Youtuberin laut dem Gericht den Eindruck erweckt hat, Lindemann habe Mädchen Drogen oder K.o.-Tropfen verabreicht. Und laut dem Gericht stellt Shyx Lindemanns Verhalten mit dem eines pädophilen Vergewaltigers gleich. Sie selbst sieht das nicht so. Zum zweiten Punkt sagt sie in ihrem Video: "Ich habe mich in dieser Passage darauf bezogen, dass jetzt schon sehr viele Systeme aufgedeckt wurden, in denen Männer eine Machtposition, Mädchen, die zu jung sind, ausnutzen, um Sex mit ihr zu haben oder um irgendwie sexuell mit ihr zu verkehren." Sie sei von der Entscheidung des Gerichts enttäuscht, sagt sie. Lindemann selbst nimmt zu den Vorwürfen weiter lediglich perfomativ Stellung, zuletzt mit einem T-Shirt mit der Aufschrift: "Kill Till", berichtet unter anderem die Berliner Zeitung.

Das Altpapier am Freitag schreibt Annika Schneider.

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