Bukarest Wuppt Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft?

14. Januar 2019, 11:33 Uhr

Die EU-Kommission hat am 10. und 11. Januar mit der Bukarester Regierung offiziell die rumänische EU-Ratspräsidentschaft eingeläutet. Die Stimmung zwischen beiden Seiten ist angespannt, denn vor Tagen hatte Kommissionschef Jean-Claude Juncker bezweifelt, dass Bukarest überhaupt der Aufgabe gewachsen ist. Die öffentliche Kritik ist fast das einzige Druckmittel, das Brüssel bleibt, um die Bukarester Regierung zu maßregeln.

Die Termine von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Bukarest sind minutiös geplant. Die rumänische Regierungschefin Viorica Dancila steht in seinem Terminkalender allerdings nicht an erster Stelle. Dabei hätte Juncker viel mit der regierenden Sozialdemokratin zu besprechen.

Zum Jahresende hatte der Kommissionschef in einem Zeitungsinterview bezweifelt, dass Dancilas Kabinett überhaupt der Aufgabe gewachsen sei, die EU-Ratspräsidentschaft zu führen. Dafür sei umsichtiges Handeln nötig und die Bereitschaft, einander zuzuhören. Das habe man in Bukarest offenbar noch nicht voll begriffen. Die Antwort vom Kabinett kam Stunden später. Man wisse sehr wohl, dass die neue Aufgabe kein Instrument für innenpolitische Streitigkeiten sei. Nur ist genau dieses Versprechen für das politische Bukarest äußerst schwer vorstellbar.

Erst Staatschef, dann Premier

Doch ehe sich Juncker am Freitag mit der Bukarester Regierungschefin zeigt, trifft er zunächst einen langjährigen politischen Freund: den rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis. Die Muttersprache beider Männer - beim einen siebenbürgisch-sächsisch, beim anderen luxemburgisch - ist äußerst ähnlich. Doch nicht nur sprachlich verstehen sich die beiden. Ihre Parteien, die luxemburgische Christlich-Soziale Volkspartei (CVS) und die rumänische Nationalliberale Partei (PNL), gehören zur Europäischen Volkspartei (EVP), die bei der Europawahl im Mai gerne wieder stärkste Kraft werden will. Jeder Moment, mit dem man Wahlkampf machen kann, zählt.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker (links) und rumänischer Staatschef Klaus Iohannis begrüßen sich. Hinter Juncker ist die EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Corina Cretu, zu sehen.
Seit Jahren enge politische Freunde: Juncker (links) und Iohannis Bildrechte: Genevieve Engel/European Union 2018

Garant für Rechtsstaat

Mit dem rumänischen Staatschef können Europas Konservative punkten. Klaus Iohannis gilt nicht nur in Brüssel, sondern in vielen Ländern Westeuropas als wichtiger Verfechter des Anti-Korruptionskampfes in Rumänien. In der Tat betont der 56-Jährige wie kein anderer Politiker in seinem Land, wie wichtig ein funktionierender Rechtsstaat für eine funktionierende Demokratie sei. Doch viele seiner Landsleute sind dennoch unzufrieden mit ihm. In Blogs und Kommentaren liest man, dass man dem Staatschef mehr Courage und politische Raffinesse zugetraut hätte - im Umgang mit den politischen Gegenspielern.

Programm Am Donnerstag gibt es zunächst ein Konzert in Bukarest und eine Eröffnungsrede von EU-Kommissionschef Juncker, am Freitag folgen die verschiedenen politischen Gespräche.

Systematischer Umbau der Justiz

Als Staatschef ist Iohannis nicht nur der Gegenspieler von Premierministerin Dancila, sondern auch der mächtigste Kontrahent für die beiden Regierungsparteien: der sozialdemokratischen PSD und der liberalen ALDE. Mit ihrer Parlamentsmehrheit haben beide Parteien in den vergangenen zwei Jahren systematisch Tatbestände der Antikorruptionsgesetzgebung entschärft oder gar abschaffen lassen. Es geht darum, dass Politiker künftig Korruptionsermittlungen entgehen. Iohannis kann aufgrund seiner Machtbefugnisse die komplette Aushöhlung des Rechtsstaates erschweren und verzögern. Auch wenn er, wie seine Kritiker meinen, das bislang viel zu zögerlich gemacht hat.

"Höchst lächerlich" für Dragnea

Treibende Kraft beim Umbau der Justiz ist PSD-Parteichef Liviu Dragnea. Die Regierungsgeschäfte darf er nicht führen, weil er wegen Wahlmanipulation vorbestraft ist. Viele Politikanalysten halten ihn aber dennoch für "den Strippenzieher des Bukarester Kabinetts".

In einem aktuellen Prozess droht Dragnea eine mehrjährige Haftstrafe. Doch einen solchen Ausgang will der 56-jährige Parteichef mit allen Mitteln verhindern, meint Politikexperte Sorin Ionita vom Bukarester Think Tank "Expert Forum". Im MDR-Interview sagt Ionita: "Dragneas Partei hat die Wahlen 2016 fulminant gewonnen. Und das einzige, was er aus der Situation macht, ist, ins Gefängnis zu wandern? Das wäre höchst lächerlich für ihn. Das wird er niemals zulassen."

Kritik aus Brüssel und Straßburg

Dass sich hier ein Parteichef aus der Schlinge ziehen will und dabei die gesamte Justiz umbauen lässt, hat man in Brüssel längst registriert. Im November attestierte die EU-Kommission der Bukarester Regierung schwere Rechtsstaat- und Demokratiemängel. Kurz darauf verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, einige EU-Abgeordnete fordern ganz und gar die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union.

Immer wieder heißt es, die europäischen Sozialdemokraten (SPE) müssten ihre unverfroren agierenden rumänische Parteifreunde aus der Fraktion ausschließen. Doch ist das schwer vorstellbar. Europas Sozialdemokraten müssen nach dem Brexit schon auf die Wählerstimmen der britschen Labour Party verzichten. Die deutsche SPD und die französischen Sozialisten schwächeln seit Monaten. Anders die rumänischen Sozialdemokraten, die bei der Euopawahl wichtige Wählerstimmen für die Fraktion eintreiben könnte.

"Brüssels Rute ist sehr kurz"

Bukarester Politikanalyst Sorin Ionita
Bukarester Politikanalyst Sorin Ionita vom Think Tank "Expert Forum". Bildrechte: EFOR

Auch wenn die Kritik aus Brüssel und Straßburg vielstimmig ist, könnte sie wirkungslos bleiben. Denn rechtlich bindend ist weder die EU-Parlamentsresolution noch die regelmäßigen Evaluierungsberichte der EU-Kommission. Sanktionen gegen Bukarest sind so gut wie ausgeschlossen.

Das weiß auch PSD-Parteichef Liviu Dragnea. Ende vorigen Jahres sagte er nonchalant: "Die großen Themen Rumäniens liegen jenseits aller Berichte und Monitoring-Verfahren der EU." Analyst Sorin Ionita verwundert das ignorante Auftreten nicht: "Dragnea und die Bukarester Regierung wissen sehr wohl, dass Brüssels Rute sehr kurz ist."

Viel schlechte Presse

Was EU-Kommissionschef Juncker aber immerhin bleibt, ist "Naming and Shaming" und damit das offene Ansprechen von Verstößen. Auch richten gerade zahlreiche ausländische Medienredaktionen angesichts der bevorstehenden EU-Ratspräsidentschaft ihren Blick nach Bukarest. Die Folge: So viel schlechte Presse wie in diesen Tagen hat Rumänien schon lange nicht mehr bekommen.

Jetzt Premier, früher EU-Abgeordnete

Doch besorgniserregend sind nicht nur die Angriffe der sozialliberalen Koalition auf den Rechtsstaat, sondern auch, dass die Bukarester Regierung zu europäischen Themen kaum eine öffentliche Meinung hat. In der EU-Ratspräsidentschaft wird sie jedoch heikle Themendebatten moderieren und sich europaweit vernetzen müssen, um Lösungsansätze voranzutreiben. Ein Tagesgeschäft, das für das politische Bukarest völliges Neuland ist.

Immerhin sollte Premierministerin Viorica Dancila wissen, wie die EU-Behörden ticken. Schließlich war sie neun Jahre lang EU-Abgeordnete. Doch viele Rumänen fragen sich, was sie aus dieser langen Zeit überhaupt mitgenommen hat. In einem Interview von 2017 bezeichnete Dancila, damals noch als EU-Abgeordnete, Pakistan und den Iran als EU-Mitgliedsstaaten.

Kontinuität im Regierungsstil

Mit Pannen und Verfehlungen dieser Art, aber auch mit einem harten Schlagabtausch zwischen Regierung und Präsidenten wird auch in diesem Halbjahr zu rechnen sein. Die sozialliberale Koalition hat seit zwei Jahren Übung darin und nie einen anderen Regierungsstil gezeigt. All das spielt einem Mann in die Hände: Klaus Iohannis. Der Staatschef will Ende des Jahres gern wieder zum Präsidenten gewählt werden. Es wird, "wie so oft, eine Wahl zwischen dem kleineren und größeren Übel", hört man in Rumänien. In Umfragen liegt Iohannis derzeit vorn.

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 11.01.2019 | 17:45 Uhr

Mehr zur EU-Ratspräsidentschaft