Teaserbild Altpapier am 23. Mai 2019: Hände zeigen schuldzuweisend auf ein Icon, das verschiedene Medien-Symbole enthält
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Das Altpapier am 23. Mai 2019 Ein Hauch von Inkonsistenz

Ausgerechnet eine Partei, die Journalist:innen künftig immer mehr umgehen will, beschwert sich über einen schwindenden Einfluss klassischer Medien. Redaktionen brauchen mehr Sensibilität für Youtube. Die Frage nach den Hintergründen der Entstehung des Rezo-Videos könnte mehr Aufmerksamkeit vertragen. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

"Die Medien sind schuld", ist seit jeher eine schöne Ausrede, wenn es um wem auch immer missfällige, gesellschaftliche Entwicklungen geht. Sei es das Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland, die wahlweise zu positive oder zu negative Stimmung gegenüber Flüchtlingen oder was auch immer irgendwem gerade unbequem ist.

An vielen Dingen tragen Journalist:innen durch ihre Berichterstattung sicher eine Mitverantwortung, aber Simplifizierungen sind eben einfacher und aufmerksamkeitsträchtiger als komplexe Aufdröselungen. Dieser Tradition bedient sich aktuell auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, wenn er die Verantwortung für den Erfolg der Rezo-Abrechnung "Die Zerstörung der CDU" gewissermaßen "den Medien" zuschiebt. Dabei spricht aus seinem Interview bei "Bericht aus Berlin" über den gestern an dieser Stelle schon angeschnittenen Youtube-Rant so kurz vor der Europawahl auch ganz schönes Muffensausen:

"Ich sehe ja, wie viele junge Menschen sich das anschauen. Das beunruhigt mich insofern, weil ich glaube, die wenigsten schauen in die Quellen, die er dort angegeben hat. Aber es sollte auch für die Medien in Deutschland doch ein Fragezeichen aufwerfen, warum junge Menschen sich dort über Politik informieren und nicht auf bekannten Medienportalen."

Dass journalistische Medien bei Youtube mehr experimentieren könnten, neue Formen des Storytellings ausprobieren, mehr wagen, präsenter sein könnten – geschenkt. Darauf darf man gerne hinweisen. Das tun wir hier ja selbst auch gerne mal.

Dass sich nun aber ausgerechnet jemand über einen schwindenden Einfluss klassischer Medien beschwert, dessen Parteichefin kürzlich erst angekündigt hat, zunehmend "in Echtzeit auf unterschiedlichen Kanälen zu kommunizieren und eigene Nachrichten zu setzen", "Herr über die eigenen Bilder" sein zu wollen, einen eigenen "Newsroom" zu schaffen und Journalist:innen zu manchen Veranstaltungen gar nicht mehr zuzulassen, lässt doch einen Hauch von Inkonsistenz durch Ziemiaks Statement wehen.

Worum es eigentlich geht, ist also kein generelles Medienversagen, sondern das Problem, dass die politische Öffentlichkeit bisher kein probates Mittel gefunden hat, junge Menschen dort zu erreichen, wo sie sich wirklich aufhalten. Zwar sprießen aktuell immer mehr Parteien-Angebote und journalistische Formate bei Facebook, Instagram oder in Podcasts aus dem nährstoffreichen Digitalboden, aber Rezo und seine Reichweite haben der CDU mit einem großen Knall vor Augen geführt, dass diese Youtuber in diesem Internetz doch einen gewissen Vorsprung haben und es Sphären gibt, die die Partei bisher kaum bei der politischen Meinungsbildung auf dem Schirm hatte.

Youtube-Sensibilität

Kritik an der Berichterstattung kann man natürlich trotzdem üben. Einige Fehlerchen von Redaktionen zeigen nämlich, dass Journalist:innen sich im Terrain Youtube noch immer nicht ganz so souverän bewegen, wie sie es könnten, wenn sie die Plattform etwas ernster nehmen würden.

"Schon nach drei Tagen ist es mit mehr als drei Millionen Abrufen sein erfolgreichstes Video",

heißt es z.B. bei Deutschlandfunks "@mediasres" über Rezos Rant. Das stimmt nicht ganz. Es könnte das erfolgreichste Video seines Nebenkanals "Rezo ja lol ey" sein. (Anm. Altpapier: Mittlerweile, Stand Donnerstag 8 Uhr, sind es 4,8 Millionen Views).  Auf seinem Hauptkanal "rezo" steckt der Youtuber aber auch mal fünf oder gar neun Millionen Klicks ein.

Auch die Bezeichnung "Zerstörung" der CDU wird allzu oft wörtlich genommen oder gar nicht weiter erläutert. Dass sich unter Youtubern aber längst ein eigener Slang gebildet hat, scheint vielen Journalist:innen gar nicht richtig klar zu sein. Rezo selbst sagt im Bento-Interview:

"‘Zerstörung‘ heißt in der YouTube-Subkultur eigentlich, dass jemand argumentativ ziemlich plattgemacht wurde. Deshalb glaube ich, dass das hier passt."

Das ist sicher etwas zahm formuliert. In verschiedenen Amateur-Rapvideos ist mit "zerstören" tatsächlich etwas physisches gemeint. Bei einem Prank, also Streich, den Gegenüber zu zerstören bedeutet aber eher, jemanden so richtig zu schocken. Selbst zerstört sein steht eher für ein sinnbildliches am Ende sein.

Ein Gutes hat die Aufregung vielleicht: Youtube werden viele Redaktionen und Politiker:innen künftig wohl als deutlich größeren Punkt auf dem Nachrichten-Radar haben. Das soll nicht heißen, dass es wünschenswert wäre, jedem kleinen Rant dort hinterherzulaufen. Aber die Plattform ist schon lange ein Platz, auf dem nicht nur Klamauk, sondern auch politische (Meinungs-)Bildung stattfindet – nicht nur im rechten Milieu, sondern vor allem auch unter jungen Menschen. Und das sollten Journalist:innen und Politik anerkennen.

Journalismus oder Youtubismus

Die Diskussion, ob Rezo nun Journalismus macht oder nicht, geht allerdings etwas am Kern der Sache vorbei. Das hat er selbst nie behauptet und auch sonst niemand, außer Journalist:innen, die das jetzt vorsorglich verneinen, weil sie Angst haben, überflüssig zu werden und CDUler:innen, die schwindenden Einfluss befürchten. In seinem Rant erhebt der Youtuber auch keinerlei Anspruch darauf. Der Netzpolitik-Gründer und Chefred Markus Beckedahl sagt bei Deutschlandfunk Kultur:

"Wir haben es hier mit einem jungen, politisch aktivierten Menschen zu tun, der das Medium Youtube nutzt, um auszuprobieren, ob seine Meinung, seine Sprache auch in einer gesellschaftlichen Debatte gehört wird - was ja eigentlich der Idealfall wäre, wenn jeder die Möglichkeiten dazu hätte."

Was Rezo in seinem Rant macht, beschreibt Hannes Schrader in einem Kommentar mit der hübschen Head "Auch Rezo ist das Volk" bei Zeit Campus ganz gut:

"Dass er an einigen Stellen ungenau argumentiert, werfen ihm die Kritiker aus der CDU vor. Sie haben recht. Doch schlau ist das nicht. Denn erstens wissen sie am besten, dass differenzierte Kritik keine Schlagzeilen macht. Und zweitens ist Rezo weder Journalist noch Bundeskanzler. Er ist wütend. Und er weiß, dass man mit Wut und Überspitzung Aufmerksamkeit bekommt."

Rezos Community ist nach seinen Angaben (Bento) zur Hälfte im Alter zwischen 18 und 24. Elf Prozent seien jünger und der Rest 25 Jahre und älter. Darunter dürften also viele Nutzer:innen sein, die sich durch die hochexplosive Urheberrechtsdebatte und Fridays for Future immer mehr mit Politik auseinandersetzen und sich nach all den Politiker:innen-Statements (den Profis überlassen, wollen nur Schule schwänzen, sind alle Bots) etwas verarscht/ignoriert/marginalisiert fühlen:

"Junge Menschen, die das Gefühl haben, die alten Politiker, die keine Ahnung von ihrem Leben haben, machen ihnen das Internet und ihre Zukunft kaputt. Und die sich, als sie ihre Stimme erhoben, anhören mussten, sie sollen doch bitte in ihrer Freizeit streiken".

Ach ja, und dann gab es da noch das ominöse Amthwortvideo. Verzeihung, der musste sein. Das laut ZDF-Korrespondent Florian Neuhann und taz-Mitarbeiter Frederik Schindler angekündigte Antwortvideo von CDU-Mann Philipp Amthor wurde von der Partei wohl doch irgendwann nicht mehr als glänzende Idee angesehen. Zwar wartete die Twitter-Meute den ganzen Abend wie die rasende Menge vorm Revierderby darauf. Aber es kam bisher nichts (Stand: Donnerstag, 8 Uhr). Wahrscheinlich hätte sich die Partei damit auch nur noch tiefer in die kommunikationsstrategische Jauche geritten.

Amthor quasi zu einem Gegenschlag ins fremde Youtube-Terrain zu schicken, sei "als ob man ne Splittergranate in ein Munitionsdepot wirft", sagte Thomas Knüwer, Digitalstratege der "Aktuellen Stunde" (WDR).

Ein Aspekt, der bei der ganzen Diskussion weniger Aufmerksamkeit bekommt, ist die genaue Entstehung des Rezo-Videos. Dem geht Kai Rüsberg im oben erwähnten Beitrag bei "@mediasres" nach. Dort bemängelt der Kölner Medienrechtler Rolf Schwartmann einige Unklarheiten:

"Was man sieht, ist, dass da ein junger Mann eine Meinung verbreitet und Richtung Zerstörung der CDU argumentiert, dafür viele Beispiele bringt, aber man nicht weiß: Ist er das alleine, steckt da vielleicht noch jemand anders dahinter? Ströer steht im Impressum. Die managen ihn auch: Ist das ein inhaltliches Management oder was ist das?"

Die im Impressum als Redaktion genannte Tube One GmbH des Werbekonzerns Ströer habe nach einer Anfrage keine Stellungnahme abgegeben. Ströer betreibt auch journalistische Angebote wie Watson oder T-Online.

"Daher bleibt offen, mit welchen finanziellen oder anderen Mitteln die Produktion unterstützt wurde. Rezo sagt, er habe von keiner Partei oder Organisation Geld erhalten."

Und auf die Frage, ob er noch weitere politische Videos machen werde, antwortete Rezo im t3n-Interview:

"Bestimmt irgendwann. Aber durch den immensen Aufwand, Kosten und anderweitige Probleme wie die Erzeugung von Feinden und Morddrohungen werde ich das nicht sehr häufig machen."

Er fasst damit wunderbar das Finanzierungsdilemma vieler Medienhäuser zusammen. Recherche ist teuer, ist also auch eine Nachricht, die zumindest unterschwellig an Rezos Youtube-Kosmos rausgeht – was journalistische Redaktionen selbst bisher nicht schaffen.

Altpapierkorb (Hintermänner des Strache-Videos, dotheyknowitseurope.eu, Pörksen, SWR-Intendant:in)

+++ Der österreichische Sender oe24.TV will herausgefunden haben, wer hinter dem Strache-Video steckt, das uns diese Woche prominent durch’s Altpapier begleitet hat und vergangenes Wochenende die Österreichische Regierung vom Acker fegte. In der Zeit (€) bringen Christian Fuchs, Florian Gasser, Yassin Musharbash und Holger Stark ebenfalls einen Wiener Anwalt ins Spiel.

+++ Ach, und Kollege Klaus Raab hatte im gestrigen Altpapier fast Recht: Zwar hat Katz-und-Maus-König Jan Böhmermann nach seiner Verwirraktion um eventuelle Beteiligung an dem Strache-Video unter dotheyknowitseurope.eu (das pünktlich um 20.15 unter all dem virtuellen Andrang zusammenbrach) nicht die Vengaboys rausgehauen, dafür aber einen Europa-Song mit anderen Kollegenboys (drei Girls waren auch noch dabei).

+++ Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen schreibt in einem Kommentar bei Zeit Online über die Diskussion um das Ob und Wie der Berichterstatt und zum Strachedings und Ibizabums: "Investigativer Journalismus agiert in den Zeiten einer oft vorschnell-pauschalen Medienskepsis und vor dem Hintergrund eines unbedingt notwendigen Quellenschutzes so transparent wie möglich. Er wählt Informationen aus, betreibt also Gatekeeping, aber zunehmend auch Gatereporting – und liefert so einen Beitrag zur Selbstaufklärung der Mediengesellschaft, orientiert an einem Imperativ, der sich folgendermaßen formulieren ließe: 'Handele stets so, dass dein Publikum die Qualität der von dir vermittelten Informationen möglichst umfassend einzuschätzen vermag!'"

+++ Redakteure von ARD, ZDF und ORF wollen stärker kooperieren, um "sich gemeinsam gegen populistische Attacken zu wehren", heißt es bei dwdl.de.

+++ Heute ist es so weit: Beim SWR wird nach einigem Ärger um die Aufstellung der Kandidat:innen ein neuer Intendant oder eine neue Intendantin gewählt. Im Tagesspiegel und bei der FAZ gibt’s eine Zusammenfassung der bisherigen Entwicklungen und Streitpunkte. Die Abstimmung kann auch per Stream verfolgt werden.

+++ In der Türkei sind sieben weitere Journalist:innen zu Haftstrafen verurteilt worden. Grund für die Entscheidung sei ihr Engagement für die prokurdische Zeitung Özgür Gündem gewesen, berichtet Zeit Online. Auch der Prozess gegen die deutsche Journalistin Mesale Tolu und ihren Mann geht heute in Istanbul weiter.

+++ Ein ganzes Politikressort tritt zurück, weil zwei Kollegen rausgeworfen wurden. Ekaterina Kel schreibt in der Süddeutschen über ein "schweres Beben" bei der traditionsreichen russischen Tageszeitung Kommersant. Auch die taz berichtet.

+++ Beim ESC gab es scheinbar eine Panne in der Wertung, berichtet dwdl.de.

+++ "Während der journalistische Blick von außen sich oft darin erschöpft, örtliche Unwetter zu beschreiben, sind die Kollegen vor Ort Experten für den Klimawandel. Dabei verstehen die Redakteure der Sächsischen Zeitung sich nicht als Kämpfer gegen die AfD, sondern als akribische Rechercheure", schreibt Ulrike Nimz in der Süddeutschen über die Arte-Reportage "Dem Rechtsruck auf der Spur. Eine Zeitung sucht Antworten". Dabei geht es eher um das politische Klima und nur im Übertragenen Sinne um’s Wetter. In der taz gibt’s dazu auch eine Kritik von Altpapier-Autor René Martens.

+++ Und SpOn (bzw. AFP) sorgt sich um Fans des Berliner Tatorts: "Trotz des Erfolgs des Berliner 'Tatorts' kündigt Meret Becker ihren Abschied als Kommissarin Rubin an."

Neues Altpapier gibt’s wieder am Freitag.