Kolumne: Das Altpapier am 22. März 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 5 min
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Kolumne: Das Altpapier am 22. März 2024 von Klaus Raab Brokkoli Macron

Kolumne: Das Altpapier am 22. März 2024 – Brokkoli Macron

Hat Frankreichs Präsident den Bizeps von Schwarzenegger oder eher Züge von Stallone? Die Konrad-Adenauer-Stiftung stellt die Belastbarkeit von Online-Umfragen infrage. Und: Markus Lanz grillt, aber nicht sich selbst.

Fr 22.03.2024 11:34Uhr 05:02 min

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Kolumne: Das Altpapier am 22. März 2024 Brokkoli Macron

22. März 2024, 09:42 Uhr

Hat Frankreichs Präsident den Bizeps von Schwarzenegger oder eher Züge von Stallone? Die Konrad-Adenauer-Stiftung stellt die Belastbarkeit von Online-Umfragen infrage. Und: Markus Lanz grillt, aber nicht sich selbst. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Kleines Lob des Blätterns

Liegt es am zwickenden Knie, an der Wahrnehmung der eigenen Vergänglichkeit? Liegt es an zu viel Gesabbel auf allen möglichen Kanälen? Keine Ahnung. Manchmal hat man plötzlich einfach das Bedürfnis, auch mal wieder die gedruckte Zeitung zu loben: Blättern wir heute also kurz zwei der guten alten Holzmedien durch, "FAZ" und "SZ".

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", deren farbige Titelbilder seit 2007 so markenprägend sind wie es vorher die so gut wie immer fotofreie Buchstaben-Titelseite gewesen ist, macht heute mit einem Brokkoli auf. Wie schön. Darunter, in der Bildunterschrift, stehen fernliegende, aber amüsant konstruierte Querverweise auf zwei Themen des Blatts: zum einen auf einen Text über die Cannabis-Freigabe (Seite 4) und zum anderen auf einen Text über den vor 50 Jahren erfolgten Beschluss, die Vollljährigkeit auf 18, also quasi junges Gemüse, herunterzusetzen (Seite 8). Welche KI wäre bei der Verknüpfung wohl auf Brokkoli gekommen?

Man hätte es sich als "FAZ" auch einfach machen können mit dem Titelfoto. Material gab es: das Foto des einen Boxsack vermöbelnden französischen Präsidenten zum Beispiel, das seine Fotografin auf Instagram gepostet hat. Dieses Bild ist aber erst auf Zeitungsseite 7 zu sehen, wo auch der – von wem auch immer geäußerte – Verdacht zitiert ist, "der Bizeps des Präsidenten im Schwarzenegger-Format sei mit Photo­shop vergrößert worden".

Das Lustige ist, wenn man Papier vor sich hat, denkt man bei dieser Lektüre nicht als erstes: Ich muss sofort auf Instagram gehen. Man denkt vielmehr: Momentchen mal, Schwarzenegger? Schreibt die "Süddeutsche" nicht was von Rocky?

Richtig, in ihr ist auf Zeitungsseite 7 das Foto mit "Rocky Macron" überschrieben. Und Rocky wurde nicht gespielt von Arnold Schwarzenegger, sondern von Sylvester Stallone. Minuten sitzt man dann also vor seinen zwei Zeitungen, der Tisch ist voll, man blättert, vertieft sich in ein Foto und fragt sich: Schwarzenegger oder Stallone, "FAZ" oder "SZ", wer hat diese Runde gewonnen? Hach, Zeitung.

Vorne auf der Titelseite der "Süddeutschen" übrigens heute: die "Simpsons" anlässlich einer Ausstellung im 35. Jahr der Serie, also quasi Weimarer Klassik. Und nichts mit TikTok und so, diesem ganzen Zeug für junges Gemüse. Ach, Zeitung.

Demoskopie und die "unbekannten Verzerrungen"

Kommen wir nun aber zu den weiteren Themen. Online, online, online. Das Onlineumfrage-Institut Civey ist bisweilen damit aufgefallen, dass es andere Umfrageergebnisse als andere Institute ermittelt hatte. Daran erinnerte dieser Tage die "FAZ" (Abo): "Vor allem vor Wahlen fiel Civey in seinen Umfragen zur politischen Stimmung immer wieder mit vermeintlichen Erdrutschen, Aufholjagden oder Kopf-an-Kopf-Rennen auf, die etablierte Institute nicht feststellten", schrieb sie.

Im Altpapier war von einem dieser Ausreißer auch die Rede, nach der Berliner Wiederholungswahl vor einem knappen Jahr. Die spiegel.de-Meldung wenige Tage vor dieser Wahl, CDU und SPD seien fast gleichauf, und "aus dem Dreikampf" von CDU, SPD und Grünen werde ein Zweikampf zwischen CDU und SPD, beruhte damals auf einer Civey-Umfrage. Am Ende waren SPD und Grüne ziemlich ergebnisgleich, und die CDU gewann klar.

Dass sich der "Spiegel" und Civey getrennt hätten, wie die "FAZ" in ihrem Text berichtete, war deshalb durchaus eine Nachricht. Eine "Spiegel"-Sprecherin wurde darin unter anderem so zitiert:

"In einem zunehmend polarisierten Umfeld müssen wir Umfragen besonders sorgfältig einsetzen. Der 'Spiegel‘ hat deshalb seine Standards für den Umgang mit Studien überarbeitet. Wir wollen nach mehreren erfolgreichen Jahren mit Civey mittelfristig neue Wege gehen und haben daher im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung all unserer Partnerschaften entschieden, die Zusammenarbeit nicht mehr weiterzuführen."

Nun führte die "FAZ" ihre Berichterstattung über Onlineumfragen fort und griff ein, wie sie es nennt, "Experiment" der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) auf. Es geht darin um die Qualität von Onlineumfragen im Vergleich mit Telefon- und Face-to-face-Interviews. Die KAS hatte Telefon-, Online- und sogenannte Mixed-Mode-Stichproben (also kombinierte Telefon-plus-Online-Erhebungen) verglichen. "Wie belastbar sind Onlineumfragen?" lautet die "FAZ"-Frage. Die Zeitung schreibt: "Um die Qualität unterschiedlicher Erhebungsmethoden zu vergleichen, gaben sie für die KAS im Frühsommer 2023 bei sechs (namentlich nicht genannten) Instituten Umfragen mit nahezu gleichlautenden Fragebögen zum Thema Tierschutz in Auftrag."

Das Ergebnis sei "verblüffend", so die "FAZ" – aber eine Formulierung wie "in der Größenordnung etwas erschütternd" träfe es vielleicht auch. Denn:

"Bei der Frage 'Welche Partei ist Ihrer Meinung nach am besten geeignet, eine Tierschutzpolitik zu machen, die in Ihrem Sinne ist?‘, wichen die Befunde der Mixed-Mode- und der Onlinebefragung ganz erheblich voneinander und vor allem von den Ergebnissen der Telefondemoskopen ab. (…) Da die sechs Umfragen zum fast identischen Zeitpunkt stattfanden, hätten die Abweichungen innerhalb der erwartbaren Fehlertoleranz liegen müssen, wären die Ergebnisse bevölkerungsrepräsentativ."

Das sei aber nicht ansatzweise der Fall, wird die KAS-Publikation zitiert.

Methodisch problematisch ist nicht nur, dass über reine Online-Stichproben zwar Jüngere besser erreicht werden, aber Offliner ausschließen, vor allem also Ältere. Sondern wohl vor allem fehlender Zufall in der Stichprobenziehung: dass online eher Personen erreicht würden, "die eine gesteigerte Bereitschaft zur Teilnahme aufwiesen", so die "FAZ". Es gebe "unbekannte Verzerrungen" – und die ließen sich nicht weggewichten.

Die Ergebnisunterschiede zwischen den Methoden, die hier festgestellt wurden, sind schon eindrücklich.

Talks: Lob und abgeschöpfte Empörung

Nicht jede Woche liest man in einer Talkkritik, die besprochene Sendung sei "fantastisch" gewesen. Von einer "fantastisch aufgebauten und moderierten Sendung" spricht nun allerdings Jakob Biazza in seiner Kritik einer "Maischberger"-Ausgabe auf sueddeutsche.de (Abo). Warum auch nicht? Eine Rezension, die mit einer ordentlichen These nach vorne geht, hat ihrer eigenen Quote noch nie geschadet.

Solch ein großes Lob für einen Talk ist aber auch eine Gelegenheit, das Spektrum der Talkleistungen etwas aufzufächern und doch nochmal auf eine Ärgerlichkeit aus der vergangenen Woche zu sprechen zu kommen.

Jonas Schaible hat in einem "Spiegel"-Essay, der hier im Altpapier am Dienstag kurz aufgegriffen wurde, den Namen Markus Lanz erwähnt. In dieser Passage:

"Im vergangenen Frühjahr begann ein AfD-Abgeordneter, die Geschichte zu erzählen, die Ampel finanziere mit gut 300 Millionen Euro Radwege und Busse in Peru. Die Zahlen waren nach Angaben des zuständigen Ministeriums falsch, und das Projekt stammt noch aus der Zeit des CSU-Ministers, aber die Behauptung machte die Runde. In Telegram-Gruppen. Auf TikTok. Eine einfache TikTok-Suche zeigt Videos dazu, die zusammen mehr als vier Millionen Mal gesehen wurden.

Sie wurde gezielt mit den Bauernprotesten verknüpft, mit der Botschaft: Für die eigenen Leute ist kein Geld da, weil alles im Ausland für links-grün-ökologischen Wahnsinn verplempert wird. Auf den Bauerndemonstrationen begegnete einem diese Geschichte immer wieder. Und dann saß da plötzlich Markus Lanz, Deutschlands wohl wichtigster Fernsehtalkmaster, und fragte Grünenchefin Ricarda Lang minutenlang dazu aus. Ohne die Fakten richtigzustellen, ohne Einordnung, woher diese Geschichte kommt und zu welchem Zweck sie verbreitet wird."

Schaible bezog sich auf diese Ausgabe von "Markus Lanz". Darin sagte Lanz zu Lang:

"Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, es ist ein bisschen populistisch, sozusagen, einfach den Zusammenhang zwischen Migration und den Trecker fahrenden Bauern herzustellen. Ham Sie ja prinzipiell recht. Nur die Leute machen das natürlich so, und die Leute verstehen es nicht, weil es für sie auch ganz konkret ist. Sitzen Sie manchmal zusammen und reden über so Projekte, die in den letzten Wochen auch öffentlich geworden sind? Ich war fasziniert davon, dass wir 300 Millionen für Radwege und Busse in Peru ausgeben, das stimmt ja offenkundig."

Das war am 16. Januar. Ich stolperte über diese Stelle des Schaible-Essays, weil Markus Lanz kurz, bevor er erschien, den CSU-Generalsekretär Markus Huber zu Gast gehabt hatte. Lanz darin zu Huber (ab Minute 19 der Sendung vom 12. März):

"Im Januar haben Sie bei X folgendes zum Besten gegeben: 'Deutschland finanziert grüne Kühlschränke in Kolumbien, ÖPNV in Lateinamerika, Fahrradwege in Peru, gendersensitive Dorfentwicklung in Bangladesch und den Schutz bäuerlicher Kultur in China. Die Ampel verteilt Geld in aller Welt, aber, und jetzt kommt der Link, für unsere hart arbeitenden Bauern ist kein Geld da. So geht das nicht. Diese Belastungen müssen vollständig zurückgenommen werden.'"

Und dann wandte er sich Huber zu und fragte: "Wie kommt man auf so ne Idee. Woher ham Sie diese Infos?"

Die Frage ist angemessen. Aber es wäre auch angemessen gewesen, wenn er sich diese Frage auch selbst offen in seiner Sendung gestellt hätte, statt zweimal mit Grillmethoden Empörung abzuschöpfen. Er hatte diese "Infos" schließlich auch verbreitet.


Altpapierkorb (Hausverbot für Reporter bei der AfD, Bundesverwaltungsgericht zu Informationsfreiheitsanfragen, mögliche Aufspaltung von ProSiebenSat.1)

+++ Zur "SZ" von heute. Sie fragt: "Immer wieder versucht die AfD, Journalisten von ihren Veranstaltungen auszuschließen. Darf sie das?". Anlass für den Text auf der Medienseite ist das einem Reporter des Bayerischen Rundfunks erteilte Hausverbot (Altpapier vom 4. März). Versuche der Partei, den Zugang zur Berichterstattung zu versagen, gab es aber auch gegenüber Reportern oder Reporterteams von WDR, RBB oder "taz". Also, darf sie das? Die Frage sei "nicht endgültig zu beantworten", heißt es laut "SZ" vom Deutschen Journalistenverband, weil Parteien sich auf das Hausrecht berufen könnten; andererseits werde die öffentliche Willensbildung eingeschränkt, wenn Medienvertretern der Zugang verwehrt sei. Redaktionen werden gegebenenfalls "weiterhin vor Gericht ziehen müssen", so die "SZ".

+++ netzpolitik.org beschäftigt sich mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (hier die Pressemitteilung des Gerichts), das anonyme Informationsfreiheitsanfragen für unzulässig erklärt habe. "Das Urteil hat vor allem Auswirkungen auf die erfolgreiche zivilgesellschaftliche Plattform FragDenStaat.de, auf der Menschen einfach digital und ohne Angabe einer Meldeadresse bei Behörden nach Dokumenten fragen können", so Markus Reuter. "Auf FragdenStaat können Nutzer:innen eine Anfrage per E-Mail an die jeweilige Behörde schicken und diese kann per E-Mail antworteten. Das Prinzip erlaubt nicht nur eine schnelle Kommunikation, sondern kommt ganz digital auch ohne Post und teure Briefe aus. Doch das Innenministerium zieht die Kommunikation immer wieder auf den Postweg und nutzt die Plattform nicht für Kommunikation." Das Urteil bestätige nun "die restriktive Praxis" des Bundesinnenministeriums.

+++ Zu den Themen gehörte schon gestern, auch hier, die Lage bei ProSiebenSat.1. Am selben Tag, an dem ein Interview der "SZ" mit Aufsichtsratschef Andreas Wiele erschien, gab nun Großaktionär Media For Europe (MFE) mit Chef Chef Pier Silvio Berlusconi bekannt, "die Aufspaltung des Konzerns auf der kommenden Hauptversammlung vorantreiben" zu wollen (dwdl.de); das ist Ende April. Wiele hatte für einen Konzernumbau mit Fokus auf das Fernsehen und Streaming plädiert. MFE moniert bei der "Separierung der Segmente" laut dpa fehlende Fortschritte. Zu ProSiebenSat.1 gehören neben der Fernseh- und Streaming-Sparte auch das Dating- und E-Commerce-Geschäft.

Am Montag schreibt das Altpapier Christian Bartels. Schönes Wochenende!

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