Das Altpapier am 25. Mai 2018 What would Wolfgang Rademann do?

Die DSGVO trendet hart und sorgt für ein lachendes Netz und Berliner Journalisten, die Franz Beckenbauer informieren müssen, bevor sie kritisch über ihn schreiben. Der Madsack-Dumont-Deal zeigt: Deutschen Verlagen ist mittlerweile alles egal. Das Institut für Rundfunktechnik will noch mehr Schadensbegrenzung bzw. -ersatz. Ein Männermagazin für Frauen. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Da ist er also, der 25. Mai, und man sage mir nicht, die von ihm mitgebrachten Veränderungen seien nicht eklatant. Denn Sascha Hehn will nicht länger Kapitän des Traumschiffs sein!!EINS11 Kleiner Scherz, bzw. nicht (dieser Link führt zur Original-Meldung hinter der Bild.de-Paywall, aber alles, äh, Wissenswerte fasst kostenfrei DWDL zusammen). Aber das eigentlich Umwälzende ist natürlich die ab heute geltende Datenschutzgrundverordnung, und wenn wie gestern Abend in Zeiten des Tiptopmodel-Finales (Spoiler: Toni hat gewonnen; der übliche "Dieser Abgrund an Menschenfeindlichkeit gehört abgeschafft"-Verriss findet sich bei sueddeutsche.de) der Hashtag DSGVO vor GNTM trendet, dann haben sich aufmerksamkeitsökonomische Kontinentalplatten verschoben.

Prism? Shrug. Cambridge Analytica? Shrug. Aber was zur Hölle sollen diese ganzen Mails in meinem Posteingang, die ich nie bestellt habe, aber in Zukunft regelmäßig kommen sollen, wofür ich gar nichts tun muss?! Was natürlich eine grenzwertige Übertreibung ist, zumal hier ja eins zum anderen geführt hat. Allerdings scheint es zu helfen, ein Thema ganz oben auf die Agenda zu setzen, wenn es nicht irgendwas mit irgendwo in den USA stehenden Servern und Handys in Kühlschränken zu tun hat, sondern ganz praktisch per Mail den Eingang flutet.

Seit zwei Jahren konnten sich alle nun von der DSGVO betroffenen Technologiefirmen, Blogger, Zahnarztpraxen und Schulen auf die neue Gesetzeslage einstellen, sagen alle, die die Beschwerden von eben jenen über das unverständliche Regelwerk nicht mehr hören können. Gleiches gilt für Medien, die heute darüber berichten. Wie immer können wir verschiedene Strategien unterscheiden.

1. Erklärbären

DSGWas?! Auch nach intensiven Berichterstattungstagen wie den vergangenen muss davon ausgegangen werden, dass Menschen erst heute aus sehr langen Urlauben auf entlegenen Südseeinseln ohne Internetanschluss bzw. dem Sauerland in die Zivilisation zurückkehren. Daher kann durchaus noch einmal erklärt werden, "Was Sie schon immer über die DSGVO wissen wollten, sich aber nicht zu fragen trauten" (Meedia), "Was Sie jetzt als Verbraucher von Anbietern einfordern können" (Focus Online), "Das Wichtigste zur neuen EU-Datenschutz-Verordnung" (Thüringer Allgemeine), "Die 10 wichtigsten Fragen und Antworten zur DSGVO" (Handelsblatt), "Fünf Mythen zum Thema Datenschutz" (Der Standard), "Ein Update mit Folgen" (tagesschau.de) – you know the drill.

2. Klassenclowns

Was gehört noch zu jeder ordentlichen Berichterstattungs-Welle? Natürlich die "Darüber lacht das Netz"-Gischt. Bei Buzzfeed hört sie auf den Namen "28 witzige Tweets zur Datenschutzgrundverordnung, über die du gleichzeitig lachen und weinen musst", bei Meedia auf "DSGVO tritt in Kraft, das Chaos ist perfekt – und das Netz flüchtet sich in Galgenhumor". Für W&V hat derweil Frank Zimmer eine ehrliche Vorlage für alle die PR-Firmen aufgesetzt, die gerade um das Überleben ihres auf nicht ganz korrekte Weise zusammenklamüserten Verteiles kämpfen – kurzer Auszug:

"Liebes Klickvieh, du hast unsere Newsletter nie bestellt und wahrscheinlich weißt du noch nicht mal, wer wir sind und warum wir dir seit Jahren diese verdammten E-Mails schicken. (…) Weil uns Datenschutz traditionell am Arsch vorbeigeht, haben wir uns auch nicht rechtzeitig mit der DSGVO beschäftigt. Wir wissen nicht wirklich, ob wir dir weiterhin E-Mails schicken dürfen. Wahrscheinlich nicht. Aber klick doch einfach auf 'Ja', dann sind wir auf der sicheren Seite."

Ha. Ha.

3. Spielverderber bzw. Mahner

Die Fakten und das Offensichtliche, Lustige sind damit abgedeckt. Muss sich noch einer um das genau entgegengesetzte Spektrum, die Folgen, gerade in den leicht zu übersehenen Nischen, kümmern.

Traditionell macht das bei diesem Thema Netzpolitik.org, wo Ingo Dachwitz an den Beispielen Facebook, Commerzbank und O2/Telefonica erklärt, wie Unternehmen die Gelegenheit nutzen, Daten nicht zu schützen, sondern sich Generalvollmachten für deren umfängliche Nutzung einzuholen.

Facebook etwa tauscht nun Informationen mit WhatsApp aus, wie das Unternehmen selbst auf natürlich Facebook als eine von 18 nachgereichten Antworten auf Fragen von EU-Parlamentariern verkündet, die bei Mark Zuckerbergs Anhörung in Brüssel liegen geblieben waren (deutschsprachige Zusammenfassungen haben Spiegel Online und futurezone.at). (Eine weitere, dort versteckte Info lautet übrigens, dass wohl doch keine Nutzer aus der EU vom Cambrigde-Analytica-Skandal betroffen waren.)

"WhatsApp arbeitet mit den anderen Facebook-Unternehmen zusammen und teilt Informationen mit ihnen, damit diese für WhatsApp Leistungen in den Bereichen Infrastruktur, Technologie und Systeme erbringen können",

steht auch auf einer FAQ-Seite bei WhatsApp selbst, obwohl deutsche Gerichte genau das in der Vergangenheit als rechtswidrig deklariert hatten. Doch ein Treppenwitz des heutigen Tages lautet, dass diese Entscheidung hinfällig ist, wie Friedhelm Greis bei Golem erklärt:

"Das Problem für (Hamburgs Datenschützer Johannes, Anm. AP) Caspar: Zwar hat seine Behörde vor Gericht recht bekommen. Doch nach dem Inkrafttreten der DSGVO ist Irland künftig federführende Behörde für Facebook. Daher kann er den gerichtlich bestätigten Verwaltungsakt nicht mehr durchsetzen."

Gehen Sie zurück auf Los. Ziehen Sie nicht 4.000,- DM ein.

Viel weniger Betroffene, aber nicht minder dramatisch ist derweil die Tatsache, dass sich Berlin mal wieder zu viel Zeit mit etwas lässt, in diesem Fall der Erneuerung des Medienprivilegs, das es Journalisten erlaubt, zu recherchieren und dabei Daten zu sammeln, ohne die Personen, um die es dabei geht, darüber auf dem Laufenden zu halten.

"Lieber Herr Beckenbauer (Maschmeyer/Asbeck/ Mauss...), wir haben folgende Daten über Sie gespeichert (. . . ) und planen Berichterstattung, für die wir freundlich um Ihre Erlaubnis bitten" –

solche Mails müssten laut Michael Ridder in der aktuellen Ausgabe epd medien (nicht online) die Hauptstadtjournalisten derzeit aufsetzen, wenn sie auf Nummer sicher gehen wollen, bis am 31. Mai auch das Berliner Abgeordnetenhaus soweit ist wie der Rundfunk dank des 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrags und die Presse in anderen Bundesländern auch. Wobei die Berliner Senatskanzlei beteuert, dass Journalisten sich keine Sorgen machen müssten; das ginge schon irgendwie klar mit dem Quellen- trotz Datenschutz, wie epd und der Tagesspiegel melden.

4. Historiker und Ausblicker

Was jetzt noch fehlt? Der Blick zurück und nach vorne. "Im Rausch der Daten" heißt ein Dokumentarfilm von 2015, der sich für alle, die die erneute Ausstrahlung im Ersten vorgestern verpasst haben, hier nachschauen lässt.

"Der schildert zäh, aber mit einem berechtigten Hauch von Pathos, wie zäh seit 2012 im EU-Parlament um die DSGVO gerungen wurde, bis sich eine Mehrheit dafür fand",

meint Christian Bartels in seiner Kolumne bei evangelisch.de, um dann folgenden Ausblick anzuschließen:

"Mit dieser Zähigkeit – die der Film auch formal spiegelt – ging es weiter zum morgigen Gültigwerden des sechs Jahre alten Gesetzes, und wird es in Zukunft weitergehen. Der Versuch verdient insofern Respekt, dass sich niemand vom aktuellen Neigen der Waagschale hin zu negativen bis dystopischen Interpretationen zu sehr beeinflussen lassen sollte. Wohin sie sich neigt, wenn das Gesetz angewandt wird, wird spannend."

Gleiches gilt natürlich auch für die Frage, wer denn nun neuer "Traumschiff"-Kapitän wird? WWWRD? Ich plädiere ja – Girlpower! – für Barbara Wussow. Aber vermutlich wird es doch Patrik Fichte.

Altpapierkorb (Madsack und Dumont, IRT und 140 Mio. Euro, ARD-Audiothek, Instyle Men)

+++ Der Madsack-Dumont-Hauptstadtredaktionsdeal (Altpapier gestern) ist weiter Thema. "Dass der Markt an sich schrumpft, dass die Jüngeren von diesem Qualitätsjournalismus im Regionalen nicht mehr erreicht werden, das halte ich für eine dramatische Entwicklung", analysiert bei @mediasres Medienwissenschaftler Frank Lobigs von der Uni Dortmund. Weisheiten wie "Alles ist in der Verlagsbranche heute möglich, es gibt überhaupt keine Tabus mehr" und "Den Verlegern ist der öffentliche Eindruck egal" hat Bülend Ürük bei kress.de. Und bei Horizont erklärt die mit der Berliner Zeitung und damit Dumont ja gut vertraute Ulrike Simon, warum die Frankfurter Rundschau, einst als ebenfalls Dumont-Zeitung in einer Redaktionsgemeinschaft mit der Berliner Zeitung, finanziell von der Zusammenlegung profitieren könnte.

+++ 200 Millionen Euro Schaden minus 60 Millionen Euro Schadenersatz vom betrügerischen Patentanwalt, das machen bekanntermaßen 140 Millionen Euro, die dem Institut für Rundfunktechnik (IRT) immer noch fehlen und um die weiter vor Gericht gestritten wird. Wie immer weiß Klaus Ott auf der Medienseite der SZ mehr.

+++ Wir sollten nicht über die Höhe des Beitrags für den Rundfunk diskutieren, sondern über dessen demokratischen Auftrag, schreibt die grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel: "Wenn sich aber zwei Streithähne verkeilen, ist Bewegung kaum möglich. Daher braucht es eine Lösung von außen: eine unabhängige Expertenkommission, die ein Konzept erarbeitet, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk zukunftsfähig aufgestellt sein muss, die den Auftrag hinsichtlich der Aufgaben in einer durch Desinformation, Missbrauch und Manipulation gefährdeten digitalen Welt neu bewertet, und Vorschläge für strukturelle Veränderungen der Sendeanstalten erarbeitet."

+++ Der Laptop der ermordeten, maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia ist aufgetaucht – beim deutschen BKA (Belinda Grasnick in der taz).

+++ "Um die Wahrheit zu sagen, ich mache mir um die älteren Erwachsenen die größten Sorgen. (…) Identitätsdiebstahl und finanzielle Gefahren sind für die ältere Bevölkerung viel virulenter. Jüngere Leute stehen vor größeren Risiken, was ihr soziales Leben und ihren Ruf betrifft." Die US-amerikanische Medienwissenschaftlerin Danah Boyd, die eigentlich zu Jugendlichen und sozialen Netzen forscht, im Interview mit Fridtjof Küchemann auf der Medienseite der FAZ ().

+++ Über den Erfolg der ARD-Audiothek im Allgemeinen und ihr Radio-Fantum im Speziellen kolumniert Ulrike Simon bei Spiegel Daily.

+++ Wie Journalisten wie Hasnain Kazim oder Patrick Gensing im Netz bedroht werden, thematisiert Kai-Hinrich Renner für die Funkes u.a. (Hamburger Abendblatt).

+++ Thomas Fischer, Bundesrichter d.D., arbeitet sich mal wieder ab, diesmal an Ferdinand von Schirachs "Strafe" (Meedia).

+++ "Es ist nämlich eine Männerzeitschrift, die dafür gemacht ist, von Frauen gekauft zu werden", meint Michalis Pantelouris bei Übermedien über Instyle Men.

Neues Altpapier erscheint wieder am Montag. Schönes Wochenende!