Das Altpapier am 1. März 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 1. März 2024 Wird die Gefahr durch Desinformation überschätzt?

01. März 2024, 09:07 Uhr

Google antwortet jetzt selbst, statt in erster Linie auf die Angebote von Medien zu verweisen. Verlage klagen aber aus anderen Gründen. Ein Medienwissenschaftler sagt, der öffentliche Diskurs über Fake News sei zu aufgeregt. Und: Neues von der Rundfunkbeitragsdebatte. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Google experimentiert wieder

KI, KI, KI. Man kommt kaum noch hinterher damit, all die KI-Anwendungen auszuprobieren, die einem an jeder Ecke hinterhergeworfen werden. Keine Versicherung kommt im Kundenservice mehr ohne Künstliche Intelligenz aus. Rund um den Journalismus und damit die Frage, wie wir uns über die Welt informieren können, schreitet die KI-Dynamik auch fort – klar. Hier schließt das jüngste Briefing des Social-Media-Watchblogs an, das einen Artikel von Adweek nachbereitet. Es geht um einen Deal zwischen einigen Publishern und Google, so Martin Fehrensen und Simon Hurtz vom Watchblog. Nämlich:

"Eine kleine Gruppe unbekannter Publisher hat von Google Zugriff auf eine KI-Plattform erhalten, die der breiteren Öffentlichkeit noch nicht vorgestellt wurde. Der Deal: Die Verlage erhalten einen fünfstelligen Betrag, wenn sie mit dem KI-Tool innerhalb der nächsten zwölf Monate mindestens drei Artikel pro Tag, einen Newsletter pro Woche und eine Marketing-Kampagne pro Monat produzieren. Im Gegenzug erhält Google Feedback und Daten."

Das heißt, so Fehrensen und Hurtz hübsch deutlich:

"Im besten Fall also nutzen unterbesetzte Newsrooms das Tool, um öffentliche Mitteilungen und Datensätze von Behörden, Firmen und Institutionen in Text-Vorschläge umzuwandeln, die dann das journalistische Angebot bereichern. Im schlechtesten Fall ist das Werkzeug ein stumpfes Hilfsmittel, um mehr oder weniger automatisiert Artikel von Mitbewerbern zu scrapen, umzuschreiben und ins hauseigene CMS zu kippen, wo jemand nur noch auf publish drücken muss. Oder um eigene Artikel umzuschreiben, auf einer anderen Seite zu publizieren und dadurch Traffic zu generieren."

Google stellt das Projekt laut Adweek freilich anders dar: als Hilfe für kleinere Publisher dabei, "high quality journalism" zu produzieren; Journalisten zu ersetzen sei nicht intendiert. Wobei Google sich auch eher für die technische Seite interessieren dürfte. Wer, natürlich nur rein theoretisch, durchaus irgendwann mit dem Gedanken spielen könnte, Journalisten zu ersetzen, sind halt die, die sie bezahlen. Im kostenpflichtigen Teil des Social-Media-Watchblogs-Briefings heißt es dazu: "KI kann Newsrooms bereichern. KI kann aber auch Kollegïnnen obsolet machen."

Ach, Innovationen. Sie können was Feines sein. Aber wenn man manche Kapitel ihrer Einführungsgeschichte doch nur direkt überspringen könnte!

Verlage verklagen Google

Es geht in der Berichterstattung aktuell nicht nur um Publisher, die mit Google kooperieren. Es geht auch um welche, die Google verklagen. Beides – Kooperationen wie Klagen – gab es in den vergangenen Jahren öfter. Nun sind es mehr als 30 Medienhäuser aus 17 Ländern, darunter Axel Springer, die der Alphabet-Tochter wettbewerbswidriges Verhalten bei Online-Werbung vorwerfen und auf Schadenersatz über 2,1 Milliarden Euro klagen (handelsblatt.com, spiegel.de, epd Medien u.a.). Eigentlich ist das ein anderes Unterkapitel der großen Verlage-und-Techriesen-Geschichte. KI-Projekte hier, Werbung da. Aber immer geht’s um Marktmacht und Teile vom Kuchen.

Gregory Lipinski dröselt bei Oberauers meedia.de ein paar neuere Aspekte der Geschichte auf. Dass Google mittlerweile die Angebote redaktioneller Medien verzichtbar mache, indem es Suchanfragen direkt selbst beantworte, bringe "die Verlage immer mehr in Bedrängnis", schreibt er. Und zitiert den Big-Tech-Kritiker und Medienwissenschaftler Martin Andree, der quasi einen Aufschrei erbittet:

"Die Journalisten scheinen die medienökonomische Stilllegung der redaktionellen Medien ohne erkennbare Kritik oder Gegenwehr hinzunehmen".

Dass der Axel-Springer-Konzern unter Deutschlands Medienhäusern beim Versuch, dem "Google-Dilemma" (Lipinski) zu entkommen, am kämpferischsten auftritt und mit der Entwicklung eigener KI-Angebote vorne dran ist, verwundert nicht. Mangelnde Innovationsfreude kann man Springer-Chef Mathias Döpfner ja kaum vorwerfen. "Geschickt baut er das Berliner Medienhaus zu einem eigenen KI-Riesen um, um mit künstlicher Intelligenz neue publizistische Inhalte mit wenig personellem Aufwand zu erzeugen", schreibt Lipinski und fächert die KI-Angebote von "Welt" und "Bild" sowie andere Springer-Pläne auf. Darüber hinaus gibt es die Kooperation des Konzerns mit OpenAI, also dem Laden hinter ChatGPT (Altpapier-Jahresrückblick 2023). Ob das alles dem Journalismus so sehr nützt, wie es sonntags gepredigt wird, ist freilich eine andere Frage.

Und was ist mit Desinformation durch KI?

Noch ein Aspekt der KI-Dynamik: Desinformation.

"Anfang 2024 stufte das Weltwirtschaftsforum (WEF) in seinem globalen Risikobericht die KI-gesteuerte Fehl- und Desinformation als das derzeit größte Risiko für eine globale Krise in den kommenden zwei Jahren ein, noch vor extreme Wetterereignisse und gesellschaftlicher Polarisierung."

Das steht auf den Seiten der Mediensendung "mediasres" des Deutschlandfunks. Allerdings wird dort auch der Medienwissenschaftler Christian Hoffmann zitiert mit der Ansicht, die Gefahr durch Desinformation werde tendenziell eher überschätzt. Gemeint ist Desinformation sowohl generell als auch die KI-spezifische. Wie gerade "KI-generierte Inhalte in einem öffentlichen Diskurs wirken werden", sei noch gar nicht abzusehen. Und wenn zu sehr vor den Gefahren von KI gewarnt werde, bestehe gar das Risiko, dass Bürgerinnen und Bürger davon ausgingen,

"dass überall Fake News lauern. Dann ist die Gefahr groß, dass Inhalte abgelehnt werden oder als unplausibel wahrgenommen werden, die wahr sind und die aus qualitativ hochwertigen Quellen kommen".

Ein Weg zwischen kompletter Unbedarftheit (KU) und künstlicher Aufregung (KA) – das wär’s demnach wohl.

Zum Komplex Fake News generell sagt Hoffmann:

"Wir wissen inzwischen, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger sehr wenig Fake News sehen. Und auch die Wirkungen von Fake News sind nach wie vor unklar. Also insofern scheint mir eigentlich, dass wir sehr viel Aufmerksamkeit richten auf ein Thema, das wir eigentlich noch wenig verstanden haben bisher. (…) Die öffentliche Vorstellung, dass Bürgerinnen und Bürger im Netz unschuldig herumsurfend über Fake News stolpern und dadurch in die Irre geführt werden, können wir in den Daten eigentlich überhaupt nicht feststellen".

In der Forschung werde entspannter mit dem Thema umgegangen als im öffentlichen Diskurs, fasst der Deutschlandfunk Hoffmanns Aussagen zusammen. Was gewissermaßen die Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann-Stiftung relativiert, derzufolge sich 81 Prozent der Deutschen "wegen Falschinformationen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt" sorgen (Nachrichtenagenturen via zeit.de).

Finanzieren oder reformieren?

In einem Interview von Helmut Hartung für die "FAZ" (bei Abgabe dieser Kolumne noch nicht online) mit Sachsens Staatskanzlei-Chef Oliver Schenk (CDU) geht es um die Öffentlich-Rechtlichen und die Frage, ob der Rundfunkbeitrag gemäß der jüngsten KEF-Berechnungen steigen soll oder ob vorher noch hier und da reformiert wird. Also, auf Beamtisch: Gibt es einen Finanzierungsstaatsvertrag oder erst den Reformstaatsvertrag? Schenk plädiert für Variante zwei:

"Es geht darum, das öffentlich-rechtliche System kostengünstiger und effizienter zu organisieren und die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung entschlossener als bisher auch für eine Optimierung der Abläufe zu nutzen. (…) Wir sollten zunächst die Auswirkungen der Reformen abwarten, bevor ein neuer Finanzierungsstaatsvertrag auf den Weg gebracht wird."

Das ist freilich ziemlich das Gegenteil dessen, was Martin Detzel, Chef der KEF, am Donnerstag im Landtag von Sachsen-Anhalt sagte, wie tagesschau.de berichtet. Unterschiedliche Auffassungen vertreten Detzel und Schenk auch in der Frage, ob die ganze Beitrags-Chose wieder vor dem Bundesverfassungsgericht enden wird oder kann oder soll. Detzel warnt, die öffentlich-rechtlichen Anstalten könnten genau dorthin ziehen, wenn die Politik sich weigere, sie bedarfsgerecht zu finanzieren. Oliver Schenk dagegen sagt im "FAZ"-Interview:

"Den Anstalten steht es natürlich frei, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, wenn sie der Meinung sind, nicht bedarfsgerecht finanziert zu sein. Sie hätten wahrscheinlich auch gute Erfolgsaussichten. Nach meiner Überzeugung wäre das aber ein Pyrrhussieg, weil die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch diesen Schritt weiter leiden würde."

Ob allerdings jene Bundesländer, die sich gegen eine Beitragserhöhung stemmen, wirklich einen großen Triumph einfahren, wenn sie die KEF-Empfehlung übergehen: Das könnte man sich auch fragen.


Altpapierkorb

+++ "Zapp" hat in einem längeren Video die Behauptung – okay, von "Nils" und "ÖRR Blog" –, im ÖRR würden viele linke und grüne Parteimitglieder befragt, genau geprüft. Methodisch ist das kompletter Unsinn. Inhaltlich auch – "offensichtlich falsch". Nicht alle, die laut ÖRR Blog und "Nius" Mitglieder von Linke oder Grünen sind, sind auch Mitglieder von Linke oder Grüne. Es geht auch um die Frage: Warum werden Parteimitgliedschaften von Interviewten im ÖRR nicht immer genannt?

+++ "Wie sich digitale Desinformation genau auswirkt, ist schwer zu messen", schreibt Christoph Koch in einem essayistischen Text im Wirtschaftsmagazin "brand eins". "Dass sie Folgen hat, steht außer Frage. So denkt laut einer Umfrage des 'Economist' einer von fünf jungen Menschen in den USA, der Holocaust sei ein Mythos". Aber Koch zitiert auch den Soziologen Nils Kumkar, der die Sorge, dass es wegen digitaler Fake News keine gemeinsame Realität mehr gäbe, für überzogen halte: "Ist es wirklich eine realistische Annahme, dass irgendwann restlos alle Menschen von den Fakten überzeugt sind? Das war früher doch auch nicht so."

+++ Was in einigen Ländern aus dem Kompromiss wird, dass Googles News Showcase und Metas Facebook News ausgewählte Medien dafür bezahlen, Inhalte zu liefern, steht in den Sternen. Meta jedenfalls wolle in u.a. Australien "keine neuen Verträge über Lizenzgebühren mehr abschließen", wird heute Morgen gemeldet (u.a. spiegel.de). 

+++ Der neue Sprecher von Benjamin Blümchen kommt aus Leipzig (mdr.de) und wird nun von der "Süddeutschen" (Abo) interviewt. Töröö.

+++ "Kann die Idee von 'Nachrichten' in einer digitalen Welt überleben?", fragt die New York Times in einem pessimistischen Text, in dem es aber auch darum geht, dass es eigentlich nie ein Goldenes Zeitalter des Journalismus gegeben habe. Und ein paar nicht ganz so pessimistische Stimmen gibt es auch.

+++ Das Wissensressort der "Zeit" (Abo) fasst zusammen, wie viel – oder wie wenig – Handfestes, wirklich Sicheres man über die Risiken des Medienkonsums von Kindern und Jugendlichen weiß. Aus dem Schlussteil: "Eine Kindheit ohne digitale Medien ist heute so gut wie undenkbar. Welche langfristigen Folgen dies hat, lässt sich bislang nicht sicher sagen. Die Wissenschaft kann immer nur Zwischenergebnisse liefern – keine definitiven Aussagen. Die Befunde deuten aber recht klar in eine Richtung: Für Kinder birgt die digitale Revolution Gefahren. Und je jünger die Kinder sind, desto mehr verdichten sich die Risiken."

Am Montag schreibt das Altpapier wieder keine KI. Schönes Wochenende!

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