Kolumne: Das Altpapier am 10. April 2024: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens 4 min
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Kolumne: Das Altpapier am 10. April 2024 von René Martens Die Hemmschwelle sinkt

Kolumne: Das Altpapier am 10. April 2024 – Die Hemmschwelle sinkt

Der neue Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen, der Aufschluss gibt über Behinderungen der Pressefreiheit in Deutschland, liegt vor.

Mi 10.04.2024 12:11Uhr 04:05 min

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Kolumne: Das Altpapier am 10. April 2024 Die Hemmschwelle sinkt

10. April 2024, 11:49 Uhr

Der neue Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen, der Aufschluss gibt über Behinderungen der Pressefreiheit in Deutschland, liegt vor. Das sogenannte Manifest für eine vermeintliche Erweiterung der öffentlich-rechtlichen "Debattenräume" hat eine Art historischen Vorläufer. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Eine gefährliche neue Art der Aggression"

Leute, die neue "Nahaufnahme" ist da! Was soll das denn sein, werden sich einige Lesende nun vielleicht fragen. Unter diesem Titel erscheint stets der Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) über Behinderungen der Pressefreiheit in Deutschland, es handelt sich also um ein für die Gesamtbetrachtung der Lage des Journalismus wichtiges Dokument. Die RSF-Berichterstatter schreiben:

"Oftmals wird die Bedrohung bis ins Private getragen, wie Sachbeschädigungen Anfang März 2023 am Wohnhaus des Passauer Lokaljournalisten Hubert Jakob Denk – der unter anderem kritisch über die Corona-Proteste berichtet hatte – oder bei David Janzen zeigen. Der Reporter, der über die extrem rechte Szene schreibt, fand Ende März seine Haustür beschmiert vor. Davor lag eine Kerze, auf welche die international bekannte rechtsextreme Hass-Chiffre '1488' gekritzelt war, zudem stand neben einem Kreuz sein Name, und im Briefkasten lagen Fleischstücke. Er und seine Familie werden seit Jahren von Neonazis bedroht."

Auf den beschriebenen Angriff gegen Janzen sind wir vor rund einem Jahr auch im Altpapier eingegangen.

In der "Nahaufnahme" heißt es weiter:

"Besonders auf Versammlungen ist das Niveau der Aggression sehr hoch, mit der Personen aus der rechtsextremen Szene und dem Querdenker-Milieu gegenüber Journalistinnen und Journalisten auftreten. Acht Fälle verifizierte Reporter ohne Grenzen aus dem Bundesland Sachsen, in dem auch die Initiative Between The Lines aktiv ist. Sie organisiert ehrenamtlichen Begleitschutz für Medienschaffende, die von Versammlungen in der Region berichten. (…) Seit der Pandemie ist die Gewaltbereitschaft deutlich gestiegen. Ehrenamtliche der Begleitschutzinitiative Between The Lines mussten auf Versammlungen mehrfach Angriffe abwehren, bei denen die Polizei angesichts der Gewalteskalation überfordert war."

Konkret auf die vergangenen Monate nimmt der Bericht auch Bezug:

"Zu Beginn des neuen Jahres häufte sich die Gewalt gegen Medienschaffende (…) Zum brutalsten Übergriff kam es am 24. Januar in Leipzig. Nach einer Pro-Palästina-Demonstration verprügelten drei Unbekannte einen Videojournalisten und seinen Begleiter so schwer, dass der Reporter mit Prellungen und Verletzungen am Kopf in ein Krankenhaus gebracht werden musste."

Apropos Pro-Palästina-Demos: Im anlässlich der neuen "Nahaufnahme" erschienenen Reporter-ohne-Grenzen-Podcast "Grenzenlos" erwähnt "Tagesspiegel"-Reporter Julius Geiler, dass aktuelle Einschüchterungsstrategien von Personen aus diesem Milieu jenen aus der Querdenker-Szene ähnelten. Er sagt das im Zusammenhang mit einer Anti-"Tagesspiegel"-Demo vor dem Gebäude der Zeitung:

"Es hat sich so ein bisschen angefühlt wie eine Wiederholung der Geschichte, denn es gab eine ganz ähnliche Demonstration schon vor zwei Jahren oder vor drei Jahren (…) und zwar von der Querdenkenbewegung."

Die dpa stellt in ihrer Berichterstattung über die "Nahaufnahme" eine Äußerung von Reporter-ohne-Grenzen-Vorstandsmitglied Michael Rediske heraus (siehe etwa Artikel beim "Spiegel" und in der "Leipziger Volkszeitung"):

"Zudem beobachten wir eine gefährliche neue Art der Aggression: Landwirte haben kürzlich mit Trecker-Blockaden und Misthaufen die Auslieferung von Zeitungen in mehreren Bundesländern verhindert. Das zeigt, dass die Freiheit, unabhängig zu berichten, hierzulande nicht nur durch Übergriffe gegen einzelne Medienschaffende bedroht ist. Unzufriedenheit mit einer angeblich zu geringen Berichterstattung über Bauernproteste reicht offenbar aus, um bei Angriffen gegen die Pressefreiheit die Hemmschwelle weiter zu senken.”

Dass Rediske auf die Pressefeindlichkeit mancher Landwirte - und von Personen, die die Öffentlichkeit als Landwirte wahrzunehmen bereit ist - hinweist, ist wichtig, weil deren Angriffe schon wieder in Vergessenheit geraten sind.

Die taz wiederum nimmt die "Nahaufnahme" zum Anlass, darauf hinzuweisen,

"was Politiker*innen, Medienhäuser und die Zivilgesellschaft tun müssen, um Jour­na­lis­t*in­nen zu schützen".

Darum, was zum Schutz bereits getan wird, geht es auch. Ein Beispiel:

"Vor den kommenden Landtagswahlen bietet Verdi Sicherheitstrainings an, die Jour­na­lis­t*in­nen dabei unterstützt, sicher von Kundgebungen zu berichten."

Servicetipp für jene, die ihre Sicherheit erhöhen und sich für eines der Trainings anmelden wollen: Zwei Termine haben schon stattgefunden, ab 1. Juni folgen noch drei weitere.

Der "Demokratie-Radar" des Redaktionsnetzwerks Deutschland geht in seiner neuesten Ausgabe auf den brutalsten Angriff ein, den es in den vergangenen Jahren auf Journalisten gegeben hat. Es geht also um den Neonazi-Angriff von Fretterode - und vor allem die noch relativ aktuelle Entscheidung des BGH, der vor rund einem Monat das milde erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Mühlhausen aufhob und entschied, dass eine andere Kammer des Gerichts den Fall neu verhandeln muss (Altpapier). Michael Brakemeier hat mit einem der Opfer gesprochen:

"'Ich hoffe, dass nun endlich die politische Gesinnung der Täter berücksichtigt wird', sagt Merlin M. (richtiger Name der Redaktion bekannt), einer der beiden verletzten Journalisten. Das sei politisch sehr wichtig. Noch immer hat er mit den Auswirkungen des Überfalls zu kämpfen – psychisch belaste ihn das sehr, sagt Merlin. Umso mehr hoffe er, dass das Verfahren zum Abschluss kommt. Seine Recherchen im extrem rechten Milieu hat er seit dem Angriff dennoch fortgesetzt. 'Ich mache weiter, weil meine Arbeit wichtig ist für die Demokratie.'"

Tut die Bundesregierung was für die Sicherheit von Journalisten?

Das Thema Angriffe auf Medienschaffende auf die bundespolitische Ebene gehoben haben gerade MdB der Linken mit einer Kleinen Anfrage, die der Bundestag Ende der vergangenen Woche veröffentlicht hat, ohne dass die Resonanz darauf bisher bemerkenswert groß ausgefallen wäre. Die Abgeordneten, die sich unter anderem auf ältere Zahlen von Reporter ohne Grenzen beziehen, haben 20 Fragen formuliert, um herauszufinden, ob es bei der Bundesregierung ein angemessenes Problembewusstsein für diese Angriffe gibt.

Zum Beispiel in Frage 7:

"Inwiefern hat sich die Bundesregierung im Rahmen der Innenministerkonferenz (IMK) und der Justizministerkonferenz (JuMiKo) dafür eingesetzt, in den einschlägigen polizeilichen und justiziellen Statistiken eine Kategorie aufzunehmen, die Rückschlüsse auf den Umfang und die Aufklärungsrate von Straf- und Gewalttaten gegen Medienschaffende zulässt, oder inwieweit beabsichtigt sie dies?"

Oder in Frage 12:

"Welche konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung in der verbleibenden Wahlperiode noch ergreifen, um sich, wie im Koalitionsvertrag 2021 bis 2025 angekündigt, für die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen?"

Letztere Frage ist ein guter Anlass daran zu erinnern, dass sich auch alle anderen Ankündigungen im Koalitionsvertrag, die die Medien betreffen ("Wir setzen uns für die Förderung des Wissenschaftsjournalismus durch eine unabhängige Stiftung ein"; "Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus"; "Wir werden die Machbarkeit einer technologieoffenen, barrierefreien und europaweiten Medienplattform prüfen"), bisher als heiße Luft erwiesen haben.

Die Parallelwelten der "Manifest"-Unterzeichner

Das "Meinungsvielfalt jetzt"-"Manifest" haben wir seit vergangenem Donnerstag in jedem Altpapier erwähnt. Matthias Meisner wirft für den "Volksverpetzer" nun einen etwas genaueren Blick auf die Liste der Erstunterzeichnenden. Los geht es mit der Kabarettistin Fitz:

"Sie hat nun ein Videoformat bei den verschwörungsideologischen 'Nachdenkseiten'. Vor ein paar Monaten (…) behauptete sie (in einem Interview), die 'Nachdenkseiten' seien heute das, was früher das Magazin 'Der Spiegel' gewesen sei. So schaffen sich eine ganze Reihe von Unterzeichner:innen des 'Manifests für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland' ihre Parallelwelten. Zu ihnen gehört (…) die ehemalige Dresdner Stadtschreiberin Katrin Schmidt, die 2021 die Corona-Impfungen von Kindern mit den Medizinversuchen der Nazis im Dritten Reich verglich. Und die zwei Jahre später im 'Open Source'-Format der 'Berliner Zeitung' resümierte, ihr Vergleich mache sie 'durchaus stolz'."

Weitere Beispiele dafür, dass "die Initiator:innen des Manifests bei der Auswahl der Erst-Unterzeicher:innen nicht besonders wählerisch" waren:

"Der Parapsychologe Harald Walach wurde gewonnen. Er ist ein Wissenschaftler, der schon 2012 von der Gesellschaft für kritisches Denken in Wien das 'Goldene Brett’ verliehen bekam, für sein 'einzigartiges Bemühen, wissenschaftsbefreite Theorien in die akademische Welt hineinzubringen'. Der Rechtsanwalt Jürgen Müller aus Wolfratshausen unterschrieb für den Verein 'Kinderrechte Jetzt', der in der Pandemie gegen Impfungen und Corona-Regeln Stimmung machte und dabei, wie die 'Süddeutsche Zeitung' kommentierte, in 'besonders perfider' Weise Kinderrechte vorschob."

Exkurs: Ebenfalls zu den Unterzeichnern gehört Michael Andrick, der gerade ein Buch mit dem Schenkelklopfer-Titel "Im Moralgefängnis" rausgehauen hat. Es wird heute im "Literatursalon" des ND präsentiert. Am Wochenende erschien in der Zeitung bereits eine raunende Würdigung des Buchs. Das ND, dessen Wochenendausgabe unser Haushalt abonniert hat, wirbt ja damit, "Journalismus von links" zu bieten. Leider bietet es auch Journalismus aus anderen Richtungen.

Meisner schlägt in seinem "Volksverpetzer"-Artikel außerdem einen wichtigen quasi-historischen Bogen. Es gab nämlich vor dreieinhalb Jahren schon mal eine Petition aus einem ähnlichen Milieu. Meisner schreibt:

"Da ist er wieder, Bastian Barucker, Wildnispädagoge aus Lassan vor der Insel Usedom (…) Im ersten Corona-Jahr (…) hatte er eine Petition gestartet, mit der eine 'extrem einseitige Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien' zur Pandemie angeprangert wurde. Jetzt zählt er zu den 130 Erstunterzeichner:innen des 'Manifests für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland'."

Dass sich "Spitzenvertreter:innen der ARD im November 2020 auf eine Videokonferenz mit den von Barucker angeführten Coronarebellen" einließen, erwähnt der Autor auch. Im Zusammenhang mit dieser Konferenz zitiert Meisner auch aus Altpapieren von mir, ich hatte das Agieren dieser "Spitzenvertreter:innen" als "epochal fahrlässig" und später als "Eselei" beschrieben.

Ich hoffe natürlich, dass so etwas dieses Mal nicht passiert. Dass Großkopferte des ÖRR die Parallelweltenbewohner also nicht dadurch aufwerten, dass sie sich mit ihnen treffen. Allzu groß ist die Hoffnung aber nicht.


Altpapierkorb (Hans-Ulrich Kopp, Helen Fares, bevorstehender Kettensägeneinsatz bei der SZ, Programmdirektoren-Personalien)

+++ Für die Medien des Zeitungsverlags Waiblingen gibt Alexander Roth einen Überblick über die medienunternehmerischen Aktivitäten des Straßenbau-Geschäftsmanns und Verlags-Namensgebers Hans-Ulrich Kopp, der beim vielerwähnten Geheimtreffen in Potsdam dabei war: "Weitere Recherchen (werfen) die Frage auf: Wie stark hat der Stuttgarter Unternehmer rechte bis rechtsextreme Medien finanziell unterstützt und tut es bis heute?" Mit einem Kommanditisten-Anteil unterstützt Kopp laut Roth zum Beispiel den Verlag des Monatsblatts "Eigentümlich frei". Eine Thread-Fassung des Artikels gibt es auch.

+++ Ex-Altpapier-Autorin Annika Schneider geht für "Übermedien" darauf ein, dass sich der SWR von Helen Fares, die bisher das Online-Debattenformat "Mixtalk” moderierte, getrennt hat, weil diese auf ihrem Instagram-Account laut Sender "extreme politische Positionen geäußert" hatte (siehe auch Altpapierkorb von Dienstag): "Man könnte (…) sagen: Was hier passiert ist, war ein Clash mit Ansage. Der SWR profitierte gerne von der Reichweite und dem Image einer erfolgreichen jungen Frau, tolerierte monatelang auch ihr politisches Engagement. Dabei hätte es für die verantwortliche Redaktion diverse Anlässe gegeben, mit ihr zu klären, ob ihre Äußerungen zur Moderation einer Debattensendung passen. Im Januar forderte Fares beispielsweise bereits auf Instagram, Israel dürfe nicht am Eurovision Song Contest teilnehmen."

+++ Der Lieblings-Branchendienst der "Süddeutschen Zeitung", der "Medieninsider" also, schreibt unter Berufung auf den Betriebsrat eben dieser Zeitung, dass Mitarbeitende dort die "Kettensäge" fürchten müssten. Was steht noch in dem "internen Schreiben" der Arbeitnehmervertretung an die Belegschaft? "Dem Betriebsrat zufolge plant der Verlag den Abbau von 'knapp 30 Vollzeitstellen’, der wegen Teilzeitregelungen bis zu 35 Mitarbeiter betreffen könnte (…) Weitergehende Details zu den Kürzungen stehen laut Betriebsrat noch nicht fest. Allerdings sei bereits klar, dass es dieses Mal kein 'Abbauprogramm mit Abfindungen' geben soll (…) Der Betriebsrat schreibt: 'Man darf also in diesem Hause weiterhin gerne gehen – jetzt allerdings ohne Geld. "' 

+++ Aus den ARD-Führungsetagen: Neue Programmdirektorin beim RBB wird, falls der Rundfunkrat am Donnerstag entsprechend entscheidet, die bisherige stellvertretende Direktorin Katrin Günther, deren Alter der "Tagesspiegel" mit 57 und der "Medieninsider" mit 58 angibt. Der definitiv 57-jährige Klaus Brinkbäumer indes "wird zum 1.5.2024 seinen Posten als MDR-Programmdirektor abgeben" ("Flurfunk"-Blog) und für unseren Sender dann "als Moderator, Filmemacher und Experte für Außen- und Weltpolitik" ("epd Medien") tätig sein. "Das kam jetzt etwas schneller als erwartet", meint der "Flurfunk" zu Brinkbäumers Karriere-Move. Wer wissen möchte, wie Andreas Nowak, medienpolitischer Sprecher der CDU im sächsischen Landtag und MDR-Rundfunkrat, die Sache sieht: Michael Hanfeld (FAZ) hat ihn gefragt.

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

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