Kolumne: Das Altpapier am 21. März 2024 Das Digitale stört mal wieder
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21. März 2024, 11:21 Uhr
Ein Landtagsdirektor schreibt in einem Essay: Die Netzöffentlichkeit schadet der Demokratie. Er fordert Politiker auf, sich im Digitalen zurückzuhalten. Genau das wäre falsch. Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ressentiments und pauschale Behauptungen
Der schleswig-holsteinische Landtagsdirektor Utz Schliesky hat in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Essay dazu veröffentlicht, "wie sehr die Digitalisierung die demokratische und parlamentarische Öffentlichkeit beeinflusst – und oftmals auch stört", so steht es im Teaser des Textes. Und da ergibt sich auch hier ein Störgefühl, denn die Digitalisierung ist ja im Grunde nur eine technische Verbesserung, die es, jedenfalls in der Theorie, möglich macht, sehr viel leichter und kostengünstiger so etwas wie eine Öffentlichkeit herzustellen.
Wo die "Digitalisierung" als Problem genannt wird, ist meist auch eine grundlegende Skepsis gegen diese Entwicklung im Spiel, die auch eine kulturelle Veränderung ist. Ein Unbehagen darüber, dass Kommunikation nun auf eine andere Weise stattfindet.
So vermischen sich zwei Dinge, nämlich die Fragen, ob es an der digitalen Kommunikation selbst liegt, dass das, was wir Öffentlichkeit nennen, seine für die Demokratie wichtige Funktion nicht mehr so erfüllt, wie es könnte und sollte – oder ob die Regeln, innerhalb derer die Kommunikation stattfindet, noch nicht so sind, wie sie sein könnten und sollten, damit es besser läuft.
Utz Schliesky kritisiert im Wesentlichen, dass die digitale Kommunikation die traditionellen Arten, sich zu verständigen, stört und damit die Qualität von Informationen abnimmt, in der Folge dann auch die Integrität demokratischer Prozesse, was wiederum andere Auswirkungen hat.
Das ist eine legitime Kritik, die zu einer Debatte über die Frage führen könnte, innerhalb welcher Grenzen, Regeln und Schranken Kommunikation, in diesem Fall parlamentarische, stattfinden sollte.
Stattdessen aber hantiert Schliesky mit Ressentiments und pauschalen Behauptungen, die nahelegen, dass digitale Kommunikation eben grundsätzlich einfach schlechter sei.
Er schreibt:
"Das Ansehen leidet durch die Trivialisierung der Inhalte, denn die möglichst schnell 'herausgehauenen' Tweets, Nachrichten, Posts und so weiter müssen den von den Plattformen diktierten Spielregeln gehorchen. Neben der Schnelligkeit bedeutet dies eine Beschränkung auf kurze Inhalte (280 Zeichen). Es muss um Effekthascherei gehen, die man eher mit zugespitzten, beleidigenden oder skandalösen Formulierungen findet als mit wohl abgewogenen Äußerungen, die einem sachlichen demokratischen Diskurs gut zu Gesicht stünden."
Und er schreibt:
"Kennzeichnend für die Netzöffentlichkeit sind Reizüberflutung sowie Informations- und Meinungsüberflutung. Viele Beiträge werden überhaupt nicht wahrgenommen, sind nach wenigen Minuten überholt oder erweisen sich nach Recherche als voreilig und falsch. Befürworter verweisen dennoch auf die Unmittelbarkeit der Kommunikation mit Wählerinnen und Wählern, doch will ich auch daran Zweifel anmelden. Das Paradoxe an der digitalen Netzöffentlichkeit ist doch, dass Kommunikation und Diskurse immer weniger stattfinden. Man merkt dies daran, dass – eben angesichts der Reizüberflutung – immer weniger konkrete Antworten auf Posts, SMS, Whatsapp erfolgen."
Man muss hier fast sagen: Auf diesem Niveau kann man keine Debatte führen. Dann müsste man nämlich auch einwenden: Die analoge Kommunikation hat ja leider auch nicht so funktioniert, wie sie sollte. Man konnte Handschriften nicht lesen, es dauerte Wochen, bis einen die Dokumente auf dem Handwagen erreichten, und weil es noch keine Suchfunktion gab, fand man ohnehin nur selten die Textstellen, die man suchte. Viele beschriebenen Seiten verstaubten daher abgeheftet in Regalen, ohne je irgendwann gelesen worden zu sein.
Bitte alles so wie früher
Ähnliche Dinge, die Schliesky hier über digitale Kommunikation schreibt, könnte man auch gegen Gespräche anführen. Man muss irgendwas sagen, ohne lange nachgedacht zu haben. Man muss die Dinge schnell auf den Punkt bringen, damit die Person, mit der man spricht, nicht einschläft und im besten Fall weiter zuhört. Daher muss man zuspitzen. Wie soll so eine vernünftige Debatte entstehen?
Den gesamten Text durchweht ein "Früher, das waren noch Zeiten"-Gefühl; an einigen Stellen wirkt es fast wie der Ausdruck einer Kränkung, wenn Schliesky etwa schreibt:
"Und es darf nicht vergessen werden, dass der andere Teil der Bevölkerung, der früher staatstragend war, in der Regel mit diesen Medien überhaupt nicht erreicht wird."
Oder:
"Und schließlich sind die Netzaktivisten auch kein repräsentativer Querschnitt des Volkes."
Der Wunsch ist: Die Kommunikation soll doch bitte da hin, wo man sie früher, als alles noch in Ordnung war, hatte.
Schliesky bietet so gut wie alles gegen das Digitale auf, was sich finden lässt – "dass Wähler gar nicht mehr wissen können, ob es wirklich noch die oder der Abgeordnete ist, deren Beitrag sie in der Netzöffentlichkeit zur Kenntnis nehmen", "Deepfakes", "den fast grenzenlos erscheinenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz".
An einer Stelle schreibt er, "die physische Präsenz in der Demokratie (sei) unverzichtbar, denn Diskussions-, Überzeugungs- und Entscheidungskultur setzen mehr als eine bloße Informationsbereitstellung im Netz voraus", all das sollte man in der Coronazeit doch gemerkt haben, so Schliesky – als ginge es in der Debatte darum, die physische Präsenz abzuschaffen.
Tatsächlich eröffnet die digitale Kommunikation erst die Möglichkeit, Öffentlichkeit entstehen zu lassen, auch das sollte man in der Coronazeit gemerkt haben, als die Demokratie auch ohne physische Treffen funktionierte und – das war neu – Sitzungen von Parlamenten oder Ausschüssen live übertragen wurden, was sie für ein neues Publikum zugänglich machte.
Man muss hier wieder unterscheiden. Die Digitalisierung und die durch sie entstandene Netzöffentlichkeit ist nicht das Problem, auch wenn das im Text an vielen Stellen so erschient. Da Problem ist, dass die Technik sich schneller entwickelt als neue Regeln.
Daher ist der erste Vorschlag, den Schliesky macht, wie er selbst bemerkt, "naiv" (wobei da noch steht, "aber äußert wirksam"). Er lautet: "Selbstbeschränkung der Abgeordneten und aller anderen, die an der parlamentarischen Öffentlichkeit beteiligt sind." Also einfach nicht mehr digital kommunizieren, weil dabei eh nur Murks herauskommt? Man könnte die Abgeordneten auch einfach auffordern, digital doch einfach klügere Dinge zu verbreiten.
Dieser Vorschlag wirkt wie die Vogel-Strauß-Strategie. Und er wirkt wie der hilflose Versuch, die gute Vergangenheit wiederherzustellen. Wenn die Abgeordneten dann noch mit der Kutsche ins Parlament fahren, kriegen wir vielleicht so auch noch das Klimaproblem in den Griff.
Dann wäre es wirklich "Staatsfunk"
Es ist tatsächlich notwendig, sich Gedanken darüber zu machen, wie demokratische Legitimation auch in dieser neuen Öffentlichkeit gelingen kann.
Schliesky schreibt:
"Der Staat und in diesem Fall auch insbesondere die Parlamente werden sich intensiver um die Bereitstellung bestimmter digitaler Infrastrukturen kümmern müssen. Neben der Sicherstellung einer handlungsfähigen digitalen Verwaltung wird auch an die Errichtung von digitalen Plattformen zu denken sein, die vom Staat effektiv reguliert und im Sinne der Gefahrenabwehr überwacht werden können, um die Wahrung der Grundrechte der kommunizierenden Bürger zu gewährleisten."
Der Staat soll danach also selbst Plattformen zur Verfügung stellen, auf denen er die Regeln macht. Das ist keine neue Idee, aber eine, die aus verschiedenen Gründen noch nicht umgesetzt wurde.
Zum einen wäre das ein gigantisches Projekt, das sehr viel Geld kosten würde. Würde es unter dem Label "öffentlich-rechtlich" laufen, wäre es wahrscheinlich schwer, dafür das Geld loszuschlagen, wie an der aktuellen Debatte über die 58 Cent zu sehen ist, um die der Rundfunkbeitrag steigen soll.
Würde man so eine Plattform näher an den Staat heranrücken, ergäbe sich das Problem mit der staatlichen Kontrolle, denn dann hätte man schnell ein Konstrukt geschaffen, das den Namen "Staatsfunk" tatsächlich verdient.
Und natürlich steht hinter der Idee auch die Annahme, dass die Menschen so ein Netzwerk nutzen würden, wenn es erst da wäre. Dabei ist in Wirklichkeit zu beobachten, dass Nutzerströme sich sehr schnell verändern können, wenn die Leute keine Lust mehr auf eine Plattform haben, also die Umstände, die Stimmung oder einfach Zeiten sich verändern – siehe Twitter beziehungsweise X, seit Elon Musk es zerstört, oder siehe Facebook, das zwar immer noch sehr groß ist, aber in der Wahrnehmung vieler Menschen vor allem noch den Zweck erfüllt, alte Menschen an Geburtstage von Freunden und Menschen, die irgendwann mal eine Freundschaftsanfrage geschickt haben, zu erinnern.
Ich selbst bezweifle, dass der Versuch gelingen würde, die Kontrolle auf diese Weise zurückzugewinnen. Ein Charakteristikum der digitalen Welt ist ja gerade, dass es in der Hand der Menschen selbst liegt, wo sie miteinander in Kontakt treten und so Öffentlichkeit entstehen lassen, dass es diese eine Agora, die man sich für die Demokratie idealerweise wünschen würde, so einfach nie wieder geben wird.
Ein Gefühl und die schlimmen Folgen
Eine wichtige Frage wäre auch: Was macht man mit den übrigen Orten? Der Versuch, die Kontrolle über Tiktok zurückzugewinnen, war gerade gestern erst Thema im Altpapier. Ein Verbot könnte am Ende erst recht dazu beitragen, die Demokratie zu delegitimieren und zu schwächen. Es könnte also den Kräften nützen, die sich ebenfalls mehr Kontrolle wünschen, aber nicht, um die Meinungsfreiheit durchzusetzen – und die ihren Propagandazirkus auf einer staatlichen Plattform mit strengen Regeln gar nicht aufführen wollten.
Der Politikwissenschaftler und Tiktok-Experte Marcus Bösch hat gestern im Deutschlandfunk-Medienmagazin"@mediasres" darauf hingewiesen, dass auch Einschränkungen innerhalb des Netzwerks selbst wie die Reichweitenbeschränkung des AfD-Politikers Maximilian Krah möglicherweise eher dem Netzwerk behilflich sind, um zu zeigen, dass es aktiv wird, um die Integrität von Wahlen zu schützen, als dass die Sanktionen tatsächlich irgendwas bringen. Die Videos von Krah tauchten bei Tiktok trotzdem weiterhin auf, weil andere reichweitenstarke Accounts behilflich sind und sie verbreiten.
Marcus Bösch beobachtet eine gegenläufige Entwicklung zu der, die Utz Schliesky für wünschenswert hält – nämlich den Versuch, den Protest und damit auch die Kommunikation und die Debatte aus der analogen Welt zurück in den digitalen Raum zu bringen, das Feld dort also nicht den antidemokratischen Kräften zu überlassen.
Eine ganze Reihe von jungen Menschen, die das Netzwerk eigentlich nicht nutzen wollten, seien nun auf der Plattform, um der AfD etwas entgegenzusetzen. Es gebe über 4.000 Videos, die den Hashtag "#reclaimtiktok" verwendeten. Und diese Entwicklung reicht offenbar bis in den parlamentarischen Raum. Dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der ARD sein erstes Tiktok-Video veröffentlichte, hat Christian Bartels hier gestern bereits erwähnt.
Sascha Lobo erinnert in seiner "Spiegel"-Kolumne daran, dass nicht Tiktok für die rund 20 Prozent verantwortlich sei, die die AfD zurzeit in gesamtdeutschen Umfragen bekommt.
Lobo schreibt:
"Das Gefühl sehr vieler junger Menschen, die Politik nehme sie nicht ernst oder ignoriere sie und ihre Bedürfnisse – mit schlimmen Folgen."
Und das beschreibt gleichzeitig, warum das Bemühen, die digitale Kommunikation aus dem parlamentarischen Raum wieder zurückzudrängen, auch in dieser Hinsicht kontraproduktiv wäre. Das Signal wäre: "So, wie ihr das mit eurer Kommunikation macht, das funktioniert doch alles nicht. In der Politik machen wir das jetzt wieder so wie die vernünftigen Menschen früher."
Sinnvoll wäre es, nicht zu kontrollieren, wo Öffentlichkeit entsteht, sondern zu garantieren, dass da, wo sie entsteht, verlässliche Regeln gelten.
Altpapierkorb (ARD-Infopool, Radio Dreyeckland, Rundfunkbeitrag, BookTok, taz, Schutz vor Slapp-Klagen, ProSiebenSat1)
+++ Die ARD hat Ende Januar einen "Infopool" eingeführt, der dabei helfen soll, Beiträge zwischen Informationsprogrammen besser auszutauschen, berichtet "epd Medien". Es geht um Beiträge von BR24, HR-Info, MDR Aktuell, NDR Info, RBB24 Inforadio und SWR Aktuell, allerdings nicht von WDR, SR und Radio Bremen.
+++ Markus Sehl erklärt in der aktuellen Ausgabe der "Zeit" auf einer ganzen Seite, wie es dazu kommen konnte, dass der Journalist Fabian Kienert vor Gericht steht, weil er einen 33 Zeichen langen Link in einem Beitrag für Radio Dreyeckland einen Link auf die Plattform "Linksunten Indymedia" einbaute, und was die Sache alles so nach sich ziehen könnte. Der Fall war im Altpapier schon sehr oft Thema. Sehl schreibt, die Ermittlungsakten gegen Kienert seien inzwischen über 2.000 Seiten lang. In dem Verfahren, das auch deshalb absurd ist, weil die Meldung um die gestritten wird, weiter online steht, auch mit dem Link. In der rechtlichen Auseinandersetzung geht es vor allem um die Frage, ob die Verlinkung eine strafbare Handlung war, oder Teil von Kienerts journalistischer Arbeit. Sehl schreibt: "Laut Gesetz drohen dem Redakteur bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Selbst wenn er verurteilt würde, wird er für den Link wohl kaum ins Gefängnis müssen. Und bei einem Freispruch? Dürfte Manuel G. wohl in Revision gehen. Neben Landgericht, Oberlandesgericht und Bundesverfassungsgericht würde sich mit Kienerts 33-Zeichen-Link dann auch noch der Bundesgerichtshof befassen."
+++ Die CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt will erreichen, dass der Rundfunkbeitrag für mindestens zwei Jahre eingefroren wird, berichtet "epd Medien". Interessant ist der zweite Teil der Begründung. Aus einer repräsentativen Umfrage der Fraktion gehe hervor, so heißt es, dass 90 Prozent der Sachsen-Anhalter nicht bereit seien, die steigenden Kosten über höhere Beiträge zu decken. Außerdem werde das Programm oft als "zu missionarisch" empfunden. Es geht also offenbar auch darum, dass das Programm beziehungsweise die politische Ausrichtung nicht gefällt. Zur Erinnerung: Gerade um zu verhindern, dass Parteien über das Geld Einfluss auf die Inhalte nehmen können, gibt es dieses komplizierte Verfahren.
+++ Susann de Luca hat sich für die MDR-Medienredaktion "Medien360G", unserem Altpapier-Host, mit dem Tiktok-Retro-Trend beschäftigt, in kurzen Videos Bücher zu empfehlen. Ja, genau, Bücher – diese Dinger aus Papier, mit denen man so wunderbar wackelnde Tische stabilisieren kann. Der Trend nennt sich "BookTok". Falls Sie gern lesen, hier entlang, einen TV-Beitrag finden Sie hier.
+++ Die taz wollte eigentlich schon vor zwei Jahren keine gedruckte Zeitung mehr ausliefern. Im nächsten Jahr soll es nun tatsächlich so weit sein, berichtet Marvin Schade für den "Medieninsider".
+++ Die Europäische Union will Journalistinnen und Journalisten mit einer neuen Richtlinie besser vor sogenannten "Slapp"-Klagen schützen, also strategischen Klagen, die sie einzuschüchtern oder zu zensieren, berichtetet "dpa". Die Klagen sollen in Zukunft leichter abgewiesen werden können. Die Mitgliedsstaaten haben jetzt zwei Jahre lang Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" sieht in der Richtlinie einen Minimalstandard, "über den Deutschland in seinem Gesetz hinausgehen sollte", so die Organisation.
+++ Caspar Busse hat für die "Süddeutsche Zeitung" mit Andreas Wiele gesprochen, dem Aufsichtsratschef des Medienkonzerns "ProSiebenSat1", bei dem es zurzeit nicht ganz so gut läuft. Wiele hofft, dass sich das ändert, wenn der Konzern sich auf sein Kerngeschäft konzentriert, also Fernsehen und Streaming. Von Beteiligungen an Online-Firmen will das Unternehmen sich trennen.
Das Altpapier am Freitag schreibt Klaus Raab.