Das Altpapier am 7. August 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 7. August 2023 Pingpong

07. August 2023, 11:15 Uhr

Das EU-Gesetz DSA macht in Deutschland einen Schritt voran. Dreht Tiktok an seiner Stickyness bzw. Suchtgefahr? Twitter droht doch kein Ärger mit Bayerns Medienwächtern. Außerdem: Die Digitalisierung bleibt wichtig und teuer. Fördern die Bundesländer-Ministerpräsidenten freie Medienberufe oder "Hofpropaganda"? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

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Bundesnetzagentur mit "Oberaufsicht"

Wenn im bundespolitischen Sommerurlaub, in dem eigentlich nur die Parteivorsitzenden-Sommerinterviews Schlagzeilen machen, ein Ministerium einen lang erwarteten Gesetzesentwurf ausgerechnet am Freitag veröffentlicht, ist vermutlich keine große Aufmerksamkeit vorgesehen. Es gab dann auch nicht viele Meldungen, als das Verkehrs- und Digitales-Ministerium nun seinen Entwurf fürs Digitale-Dienste-Gesetz, um die deutsche Umsetzung des EU-Gesetzes DSA (Digital Services Act) zu regeln, vorstellte. Aber heise.de war dran.

Wie wiederholt gemutmaßt, doch trotz drängender Zeit bis dahin unbestätigt geblieben war, wird als DSC (Digital Services Coordinator) die Bundesnetzagentur benannt, die bislang mit Mediendingen kaum befasst war. Diese Behörde wird aber nur die "Oberaufsicht" innehaben und muss bzw. darf die gewichtige Aufgabe nicht alleine stemmen, entnahm Falk Steiner dem 97-seitigen, beim Ministerium runterladbaren PDF:

"So soll die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) die deutsche Durchsetzung etwa der Mindestaltersvorgaben übernehmen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte soll für Vorschriften zur Onlinewerbung zuständig sein. Die zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte beim Bundeskriminalamt soll für illegale Inhalte bei Hostinganbietern und Sozialen Netzwerken übernehmen. Welche Rolle das ... Bundesamt für Justiz in Bonn übernehmen wird, ist derzeit noch offen. Auch die Rolle der Landesmedienanstalten ist noch nicht festgezurrt ..."

Zum Entwurf sollen "Länder und Verbände nun Stellung nehmen". Einige der auch nicht wenigen Verbände haben damit schon angefangen. "Behörden-Pingpong bei Plattformaufsicht vermeiden", warnt etwa der VZBV (Verbraucherzentrale Bundesverband). Womit dessen aktuelle Vorständin Ramona Pop, bis 2022 im rot-rot-grünen Berliner Senat aktiv, ihrem Verbraucherzentralenverbands-Vorgänger zur Seite springt. Klaus Müller, ebenfalls ein Grüner, wechselte 2022 aus diesem Verband zur Netzagentur. Als wiederum vormaliger schleswig-holsteinischer Umweltminister kann er besonders der Einflusssphäre des Bundeswirtschaftsministeriums (das der ehemalige schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck leitet und dem die Netzagentur zugeordnet ist) zugerechnet werden. Das Pingpong der zahlreichen um möglichst viel Einfluss bemühten Stellen läuft sogleich an.

Tiktok & EU, Twitter & deutsche Medienwächter

Nicht zufällig, kommt nahezu zeitgleich ein Indiz dafür, dass das EU-weit gültige DSA nicht so egal ist wie bisherige deutsche Digital-Gesetze den EU-Niederlassungen der Plattformkonzerne waren. Die bei Jugendlichen beliebteste App und Plattform Tiktok kündigte in entgegenkommendem Tonfall an, sich an den DSA zu halten. Es will sowohl eine neue "Meldeoption ..., mit der Nutzer*innen Inhalte einschließlich Werbung melden können, die sie für illegal halten" anbieten, als auch eine Option, "die Personalisierung deaktivieren". Heißt: eine Option, in Tiktok den Tiktok-Algorithmus abzuschalten. "Wird die App auch ohne den vielfach besprochenen Algorithmus so sticky sein?", fragt netzpolitk.org-Redakteur Sebastian Meineck gespannt.

Funktionieren dürfte das ähnlich wie bei Twitter/X, wo eingeloggte Nutzer von der voreingestellten "Für dich"-Funktion zur Ansicht "Folge ich" wechseln können, die einem viel emotionalisierenden Unsinn von Accounts, denen man oft mit Absicht nicht folgt, erspart. Wobei vermutlich viele Nutzer die Möglichkeit weder nutzen noch kennen, und sich das bei Tiktok ähnlich verhalten dürfte.

Näher auf die Frage, warum Tiktok so was anbietet, geht wiederum heise.de ein. Das hat natürlich nicht mit deutschen Bedenken, die es hinsichtlich Tiktoks sowieso kaum gibt, zu tun, sondern mit französischen:

"Ein Untersuchungsausschuss des französischen Senats beklagte bei TikTok jüngst einen 'extrem süchtig machender Algorithmus', der die meist aus Kindern und Jugendlichen bestehenden Anwender 'stundenlang am Bildschirm hält'. Er brachte ein Verbot des Dienstes mit chinesischen Wurzeln ins Spiel".

"Süchtig" bedeutet da ungefähr das, was aus anderer Perspektive halt "sticky" heißt. Ob es künftig einen EU-weit einheitlichen Umgang mit Plattformen wie Tiktok geben wird (bis geben muss), und wenn, wer genau wie darüber entscheidet – das wird künftig das Spannende am DSA sein.

Zeitgleich kommt außerdem ein Indiz, was die deutschen Landesmedienanstalten – die bei der DSA-Umsetzung ja auch eine "noch nicht festgezurrte" Rolle spielen sollen – nach jahrelangem Umgang mit internationalen Plattformkonzernen so leisten können. Im Februar, als Twitter-Chef Elon Musk offenkundig das noch vorhandene Twitter-Personal angewiesen hatte, seinen eigenen Tweets noch mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, als sie ohnehin hatten, kündigte die Bayerische Landeszentrale für neue Medien an, ein "Aufsichtsverfahren" gegen Twitter zu prüfen. Das führte in Bayern zu Schlagzeilen wie "Twitter-Chef Elon Musk droht Ärger aus Bayern", die die BLM gewiss gerne las. "Spannend ist, ob deutsche Medienwächter ... einen Weg finden, Twitter und Musk mit ihrem jungen, bisher noch nirgends bewährten Rechtsbegriff der 'Diskriminierungsfreiheit' beizukommen", schrieb ich an dieser Stelle.

Diese Spannung ist nun aufgelöst. Das Ergebnis der Prüfung verkündete die BLM weder in ihrem presseportal.de-Auftritt (in dem die Ankündigung vermeldet worden war), noch in ihrer eigenen "Infothek". "Die BLM konnte keinen offensichtlichen Verstoß gegen das Gebot der Diskriminierungsfreiheit nach dem Medienstaatsvertrag feststellen", meldete bloß epd am vorigen Donnerstag. "Im Rahmen eines intensiven Austauschs mit der Twitter/X vertretenden Kanzlei wurde uns bekundet, dass man sich an die Vorgaben der deutschen Medienregulierung halte und halten werde", habe die BLM der Nachrichtenagentur mitgeteilt.

Heißt: In Deutschland hülfe es dem DSA vermutlich, wenn die Landesmedienanstalten bei der Umsetzung keine große Rolle bekommen.

Eine Drittelmilliarde Euro für Digitalpolitik

Wir bleiben bei der Bundespolitik. Vorige Woche sorgte der "FAZ"-Wirtschafts-Aufmacher "Kahlschlag für die Digitalisierung" für Aufsehen (Altpapierkorb). Digitalisierung ist zwar schwierig, wird aber langfristig, womöglich schon mittelfristig wichtig. Hatte das nicht schon immer Kanzlerin Merkel angedeutet? Zwar gab es zur in den Haushaltsplanungen enthaltenen Idee, 2024 statt 377 Millionen nur noch drei Millionen Euro für Verwaltungsdigitalisierung einzuplanen, auch Zustimmung:

"Finde die Kürzung der Budgets für Verwaltungsdigitalisierung wirklich gut. 370 Millionen weniger für Beratung verbrennen und so vllt die Verwaltung dazu bekommen, interne Kompetenzen aufzubauen ...",

twitterte die Hackerin Lilith Wittmann böse. Doch überwogen Ablehnung und Aufregung. Als netzpolitik.org nachfragte, sprach ein digitalpolitischer Sprecher der SPD davon, dass "nicht abgerufene Mittel ... in die Folgejahre übertragen werden" könnten, und da von "rund 300 Millionen Euro". Tatsächlich meldete die "FAZ" dann auch, dass im Bundesinnenministerium genau diese Summe noch gefunden wurde: "Woher diese 'Ausgabenreste' stammen und warum diese bisher nicht abgerufen wurden, blieb unklar".

Vielleicht ist das Auffinden einer knappen Drittelmilliarde fürs Onlinezugangsgesetz im Pingpong-Prinzip aussagekräftig fürs Wirtschaften mit Sondervermögen. Oder/und für den Politik-Stil, gerne attraktiv große, also schlagzeilenträchtige Summen zu versprechen – oft im Wissen, dass schon wegen der enervierenden Antragsformulare sowieso nur Bruchteile davon abgerufen werden und man den Rest später auch für anderes verbuchen kann. Das Vertrauen in die Ampelregierung und deren Digital-Kompetenz stärkt das jedenfalls nicht.

Die, äh, Medienarbeit der Ministerpräsidenten

Weiterhin auf Regierungsebene hoch geschätzt werden Medieninhalte und klassische Medienberufe wie der der Fotografen:

"Der Ministerpräsident leistet sich inzwischen neben dem eigentlichen Regierungssprecher und dessen Vertreter zwölf fest angestellte Fachkräfte, die ihn unter anderem in sozialen Medien ins rechte Licht rücken. Es wird auf Staatskosten fotografiert, gefilmt, getextet, gelobt und gehuldigt"

spottet der "Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe über Boris Rhein, der auch auf dem Aufmacher-Foto (links, nicht rotgewandet in der Mitte) zu sehen ist. Das ist der CDU-Politiker, den Bundesinnenministerin Faeser (in deren Ministerium gerade die Drittelmilliarde gefunden wurde) gerne als hessischen Regierungschef ablösen möchte.

Wahrscheinlich inspirierte den "Spiegel"-Artikel die vorige Woche trendende Nachricht, dass Bayerns Ministerpräsident Söder freien Fotografen im Jahr 2022 178.618,13 Euro Honorar einspielte. Regierungschefinnen anderer Parteien werden dann aber auch kritisiert. Mecklenburg-Vorpommerns sozialdemokratische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig heuerte zur Krisenkommunikation die Agentur 365Sherpas, "die auch schon mal für den 'Spiegel' gearbeitet hat", für 370 Euro Stundensatz an. Und von Thüringens linkem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow gäbe es "ständig schöne Bilder auf den Seiten von Regierung und Staatskanzlei zu finden", nämlich "schätzungsweise Videos und Fotos mit einem Gegenwert von über 250.000 Euro im Jahr", zu deren Rechtfertigung auch Auslandsreisen genannt würden. Der Presse in Thüringen geht es ja nicht gut, weshalb ihre Korrespondenten Auslandsreise der Ministerpräsidenten kaum mehr mitmachen würden. "So versuchen Regierungszentralen offenbar durch die Hintertür, den unabhängigen Journalismus durch ihre Hofpropaganda zu ersetzen", lautet die "Spiegel"-These.

Fast schade, dass das eher neckische "Spiegel"-Stückchen eine Bundesländer-Umschau bleibt und weder die bundespolitische Ebene in den Blick nimmt, noch anschneidet, dass Deutschland sich ja des bestausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Welt erfreut (und gerade das regionale Berichten aus Landesfunkhäusern, von denen jedes Bundesland eines hat, mit Recht zu dessen Vorzügen gerechnet wird). Sitzen nicht in jedem Regierungsflieger öffentlich-rechtliche Journalisten, freuen sich öffentlich-rechtliche Fernsehsendungen nicht so sehr, wenn prominente Politiker sich von irgendwo in der Welt für ein paar Sätze zuschalten lassen, dass mindestens manchmal der Eindruck entsteht, die Botschaft nachhause sei der eigentliche Zweck der Reise?

Na ja, man muss ja nicht immerzu überall über die Öffentlich-Rechtlichen diskutieren.


Altpapierkorb (Peter Voß, Einzeitungskreise, letzte deutsche Sky-Serie, Fabian Wolff, "Inas Nacht")

+++ "Aber spielt man damit nicht 'den falschen Leuten', zum Beispiel bei 'Bild', den Ball zu?", fragt  Peter Voß, ehemaliger "heute journal"-Moderator und dann SWR-Intendant, anfangs eher rhetorisch in seiner großen "FAZ"-Wutrede zum Zustand der Öffentlich-Rechtlichen. Jedenfalls gibt's bei bild.de frei online eine Zusammenfassung ("Für die Programmverantwortlichen bei den Anstalten eine schallende Ohrfeige ihres legendären Vorgängers!") des von CDU-Politikern wie Nathanael Liminski gern geteilten Beitrags. Trotz arg kräftiger Worte hat Voß an manchen Stellen ziemlich recht, z.B.: "Die CDU, die sich heute kraftvoll über Fehlentwicklungen beschwert, die sie politisch und medial lange schweigend hingenommen, wenn nicht gar ermöglicht und mitbetrieben hat, wird bei ARD und ZDF in ihrer Oppositionsrolle deutlicher und sorgfältiger wahrgenommen, als das lange der Fall war. Aber entscheidend bleibt doch die Auswahl und Behandlung vieler und vielfältiger Problemfelder in der Sache. Da scheint mir nach wie vor bei den eigentlichen Reizthemen – vor allem beim Themenkomplex Migration und Integration und bei der Frage der richtigen Strategie gegen die zunehmende Erderwärmung – ein Defizit an Differenzierung zu bestehen." +++

+++ "Vor rund 20 Jahren startete die 'taz' ihre Serie über Einzeitungskreise", also über "Regionen, wo es keine lokale oder regionale Konkurrenz mehr auf dem Zeitungsmarkt gab": Daran erinnert in der "taz" Steffen Grimberg, der deren Medienressort damals leitete. Inzwischen gibt es weniger Landkreise in Deutschland, weil Landkreise ebenfalls fusionieren. Aber Lokalzeitungen fusionieren schneller. "Nochmal Einzeitungskreise nachzählen macht nur traurig. Denn die Tendenz steigt." Dazu hat Grimberg ein per Fahrrad recherchiertes Beispiel aus Luckau in der Lausitz in petto ...  +++

+++ "Die mutmaßlich letzte Serie ..., die Sky in Deutschland selbst produzieren wird", wird gerade in Berlin unter anderem im Regierungsviertel gedreht, in dem sie nämlich spielt. Der "Tagesspiegel" war am Set.  +++

+++ "Wie die Medienbranche nun mit einem Autor umgeht, der in seinen Texten mit 'fundierten Spekulationen' arbeitet, unterscheidet sich. Die 'Süddeutsche Zeitung' hat bislang als einzige alle seine Texte, auch klassische Kulturrezensionen, depubliziert. 'Zeit Online' lässt seine Essays online stehen und versieht sie mit einem Hinweis, die zu den Faktenchecks führen. Deutschlandradio verfährt mit Wolffs Beiträgen ähnlich. 'Der Spiegel' und die 'Jüdische Allgemeine' sagen auf Anfrage der 'taz', dass sie die Texte erneut überprüfen und so lange mit einem Hinweis online stehen lassen. Der 'Tagesspiegel' lässt eine Anfrage der 'taz' bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet ...", schreibt Carolina Schwarz in der "taz" zur Debatte um Fabian Wolff (Altpapier vom Donnerstag). +++

+++ Eine der wenigen öffentlich-rechtlichen Unterhaltungssendungen, die wirklich alle mögen, ist "Inas Nacht"? Nein, nicht mehr ("FAZ"). +++

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