Das Altpapier am 23. August 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 23. August 2023 Die Übersicht steigt

23. August 2023, 10:54 Uhr

... sinkt aber auch: eine Springer-Klage weniger, ein Streamingdienst mehr. Die Bundesregierung drückt bei einem schwierigen Gesetz aufs Tempo. Games-Minister Habeck eröffnet eine Messe. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Springer und Reichelt streiten nicht mehr

Wenn das nicht mal eine positive Neuigkeit ist: Es wird ein wenig übersichtlicher in der Medienlandschaft, ohne dass dafür ein Medium verschwinden muss. Zwei Parteien, die gerichtlich heftig und teuer unter anderem gegeneinander stritten, dabei aber von ihren in Medienmilieus jeweils zahlreichen Gegnern sowieso in einen Topf geworfen wurden und werden, haben ihre Auseinandersetzung untereinander außergerichtlich beendet. Der ehemalige Vorsitzende der "Bild"-Chefredaktion,

"Julian Reichelt bedauert, Informationen an den Berliner Verlag übermittelt zu haben",

teilt Axel Springer, der Konzern, zu dem "Bild" weiter gehört, mit. Weil Springer außerdem "Kernanliegen" seiner Klage gegen Reichelt "erfüllt" sieht und sich "im Falle zukünftiger Verstöße" neue rechtliche Schritte vorbehält, wohingegen Reichelt sich dazu gar nicht äußert, könnte man das "einen Schuss vor den Bug nennen und als Warnung an Reichelt auffassen", kommentiert Michael Hanfeld auf der "FAZ"-Medienseite. Ganz anders sieht's Anna Ernst in der "SZ" unter der Überschrift "Plötzlich geeinigt": Noch "beim Gütetermin im Juni" hätten Springers Anwälte vor großem Medienmedien-Publikum eine solche Einigung "betont angriffslustig" ausgeschlossen. Ernst vermutet, Springer sei bei den finanziellen Aspekten "windelweich" geworden, weil Reichelts digitale Geräte noch einen ganzen "Eisberg an unrühmlichen Springer-Interna" enthalten könnten.

Die allerkürzeste der zahlreichen Meldungen findet man, nicht überraschend, bei der "Berliner Zeitung", die und deren Verleger Holger Friedrich bei der ganzen Chose bekanntlich auch eine große Rolle spielten.

Eine "gewisse Ironie" haben dann noch die engen Fernseh-Freunde von dwdl.de erkannt, als sie ganz ohne diesen tagesaktuellen Anlass auf den vor ungefähr zwei Jahren noch unter Reichelts Leitung gestarteten linearen Fernsehsender Bild TV schauten. Der sendet immer noch, vor allem "Dokumentationen über Kreuzfahrtschiffe, Gefängnisse und Flugzeugzeugträger", und zwar am Rande der Messbarkeit seiner Einschaltquoten – mal diesseits ("Die monatlichen Marktanteile liegen in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen nach wie vor beständig bei 0,1 Prozent"), mal jenseits.

Die Ironie läge darin, dass Springer eines seiner größten Zugpferde, den "Bild"-Mann Paul Ronzheimer (Altpapier), aus der Ukraine lieber auf seinen anderen Sender Welt TV zuschalte, während die inzwischen von Reichelt "als Zugpferd" angeführte Plattform nius.de dort weitermache, "wo Bild TV unter seiner Führung einst aufgehört" hatte. So hat Nius inzwischen mit dem Fußball-Format "Dritte Halbzeit" auch das öffentlich-rechtliche Ex-Urgestein Waldemar Hartmann angeheuert. Bloß das gewiss theoretisch lukrative, in der Praxis aber aufwändige und langwierige Etablieren des Ganzen als linearer Fernsehsender, an dem Springer offenkundig scheiterte, erspart Nius sich einstweilen. Oder kündigt es zumindest nicht pompös an.

"Tot ist Bild TV trotzdem nicht", schreibt dwdl.de mit Blick auf Dyn. Dyn?

Der neue Sport-Streamingdienst Dyn

Heute Abend startet mit der Übertragung eines Handballspiels, des deutschen Supercup-Spiels zwischen THW Kiel und den Rhein-Neckar Löwen, Dyn. Der gestern im Altpapierkorb erwähnte neue Sport-Streamingdienst ist online nicht unter dyn.de, aber unter dyn.sport zu finden und gehört zu rund 75 Prozent zu Springer.

Ausgesprochen werden möchte er "Dein", erfährt man im dpa-Überblick (hier bei horizont.net). Weil das Wörtchen deutsch-altgriechisch betont statt nach der in fast allen Sportarten wichtigen Dynamik auch nach "Dünn" klingen und assoziieren könnte, dass da gar kein Fußball läuft? Um Augenhöhe mit DAZN herzustellen, das seine Kundschaft ja nötigen möchte, seine vier Buchstaben im US-amerikanischen Slang "Da Zone" auszusprechen? Jedenfalls verzichtet dieses Dyn auf Schwellen-Preise mit 99 Cent am Ende und verfolgt einen interessanten Ansatz, wie sich im dpa-Überblick unter der Frage "Was gibt es ohne Abonnement?" zeigt:

"Dyn hat eine umfangreiche Vereinbarung mit ARD und ZDF geschlossen. Die öffentlich-rechtlichen Sender dürfen dank Sublizenzen über ihre gemeinsame Sportrechte-Agentur SportA bewegte Bilder mehrerer Bundesligen zeigen ... bis zu zwölf Spiele der Basketball-Bundesliga und des Pokals sowie für bis zu zwölf Spiele der Handball-Bundesliga und des Pokals. Auch der zum Springer-Konzern gehörende Fernsehsender Bild.TV zeigt kostenlose Live-Spiele",

und Googles Youtube wird überdies bestückt, und zwar mit "einigen redaktionellen Formaten", die erst im kostenpflichtigen Angebot dyn.sport gesendet würden und bald darauf kostenlos auf Youtube zu sehen sein sollen. Zu den Zwecken gehört neben dem bei Springer natürlich beinhart verfolgten Profitinteresse auch noch der gute, Digitale-Medien-Aufmerksamkeit für Sportarten zu schaffen, die unter der dominanten Fußball-Manie aller großen Medien leiden. Zu den Mitteln zählt offenbar, viele vorhandene große Reichweiten benutzen zu wollen, um so selber welche aufzubauen. Eine Methode, die zum Beispiel die Öffentlich-Rechtlichen zum Beispiel auf Youtube ja auch mit, wohlwollend betrachtet: manchmal immerhin mittelprächtigem Erfolg anwenden.

BND-Gesetz, Games-Minister Habeck

Ist das eine positive Entwicklung? Über Bundesregierungs-Gesetze wird frühzeitig so viel diskutiert, dass schon das Entstehen (oder Nicht-Entstehen) solcher Gesetze großen Öffentlichkeiten bewusster wird als früher. In den Merkel-Regierungen wurden Gesetze ohne sehr viel Brimborium geschrieben und beschlossen, und dass es oft schlecht formulierte und gemachte Gesetze waren (und dass das unter Gerhard Schröder übliche "Nachbessern" beschlossener Gesetze auch nichts mehr half), bemerkte die interessierte Öffentlichkeit erst, nachdem sie in Kraft getreten waren.

Heutzutage knistert es schon vor Spannung, wenn das Bundeskabinett über Entwürfe abstimmt. Und über frühe Entwurfsfassungen wird so emsig oder zumindest lange diskutiert, dass für vorgesehene Stellungnahmen betroffener Verbände kaum mehr Zeit bleibt. "Eine Frist von gerade einmal 24 Stunden für die Auseinandersetzung mit einem 88-seitigen Gesetzesentwurf", beklagen die Reporter ohne Grenzen zur jüngsten dritten Änderung des BND-Gesetzes. "Irrwitzig" nennt das die Journalistengewerkschaft DJU/Verdi (mmm.verdi.de). Was weder die einzige, noch die schärfste Kritik am Gesetz ist. Die ROG/RSF halten ihre 2022 gegen die aktuell gültige Fassung des Gesetzes eingereichte Verfassungsbeschwerde aufrecht. Dass es ihrer Ansicht nach "die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Medienschaffenden und ihren Quellen nicht umfassend schützt", ist nur einer von bemerkenswert vielen Gründen.

Völlig andere Bundes-Gesetze spielen eine Rolle, wenn Robert Habeck, der fast so durchsetzungskräftige wie nachdenkliche Vizekanzler von den Grünen, ebenfalls heute Abend die Gamescom-Messe in Köln eröffnet. Für Zeitungs-Förderung wollte Habecks Super-Ministerium bekanntlich nicht mehr zuständig sein (weshalb nun Kulturstaatsministerin Roth die Verbände-Forderungen abwimmeln muss), für die Förderung von Computerspielen aber schon. Im öffentlich gründlich diskutierten Bundes-Haushalt für 2024 sind zur Förderung solcher Games "nun 48,7 Millionen Euro" vorgesehen, wohingegen der entsprechende Branchenverband "125 Millionen Euro für nötig" hält. Das schreibt Stephan Krempl bei heise.de.

Gründe für solche Subventionen gäbe es. Wie Philipp Johannßen im ganzseitigen "FAZ"-Artikel "Deutsche Games-Branche: Weit weg von der Weltspitze" schrieb, erwirtschaftete die Branche 2022 in Deutschland "rund 10 Milliarden Euro Umsatz ..., das ist mehr als die Film- oder Musikbranche". Dem aktuellen Games-Minister Habeck ginge es genau wie seinem Vorgänger, dem aus vielen Kabarett- und Comedy-Sendungen noch bekannten Andy Scheuer, jeweils darum, den Anteil deutscher Produktionen an diesem gewaltigen Umsatz über die Fünf-Prozent-Hürde zu bugsieren, unter der er sich kontinuierlich bewegt.

Der heise.de-Artikel wirft unter seiner Überschrift "Sportswashing" dann noch ganz andere Zahlen in den Raum: 39 Milliarden US-Dollar lautet die spektakulärste. So viel will Saudi-Arabiens rund 700 Milliarden US-Dollar schwerer Staatsfonds bis 2030 im selben Segment ausgeben. Einige Milliarden davon wurden schon ausgegeben, zum Beispiel eine für den Kauf der deutschen Electronic Sports League/ ESL Gaming GmbH. Auch wenn Sie (wie ich) nicht zu den 58 Prozent der Deutschen unter 69 gehören, die Computerspiele spielen, lohnt es, den oder beide Artikel zu lesen. Schon weil die Kontraste zwischen den saudi-arabischen Zahlen und den Aussagen der "gamespolitischen" Sprecher, die es im prallvollen deutschen Rekord-Bundestag natürlich gibt, so aufschlussreich sind.


Altpapierkorb (Verbotene Veröffentlichung, schweizerische Rundfunkabgabe, Nico Hofmann, Werbung in Podcasts, "Hasenfuß-Kultur")

+++ "Die Transparenz-Initiative FragDenStaat hat die Beschlüsse des Münchner Amtsgerichts zu den Durchsuchungen, der Beschlagnahmung und den Abhörmaßnahmen gegen die 'Letzte Generation' veröffentlicht. Die Veröffentlichung solcher amtlicher Dokumente aus Strafverfahren ist nach § 353d Nr. 3 StGB eigentlich verboten. Das ist auch der Grund dafür, dass Medien bislang die Dokumente weder publiziert noch umfangreicher aus diesen zitiert haben", schreibt netzpolitik.org und verlinkt die verbotenen Veröffentlichungen. Laut fragdenstaat.org habe das Amtsgericht München "nicht geprüft, ob die von ihm erlaubten Maßnahmen, also die Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Abhörmaßnahmen, verhältnismäßig sind". Das müsse nun diskutiert werden. +++

+++ Der "Standard" berichtet über eine englischsprachige Studie von Ampere Analysis, der zufolge "die BBC, ARD/ZDF und andere große europäische öffentlich-rechtliche Sender in den letzten sechs Jahren rund ein Fünftel ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer" verloren. +++

+++ In der Schweiz gibt es, nachdem die "No-Billag-Initiative" 2018 zwar bei einer Volksabstimmung scheiterte, doch im Zusammenhang damit die Rundfunkabgabe von 451 auf 335 Franken im Jahr sank, eine Initiative der rechtskonservativen SVP, sie auf 200 Franken weiter zu senken. Dazu hat die "NZZ" ein Streitgespräch. +++

+++ Die Initiative der Gremienvorsitzendenkonferenz gegen die Einförmigkeit der öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows (Altpapier) "kann man als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins" der Rundfunkräte verstehen, sagte "SZ"-Medienredakteurin Aurelie von Blazekovic im Deutschlandfunk. +++

+++ UFA-Chef Nico Hofmann sei angesichts der Gesamtlage nur begrenzt in "Feierlaune", obwohl die von ihm geleitete deutsche Fernsehproduktionsfirma des Bertelsmann-Konzerns wohl auch den prestigereichen Auftrag der ersten deutschen Apple-Serie ergattere, weiß dwdl.de. +++

+++ Die sich verschärfende Kritik privater Wettbewerber an Werbung, die Tochterfirmen der Öffentlich-Rechtlichen in sog. "Telemedien", etwa rund um einzelne Podcasts platzieren, kennt der auf Bundesländer-Seite zuständige schleswig-holsteinische Staatskanzlei-Chef Dirk Schrödter schon. Vielleicht fließt sie irgendwann mal in einen Änderungsstaatsvertrag ein, sagte er der "FAZ". +++

+++ Und alle sind mit der Maßnahme des WDR, ältere Fernsehsendungen von Otto Waalkes und Harald Schmidt nurmehr mit Warnhinweisen auszustrahlen (AP gestern), eigentlich d'accord? Nein! "Die oberwoken Warnungen" rührten aus "demselben Grund, aus dem in Talkshows immer dieselben Themen mit immer denselben Röttgens, Prechts und Lauterbachs verhandelt werden" und zeugten von einer "Hasenfuß-Kultur" bei den Öffentlich-Rechtlichen, kommentierte Detlef Esslinger kürzlich in der "SZ". +++

Das nächste Altpapier schreibt am Donnerstag René Martens.

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