Das Altpapier am 21. November 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 21. November 2023 Verantwortungsdiffusion

21. November 2023, 09:40 Uhr

Die Bundesregierung veranstaltet gerade einen Digitalgipfel. Was ist denn bloß beim KI-Konzern OpenAI los, ChatGPT? Immerhin die deutsche Rundfunkbeitrag-Erhöhungs-Debatte schnurrt wie ein Uhrwerk. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Was geht auf dem Digitalgipfel?

Wer die Nachrichten aufmerksam verfolgte, könnte es mitbekommen haben: Gestern war und heute ist noch "Digitalgipfel" der Bundesregierung. Falls Sie's nicht mitbekommen haben: macht nix. Kanzler Scholz, dem immer allerhand Medien-Aufmerksamkeit folgt, reist erst am heutigen Dienstag hin. Und um im Berge-Bild zu bleiben: Deutsche Digitalisierung rangiert bestenfalls auf Höhe kleinerer Mittelgebirge, ist also nicht sehr weithin sichtbar.

Eindrücke in Wort und (unbewegtem) Bild vermittelt die umgekehrt chronologisch gestaltete Seite des Verkehrs- und Digitalministeriums: "Die deutsche Verwaltung muss weg von ihrem Perfektionismus ..." sagte um 16.24 Uhr ein Staatssekretär. "Digitalisierung und KI haben das Potential, unsere Verwaltung effizienter, schneller & bürgerfreundlicher zu machen ...", hatte sechs Minuten zuvor Volker Wissing, der Bundesminister für Verkehr, Bahn, Digitales usw. gesagt. Na ja.

Im Vorfeld geschah das Übliche. Markus Beckedahl beklagte bei netzpolitik.org, freute sich etwas hin- und hergerissen aber auch, dass das Wirtschaftsministerium dieses Mal "Kontakt zur digitalen Zivilgesellschaft" aufgenommen habe und sich zumindest bemühe, "diese in diesem Jahr stärker einzubeziehen". Der eine Branchenverband, Bitkom, freute sich Wirtschaftsminister Habeck höchst selbst im Podcast seines, Bitkoms, Präsidenten ("Wintergerst trifft...") gehabt zu haben. Habeck, der ja meist weiß, was er sagt, hatte sogar eine gewisse Neuigkeit dabei: "Wenn KI überreguliert werde, 'haben wir die besten Verkehrsvorschriften, aber keinen Verkehr auf der Straße', sagte der Bundeswirtschaftsminister", fasst heise.de zusammen. Das passt zum neueren Habeck-Move, auch auf EU-Ebene Künstliche Intelligenz nicht zu stark zu regulieren. "Bei der wesentlichen Frage steht er stramm an der Seite der Konzerne", ärgert sich algorithmwatch.org-Gründer Matthias Spielkamp heute groß im "SZ"-Feuilleton. Bei algorithmwatch.org steht sein Text frei online.

Der andere Branchenverband, eco, hat keinen Präsidenten, sondern einen Vorstandsvorsitzenden. Und der, Oliver Süme, brachte in einer der nicht wenigen Erklärungen seines Verbands ein grundsätzliches Dilemma auf den Punkt:

"Die Verantwortungsdiffusion und Zersplitterung der digitalpolitischen Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung bringt die digitale Transformation in Deutschland zunehmend ins Stocken ... Statt ambitionierter Digitalpolitik erleben wir nach zwei Jahren Ampelregierung allenfalls ein Stop-and-Go."

Stimmt, "Verantwortungsdiffusion" ist ein Kernelement der deutschen Digital- und Netzpolitik (und der deutschen Medienpolitik ja auch). Sie äußert sich darin, dass alle riesengroßen Bundesministerien eigene Digitalabteilungen haben und bei allen Themen, die den jeweiligen Ministern (bzw. ihren Parteien) wichtig erscheinen, mitreden wollen, und bei den anderen nicht. Das haben die letzten Bundeskabinette inklusive des aktuellen empirisch belastbar belegt. Wenn sie spätestens Ende 2025 antritt, sollte die nächste Bundesregierung echt mal daraus lernen. Am Gipfel-Tag 1 war außer den genannten Ministern Habeck und Wissing zwar nicht die für viel Digitales wichtige Innenministerin, aber noch Umweltministerin Lemke dabei. Einen durchaus nicht nur negativen Rückblick schrieb Falk Steiner für heise.de:

"Anders als die hoffnungsfrohen Reden hat sich das Format der Veranstaltung spürbar verändert: Stand der frühere IT-Gipfel immer im Ruf, vor allem eine Kuschelveranstaltung zwischen IT-Wirtschaft und Bundesregierung zu sein, sind beim diesjährigen Digitalgipfel deutlich mehr Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen auf den Panels vertreten und üben teils deutliche Kritik."

War's schon erwähnt? Im thüringischen Jena findet der Gipfel dieses Jahr statt. Daher berichtet auch der MDR (und fragte z.B. Beckedahl nach einer Schulnote für Deutschland im Fach Digitalisierung. Spoiler: Für "Ausreichend" reicht es noch nicht). Vielleicht das beste Lesestück zum Thema hatte am Montag die "FAZ". Es setzte nicht auf Gipfelhöhe an, sondern auf NN, also an der Ostsee, aus der nun auch ein 800 Kilometer langes "Datenkabel der Extraklasse" kommt, das pro "Sekunde mehr Daten in Lichtgeschwindigkeit durchleiten" könne als in ganz Deutschland stündlich erzeugt würden. Der Text enthält die leider üblichen Pointen: Als die Baufirma am Meeresgrund deutsches Territorium erreichte, musste sie die Kabel statt 60 Zentimeter "einen Meter tief" vergraben, und bei deutschen Behörden dürften weiterhin "einige Anträge ... nur per Fax eingereicht werden".

Warum wurde OpenAIs Gründer-Chef gegangen?

Beim "spannendsten Tech-Unternehmen der Welt" (Thomas Knüwer twittert weiterhin), rund um "die Lichtgestalt schlechthin in der Technologiebranche" (einer von allerhand Texten im "FAZ"-Wirtschaftsressort zum Thema) bzw. um den "größten Star der Künstlichen-Intelligenz-Branche seit Apple-Gründer Steve Jobs" ("SZ") geht es gerade turbulent zu.

Die Rede ist von OpenAI, also dem Unternehmen aus Kalifornien, dessen Software bzw. Chatbot ChatGPT generative Künstliche Intelligenz dieses Jahr auch bei Endverbrauchern so richtig durchsetzt. Auch auf deutsch bekam ChatGPT längst jede Menge Prompts, also Befehle wie "Schreibe einen Wetterbericht im Stil von Thomas Bernhard" oder "ChatGPT, schreibe eine Altpapier-Kolumne!".

OpenAI hat, nein: hatte einen präsentablen Chef mit einprägsamem Namen, Sam Altman. Um den entspannen sich Turbulenzen, wie man sie höchstens von X, dem von Elon Musk umgemodelten Ex-Twitter, kannte. Deutschsprachige Medien können nur mühselig hinterher melden, während sich alles durch Posts in Echtzeit weiterentwickelt. Futurezone.at (die sich als Österreicher das Bernhardt-Späßchen gestattet hatten) fasst zusammen:

"Am Freitag wurde völlig überraschend bekannt, dass Unternehmenschef Sam Altman seinen Posten räumt. Der Aufsichtsrat befand Altman als nicht länger geeignet. Über die genauen Ursachen von Altmans Rausschmiss herrscht Unklarheit. In einer offiziellen Stellungnahme heißt es kryptisch, dass der entlassende CEO in seiner Kommunikation nicht 'offen genug' war. Die rund 700 Mitarbeiter*innen wurden vorab nicht informiert, genauso wenig wie Microsoft, das Milliarden in das Unternehmen investiert hat. Am Samstag wurde dann eine Rückkehr von Altman zu OpenAI in den Raum gestellt",

wobei Altman übrigens eine Einladung des französischen Digitalministers erhielt, "nach Frankreich überzusiedeln" (anderer "FAZ"-Text als der eben erwähnte, der vor allem um Habecks deutsche KI-Politik kreist). Altman ging aber nicht nach Frankreich, sondern direkt zu Microsoft.

Emotional betrachtet, also wenn man den Sympathieträger bedauert, wie er aus dem von ihm selbst mitgegründeten Unternehmen gekickt wurde, mag es als gute Nachricht erscheinen, dass er gleich wieder einen Spitzenjob bekam. Aus andere Perspektiven scheint es eine schlechte zu sein. Schließlich ist Microsoft schon längst ein Datenkrake mit monopolartiger Position in vielen entscheidenden Bereichen. Wird es künftig mit sog. KI, die es selber entwickelt, seine Kunden noch stärker durchleuchten? Oder ist Altmans Rauswurf bei OpenAI doch eine gute Nachricht? Dass es scheint, als hätte "vorerst die Vernunft über die Geldgier gesiegt" und Altman sei gegangen worden, weil er mehr als andere für "Beschleunigung des technischen Fortschritts ohne Rücksicht auf Gesellschaft und Menschheit" stehe, kommentierte Andrian Kreye in einem der auch nicht wenigen "Süddeutsche"-Kommentare (€).

Die einen sagen dies, die anderen das und es ist echt schwer einzuschätzen. Bloß dass Künstliche Intelligenz – die als von Konzernen wie Microsoft gern verwendeter werblicher Begriff auch ein "sogenannt" vertrüge – viele Bereiche rasant, also disruptiv ummodeln wird, ist sicher. "Dazu kommt, dass KI Arbeitsplätze für Denk- und Geistesarbeit abbauen kann, welche die Unternehmen bisher viel Geld kosten", schreibt Kreye dann noch.

(Die im Teaser gestellte Frage, was denn bloß bei OpenAI los ist, könnte ChatGPT übrigens nicht beantworten, weil sein Wissensstand zumindest im Gratis-Lockangebot ja gar nicht bis zur unmittelbaren Gegenwart reicht ...)

Brötchen? Milliarde! (Rundfunkbeitrag)

Verlässlich wie ein Uhrwerk schnurrt die Rundfunkbeitrags-Debatte weiter. Nachdem am Freitag der KEF-Vorschlag zur Erhöhung bekannt wurde und gestern der brandenburgische SPD-Medienpolitiker Grimm deutlich sagte, dass sein Ministerpräsident weiterhin nicht zustimmen wolle (Altpapier), betont nun CDU-Mann Kurze aus Sachsen-Anhalt noch deutlicher, dass sein Ministerpräsident erst recht nicht zustimmen werde. Sachsen-Anhalt war ja schon bei der letzten Erhöhung das damals einzige Land, dass nicht zustimmte, woraufhin das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet wurde. Es klingt fast wie ein Aufruf, den Beitrag zu senken statt zu erhöhen, wenn Kurze der "FAZ" sagt, dass die Öffentlich-Rechtlichen

"zu viel Gleiches vom Gleichen [bieten]. Die Mehrheit der Beitragszahler ist deshalb nicht mehr bereit, den weltweit teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der jetzigen Form zu finanzieren. Das müsste auch die KEF zur Kenntnis nehmen und aus ihrem Elfenbeinturm in das Leben hinabsteigen."

Während ich gestern hier mit überschaubaren Brötchenpreisen zum Vergleich kam, lassen sich schnell auch ganz andere Summen errechnen. Dass 58 Cent "sich immerhin zu einem Einnahmenzuwachs von 230 Millionen Euro pro Jahr summieren würden", schreibt die "Welt", und Michael Hanfeld in der "FAZ" geht noch weiter:

"Eine Erhöhung um drei Prozent – das scheint wenig, ist aber in Wirklichkeit erheblich. 8,5 Milliarden Euro bekamen ARD, ZDF und Deutschlandradio aus dem Rundfunkbeitrag 2022, 34 Milliarden sind es bezogen auf einen Zeitraum von vier Jahren – die sogenannte Gebührenperiode, für welche die Höhe des Beitrags festgelegt wird. Geht man nach diesen Summen, würden die 58 Cent pro Monat mehr den Öffentlich-Rechtlichen 2025 bis 2028 mehr als eine Milliarde zusätzlich in die Kassen spülen."

So spielen, schreibt Christian Meier gelassen im "Welt"-Artikel (€),

"alle Beteiligten ihre bekannten Rollen: die Intendanten sichern und verteidigen, die Politiker mahnen und winken durch, die Gewerkschaften fordern, die KEF rechnet das durch, was da ist und die Kritiker warnen. So geht es weiter – bis es mal nicht mehr weitergeht."

Ob wenigstens das Bundesverfassungsgericht, der wichtigste Akteur der deutschen Medienpolitik, das große Ganze im Blick hat, ließe sich unter einigen aktuellen Aspekten ja auch hinterfragen. Aber nicht in einer Medienkolumne! Jedenfalls kennt der aktuelle ARD-Vorsitzende Kai Gniffke seine Rolle und hat auch ein Zahlenspiel parat. Das kam nicht vom Gipfel aus Jena, sondern aus dem sächsischen Mittweida, wo auch ein Medienkongress stattfindet, per E-Mail und richtet sich offenbar an die Landtage:

"Wie immer die Zahl am Ende ausfällt, dann müsste man die Zahl durch vier Jahre teilen. Dann ist das schon relativ spärlich, weil wir sind, kurioserweise, von der Inflation in Höhe von sechs, sieben, acht Prozent nicht verschont geblieben, sondern das haben wir auch. Und bei uns ist da eine komplette Nulllinie. Wir kriegen immer das Gleiche. Das ist ein toller Zustand, über den klage ich nicht. Aber es ist immer gleich. Das ist anders als in öffentlichen Haushalten. In öffentlichen Haushalten wächst mit jedem Prozent Inflation auch das Steueraufkommen. Ganz automatisch, ohne dass man was tut ..."


Altpapierkorb (Wie sich Journalisten abschaffen, dpa-Kritik, X-Kritik, "Bild als Beute")

+++ Hier kommt noch eine Zerstörung des Journalismus (also Zerstörung im Rezo-Sinne): "Zu langsam, zu ängstlich, zu starr – Wie sich Journalisten selbst abschaffen", schildert Franziska Zimmerer, Ressortleiterin Community & Social bei der "Welt" ebendort. Eines der umrissenen Probleme besteht darin, "dass Journalismus unglaublich teuer ist, gleichzeitig sind die Optionen, damit online Geld zu verdienen, unglaublich bescheiden. Es kostet Geld, auf Desinformation in den Sozialen Netzwerken zu reagieren. Und Terroristen-Propaganda mit Fakten hinter einer Paywall zu entlarven, bringt nichts." +++

+++ Die "SZ"-Medienseite (€) kritisiert ausführlich und scharf die dpa, und zwar dafür, dass deren Tochter "news aktuell", die sog. Native Advertising anbietet, also: "Werbung zu veröffentlichen, die nur schwer von redaktionellen Artikeln zu unterscheiden ist", auch "chinesische Staatspropaganda" des China Global Television Network verbreitet.

+++ Dass milliardenschwere Werbekunden wie IBM und Disney millionenschwere Kampagnen bei Twitter/X stoppen, weil ihre Werbung in Hitler-Zusammenhängen erschien, meldet die dpa redaktionell. Und noch ein angesehener, freilich ungeschickter Werbekunde will nicht mehr auf Musks Plattform werben: die EU-Kommission. +++

+++ Hier kommt noch digitaler Trend, der nicht schön ist, sich aber durchsetzen dürfte (falls er es nicht schon längst getan hat): "Bei jeder sich bietenden Gelegenheit zücken Menschen ihr Smartphone und beginnen zu filmen oder zu fotografieren. Sie verarbeiten ihre Umwelt", z.B. Mitmenschen auf dem Balkon gegenüber, "dabei zu 'Content', sprich in digitale Inhalte, die sie online teilen", also in den sog. Sozialen Medien, wo "die sogenannte 'Creator Economy' ... um die 250 Milliarden Dollar pro Jahr ..., Tendenz steigend", umsetze schätzt Vincent Först. "Es soll inzwischen über 200 Millionen Content Creator:innen auf dem Planeten geben. Davon verdienen nur etwa ein Prozent ihren Lebensunterhalt mit der Erstellung von Content", aber viele von den anderen 99 Prozent bemühen sich auch darum. "Dein Bild als Beute" heißt der Beitrag auf netzpolitik.org.

+++ "Grimmig in Grimmes Zukunft" lautet dann noch die Überschrift der "taz" zu ihrem Bericht über die gestern hier erwähnten Probleme des Grimme-Instituts. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch Klaus Raab.

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