Das Altpapier am 22. Oktober 2018 Medienkritik will geübt sein

Die Vereinsführung des FC Bayern München kritisiert Journalisten, allerdings eher laut als klug. Welche Medienstrategie steckt dahinter? Die taz hat ihr neues Haus mit Rotweinflecken eingesaut und ein paar Zahlen herausgegeben. Und ZDF-Chef Peter Frey sagt, warum er auf eine Podiumsdiskussion der AfD geht. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Beginnen wir hier, wo es auch diese Woche wieder um Medien geht, heute mal mit Architektur, bevor wir zum Sport kommen.

Am Freitag hat die taz, bei der es sich um eine überregionale Tageszeitung mit dem vollen Namen "die tageszeitung" handelt, ihr neues Haus in Berlin eingeweiht, also eingeweiht im Sinn von: ordentlich mit Rotweinflecken vollgesaut. Das Haus steht in der Berliner Friedrichstraße unweit des alten taz-Hauses, das sich in der Rudi-Dutschke-Straße befindet, um deren So-Benennung lustigerweise jene taz sich einst gekümmert hat, die sie nun verlässt.

Hausneubauten von Zeitungshäusern sind eine gute Gelegenheit, nicht nur was über das Haus, sondern auch mal wieder was über das Zeitungshaus zu schreiben, zumal heutzutage, da Hausneubauten von Zeitungshäusern zwar vorkommen, aber nicht mehr selbstverständlich sind angesichts der insgesamten Finanzsituation auf dem Zeitungshausmarkt. Als andere Anlässe für solche Texte gelten eigentlich derzeit fast nur Chefredaktionswechsel.

Jens Schneider hat die Gelegenheit für die Süddeutsche Zeitung (€) also genutzt und ein bisschen erzählt, logisch, war ja Wochenende, da kann man mal ein wenig plaudern. Es ging dann aber auch um das "Szenario 2022" der taz, das nach wie vor als Szenario und nicht als Beschluss behandelt wird und vorsieht, dass die taz in dreieinhalb Jahren ihre werktägliche Printausgabe zugunsten digitaler Darreichungsformen einstellen könnte (Altpapier vom 13. August). Von für Medienbeobachter übergeordnetem Interesse ist das schon deshalb, weil es in dem Zusammenhang irgendwie nach "Zeitungstod auf Raten" (SZ) roch: "Im 'Szenario 2022' legt (taz-Geschäftsführer Karlheinz) Ruch die Zahlen offen. Unter 'Werktäglich gedruckte Auflage' steht da für 2009: 45 139, und für 2018: 27 246."

Neuigkeitswert hat nun vor allem eine Folgerechnung, die Ruch vorzeigte:

"Inzwischen erreicht die taz einen zunehmend größeren Teil ihrer Abonnenten über ihre App. Von rund 6000 derzeit will Ruch deren Zahl bis 2022 auf 20 000 steigern. Er zeigt (…) eine Tabelle, in der bei den Einnahmen der gedruckten Ausgabe werktags eine Null steht. Dort schrumpfen die Kosten für den Druck, die Zustellung, die Spedition. Gewaltige Faktoren für eine Redaktion, die bei geringer Auflage auch Abonnenten in entlegenen Regionen beliefert. Ruchs Rechnung weist inklusive der gedruckten Wochenendausgabe am Ende einen höheren Ertrag aus als bisher."

Die neue Botschaft ist also: vielleicht nochmal abwarten mit den "Zeitungstod"-Texten. Der Abschlusshinweis, dass man für eine digitale Zeitung "pfiffige Programmierer" bräuchte, die allerdings "selten und teuer" sind, hat sich Jens Schneider für die SZ allerdings auch nicht ausgedacht.

Finanzminister Olaf Scholz, von der taz im Mai als "rote Null" bezeichnet, war zur Eröffnung am Freitag übrigens auch kurz da, um, sicher auch als "Ideengeber der taz-Genossenschaft", ein paar Täktchen zu verkünden. Dabei trug er dem Vernehmen nach kein Hemd, sondern ein T-Shirt unter dem Jackett. Dieser Wildfang.

Alles über die Pressekonferenz des FC Bayern

Verstößt eine Titelschlagzeile wie "Rote Null" womöglich gegen Paragraph 1 des Grundgesetzes, demzufolge die Würde des Menschen unantastbar usw.? Muss man diskutieren heutzutage. Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern München hat am Freitag in einer vermeintlich schon "berüchtigten" (bento) Pressekonferenz schließlich angedeutet, dass es zum Beispiel grundgesetzwidrig sein könnte, den Standfußball älterer Fußballer als Altherrenfußball zu bezeichnen.

Dass wir der PK in den YouTube-Annalen und sicher auch im Fußballunterhaltungsfernsehen für Jahre oder länger immer wieder begegnen werden, daran besteht kaum Zweifel. Die sogenannte "Flasche leer"-Pressekonferenz beim FC Bayern ist ja auch immer noch präsent; der SZ-Magazin-Kolumnist Axel Hacke hat soeben erst in seiner jüngsten Kolumne, die just in der Freitagsausgabe, also – was ja schon lustig ist – direkt vor der Pressekonferenz erschien (online nun mit aktualisiertem Teaser), wieder einmal von ihr berichtet, als wäre sie keine 20 Jahre her. Der Eingang der Freitags-PK in die Fußballgeschichte wurde jedenfalls bereits im Moment ihrer Austragung von führenden Social-Media-Einordnern beschlossen. Denn der Ball ist rund, und Geschichte wird immer noch in Echtzeit geschrieben.

Was ist aber eigentlich geschehen? Inhaltlich praktisch nichts, das war ja das Geschichtsträchtige. Die – nein, nicht "roten Nullen", sondern: "Bosse" (sueddeutsche.de, welt.de, bild.de, t-online.de, tagesspiegel.de) des Vereins übten eher polternde als kluge Medienkritik, also übten im Sinn von trainierten. Und widmeten also der Medienberichterstattung über ihre Spieler und den Fußball als solchen zwar eine eigene Redestunde, sagten aber nicht wirklich, was sie in dem Zusammenhang dann schon mal hätten sagen können – worin etwa gegebenenfalls die neue Dimension des fußballjournalistischen Verfalls besteht, den sie monierten.

Was war also zu tun? Die Sache musste in möglichst vielen Beiträgen pro Medium durchanalysiert werden.

Die jedenfalls nicht verbotene Assoziation einer "Art Trumpisierung des großen FC Bayern" kam dabei etwa Christof Kneer von der Süddeutschen, der bemerkte, dass der Beitrag des Vereins "zur Weltlage unter anderem darin besteht, mit polemischen Worten die Polemik der anderen zu geißeln". Dass zum Beispiel n-tv für diesen läppischen Beitrag und "der Springer-Konzern" als solcher namentlich kritisiert wurden, werden beide zwar einerseits verkraften. Andererseits hatten der Rummenigge-Verweis auf angeblich nicht-faktische Berichterstattung, ohne dabei aber konkret zu werden, und die "illiberale Anmutung" (taz) in den Redepassagen von Zweitboss Uli Hoeneß schon wirklich etwas Merkbefreites.

Wobei es, schreibt Peter Unfried in der taz, "halt auch wirklich miese Fußballunterhaltungsberichterstattung" gibt, "das muss man redlicherweise eingestehen, und das reduziert sich nicht auf den vom FC Bayern explizit attackierten Springer-Konzern". Es sei in diesem Zusammenhang dann auch gerne noch einmal an die jüngste Medienkolumne von Altpapier-Kollege Christian Bartels übers Fußballfernsehen erinnert, auch wenn sie am Freitag an dieser Stelle schon verlinkt wurde.

Gut geklickt hat sie, die PK

Was am Ende des Tages (Rummenigge) dann rausgekommen ist: Die Fußballunterhaltungsberichterstattung über die PK hat den teilhabenden Medien in der Währung "Aufmerksamkeit" immerhin nicht geschadet. Pauschale Medienkritik, die von den Kritisierten mit einer Mischung aus Lust und Empörung abgebildet wird, scheint sowieso gut zu laufen, nicht nur, wenn sie der "Mann mit den orangefarbenen Haaren" (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Medienseite) formuliert. Einige der Texte gehörten schon kurz nach Erscheinen zu den meistgelesenen – es ist ja sonst nichts los –, bei Spiegel Online oder bei Zeit Online etwa. Und dass "die besten Twitter-Reaktionen" auch immer noch ein Erfolgsrezept sein können, hat Horizont bewiesen. Andreas Rüttenauer von der taz hat zudem wohl einen der erfolgreichsten Tweets seiner Karriere geschrieben, als er die Bundesliga-Tabelle aus der gedruckten Samstags-taz teilte, in der der FC Bayern auf Platz 1 stand ("Wir haben verstanden").

Die Medienstrategie im Rückraum

Den womöglich wirklich eigentlichen Punkt an der ganzen Chose hat allerdings Daniel Bouhs gefunden. So fahrig die sogenannten Bosse auch argumentierten – der Vorgang passt, schreibt er auf den Seiten des Deutschlandfunks, "in eine ausgeklügelte Medien-Strategie des FC Bayern" mit "eigenen Plattformen – in sozialen Netzwerken und dem eigenen Fernsehkanal FC Bayern TV. Die Bayern erzählen ihre eigenen Geschichten und führen selbst Interviews mit Spielern und Funktionären. Kritische Fragen sind hier wohldosiert. Den Bayern ist dieser Bereich so wichtig, dass sie ihn im Frühjahr sogar aus dem eigentlichen Klub herausgelöst haben: Eigene Medien sind für den Verein an der 'Säbener' nicht mehr irgendeine beiläufige Aktivität, sondern ein separates Unternehmen – und das gilt es zu schützen. Andere Medien sind in dieser nun profitgetriebenen Konstruktion: Konkurrenten. Dieser Umbau geschah eher geräuschlos, hinter den Kulissen, und war eine formale Kampfansage an die Medien. Die schon jetzt legendäre Pressekonferenz setzte diesem Prozess nur öffentlich noch einen drauf, damit es auch der Letzte merkt: Wenn ihr nicht spurt, also harmlos berichtet, machen wir das mit 'diesen Medien' jetzt einfach ohne euch."

Eigene Medien – auch da dachte mancher sogleich an eine Trumpisierung. Aber vielleicht kann man davon ausgehen, dass das Vorgehen anderer prominenter Fußballvereine wie Real Madrid in dem Fall noch etwas mehr Vorbildfunktion hat als der US-Präsident. Die lassen ihre Spieler im Zweifel auch lieber mal auf den vereinseigenen Kanälen reden, als sie unkontrollierbaren Fragestellern auszusetzen.

Das Medienverständnis ist natürlich trotzdem Dreck. Nee, sorry, "ich hätte Mist sagen sollen" (Hoeneß).


Altpapierkorb (AfD-Diskussion mit Gniffke und Frey, Badische Zeitung, Bestseller-Analyse, "Aldi-Brüder")

+++ Am Donnerstag soll in der Dresdner Messe eine AfD-Diskussion über "Medien und Meinung" stattfinden, an der Kai Gniffke für die ARD und Peter Frey für das ZDF teilzunehmen gedenken. Die Sächsische Zeitung hat Frey gefragt, warum: "Es geht mir nicht um eine politische Auseinandersetzung. Ich will nicht über Politik reden, sondern über Journalismus. Wir sind nicht Verteidiger von Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Mir geht es darum zu erklären, wie Journalismus funktioniert, wie wir arbeiten, wie sehr das ZDF Sachsen verbunden ist. Unser Landesstudio berichtet aus allen Ecken des Landes. (…) Kritik ist okay, aber wir kommen nicht, um uns auspfeifen zu lassen."

+++ In der Welt findet sich ein Verriss der Sky-/ARD-Serie "Babylon Berlin", dem man das Bestreben anmerkt, eine möglichst deutliche und zugleich möglichst andere Meinung zu vertreten: "Ein Soufflé ist das, in Höhe, Breite und Tiefe zuckrig aufgeplustert. Die Geschichte ist schnell erzählt: Kommt ein Mann nach Berlin. Ende." Kritik ist natürlich okay, aber als beim MDR erscheinende Kolumne würden wir da schon gern ans Grundgesetz, Paragraph 1, erinnern.

+++ Die Badische Zeitung hat einen Text, der die NS-Vorgeschichte eines Anzeigenkunden thematisiert, aus dem Onlineauftritt entfernt. Meedia und taz gehen dem nach.

+++ Frage von Hans Hoff bei DWDL: Wenn Wirtschaftsjournalisten wissen, "wie man sein Geld vermehren kann" – warum müssen sie dann noch arbeiten?

+++ Peter Körte interviewt in der FAS Thorsten Hennig-Thurau, der in Münster als Professor für Marketing & Medien lehrt und mit seinem Kollegen Mark B. Houston im Buch "Entertainment Science" "Faktoren und Gesetzmäßigkeiten analysiert" hat, die über den Erfolg eines Buchs oder Films entscheiden würden: Er habe nicht "die Formel", sagt Hennig-Thurau, sondern konzentriere sich "auf kleine, aber nicht weniger wichtige Teilaspekte unseres Verhaltens und versuche die dahintersteckenden Regeln auszuloten. Wie reagieren wir auf Filmmarken? Was für eine Rolle spielt der Zeitpunkt, an dem ein Film ins Kino kommt oder bei Netflix auftaucht? Wir wollen das komplizierte Regelgeflecht besser verstehen und den Mythos von Bauchgefühl des Entertainment-Managers entmythologisieren."

+++ Die britische Fotoagentur PA Images hat ein Foto zurückgezogen, über das der Buckingham-Palast "nicht happy" gewesen sein soll. Die SZ spricht von einem seltenen Vorgang. Und vermutet als Grund: "PA Images wirbt auf ihrer Website mit üppigen Dossiers mit Fotos der Royals. 2019 steht mindestens eine Taufe des Britischen Königshauses an, die des Babys von Harry und Meghan. Da möchte man natürlich zum Fototermin eingeladen werden."

+++ Und besprochen wird heute etwa das ARD-Dokudrama "Die Aldi-Brüder" (Tagesspiegel, SZ).

Morgen gibt es neues Altpapier.