Das Altpapier am 18. September 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 18. September 2023 Überflüssig oder besser

18. September 2023, 11:01 Uhr

Springer-Chef Mathias Döpfner ist von Künstlicher Intelligenz hin- und hergerissen. Die Herbstsaison der Öffentlich-Rechtlichen-Diskussion startet mit vielen öffentlich gemachten (und vielen nicht so transparenten) Spitzengehältern. Gelten türkische Haftbefehle in Italien? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Kann KI Chefredakteure ersetzen?

Die "Welt am Sonntag" beging am Wochenende ihren 75. Geburtstag. Das tat sie etwa mit einem Interview mit dem nordrhein-westfälischen Medienminister Nathanael Liminski, der Nettigkeiten ("Vor allem am Wochenende genieße ich Zeitungslektüre ...") spendete, während die "WamS" auch schon mal auf ihr 95-Jähriges ("Wird solche Zeitungslektüre in 20 Jahren noch möglich sein?") vorausschaute. Wobei dieses Interview auf welt.de auch am Montagmorgen nicht zu finden ist, bloß etwa bei Genios. Womöglich erschien es nur in der nordrhein-westfälischen Ausgabe. Während "Welt" als eine von nurmehr zwei traditionellen Journalismus-Marken Springers ziemlich präsent ist, auf digitalen Kanälen und ja sogar noch als linearer Fernsehsender, lässt sich ja drüber streiten, wie sehr das für gedruckte Ausgaben und gar für die samstags erscheinende Sonntagszeitung gilt ...

Ein frischer Aufsatz des – in letzter Zeit noch mehr also sowieso immer attackierten – Springer-Chefs Mathias Döpfner gehörte auch zum Jubiläum. Darin geht es ums große Kino Medien-Zukunft:

"Generative künstliche Intelligenz (KI) ist die größte Revolution seit der Erfindung des Internets. Entwicklungen wie Bard (Google) oder ChatGPT (OpenAI/Microsoft) gleichen einer technologischen Monsterwelle, die entweder über Verlage bricht und sie zerstört, oder den Journalismus stärkt und auf ein völlig neues Level hebt. Ein neues Niveau der Qualität, der Relevanz und der wirtschaftlichen Attraktivität. Oder der Untergang. Es geht um alles oder nichts",

schreibt Döpfner. Und bemüht dieses Entweder-Oder nicht nur einmal:

"Das meiste, was wir im Journalismus in den letzten Jahrzehnten gemacht haben, werden künftig diese Maschinen tun. Das wird uns entweder überflüssig oder besser machen".

Für journalistische Arbeiten, die in eher naher als ferner Zukunft überflüssig bzw. von KI übernommen werden könnten, nennt Döpfner allerhand Beispiele, von der "Bearbeitung von Texten und Produktion im klassischen Sinne" bis hin zu "KI-basierten Chefredakteuren" in Gestalt von Avataren. Aufhalten könne das niemand. Döpfner wendet sich, einerseits, gegen "die trotzige Selbstvergewisserung: Das werden wir Menschen immer besser machen. Werden wir nicht." Dafür bietet sein Text ein gutes Beispiel, nämlich an der Stelle, an der Humor ins Spiel kommen soll. Da erzählt Döpfner "die Anekdote von dem alten Ehepaar im Café" – einen Witz, der vielleicht gewönne, wenn eine sympathische Stimme ihn erzählte (oder gar ein Avatar, der Böhmermann- oder Welke-Mimik intus hat). In schriftlicher Form ist der Witz eher flau. Andererseits, schwadro... -mentiert Döpfner, selber beinahe trotzig:

"Wer Sprache liebt, mit ihr leidenschaftlich und behutsam umgeht, ihr mit Respekt begegnet und sie doch stets spielerisch herausfordert, hat einen unsterblichen Wettbewerbsvorteil."

Hätte eine mittelgute KI diesen Text generiert (oder zumindest seine Produktion im klassischen Sinne übernommen), hätte sie wohl drauf geachtet, dass deutlicher wird, welche Geschäftsideen mit neuen Nutzwertversprechen ans Publikum der Medienkonzern-Vorstandsvorsitzende in petto hat. Doch Verleger Döpfner ist halt ein Mensch und scheint hier sympathisch hin- und hergerissen. Das macht den Artikel lesenswert.

Wobei der große Bogen, den der Medienmanager um die Frage herum schlägt, ob dank KI jetzt nicht noch viel mehr journalistische Arbeitsplätze abgebaut werden können, natürlich auffallen muss. Selbstverständlich spielen Geschäftsmodell-Fragen für privatwirtschaftliche Medien eine entscheidende Rolle. Da könnte man komplementär die neue Übersee-Club-Rede lesen, die die Funke-Verlegerin Julia Becker kürzlich in Hamburg hielt und an der der "SZ" vor allem der (aus dem Milieu der ebenfalls vielfach, oft nicht zu Unrecht kritisierten Funke-Verlagsgruppe) tatsächlich bemerkenswerte Satz "Es geht um mehr als um Geldverdienen" aufgefallen war. Dieser Reden-Text ist jetzt vollständig bei medienpolitik.net nachzulesen.

Wer reinschaut, sieht schnell, dass es da um ChatGPT und Bard gar nicht geht, sondern um die Konkurrenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ("Beim MDR in Thüringen können Sie ... zum Beispiel ganze Lokalzeitungen im Netz lesen – finanziert über die Gebühren"). Was ja ein besser (an-)greifbares Themenfeld ist.

Was ARD-Direktoren so verdienen

"So langsam kann sich die Öffentlichkeit darauf einstellen, dass die Gebührenkommission KEF eine Beitragserhöhung für 2025 beschließen wird",

leitet ebenfalls bei medienpolitik.net Helmut Hartung die Herbstsaison der ÖRR-Diskussion ein (und nimmt dann ausführlich die vielen ARD-Pressemitteilungen unter die Lupe, die sich in ihrem euphorischen Sound arg darauf verlassen, dass niemand mehr ältere Pressemitteilungen im Kopf hat. Wenn 2023 "das A in ARD - die Arbeitsgemeinschaft" ge-"stärkt" werden soll, "wie hat denn diese Arbeitsgemeinschaft in den vergangenen 73 Jahren seit ihrer Gründung 1950 gearbeitet?"). Härtere Zahlen bieten die kirchlichen Mediendienste:

"Die ARD-Anstalten geben jetzt neben den Intendantensalären auch die individuellen Bezüge ihrer Direktorinnen und Direktoren an. Doch bei den ähnlich besoldeten Leitungen der ARD-Gemeinschaftseinrichtungen ist der Senderverbund weiter wenig transparent",

klagt Steffen Grimberg im KNA-Mediendienst und exemplifiziert das u.a. am Beispiel von Degeto-Geschäftsführer Thomas Schreiber. Genaueres als dass dessen Gehalt in den "Durchschnittswerten der AT-Vergütungen, die auf den Seiten der Landesrundfunkanstalten transparent gemacht wurden, berücksichtigt" sei, ließe sich nicht erfahren. "AT" steht in dem Zusammenhang für "Außertariflich" (und das "außer-" steht nicht für unter-, sondern für übertariflich).

"Die bestbezahlten Direktoren" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks leben und arbeiten in München, ergänzt Volker Nünning in der aktuellen "epd medien"-Ausgabe (S. 12/13), und bezieht sich damit auf die jährlichen Bezüge von 261.000 Euro, die Albrecht Frenzel und Birgit Spanner-Ulmer 2022 jeweils erhielten. Insgesamt nennt er im Artikel, wenn ich mich nicht verzählte, 53 konkrete Gehälter (ohne den Sonderfall RBB), die die ARD Ende August auf ard.de (weiter unten, z.B. hier mit weiterführenden Links zu Seiten ihrer Mitgliedsanstalten) veröffentlichte.

Heißt: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten sehr, sehr viele top bezahlte Managerinnen und Manager, deren Gehälter inzwischen teilweise gesetzesgemäß transparent gemacht werden und teilweise nicht, was sich dann aber ebenfalls gesetzesgemäß verhält. Es sind ja auch jede Menge unterschiedliche Staatsverträge aus unterschiedlichen Epochen in Kraft. Das Positive daran, aus Beitragszahler-Sicht: All die hohen Gehälter eignen sich auch, wenn sie tatsächlich kontrolliert und gesenkt werden, als Stellschrauben, um die Kosten des ÖRR zu reduzieren.

"Unser Vorgehen wird schon sehr aufmerksam beobachtet. Ich denke, wir haben ein Zeichen gesetzt, das notwendig war",

sagt der RBB-Verwaltungsrats-Vorsitzende Benjamin Ehlers wiederum im KNA-Mediendienst zum Beschluss seines Gremiums, das Grundgehalt der neuen RBB-Intendantin Ulrike Demmer auf rund 220.000 Euro zu senken – eine immer noch sehr hohe Summe, die aber im Intendanten-Vergleich unten rangiert. Und dass die Gehälter der zahlreichen Direktoren und sonstigen Leitungsfunktionen in den zahlreichen Anstalten sich immer unterhalb der Intendanten-Gehälter bewegen, zeigt Nünnings eben erwähnter Artikel. Insofern: Wenn das Zeichen des RBB-Verwaltungsrats von anderen Gremien beachtet wird, ließen sich da echt Rundfunksbeitrags-Einnahmen einsparen.

Übrigens lässt Grimberg (der auch das Ehlers-Interview führte) dabei fallen, dass einem Berliner Arbeitsgerichts-Urteil von vor gut zwei Wochen zufolge der Arbeitsvertrag des Ex-RBB-Verwaltungsdirektors Brandstäter sittenwidrig sei ("wegen des darin vorgesehenen Ruhegeldes sittenwidrig sei, weil dem keine adäquate Leistung gegenüberstehe"). Wozu sich aktuell aus einem Brandenburger Landtags-Untersuchungsausschuss ergänzen ließe, dass dort Ex-RBB-Chefredakteur Singelnstein öffentlich auch noch unbekannte Bonus-Zahlungen bereits unter der Vorgängerin der Skandal-Intendantin Schlesinger, also unter Dagmar Reim, öffentlich machte. Das zitiert etwa businessinsider.de aus Springers "B.Z.".

Im Italien-Urlaub türkisch verhaftet

Die EU als größter Teil Europas und wichtiger Teil des gern im Mund Westens: Darum geht es unter sehr vielen Aspekten, bei denen Medien- und Digital-Gesetze immer nur eine kleine Rolle spielen. Die EU ventiliert eben viele gut gemeinte Ideen für groß angelegte Gesetze. Nur zum Beispiel: Die Verordnung zu einer umstrittenen Frage, die die einen "Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern" nennen, während die anderen von "Chatkontrolle" sprechen und einen hoch gefährlichen Dammbruch sehen, soll im September entscheidend vorankommen (und die deutsche Bundesregierung hat sich auch dazu noch keine einheitliche Meinung gebildet, weiß netzpolitik.org).

Was anderes ist oft, wie es in EU-Europa und im Zusammenwirken mit seinen militärischen Verbündeten, in der Lebensrealität aussieht. Dafür hat die "taz" ein Exempel, das unbedingt noch Beachtung verdient: Ein deutscher Übersetzer und Wissenschaftler befindet sich wegen journalistischer Arbeit in den Nuller Jahren, nämlich wegen ab 2005 fürs belgische Fernsehen im Nordirak geführten Interviews, in Italien in Hausarrest. Was aber schon wieder eine Verbesserung seiner Lage darstellt. Nachdem er "im Urlaub auf Sardinien" verhaftet worden war, wurde Devrim Akçadaǧ zunächst isoliert und dann mit "etwa 30, 40 IS-Kämpfern" in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, sagt der kurdischstämmige Berliner:

"Die deutschen Behörden haben mich letztes Jahr über meine Anwälte wissen lassen, ich solle besser nicht mehr in die Türkei reisen – aber das mache ich seit 13 Jahren nicht mehr. Leider wurde ich nicht informiert, dass offenbar seit 2021 ein internationaler Haftbefehl gegen mich vorliegt. Sonst wäre ich natürlich nicht nach Italien gereist. Ich kenne ja Fälle, in denen Journalisten, Akademiker oder Oppositionelle in Italien, Spanien oder Griechenland festgenommen wurden. Die Anschuldigungen sind immer die gleichen: Mitgliedschaft in der PKK. Die Türkei missbraucht Interpol-Fahndungen, um Journalisten und Oppositionellen Angst zu machen. Und das hat sie auch erreicht."

Ob italienische oder auch deutsche Behörden dem türkischen Regime, auf dessen Wohlwollen sie ja unter vielen Aspekten angewiesen sind, in solchen geopolitisch unspektakulären, bloß individuell erschreckenden Fällen entgegenzutreten bereit sind?


Altpapierkorb (Führungsebene abgeschafft, Freiräume für Gewagtes?, Pegasus, Podcasts)

+++ "Wenn nun plötzlich fünf Menschen einen Bereich leiten, für den es zuvor einen Chef gab, wirkt das nicht wie eine Verschlankung", sagt dwdl.de-Interviewer Timo Niemeier. Es sei doch eine, antwortet WDR-Programmdirektorin Andrea Schafarczyk, "weil die klassische Stelle des Hauptabteilungsleiters weggefallen ist und diese Stelle bei uns im WDR außertariflich vergütet wird. Wir haben somit eine Führungsebene abgeschafft". +++

+++ Zur neulich hier erwähnten Diskussionsveranstaltung u.a. mit ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke in der Berliner Akademie der Künste gibt's nun noch eine angenehm distanzierte Besprechung ("taz") von Mathias Greffrath, der dabei Kritik an den Gremien in ihrem aktuellen Zustand äußert: "Den Interessenvertretern, vom Landvolk bis zu Industrie, von Musikern zu den Naturschützern, und vor allem den Parteien mehr Einfluss aufs Programm zu geben, führt mit Sicherheit nicht zu mehr Freiräumen (oder Geld) für Gewagtes, Minoritäres und Scharfes. Die Klagen darüber, dass gewohnte Formen verschwinden, sind unfruchtbar ... Außerdem: lebt nicht auch die Kultur von schöpferischer Zerstörung?" +++

+++ Die Überwachungs-Software Pegasus wird vom russischen Regime offenkundig auch in Deutschland eingesetzt, berichten die Reporter ohne Grenzen ausführlich am Beispiel der oppositionellen "Meduza"-Journalistin Galina Timtschenko. +++

+++ "Wie wäre es mit einer Art Lizenz zum Tönen, die Hörer vor Zeitverschwendung schützt?", zeigt sich Markus Ehrenberg im "Tagesspiegel" von der Podcast-Manie überfordert. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag vom Autor der heutigen Kolumne.

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