Das Altpapier am 4. April 2019 [Toxische] Versprechen

Machen Youtube und Facebook wirklich alles, um Hass und Gewalt so schnell wie möglich löschen? Und kann man Mark Zuckerberg seine guten Absichten abnehmen? In Australien hat man seinen Wunsch nach mehr Regulierung jetzt sehr schnell erfüllt. Aber das war anscheinend auch wieder nicht richtig. Ein Altpapier von Ralf Heimann

Mark Zuckerberg wünscht sich, dass Tech-Unternehmen stärker reguliert werden. In Australien haben sie das jetzt einfach gemacht. Wie der Guardian meldet, hat das australische Parlament beschlossen, dass Plattformen in Zukunft bestraft werden sollen, wenn sie Inhalte wie das Live-Video des Amoklaufs von Christchurch neulich nicht binnen kürzester Zeit wieder löschen.

Binnen kürzester Zeit bedeutet:

“every Australian would agree it was totally unreasonable that it should exist on their site for well over an hour without them taking any action whatsoever”.

Das sagt Christian Porter, der Generalstaatsanwalt. Er bezeichnet das Gesetz als höchstwahrscheinlich eine Weltneuheit“. Und damit ahnt man auch schon, welche Problemlage es mit sich bringt – wenn also nicht mal genug Zeit war, vorher in Erfahrung zu bringen, ob andere Länder so etwas vielleicht auch schon haben.

Es musste alles sehr schnell gehen. Das ist auch der Kritikpunkt der Tech-Unternehmen, die so schnell offenbar nicht damit gerechnet hatten, dass Mark Zuckerbergs Wunsch in Erfüllung gehen könnte.

Sunita Bose, Geschäftsführerin der Digital Industry Group, die die Interessen von Unternehmen wie Google, Facebook, Twitter oder Amazon vertritt, gefällt vor allem nicht, dass das Parlament hier nach einem Prinzip arbeiten, das Software-Unternehmen erst etabliert haben: Der Beta-Tester ist der Kunde.

This ‘pass it now, change it later’ approach to legislation, such as we saw with the encryption law, creates immediate uncertainty for Australia’s technology industry,

Was das bedeutet, erklärt Scott Farquhar, der Chef des Software-Unternehmens Atlassian:

“The current legislation means that anyone working for a company that allows user generated content could potentially go to jail for [three] years,”

Die offene Frage ist: Wer genau ist denn verantwortlich? Der Mitarbeiter, der den Inhalt absichtlich oder unabsichtlich im Netz nicht gelöscht hat? Seine Chefin? Am Ende womöglich Mark Zuckerberg, weil ja nicht die Mitarbeiter selbstdie Inhalte bereitstellen, sondern die Unternehmen?

Entweder weiß man das alles noch nicht, oder man ist, weil alles so schnell gehen musste, einfach noch nicht dazu gekommen, es mitzuteilen.

Unbestritten dürfte aber die Feststellung von Generalstaatsanwalt Porter sein, die sich hier nur auf Gewaltvideos bezieht, aber auch in vielen anderen Zusammenhängen so richtig zu sein scheint:

“There are platforms such as YouTube, Twitter and Facebook who do not seem to take their responsibility (…) seriously.”

Das bestätigt sich im Moment nahezu im Stundentakt. Soeben (7.51 Uhr) schaue ich zum Beispiel bei Twitter, ob innerhalb der letzten Minuten noch irgendetwas Erwähnenswertes passiert ist. Und tatsächlich, Futurezone meldet: “540 Millionen Facebook-Datensätze bei Amazon öffentlich.“

Wie reagiert nun Mark Zuckerberg? Gibt er den Politikern die Schuld, weil die auch zwei Tage nach seiner Bitte um Regulierung noch immer nicht mit einer Gesetzesinitiative reagiert haben, die es Tech-Unternehmen verbietet, sich im Umgang mit Nutzerdaten fahrlässig zu verhalten?

Nein. Facebook gibt den Entwicklern die Schuld, die sich wie auch im Cambridge-Analytica-Fall an Schnittstellen des Unternehmens bedienen. 

“Facebook hat den weiteren Datenvorfall bereits bestätigt. Es betonte in einer Reaktion, dass es für App-Entwickler verboten ist, Daten aus der Plattform des Online-Netzwerks ungeschützt zu speichern.“

Ich übersetze das mal: Wir sagen den Leuten, sie sollen keinen Scheiß mit den Daten machen. Aber mehr können wir auch nicht tun.

Hass und Geld

Das ist aber nur die neueste Meldung. Anfang der Woche erfuhren wir von Bloomberg News, dass Youtube toxische Video, also Fake News, Verschwörungstheorien oder Inhalte von Neonazis, trotz Hinweisen von Mitarbeitern nicht gelöscht haben soll, weil das natürlich verhindert hätte, dass sich irgendjemand diese Videos ansehen kann.

Und wenn man sich nun fragt, warum einige Inhalte wie zum Beispiel islamistische Propaganda so schnell aus dem Netz verschwinden, während das bei anderen, sehr ähnlichen Inhalten, unterbleibt, dann lässt sich das in einem einzigen Satz erklären. Zu finden ist dieser Satz in einem Beitrag bei Futurezone:

Sascha Lobo beschäftigt sich in seiner Spiegel-Online-Kolumne ebenfalls mit der Bloomberg-Enthüllung. Er erklärt den Zusammenhang noch etwas kürzer, schon in der Überschrift, die lautet: Hass ist Geld. Und Lobo stellt einen direkt Zusammenhang zu einem Fall her, der illustrieren soll, dass es hier nicht nur um Filme geht, die man sich nicht so gerne ansieht, die viele Nutzer stören oder die vielleicht etwas unglücklich sind, sondern dass diese Inhalte drastische Folgen haben können.

In diesem Fall hat Jeremy Richmann, der Vater eines beim Sandy-Hook-Attentat getöteten Mädchens, sich Jahre nach dem Mord nun selbst das Leben genommen (die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber die Polizei geht davon aus, darauf weist Lobo hin), nachdem er immer wieder mit dem Tod bedroht worden war – und mit ansehen musste, wie sich Videos bei Youtube millionenfach verbreiteten, in denen Verschwörungstheoretiker behaupteten, das Attentat habe gar nicht stattgefunden, es sei eine Erfindung linker Extremisten. Menschen wie Jeremy Richmann seien von Behörden oder Medien bezahlte Schauspieler.

“Soziale Medien, speziell YouTube, tragen meiner Ansicht nach eine Mitverantwortung daran“,

schreibt Sascha Lobo, und das “daran“ bezieht sich auf den Tod von Jeremy Richmann.

Vom Unternehmen Youtube beziehungsweise der Konzernmutter Alphabet hat sich bislang niemand zu den Vorwürfen aus dem Bloomberg-Artikel äußern wollen. Auf seine Anfrage erhielt der Autor Mark Bergen eine Absage. Daher zitiert er behelfsmäßig Youtube-Manager Neal Mohan, der vor einer Woche mit der New York Times über die Anstrengungen des Unternehmen gesprochen hatte, gegen toxische Inhalte vorzugehen. Und Mohan sagte dort in akzentfreien Business-Sprech:

“It’s an ongoing effort.I think we’ve made great strides here. But clearly there’s more work to be done.“

In der Ansicht, dass man schon viele Fortschritte gemacht habe, scheinen die Tech-Unternehmen sich immerhin einig zu sein. Das hat auch Mark Zuckerberg auf seiner Europa-Tour soeben wieder bekräftigt, wie in dieser Meldung bei Standard.at nachzulesen ist. Leider sagte er das im Zusammenhang mit der schulterzuckenden Feststellung, dass an trotz aller Anstrengung eine Einmischung von außen in die bevorstehende Europawahl nicht ausschließen könne.

Na ja, nichts für ungut. Dann kann man wohl wirklich einfach nichts machen.

Ungefähr das war vor einigen Tagen auch das Ergebnis der Diskussion, als die EU an dem Versuch scheiterte, eine gemeinsame Digitalsteuer einzuführen (im Altpapier zuletzt hier). Und hier muss man unweigerlich an das wahrscheinlich am häufigsten im Internet geteilte Zitat denken: “Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht, und der hat’s einfach gemacht.

In diesem Fall war der, der es einfach gemacht hat, der Nachbar Österreich, also ein recht kleines Land, das nicht unbedingt damit rechnen kann, Google oder Facebook mit finanziellen Forderungen in die Knie zwingen zu können. Dort hat die Regierung nun jedenfalls eine Digitalsteuer eingeführt, wie unter anderem Spiegel online berichtet.

Es ist ein erster Schritt, und wenn sich nun zeigen sollte, dass das Gesetz national völlig wirkungslos bleiben sollte, könnte das vielleicht eine gute Voraussetzung sein, um es auch europaweit zu etablieren. Beim deutschen Leistungsschutzrecht hat das ja schließlich auch so funktioniert.

Ursache und Wirkung

Es ist eine etwas holprige Überleitung, das gebe ich zu, aber wo wir nun beim Leistungsschutzrecht sind, sprechen doch doch noch einmal über die Zeitungsverleger. Der ehemalige WAZ-Chefredakteur Uwe Knüpfer sich in einem Essay für das DJV-Magazin “Journalist“ seinen Ärger darüber von der Seele geschrieben, wie Verleger in den vergangenen Jahren versucht haben, ihr Geschäftsmodell vor dem Absturz zu retten.

In seinen Augen beschränkte sich der Versuch vor allem darauf, mit Sparideen jeglicher Art die Zukunft die journalistische Zukunft zu gestalten.

“Vielleicht begann der verlegerisch ausgelöste Niedergang des Journalismus mit dem Verzicht auf eigene Lokalfotografen. (…) Der örtliche Fotograf war einst in seiner Gemeinde so bekannt wie der sprichwörtliche 'bunte Hund‘. Er verkörperte oft im Alleingang 'die Zeitung‘ und nahm nicht selten wertvolle Tipps und Hinweise auf“,

schreibt Knüpfer. Auch den Rückzug der Redaktionen aus den Städten führt er als Grund für die schwindende Bedeutung von Zeitungen an.

“Nichts erschüttert die Beziehung zwischen Leser und Blatt so sehr wie der Abzug der Redaktion aus dem eigenen Ort. Das ist, als ziehe ein Ehepartner aus der gemeinsamen Wohnung aus. Damit hat sich die Ehe erledigt. Die Auflagenverluste nach Abzug einer Redaktion von 'vor Ort‘ kommen schnell und sind nachhaltig. Besonders schlaue Verlagsmanager 'preisen‘ sie von vornherein 'ein’ – und erfreuen sich womöglich an den damit einhergehenden Einsparungen beim bedruckten Papier.“

Und obwohl auch ich diese emotionale Verbundenheit teile, glaube ich, dass Knüpfer hier Ursache und Wirkung verkehrt. Das zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Auflagen in den vergangenen 30 Jahren.

Mein Eindruck ist: Seit der Sinkflug angesetzt hat, haben die Verleger auf alle Knöpfe gedrückt, die sie im Cockpit finden konnten, darunter eben auch auf viele, die alles nur noch schlimmer gemacht haben. Doch auch, wenn man die Fotografen nicht outgesourct und die Redaktionen in den Städten belassen hätte, sähe heute alles nicht viel anders aus. Knüpfer sieht vor allem ein Versäumnis der Verleger.

“Heute Verleger zu sein hieße, unter den Bedingungen des Internetzeitalters auf journalistischen Leistungen ein lukratives Geschäftsmodell zu begründen. Das sollte eigentlich nicht schwieriger sein, als im 19. Jahrhundert unter den Bedingungen der Industrialisierung auf journalistischen Leistungen ein lukratives Geschäftsmodell zu begründen“,

schreibt er. Aber auch das stimmt so nicht ganz, denn Knüpfer unterschlägt, dass diese Verleger heute eben vieles mit sich herumschleppen, das sie daran hindert, innovativ zu sein – vor allem eben ihr dahinsiechendes Geschäftsmodell. Und diese Menschen, die “unter den Bedingungen des Internetzeitalters (…) ein lukratives Geschäftsmodell (…) begründen“, die gibt es ja. Es sind nur eben nicht die Zeitungsverleger.

Journalismus und PR

Zum Abschluss noch schnell zu einem Beitrag von Daniel Bouhs für das NDR-Medienmagazin “Zapp“, der sich mit der Gratwanderung zwischen Journalismus und PR beschäftigt, die ja zumindest in Teilen eine Folge der oben beschriebenen Entwicklung ist. Knackpunkt hier: Der DJV-Vorsitzende Frank Überall sagt:

Das, was in der PR gemacht wird, also in der effektiven Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, ist eine Spielart des Journalismus.“

Wogegen der Journalistik-Professor Volker Lilienthal sich entschieden wehrt.

"Das ist im Grunde eine Assimilation von Journalismus und PR. (…) Überall redet ihr fahrlässig das Wort."

Dabei lässt sich die Grenze doch sehr klar ziehen. Überall meint: In der PR kommen die gleichen Werkzeuge zum Einsatz wie im Jounalismus. Deswegen ist PR aber noch keine Spielart des Journalismus. Journalismus findet im Auftrag eines Unternehmens statt, aber im Interesse der Öffentlichkeit. Daher kann PR nie so etwas wie Journalismus sein. 

Und damit zum Altpapierkorb.


Altpapierkorb (Football Leaks, Klaus Brinkbäumer, Theodor-Wolff-Preis, Glyphosat)

+++ Der Spiegel darf weiter über die zweifelhaften Methoden berichten, mit denen Sportstars wie Cristiano Ronaldo und Mesut Özil sich darum drücken, Steuern zu zahlen. Das Magazin gewinnt den Rechtsstreit, wie es in eigener Sache berichtet – und erklärt bei der Gelegenheit auch noch mal, wie das als pressfeindlich bekannte Landgericht Hamburg so arbeitet: “Im Fall Senn Ferrero versus SPIEGEL erließ die Kammer von Richterin Simone Käfer ein Verbot gegen den SPIEGEL, ohne dass überhaupt die Möglichkeit gegeben wurde, sich gegenüber dem Gericht zu den Vorwürfen zu äußern. Das verstößt zwar gegen die Prozessgrundrechte des Beklagten, gehörte in Hamburg aber bis vor Kurzem zum Standard in presserechtlichen Eilverfahren.“

+++ Moritz Tschermak zeigt im Bildblog wie sie das Verschwinden der 15-Jährigen Rebecca Reusch, die möglicherweise tot ist, bei Funke zu Clickbait-Zwecken missbrauchen. Hinzu kommt: Sollte Rebecca tatsächlich noch leben, wird das Bild, das so gut wie alle Medien nach wie vor verwenden, nicht dabei behilflich sein, sie zu finden. Das Bild ist stark verfremdet. Catrin Lorch hat das schon vor einem etwa einem Monat in der SZ erklärt.

+++ Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer wird Autor der Zeit. Das war gestern überall zu lesen, unter anderem bei Meedia. Den gleichen Posten hatte Brinkbäumer nach seinem Rauswurf auch beim Spiegel inne. So stand es jedenfalls Woche für Woche im Impressum. Wenn ich nichts übersehen habe, hat er in dieser Funktion allerdings keinen einzigen Text geschrieben, was man einerseits verstehen kann, was aber andererseits die Frage aufwirft: Ist “bleibt unseren Haus als Autor erhalten“ das neue “trennten sich in beiderseitigem Einvernehmen“?

+++ Das ZDF und der ORF tun sich bei der Europawahl wieder zusammen, schreibt Timo Niemeier für DWDL.

+++ Michael Jürgs, ehemaliger Chefredakteur von Stern und Tempo wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Das steht über den meisten Meldungen zum Theodor-Wolff-Preis, unter anderem auf der FAZ-Medienseite. Etwas unter den Tisch fallen dabei die übrigen Nominierten, die hier in der Orignialmeldung zu finden sind. Mit dabei ist diese ganz hervorragende Lokalreportage von Maris Hubschmid, die ich gern empfehlen möchte. 

+++ Noch einmal um das Urheberrecht nur in einem anderen Zusammenhang als in den vergangenen Wochen geht es in einem Streit um Studie über das Pflanzenschutzmittel Glyposat, über den unter anderem Lars Wienand für T-Online berichtet. Bundesinstitut für Risikobewertung verhindert nämlich mit Verweis auf das Urheberrecht, dass ein Gutachten zum Krebsrisiko von Glyphosat verbreitet wird.

Offenlegung: Ich arbeite gelegentlich für das Bildblog.

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.