Kolumne: Das Altpapier am 5. Juli 2024: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab. 4 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 5. Juli 2024 Papier ist Sushi

05. Juli 2024, 10:13 Uhr

50 Prozent der Befragten einer Studie lesen "lieber auf Papier" als auf dem Bildschirm. Die Frage ist aber: Wo lesen sie tatsächlich? Und die Frage steht mal wieder im Raum, welche staatliche Förderung für Medien angemessen ist. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Liebe zur Papierzeitung

Papier, die Menschen lieben Papier. Zumindest unter einer "wichtigen Leserschaft", nämlich bei den sogenannten Entscheiderinnen und Entscheidern, zeichne sich "eine hartnäckige und inzwischen sogar wieder steigende Freude an Texten auf Papier ab", berichtet Claudia Tieschky heute in der "Süddeutschen Zeitung" (Abo) unter Rückgriff auf eine Studie – die "Leit-Analyse zur Mediennutzung von Entscheidenden in Wirtschaft und Verwaltung". Ihr zufolge läsen 50 Prozent der Befragten "lieber auf Papier", aber nur 12 Prozent "lieber am Bildschirm". Der Rest habe keine erkennbaren Präferenzen.

Tieschky schreibt:

"Das ist überraschend, weil sich die Medienbranche selber nicht nur völlig zu Recht wesentlich damit befasst, wie sie ihre Zukunft in der digitalen Welt finanzieren kann – sondern weil angesichts steigender Kosten für Herstellung und Zustellung von Information auf Papier auch immer öfter über die Einstellung von Papierzeitungen nachgedacht wird."

Sie schreibt aber auch: Dass jemand "lieber" auf Papier lese, heiße nicht unbedingt, dass er es deshalb auch häufiger oder intensiver tut. Vielleicht ist es auch wie mit Sushi und Käsebrot. Man kann das eine lieber haben und das andere trotzdem häufiger essen. Aber dass schon immer noch hier und da ein gewisses Knistern zu spüren ist, wenn es um die Papierzeitung geht, das kann man wohl mal mitnehmen.

Zum Stand der Presseförderungsdebatte

Worum es intensivere Diskussionen gibt oder eher gab, ist freilich – Stichwort steigende Kosten für Zustellung von Information auf Papier – eine staatliche Vertriebsförderung. Zumindest Nachwehen der jahrelangen Diskussion sind zu beobachten. Eigentlich ist sie ja wohl vom Tisch. Bei der Bundesregierung findet sich jedenfalls derzeit niemand, der sich für zuständig erklärt. "Als die Katholische Nachrichtenagentur kürzlich nach dem Stand der von Bundeskanzler Olaf Scholz versprochenen, vom Finanzminister Christian Lindner noch einmal erwähnten Presseförderung fragte, kam vom Bundeswirtschaftsministerium so etwas wie ein lautes Gähnen", schrieb dieser Tage die "FAZ". Dieses Gähnen klang im Wortlaut bei der KNA im Juni so:

"'Das BMWK ist für eine mögliche Bundesförderung der Presse nicht zuständig', so das Statement des (…) von den Grünen geführten Ministeriums. Daher verfolge es auch keine Schritte in diese Richtung. Weiter heißt es: 'Aktuelle Überlegungen anderer Ressorts sind uns nicht bekannt'."

Die Verlegerverbände der privaten Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ringen aber nach wie vor. Mit sich, ihrem Zusammenhalt, ihrer Neusortierung, ihrer Finanzierung nach dem angekündigten Austritt der "Bild" aus dem Verlegerverband BDZV (horizont.net, faz.net), aber auch mit der Frage, wie sie für ihre Interessen streiten. Marvin Schade kommentierte in seinem "Medieninsider"-Newsletter (Abo) dieser Tage: "(D)er erst Anfang des Monats abgehaltene Medienkongress des MVFP", also des Medienverbands der freien Presse, "war ein Ausdruck der kollektiven Verzweiflung. Mehrfach machte der Vorstandsvorsitzende Philipp Welte klar: Ohne Kohle vom Staat geht nichts." (In diesem Altpapier war seine Rede verlinkt.) Und er forderte, unter anderem, eine Senkung der Mehrwertsteuer für die Presse (welt.de). Das aber gelte "als politisch kaum durchsetzbar", wie Marvin Schade meint. "Und überhaupt: Mit einer dringend benötigten Lenkungswirkung im Sinne der digitalen Transformation hat Steuererlass nichts zu tun." 

Wie geht’s weiter? Welcher Verband wird besonders wichtig, wer mischt darin entscheidend mit, und wofür will man sich einsetzen?

Please stärke die Argumentationslinie

In dieser Lage ist nun in der "Welt" ein, wie ich finde, ganz schön aufgebrachter Text (Abo) erschienen, der legitime Fragen nach dem Prinzip von Medienstrukturförderung stellt – in dem allerdings auch ganz schön viel ineinander gerührt wird. Vielleicht doch mal an die Luft zwischendurch? Andreas Rosenfelder kritisiert, dass der Staat "staatsnahen Journalismus" fördere. Namentlich die Deutsche Presse-Agentur erhalte von der Kulturstaatsministerin eine Förderung für ein "Schulungsprogramm für Medienschaffende zu Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz"; für Öffentlichkeit gesorgt hat vor einigen Tagen die "Welt"-Schwester "Bild" unter Bezug auf FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Rosenfelder schreibt:

"Mit der projektbezogenen Förderung will Roth offenbar den naheliegenden Verdacht umgehen, ihre Zuwendungen bedrohten die Pressefreiheit: 'Hierbei wird die in Artikel 5 Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit der Presse explizit gewahrt', so eine Sprecherin, 'und es werden keine journalistischen Inhalte gefördert.' Doch diese Argumentation ist durchsichtig. Denn Staatsgeld gibt es vor allem für Medien, die verlässlich auf Regierungslinie kommunizieren und allenfalls Regierungskritiker und ihre Argumente ins Visier nehmen."

Ist das so? Die Förderung eines Projekts der dpa zu kritisieren, das ist natürlich legitim. Die Förderung von Projekten generell zu kritisieren, ist es sowieso; dazu gibt es wahrlich nicht nur eine Meinung. Und eine Diskussion darüber, ob denn gegebenenfalls auch die richtigen Projekte gefördert werden, ist auch ganz gewiss nicht verkehrt. Aber was genau macht zum Beispiel die dpa, und das ist ja schon angedeutet, zu einem Medium, das "verlässlich auf Regierungslinie" kommuniziert? Wollte man nicht nur um sich treten, müsste man sowas doch erläutern.

Rosenfelder nennt weitere Beispiele, etwa ein Projekt von Correctiv. Auch hier fehlt aber eine echte Erklärung seiner These der Regierungsnähe. Wie leicht er es sich macht mit seiner Behauptung, es würden vor allem Medien gefördert, die verlässlich auf Regierungslinie kommunizieren, sieht man spätestens daran, dass er auch dem – in dieser Angelegenheit unbeteiligten – öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein paar Zeilen widmet, weil "dessen Staatsferne zwar auf dem Papier festgeschrieben ist, in der Praxis aber oft durch spürbare Regierungsnähe ersetzt" werde. Spürbar, ist das sowas wie gefühlt?

Ein bisschen mehr Ambition, Menschen zu überzeugen, die nicht eh schon auf der Palme sind, sobald sie den Begriff "Öffentlich-rechtlicher Rundfunk" hören, wäre natürlich auch mal eine gute journalistische Maßnahme. In der letzten Studie, die ich zum Thema gelesen habe, war jedenfalls eher spürbar, dass auch in den Öffentlich-Rechtlichen "sowohl Parteien links der Mitte als auch rechts der Mitte überwiegend negativ dargestellt" würden (Altpapier).


Altpapierkorb (Rammstein-Podcast des NDR, Erwartungen an Katrin Vernau, Vincent Bolloré, das Internet als solches, Duelle)

+++ Der NDR hat einen Podcast über die Band Rammstein erst einmal offline genommen. "'Die Mitglieder der Band Rammstein haben gegenüber dem NDR urheberrechtliche Unterlassungsansprüche wegen der Nutzung von Ausschnitten von Rammstein-Songs im Rahmen der Podcast-Reihe 'Rammstein – Row Zero’ geltend gemacht', teilte der NDR mit", teilt die "FAZ" mit. Hintergründe erläutert Altpapier-Kollege René Martens bei "Übermedien", auch zu juristischen Fragen über Musiknutzung in Podcasts generell. "Für die Band war das offenbar ein Weg, einem für sie unangenehmen journalistischen Projekt das Leben schwer zu machen", schreibt er und zitiert den Sender, man habe das Verfahren beenden wollen, um "den Podcast, mit gleichem Inhalt, nur überarbeitet an den entsprechenden musikalischen Passagen, schnellstmöglich wieder verfügbar zu machen". Die neue Fassung lasse allerdings noch auf sich warten.

+++ Auch einen Debattenbeitrag zu medienpolitischen Fragen haben einige Leute vom Fach für den "Tagesspiegel" geschrieben, Leonard Novy, Sabine Schiffer und Stefan Russ-Mohl. "Muss der WDR bei Reformen vorangehen?", lautet die Frage, die über den kleinen Meinungsbeiträgen steht. Anlass ist die Wahl von Katrin Vernau zur nächsten Intendantin (Altpapier). Novys Antwort: ja.

In ihrer Amtszeit, konstatiert er, könnte sich "die Zukunft von ARD & ZDF entscheiden": Ob sie links liegen gelassen werden "wie ein altes Möbelstück" (das aber eigentlich eher steht als liegt) oder "als gesellschaftlich breit verankerte und technisch innovative Informations- und Diskursanbieter, die den öffentlich-rechtlichen Grundgedanken unter sich verändernden Vorzeichen fortwährend neue Geltung verschaffen". Damit Letzteres eintritt, müsse der WDR als größte ARD-Anstalt tatsächlich vorangehen, meint Novy. Die Erwartungen an Vernau jedenfalls, das sieht man daran, sind doch etwas größere. (Aber hui, was fordert Russ-Mohl da an selber Stelle, emeritierter Professor für Journalistik und Medienmanagement? Wirklich einen "Gebührenboykott": "Die Medienpolitik in Deutschland sowie ARD und ZDF sind leider so konstruiert, dass der Selbstblockade kaum zu entrinnen ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Rechtsprechung bisher eher die Selbstgefälligkeit als die Beweglichkeit des ÖRR befördert. Helfen würde wohl nur ziviler Ungehorsam, sprich: ein Gebührenboykott, den alle mittragen, die den ÖRR an seinen Programmauftrag erinnern möchten.")

+++ Als der französische Milliardär Vincent Bolloré war zuletzt hier Thema war, ging es um seine Pläne in Südafrika. Nun hat der "Spiegel" (Abo) online aufgeschrieben, wie er, der "den Schwenk von den Konservativen zu den Rechtsradikalen längst vollzogen" habe, bei der Parlamentswahl in Frankreich "im Hintergrund die Strippen" ziehe.

+++ Nach 100 plus x Folgen seines Newsletters zieht Johannes Kuhn in seinem "Internetobservatorium" eine etwas bittere Zwischenbilanz: "Ich habe mich schon lange damit arrangiert, dass das Internet kein Möglichkeitsraum (mehr) ist. Aber, und das klingt naiv, aber ist relevanter: Wenn das Internet 2024 unsere gesellschaftliche, verhaltenspsychologische und interpersonale Zukunft andeutet, denke ich mir oft: es sollte es besser kein integraler Bestandteil meines Lebens mehr sein."

+++ Schon "Kaulitz & Kaulitz" bei Netflix gesehen? Die Reality-Serie läuft seit einigen Tagen dort, und nach dem ersten größeren Schwung Kritiken tröpfeln immer noch Rezensionen und Artikel hinterher. Eine kluge Kritik kam vor einigen Tagen schon von Daniel Haas und stand in der "NZZ": "Raffinierter lässt sich das Leben als Spiegelgefecht mit dem eigenen Image, den Ansprüchen von Publikum und Schlüssellochblick-Presse nicht erzählen. Ob das alles so richtig und authentisch ist, was in den acht Folgen von den Kaulitz-Brüdern berichtet wird, spielt keine wesentliche Rolle."

+++ Und wie geht’s weiter mit der medialen Duelliererei? David Hugendick vermittelt in einer "Zeit"-Glosse eine Ahnung: "Wegen großen Erfolgs gründet sich bald Duell-TV, wo sich zum Beispiel Vertreter der allgemeinen Wutgruppe 'Anwohner' und ein amerikanischer Tourist über Themen wie Nachtruhe anbrüllen dürfen, ebenso kann man sich künftig auf der App Duellando ­überall in deutschen Großstädten verabreden, falls man was mit jemandem wirklich klären will, was wiederum ein paar hagestolze Traditionalisten stark kritisieren…", und der Satz geht natürlich noch weiter.

Am Montag schreibt das Altpapier René Martens. Schönes Wochenende!

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