Ost-Thema Grunderbe Der lange Weg vom Staats- zum Privateigentum

13. Juli 2022, 12:07 Uhr

In der DDR war Volkseigentum das staatlich propagierte Ziel. Nach Abschluss der Kollektivierung und Verstaatlichung in der DDR wurde Privateigentum nur im kleinen Maße geduldet. Es gab keine Fabrikbesitzer, man konnte keine Aktien kaufen und Immobilien sollten möglichst nur zum Eigengebrauch besessen werden. Vermögen aufzubauen war kaum möglich. Die Währungsunion entwertete auch noch die privaten Sparkonten. Bis heute zeigen sich die Auswirkungen. Ein Grunderbe würde daher insbesondere im Osten die Startbedingungen für junge Menschen angleichen.

Deutliche Ungleichheit zwischen Ost und West

Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist der durchschnittliche Haushalt West mehr als doppelt so wohlhabend wie der durchschnittliche Haushalt Ost. Die Ungleichheit zieht sich durch alle Schichten. Das Vermögen der armen Hälfte der Haushalte Ost liegt bei durchschnittlich 12.000 Euro, der vergleichbaren Haushalte West bei 24.000 Euro. Während das des reichsten ein Prozents in Ost und West kontinuierlich wächst: Im Osten sind es etwa 3 Millionen Euro, im Westen 12 Millionen Euro, stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 2022 fest. Daher bringt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, das Thema auf den Tisch und stellt sich der Diskussion zum Thema.

Ungleiche Verhältnisse von Beginn an

Die Sozialhistorikerin Kerstin Brückweh forscht zum Eigentum als Indikator von Unterschied und Gemeinsamkeit. Sie erklärt sich die Diskrepanz folgendermaßen:

In der DDR war das Volkseigentum zwar offiziell hoch geschätzt, das Privateigentum hingegen alles andere als unbedeutend. Die Vorgaben und das Handeln des Regimes hatten aber Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Eigentums im Privaten und sorgten für bis heute andauernde messbare Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland.

Sozialhistorikerin Kerstin Brückweh Bundeszentrale für politische Bildung
Kerstin Brückweh, Portraitfoto, Frau mit blonden Haaren schaut lächelnd in die Kamera.
Kerstin Brückweh ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Berliner Hochschule für Technik und forscht über die Eigentumsverhältnisse in Ost und West. Bildrechte: Kerstin Brückweh

Dabei ist das Bedürfnis, Eigentum zu bilden, in Ost und West das Gleiche. Doch die Möglichkeiten dazu sind seit der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 sehr verschieden. Die sozialistische Ideologie setzt auf staatliches oder gemeinschaftliches Eigentum. Volkseigene Betriebe in Industrie und Landwirtschaft werden gegründet, Bauern und Handwerker in Wellen enteignet. Viele wehren sich, so lange es geht. Menschen, die noch Mehrfamilienhäuser besitzen, können mit den staatlich verordneten Kleinstmieten die Bausubstanz kaum erhalten. Nur in Orten unter 2.000 Einwohnern, also auf dem Dorf, gibt es viele selbstgenutzte Einfamilienhäuser, die aus der Vorkriegszeit stammen.

Lottogewinn: Ein eigenes Häuschen

Ab 1972 werden wieder Genehmigungen zum Bau neuer Eigenheime erteilt. Nicht, um den Menschen Eigentum zu verschaffen, sondern um die Wohnungsnot zu lindern. Da dafür aber keine zusätzlichen Ressourcen bereitstehen, wird die Eigenleistung zur Bedingung gemacht. Der Einsatz von Freunden und Familie am Bau ist normal, aber nur möglich, wenn es den Bauherren gelingt, Baumaterialien zu beschaffen.

Die Chance auf ein eigenes Häuschen wird trotz der aufzubringenden Kraftanstrengung als Lottogewinn betrachtet, auch weil es eine der wenigen möglichen Formen von Besitz darstellt. Oft stehen diese Häuser dann aber nicht auf eigenem Grund und Boden, sondern dieser bleibt in staatlicher Hand, in Volkseigentum. Schon während der Abwanderungswelle Anfang der 1950er-Jahre werden Grundbucheinträge und damit die Verwaltung von Privatbesitz systematisch vernachlässigt.

Das ambivalente Verhältnis zum Reichtum in der DDR untersucht Jens Giesecke, Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Er erzählt im Interview mit dem Deutschlandfunk: "Das Interessante ist, dass selbst in Wandlitz die Politbüromitglieder sehr viel Wert darauf legten, dass ihnen nichts davon, was sie dort an Annehmlichkeiten hatten, persönlich gehörte. Also die Fuhrparks für die Jagdausflüge, die Wochenendgrundstücke, die private Insel an der Ostsee, all das gehört nicht zum persönlichen Vermögen, insofern würde man sie nicht als reich in dieser Hinsicht bezeichnen. Aber gleichzeitig hatten sie eben die Möglichkeit, all diese Dinge zu nutzen, die natürlich nichts mit dem Lebensstandard der durchschnittlichen DDR-Bevölkerung zu tun hatten."

Nach 1990: Verfestigung der Besitzlosigkeit

Wie Eigentum behandeln in der DDR auch Mieter ihre Wohnungen in den Altbauten. Fenster streichen, Bäder modernisieren, Fußböden legen - die DDR ist ein Land voller Hobby-Handwerker. Doch nach 1990 werden viele der so über die Jahrzehnte instand gehaltenen, alten Häuser an ihre ehemaligen Besitzer aus dem Westen der Bundesrepublik zurückgegeben. Das rettet einerseits die marode Bausubstanz, weil dank des westdeutschen Kapitals die längst überfälligen Sanierungen möglich sind.

Klaus-Jürgen Warnik 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Es verfestigt aber auch die Besitzlosigkeit. In anderen postsozialistischen Staaten geht man einen anderen Weg und übereignet die Wohnungen den langjährigen Mietern. In Deutschland gibt es für die all diese Fälle ab 1990 das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen. Enteignungen, zurück gelassene Immobilien, Eigenheime auf volkseigenem Boden – all das zu regeln, gelingt in der Mehrzahl der Fälle recht gut.

Aber es bleibt auch ein Gefühl der Ungerechtigkeit, denn die Leistung der DDR-Bürger findet keine Beachtung, so die Historikerin Kerstin Brückweh: "Es wurde als unfair erachtet, dass Westdeutsche, die sich jahrzehntelang nicht um ihr Eigentum gekümmert hatten bzw. aufgrund der deutsch-deutschen Teilungsgeschichte kümmern konnten, dieses nun zurückerhalten sollten. Das verärgerte Ostdeutsche einmal mehr, weil Bürgerinnen und Bürger aus der alten Bundesrepublik ja selbst seit der Nachkriegszeit die Möglichkeit hatten, zu sparen und sich ein Heim zu bauen und das ostdeutsche Eigentum nun zusätzlich zu ihrem ohnehin schon in geregelten, rationalen und verlässlichem Rahmen stattfindenden Vermögensaufbau bekommen sollten."

Währungsunion verfestigt ungleiches Vermögen

Es gibt zur Währungsunion 1990 keine hundert Konten, auf denen mehr als eine Million DDR-Mark liegen. Im Westen sind es laut Bundesbank etwa hundert Konten, auf denen eine Milliarde liegen! Der Unterschied ist atemberaubend. Historiker Jens Giesecke gibt im Deutschlandfunk eine klare Antwort auf die Frage: Gab es Reichtum in der DDR? "Die erste Antwort lautet natürlich: Nein. Jedenfalls dann, wenn wir die Maßstäbe anlegen, die wir aus der Bundesrepublik etwa kennen." Reich werden im Maßstab der DDR vor allem Superstars: freie Künstler, Sportler und Handwerker.

Zur Währungsunion werden Ersparnisse über 6.000 DDR-Mark im Kurs 1:2 umgetauscht. In Relation zur Kaufkraft West ist es ein sehr guter Kurs. In der Zeit, in der diese Guthaben angespart wurden, waren sie jedoch viel mehr wert. Nur 3 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der DDR hatten 1990 mehr als 50.000 DDR-Mark gespart. Ein Drittel hatte zwischen 10.000 und 50.000, ein weiteres Drittel zwischen 5.000 und 10.000 DDR-Mark.

Das war wenig im Vergleich zur alten Bundesrepublik, aber bei einem anderen Umtauschverhältnis hätte daraus schnell mehr werden können. Die Unterschiede der deutsch-deutschen Geschichte und die Regelungen zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten haben bis heute nicht nur zu einer ungleichen Wohneigentumsquote geführt, sondern auch zu Unterschieden im Geldvermögen privater Haushalte.

Historikerin Kerstin Brückweh Bundeszentrale für politische Bildung

Diese Dresdner Familie tauschte am 01.07.1990 in einer Sparkasse in Dresden Ostmark gegen 2000 D-Mark.
Währungsunion in Dresden: Diese Familie tauschte am 01.07.1990 in einer Sparkasse ihre Ostmark gegen 2000 D-Mark. Bildrechte: imago/Ulrich Hässler

Arbeitslosigkeit nach 1990 – auch Reformen wirken nicht

Was auf 1990 folgt, ist für viele Menschen in der ehemaligen DDR ein wirtschaftliches Desaster. 1991, 1992 rollt die Schließungswelle übers Land, die reale Arbeitslosigkeit beträgt in traditionellen Industriegebieten wie Zschopau im sächsischen Erzgebirgskreis rund zwei Drittel. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) fangen die Menschen nur vorübergehend auf. Viele müssen sich beruflich umorientieren. 1,4 Millionen, vor allem junge Menschen gehen in den Westen und fangen dort von vorn an. Doch das reicht nicht, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Die Hartz-IV-Reform trifft besonders hart die seit der Wende Langzeitarbeitslosen im Osten. Und mit dem Arbeitslosengeld II kommt eine neue Regelung: Bevor das Amt zahlt, ist Vermögen aufzubrauchen.

Eigentum im Osten? Fehlanzeige!

Insbesondere Immobilienbesitz wird derzeit von Wirtschafts- und Sozialforschern als Indikator für Vermögen heran gezogen. Die Menschen im Osten besitzen viel weniger Immobilien als die im Westen. Obwohl die staatliche Eigenheimförderung seit über 30 Jahren gesamtdeutsch zur Verfügung steht, ändert sich das nicht. Es gelingt offenbar vielen nicht, den Vermögensaufbau nachzuholen. Selbst bei Aktien, die bei Deutschen eh nicht sehr beliebt sind, hinkt der Osten dem Westen hinterher. Das zeigen Daten des Deutsches Aktieninstituts (DAI) im Jahr 2019. Es fehlen die Erfahrung und auch die Lockerheit im Umgang mit Geld, nachdem viele Menschen lange vor dem Hintergrund des Umbruchs in einer wirtschaftlich unklaren Lage gelebt haben – was ist wirklich "übrig" und kann investiert werden?

Gemeinsam ist Ost und West, dass sich das Vermögen des ärmeren 50 Prozents der Bevölkerung nicht verändert, während das des reichsten ein Prozents sprunghaft wächst (DIW). Wenn das Grunderbe nun Rückenwind aus dem Osten bekäme, hätten auch die Arbeiterkinder im wirtschaftlich schlechter gestellten westdeutschen Norden etwas davon.

weitere verwendete Quellen: Bundeszentrale für politische Bildung
Bundesbank
Martin Diewald, Heike Solga: Soziale Ungleichheiten in der DDR. Die feinen, aber deutlichen Unterschiede am Vorabend der Wende.
Sebastian Fink, Olaf Jacobs: So leben wir. Eine Bestandsaufnahme in Ostdeutschland. Bonn 2014.