Kolumne: Das Altpapier am 15. März 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Ralf Heimann 2 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 15. März 2024 Die Antwort auf alles: minus 42?

15. März 2024, 11:03 Uhr

"Bild" hat in der Redaktion gefragt, wie’s mit der Zufriedenheit aussieht. Eine schlechte Idee. Und: Zum Abschied von Markus Beckedahl von netzpolitik.org stellt sich die Frage: Warum verzichten Medien noch immer auf Dinge, die möglich wären? Zum Beispiel Verlinkungen. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier Autoren Ralf Heimann
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Ein Jahr Marion Horn – die neue BamS-Bude?

Morgen vor einem Jahr übernahm Marion Horn die "Bild"-Chefredaktion von Johannes Boie, der von der Entscheidung noch gar nichts wusste, als Marion Horn schon im Newsroom stand, schreibt Marvin Schade in einer über 30.000 Zeichen langen Analyse für den "Medieninsider", die unter der Überschrift steht: "Ein Jahr unter Chefredakteurin Marion Horn: Wie viel Kulturwandel schafft Bild?"

Erinnern wir uns kurz an die ewige Regel: Wenn in einer Überschrift eine Frage steht, ist die Antwort meist Nein.

Und schon haben wir ein Twitter-Meme.

Wie viel Kulturwandel schafft Bild?

Marion Horn: Nein.

Die Kernaussage des Textes ist so schon hinreichend zusammengefasst. Oder um es mit einem anderen Meme auszudrücken:

Können wir Julian Reichelt noch mal sehen?

Das ist die Kurzform, die etwas länger ist: "Bild" hat laut Medieninsider eine Mitarbeiterbefragung gemacht, deren Ergebnis mit "katastrophal" noch sehr wohlwollend beschrieben ist. Laut Schade hat man danach versucht, die Ergebnisse so gut es geht geheim zu halten. Wie gut das gelungen ist, mögen Sie selbst beurteilen, wo das Ergebnis beim "Medieninsider" nun nachzulesen ist.

Nur eine Zahl, um Ihnen einen Eindruck zu geben, aber auch nicht alles zu verraten. Die Mitarbeiter sollten auf einer Skala von minus hundert bis plus hundert angeben, ob sie "Bild" als Arbeitgeber weiterempfehlen würden, das Ergebnis war: minus 42.

Ob das im "Bild"-Universum die Antwort auf alles ist, wissen wir nicht. Schaut man auf die wirtschaftlichen Zahlen, ergibt sich allerdings ein etwas differenzierteres Bild. Das Digitalgeschäft entwickelt sich offenbar gut, so beschreibt es auch Schade. Dass die Zahl der Digitalabos im vergangenen Jahr um elf Prozent auf 724.000 gewachsen ist, hatte das Unternehmen schon im Januar mitgeteilt.

Bleibt nur eben das Kulturproblem. Marvin Schade beschreibt Marion Horn als entschieden und zielstrebig, allerdings als ungefähr so entschieden und zielstrebig wie ein Elefant im Porzellangeschäft, der genau weiß, welche Tasse er finden möchte. Schade schreibt:

"Das Klima in Konferenzen und im Newsroom von Bild wird seit Monaten als deutlich angespannt beschrieben. Wie eine Konferenz verlaufe, sei vor allem von Horns Laune abhängig – und die könne sich stündlich ändern. Bei Themenvorschlägen oder Diskussionsbeiträgen erlebe man unter Kollegen eine gewisse Zurückhaltung, manche sprechen sogar von Angst. Denn wenn Horn etwas nicht gefällt, reagiere sie 'schnippisch' oder 'patzig'. Gleiches gelte auch für inhaltlichen Widerspruch, bei dem die Chefredakteurin rechthaberisch wirke. 'Bei einem Mann würde man von Mansplaining sprechen', sagt ein Redaktionsmitglied."

Horn benehme sich im Grunde wie ein alter weißer Mann. Scheint also im Grunde doch alles beim Alten geblieben zu sein bei "Bild" – nur dass man jetzt nicht mehr vom "Boys-Club" spricht, sondern vom "BamS-Club". Horn stand vorher länger an der Spitze der "Bild am Sonntag" und hat sich ihren Führungszirkel von dort anscheinend mitgebracht; der zweite Chefredakteur Robert Schneider sei eher so etwas wie ihr Stellvertreter.

Die Beschreibungen von Horns Gefühlsausbrüchen, Launen und schrägen Verhaltensweisen machen ungefähr ein Drittel des Textes aus, und wenn man das alles so liest, bekommt man fast Lust auf eine neue "Bild"-Doku, in der es anders als unter Sunnyboy Reichelt mal so richtig zur Sache geht. 

In anderen Worten: Falls in Marion Horns Büro kein Feldbett stehen sollte, kann das eigentlich nur daran liegen, dass sie Leute, die in einem Bett schlafen, für verweichlicht hält.

Markus Beckedahl geht – was bleibt?

Markus Beckedahl hört nach 20 Jahren bei "netzpolitik.org" auf. Zu seinem Abschied sind dort zwei Texte erschienen, einer mit dem Titel "Danke, netzpolitik.org", von Beckedahl selbst, und einer mit dem Titel "Danke, Markus!", ohne Autorennennung.

Beide Texte erinnern daran, wie der Journalismus sich innerhalb von 20 Jahren verändert hat, vor allem aber hätte verändern können. Beckedahl schreibt über die anfängliche Faszination für etwas, das heute selbstverständlich erscheint:

"Wir konnten auf einmal publizieren, ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen."

Er schreibt:

"Die Werte der Open-Source-Welt verschafften mir eine andere journalistische Perspektive darauf, was in unserem gesellschaftlichen Umgang (und Diskurs) mit Technik möglich ist: eine offene, vernetzte und kollaborative Netzpolitik – sowohl inhaltlich als auch in der praktischen Anwendung. Diese Werte haben auch unsere Arbeit hier konsequent geprägt: So war es mir zum Beispiel später wichtig, dass wir so transparent wie möglich bei der Finanzierung sind."

Im anderen Text, der – wahrscheinlich muss das bei einem Abschied nach 20 Jahren so sein – ein wenig an einen Nachruf erinnert, heißt es:

"Durch das Bloggen entwickelte sich ein ganz anderes Verständnis von Journalismus: Natürlich werden alle Quellen referenziert und alles verlinkt, was zum tieferen Verständnis beiträgt. Natürlich können Menschen auf andere Webseiten geleitet werden, natürlich werden Dokumente veröffentlicht. Leser:innen sind ebenbürtig und gleichberechtigt im Informationsinteresse – kein Klickvieh, das man leiten muss und dem man die Informationen, die einem vorliegen, scheibchenweise verkauft."

Das alles könnte heute ebenfalls selbstverständlich sein. Medien könnten Quellen verlinken, Dokumente veröffentlichen und deutlich machen, dass sie sich im Grunde als Teil ihres Publikums sehen – aber eben als der Teil, der sich darum bemüht, die Informationen zu beschaffen und öffentlich zu machen, die das Publikum interessieren, unter Umständen auch mit Hilfe von anderen aus dieser Gruppe, die sich im Zweifel sogar besser auskennen.

Die "netzpolitik.org"-Redaktion schreibt:

"Dieses Verständnis eines offenlegenden Journalismus prägt die Redaktion bis heute sehr stark. Wir wundern uns noch immer, dass er sich nicht breit durchsetzt und die Mechanismen, die schon in der Blogosphäre an den 'Qualitätsmedien' kritisiert wurden, immer noch bestehen."

So ein Mechanismus ist zum Beispiel: Medien möchten verhindern, dass Menschen ihr Angebot verlassen. Daher verlinken sie lediglich auf Artikel aus dem eigenen Fundus. Das ließe sich schnell ändern, und es wäre eine große Veränderung, denn dabei geht es auch um die Frage, wie Medien ihr Publikum sehen, und wie sie mit ihm sprechen.

Im einen Fall kann hinter einem Artikel die Botschaft stehen: Ich erkläre Ihnen mal schnell, was in der Studie steht, damit auch unkundige Menschen wie Sie das verstehen können.

Im anderen Fall kann die Botschaft lauten: Ich habe Ihnen das Ergebnis der Studie so zusammengefasst, wie ich es verstehe. Hier ist das Dokument. Wenn Sie einen Fehler finden, freue ich mich über einen Hinweis.

Versteht man Journalismus auf diese Weise, bedeutet das: Medien müssen transparent arbeiten, denn nur so ist nachvollziehbar, wie sie zu ihren Ergebnissen gekommen sind.

Das Selbstverständnis sollte sein: Medien stecken mit dem Publikum unter einer Decke, nicht mit den Menschen, über die sie berichten, die Anzeigen schalten oder mit irgendwem anders.

Wenn Medien dem Publikum aber Informationen vorenthalten, die verfügbar wären, entstehen Zweifel daran, ob das Interesse des Publikums tatsächlich so wichtig ist.

Und dann geht es noch um eine andere Debatte, die seit Jahren schwelt und auch im Altpapier immer mal wieder vorkommt (zuletzt hier) – die über Objektivität und Neutralität im Journalismus. Die "netzpolitik.org"-Redaktion schreibt über Beckedahl:

"Wie die Blogosphäre stellte er vermeintliche Objektivität und Neutralität in Frage, die andere Medien wie eine Monstranz vor sich hertragen. Natürlich darf man sich mit einer guten Sache gemein machen, wenn die Fakten stimmen. Die Leser:innen sollen wissen, wo ein Medium und Journalist:innen stehen, weil es einfach ehrlicher ist. Diese neue Spielart des Journalismus, über die bis heute gestritten wird, hat Markus publizistisch vorangetrieben."

Zur Erinnerung, die andere Position in dieser Frage ist: Ein Schiedsrichter hat möglicherweise auch irgendein Lieblingsteam. Aber wenn er vor dem Spiel zugibt, dass er privat Anhänger einer der beiden Mannschaften ist, die auf dem Platz stehen, kann er sich später noch so viel Mühe geben, die andere Seite wird ihn als Schiedsrichter nicht ernst nehmen.

Wobei man hier einwenden kann: So ganz passt der Vergleich nicht, denn während sich im Sport in der Regel objektiv sagen lässt, ob eine Entscheidung richtig oder falsch war, sind im Journalismus oft mehrere Wertungen möglich, und da ist natürlich interessant, von welchem Standpunkt man die Sache aus sieht.


Altpapierkorb (Correctiv-Recherche, Tiktok-Verbot, Peter Kloeppel, Musk vs. Lemon, Reformvorschläge, AfD vs. Compact, Fretterode, Klimapreis)

+++ Nils Altland und Mandy Mülling berichten für das NDR-Medienmagazin "Zapp" über den Kampf um die Deutungshoheit über das Ergebnis der "Correctiv"-Recherchen zum AfD-Geheimtreffen. Der CDU-Politiker Ulrich Vosgerau, der an dem Treffen teilgenommen hat, kritisiert, "Correctiv" habe den Text so verfasst, "dass man gegen alle Hauptsachebehauptungen, gegen den großen Schwerpunkt, gegen diese Eindruckserweckung juristisch nicht vorgehen kann". Im zweiten Schritt ("da kann man sehen, was für infame Mistvögel das sind") behaupte "Correctiv", die Darstellung sei wahr, es habe ja bisher noch niemand geklagt. "Legal Tribune Online"-Chefredakteur Felix Zimmermann widerspricht einerseits. Der Tatsachenkern der Recherche, auf dessen Grundlage Wertungen zulässig sind, sei unstreitig, Zimmermann kritisiert allerdings die starken Wertungen und harten Schlussfolgerungen, die "Correctiv" zieht. Altland: "Was bleibt? Von beiden Seiten unbestrittene Fakten. Meinungsäußerungen, die auf diesen Fakten beruhen und deswegen juristisch nicht angreifbar sind. Und ein journalistischer Stil, über den sich streiten lässt."

+++ Das US-Repräsentantenhaus hat einen Gesetzesentwurf beschlossen, der zu einem Verbot der Plattform "Tiktok" führen könnte, wenn das chinesische Mutterunternehmen "ByteDance" die App nicht innerhalb von 180 Tagen verkauft, berichtet unter anderem die taz. Jetzt muss noch der Senat zustimmen. Ob das passieren wird, ist laut dem Bericht unklar. Der Grund für das Gesetz ist die Befürchtung, dass chinesische Behörden über die App Einfluss nehmen und an Daten gelangen könnten. Die Deutschlandfunk-Washington-Korrespondentin Doris Simon sagt im Gespräch mit Gesine Dornblüth für "@mediasres" allerdings, sie glaube nicht, dass die beschlossene Vorlage jemals als Gesetz in Kraft treten werde. Die Frage, inwieweit es sich mit der Redefreiheit vereinbaren lasse, werde die Gerichte wohl sehr lange beschäftigen.

+++ Kurt Kister hat auf der SZ-Medienseite Peter Kloeppel porträtiert, der in Rente geht (Altpapier). Kister: "Er sagt von sich selbst, dass er sich für eine Talkshow nicht eignen würde. So ist es. Er kann Fragen stellen, was er auch in allen bisherigen sogenannten Kanzlerduellen bewiesen hat. Aber er ist nicht der Typ, der aus diesem Fragestellen eine Show machen würde – oder könnte. Dafür fehlt ihm die lanzige Oh-mein-Gott-Schlagfertigkeit, aber auch die Bereitschaft zum verbalen Exhibitionismus. Er ist ein deutlich über dem Durchschnitt liegender Durchschnittsmensch. Das macht ihn populär."

+++ Elon Musk hat eine neue Talkshow mit dem früheren CNN-Moderator Don Lemon auf seiner Plattform X abgesagt, nachdem Lemon ein Interview mit ihm geführt hat, berichtet unter anderem die "New York Times". Musk begründet das mit seinem Eindruck von der Show, Lemon sagt: "Sein Engagement für einen globalen Marktplatz, auf dem alle Fragen gestellt und alle Ideen ausgetauscht werden können, scheint keine Fragen von Leuten wie mir an ihn zu beinhalten." Das Interview will Lemon nun selbst veröffentlichen.

+++ Der Grünen-Bundesvorstand hat Vorschläge dazu gemacht, wie man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren kann, berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Der Vorschlag sieht vor allem vor, die Verwaltung umzubauen. Die zentrale ARD-Anstalt, die der Zukunftsrat vorgeschlagen hatte, lehnt der Bundesvorstand ab.

+++ Die AfD erwägt nach Recherchen des Magazins "Kontraste" rechtliche Schritte gegen das rechtsextreme Magazin "Compact", das eine Kampagne zur Unterstützung der Partei in Wahlkämpfen initiiert hat, berichtet die "Tagesschau". Klingt komisch, denn der Partei könnte das ja sogar nützlich sein. Nur das Problem ist: Die Bundestagsverwaltung untersucht, ob die Aktion als unzulässige Parteispende zu werten ist.

+++ Sebastian Wellendorf hat für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" mit Heidje Beutel vom Deutschen Journalistenverband über das Fretterode-Urteil des Bundesgerichtshofs gesprochen (Altpapier gestern), die noch einmal betont: "(…) durch dieses Urteil wurde der Eindruck erweckt, dass es weniger schlimm ist, Journalisten zu verletzen, wenn sie von den Tätern für politische Gegner gehalten werden können."

+++ Das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland und das Netzwerk Recherche vergeben gemeinsam den "Deutschen Preis für Klimajournalismus". Für den Preis kann man sich ab heute bewerben. Er ist ausgeschrieben in den Kategorien "Hauptpreis", "Investigativ" sowie "Lokal" und mit jeweils 2.000 Euro dotiert. Außerdem gibt es einen Ehrenpreis für besonderes Engagement im Klimajournalismus.

Das Altpapier am Montag schreibt Jenni Zylka.

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