Das Altpapier am 4. August 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider.
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 4. August 2023 Endgegner Programmreform

04. August 2023, 10:55 Uhr

Der BR baut sein Kulturprogramm um und wiederholt dabei die Fehler anderer Sender – eine Analyse in vier Etappen. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

BR-Reform nach alten Mustern

Öffentlich-rechtliche Programmreformen sind für Medienjournalistinnen und -journalisten so etwas wie der Endgegner: Sie umfassend abzubilden, ist knifflig. Die Neuerungen, an denen der Bayerische Rundfunk gerade bastelt, sind dafür ein gutes Beispiel – sie folgen den altbekannten Abläufen, die schon bei WDR und HR zu sehen waren.

Erste Etappe: Die Nachricht

Wenn Reformpläne öffentlich werden, ist meistens noch zu wenig bekannt, um ein fundiertes Urteil abzugeben. Über die Neuerungen beim BR berichtete zunächst die "Abendzeitung", nachdem sie einen Brandbrief von BR-Beschäftigten in die Finger bekommen hatte. Sieben Stunden Kulturprogramm beim Radiosender Bayern 2 könnten demnach pro Woche wegfallen, auch die Namen einzelner Sendungen wurden genannt. Kulturbeiträge sollen nicht mehr in eigenen Sendungen, sondern in längeren Sendestrecken laufen.

Nun macht es keinen Sinn, diese Pläne sofort zu verdammen. Wer Reformen bei den Öffentlich-Rechtlichen fordert, muss es auch aushalten, wenn über ebensolche nachgedacht wird. Wenn bei jeder Sendung, die verändert oder abgeschafft werden soll, sofort die Alarmglocken schrillten, müsste das Programmangebot der Sender ja auf ewig gleichbleiben. Entsprechend harmlos betitelte die "Süddeutsche Zeitung" ihren ersten Text zum Thema vor genau einer Woche:

"Der Bayerische Rundfunk sortiert seine Wortprogramme auf Bayern 2 um. Geht das auf Kosten der Kultursendungen?"

Wer an dieser Stelle genauer herausfinden möchte, was eigentlich geplant ist, wird von den Sendern oft darauf verwiesen, dass noch gar nichts endgültig entschieden sei. Zum BR schreibt Anna Ernst heute auf der SZ-Medienseite:

"Der Entwurf für das neue Programmschema, an dem nun so viel Kritik laut wird, sei von den 'Beteiligten in Arbeitsgruppen entwickelt' worden, betont der BR. Alle auf Bayern 2 sendenden Redaktionen seien dabei involviert worden. Im Gespräch mit der SZ allerdings sagen Mitarbeitende, der Entwurf stamme von 'oben'."

Zweite Etappe: Der Protest

Nachrichten wie diese lösen regelmäßig Widerspruch aus, in diesem Fall unter anderem vom PEN Berlin und Verlegern. Der DJV in Bayern hat sich meines Wissens nach noch nicht geäußert. Aber sobald Gewerkschaften sich melden, bringt das die Berichterstattenden in eine zusätzliche Zwickmühle: Wenn Journalistinnen und Journalisten um ihre Jobs oder Auftraggeber kämpfen, dann ist jeder, der darüber für Medien berichtet, automatisch voreingenommen – und es ist nicht so einfach, das Thema angemessen zu gewichten im Vergleich zu anderen Protesten, Streiks und Arbeitskämpfen.

Die Interessen der Gesellschaft von den Einzelinteressen der Journalistinnen und Journalisten zu trennen, ist nicht immer ganz einfach – wobei sich Kulturjournalistinnen und -journalisten natürlich nicht nur für ihren Job, sondern auch für ihr Ressort und dessen Stellenwert einsetzen.

Dritte Etappe: Das Statement

Für Sender, die noch mitten in Aushandlungsprozessen stecken, ist es wohl eher unangenehm, wenn die Öffentlichkeit früh im Boot ist. Inzwischen wurden aber mehr Details zu den BR-Plänen bekannt, nachzulesen heute in einem taz-Text von Patrick Guyton:

"Ein Schema für das gegenwärtige Bayern-2-Programm und wie es künftig sein könnte, zeigt deutlich, wohin die Reise geht: Die vielen sich abwechselnden Sendungen zu bestimmten Themen gibt es demnach nicht mehr. Dafür lauten die Programmtitel bei den Sendungen über Stunden hinweg: 'Bayern 2 am Morgen', 'Bayern 2 am Vormittag', 'Bayern 2 am Abend'."

Dass das Ganze mit den Sparplänen der ARD zu tun habe, ist in quasi jedem Text zum Thema zu lesen. Der BR wehrt sich aber gegen diese Annahme, wie seit gestern Abend bei "Spiegel online" zu lesen ist:

"'Es werden keine Kulturinhalte gestrichen', sagte der Programmdirektor Kultur des öffentlich-rechtlichen ARD-Senders, Björn Wilhelm, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in München. Es sei eine Programmstrategie und kein Sparprojekt, sagte Wilhelm zu den noch laufenden Reformüberlegungen. 'Ich habe weder vor, noch ist entschieden, dass auch nur ein Euro in der Kultur gespart wird.'"

Diese Aussage lässt sich zwar einordnen, aber kaum ad hoc nachprüfen.

Vierte Etappe: Das Vergessen

Trotz Protesten kommt es schließlich wohl zu Programmänderungen – im Fall des BR voraussichtlich im kommenden Jahr. Und hier beginnt nun die größte Schwierigkeit in der Berichterstattung: Ob sich der Stellenwert der Kulturberichterstattung tatsächlich verändert hat und wie sehr, lässt sich von außen kaum oder nur mit großem Aufwand nachprüfen. Wie viele Aufträge vorher und nachher an Freie vergeben wurden, muss der Sender nirgendwo veröffentlichen. Gleichzeitig hat kaum ein Medienjournalist die Zeit, tagelang das Programm zu hören und mit der Stoppuhr die Kulturbeiträge zu messen.

So schwindet letztendlich das Vertrauen in die Senderführung. Kulturreformen hinterlassen in der Öffentlichkeit einen schalen Nachgeschmack. All das erschwert es, über (notwendige) Änderungen eine gute Debatte zu führen.

Wie könnte es besser gehen? Vielleicht müsste die Öffentlichkeit schon in einem viel früheren Schritt mehr beteiligt werden, wenn Änderungen geplant sind. Vielleicht sollte die Meinung des Publikums und anderer Kulturakteure schon einfließen, wenn Sender anfangen, über Reformen nachzudenken. Vielleicht sollten Programmverantwortliche transparenter mit ihren Plänen umgehen und nicht warten, bis sie durch Brandbriefe an die Öffentlichkeit kommen – und dafür in der Kommunikation auf abgedroschene Phrasen rund um Digitalisierung, Transformation und Spardementi verzichten. Das würde auch die Berichterstattung darüber sehr vereinfachen.

"Eltern" bald in der Apotheke

Wenn ein Magazintitel einen neuen Eigentümer und Standort bekommt, in Zukunft nicht mehr am Kiosk ausliegt und quasi die komplette Redaktion ausgetauscht wird – ist es dann überhaupt noch das gleiche Magazin? Diese Frage stellt sich gerade bei der Zeitschrift "Eltern".

Der Wort & Bild Verlag, bekannt durch die "Apotheken-Umschau" (und eine Klage gegen das Gesundheitsministerium), hat den Markennamen "Eltern" von RTL übernommen und will ihn in Zukunft für seine eigene Zeitschrift "Baby und Familie" nutzen, wie Alexander Krei bei DWDL berichtet. Die letzte Ausgabe der ursprünglichen "Eltern" ist demnach bereits vor drei Monaten erschienen. Lisa Priller-Gebhardt schreibt auf der SZ-Medienseite:

"Das Magazin Baby und Familie, das monatlich 500.000 Exemplare verkauft, wird nun umbenannt und einem Relaunch unterzogen. Unter dem neuen Namen liegt das Blatt dann ab Oktober in den Apotheken aus. Für die Kunden ist es ab dann kostenfrei, Apotheken-Betreiber zahlen rund 50 Cent pro Stück an den Verlag Wort & Bild."

Für Leserinnen und Leser wird der Titel also in Zukunft irreführend sein: Sie bekommen unter dem bekannten Namen "Eltern" etwas ganz Anderes (was das Konzept von Marken generell in Frage stellt). Die Redaktion übernimmt Wort & Bild, die bisher tätigen freien Journalistinnen und Journalisten können laut SZ aber auch in Zukunft für das Blatt schreiben. Ob auch feste Redaktionsmitglieder zum neuen Verlag wechseln, sei noch offen.

Zusätzlich verwirrend ist, dass RTL mit Gruner + Jahr weiterhin das Digitalangebot von "Eltern" betreiben will und außerdem einige Ableger der Marke für Arztpraxen behält. Die Vermarktung teilten sich in Zukunft der Wort & Bild Verlag und die RTL-Tochter Ad Alliance.


Altpapierkorb (Presserat, Zeitungsstreik in Pittsburgh, Vorwürfe gegen WDR, Linksunten-media, Ministeriumswebseiten, neue Nachrichtenapp, Lauschangriff auf Kinder, Kritik an "Bild")

+++ Der Presserat erweitert seine Zuständigkeit und berät in Zukunft auch über Beschwerden über kostenlose Wochenzeitungen – nachzulesen in dieser Pressemitteilung.

+++ Seit Oktober 2022 ist die Belegschaft der US-amerikanischen Regionalzeitung "Pittsburgh Post-Gazette" im Streik. Einen lesenswerten Blick auf die Zustände dort wirft Nina Rehfeld auf der FAZ-Medienseite – die Besitzer des Blattes agieren demnach als "Bösewichte wie im Cartoon".

+++ Michael Hanfeld kommentiert ebenfalls auf der FAZ-Medienseite die Vorwürfe gegen den WDR, der in einem Tagesschau-Beitrag eine eigene Mitarbeiterin zeigte (Altpapierkorb gestern). Hanfeld zählt mehrere ähnliche Vorfälle bei anderen Sendern auf und ist der Meinung: "Dass diese Pannen irgendwie ins Schema passen, fällt allerdings schon auf: Da drängen Leute vor die Kamera, die genau das sagen, was der Reporter braucht. Oder hören will. Dann wird gesendet: Klappe, die Panne läuft!"

+++ Dass die Staatsanwaltschaft Karlsruhe erneut gegen die verbotene Vereinigung Linksunten.media ermittelt, berichtet Christian Rath in der taz. Peter Nowak kommentiert auf der Meinungsseite: "Große Teile der Linken haben Indymedia mittlerweile vergessen und nutzen heute moderne Informations- und Kommunikationskanäle. Die erneuten Ermittlungen könnten jedoch dazu führen, dass das Verbot von Indymedia auch in der breiten Öffentlichkeit als Schlag gegen die Pressefreiheit verstanden wird."

+++ Viele Onlineauftritte von Bundesministerien haben weniger als 20.000 Besucher im Jahr. Das zeigt eine Recherche der heutigen "Welt". Louis Westendarp schreibt: "Ein Webauftritt koste im Schnitt rund 10.000 Euro pro Monat, erklärt das Informationstechnikzentrum (ITZ) auf Anfrage. Heißt: Die Ministerien geben Tausende Euro aus für Webseiten, auf die sich kaum jemand verirrt."

+++ Meedia berichtet über die App "News to be Good", die ein Start-up unter dem Dach von Burda Forward entwickelt hat. Die Nachrichtenapp vermeide Trigger, Alarmismus und biete eine Pausentaste, schreibt Lena Langecker.

+++ Die App "Pokémon Sleep" soll Kinder dazu bringen, beim Schlafen ihr Handy neben sich auf die Matratze zu legen – mit eingeschaltetem Mikrofon. Was das soll und wer das kritisiert, berichtet Sebastian Meineck bei netzpolitik.org.

+++ Mit "allein dieses Jahr acht Vergewaltigungen" im Görlitzer Park in Berlin produziert die "Bild" Schlagzeilen. Moritz Tschermak hat im Bildblog nachgezählt und herausgefunden, dass diese Zahl so nicht stimmt. Auch Erik Peter war den Angaben für die taz schon nachgegangen: Nur eine von sechs Vergewaltigungen habe tatsächlich in dem Park und generell im öffentlichen Raum stattgefunden, fünf weitere in der näheren Umgebung, unter anderem in Hostels und Wohnhäusern.

Das nächste Altpapier schreibt am Montag Christian Bartels. Schönes Wochenende!

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