Rezension Künstler-WG im Kraftwerk: "La Bohème" an der Staatsoperette Dresden
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03. Juni 2024, 15:20 Uhr
Die Staatsoperette Dresden wagt sich an Puccinis wohl bekanntestes Stück Musiktheater: die Oper "La Bohème" – und überzeugt mit Pariser Mansarden-Zauber und schönen Bildern, findet unser Kritiker. Jedoch gibt es auch Abstriche.
Es dürfte auf jeden Fall eine Herausforderung gewesen sein, als sich die Staatsoperette Dresden an Giacomo Puccinis "La Bohème" wagte, die ja eigentlich zum festen Kernrepertoire der nahgelegenen Semperoper zählt. Doch Intendantin Kathrin Kondaurow vertraut dem Team ihres Hauses, wollte das Wagnis eingehen und hat Matthias Reichwald, künftig der leitende Regisseur der Staatsoperette, mit der Inszenierung beauftragt.
Insgesamt überzeugend
Reichwald ist ja vor allem als Schauspieler bekannt und verlegt sich zunehmend ins Regiefach. Seine Dresdner "Bohème" überzeugt mit Stringenz und Feinheiten im Detail, setzt schöne Bilder auf die Bühne, hier und da mit klassischen Filmzitaten gespickt und den Zauber der Pariser Bohème verströmend. Da leben Dichter, Maler, Musiker und Philosoph zusammen in einer Mansarde hoch über der Stadt. Wolkenbilder suggerieren das von der konventionellen Gesellschaft losgelöste Dasein dieser Künstler-WG.
Die Bühne von Karoly Risz vermittelt nur Andeutungen zum sozialen Status. Sie symbolisiert mit einer gusseisernen Wendeltreppe das mögliche Auf und Ab menschlichen Lebens, ist freilich im zweiten Bild eher schlicht gehalten, schafft dafür im dritten, in der Pariser Vorstadt spielend, die unter die Haut gehende Dramatik einer eisigen Schneelandschaft.
Abstriche beim Finale
Etwas fragwürdig wird die Szenerie wieder zum Schluss, wenn sich Mimì zu einem versöhnenden Wiedersehen mit Rodolfo in dessen Dachkammer schleppt. Sie ist sichtlich geschwächt und zwischenzeitlich obendrein schwanger; wieso sie dort aber abrupt und mit immenser Kraft das Zimmer umräumen, Bettgestell und Kanonenofen verschieben kann, erschließt sich nicht. Da bleibt eine Menge Poesie in diesem tragischen Finale auf der Strecke.
Als die Freunde zurückkehren, die auf der Suche nach einem Arzt und Medikamenten für Mimì waren, ist alles zu spät. Der Bühnenboden zerreißt und Mimì entschwindet in ein imaginäres Jenseits. Ein berührendes Schlussbild, dass die berühmte Atempause vor dem aufbrausenden Beifall entstehen lässt; größtes Kompliment für ergreifendes Musiktheater.
Musik mit Ohrwurm-Qualität
Dass Reichwald und sein Inszenierungsteam diese "Bohème" im Paris des 19. Jahrhunderts beließen und die Opern nicht künstlich in eine Moderne zu rücken versuchten, spricht sowohl für die Gültigkeit der unsterblichen Vorlage als auch für den Respekt der Theatermacher von heute.
Was auch für Kostümbildner Toto gilt, der sich nachhaltig aus dem Fundus bediente und das gesamte Ensemble zu einer Collage aus den Szenen der Bohème von und nach Henri Murger ausstaffiert hat. Mehr war gar nicht nötig, schließlich erzählt Puccini schon alles in seiner Musik, die menschliche Gefühle wie Hoffnung, Verzweiflung, Liebe, Spiel und Eifersucht ausdrückt, zu Herzen geht und wahre Ohrwurm-Qualitäten besitzt.
Kraftvoll aufgespielt – aber zu laut
Mit beherztem Wagemut ist das Orchester der Staatsoperette an diesen Abend gegangen, hat unter dem scheidenden Chefdirigenten Johannes Pell kraftvoll aufgespielt, war aber beinahe durchweg zu laut. Zumal dadurch auch Chor und Solisten herausgefordert worden sind, möglichst alles zu geben. Weniger wäre da vielleicht mehr gewesen.
Die Musik hätte mit ausgewogenerer Dynamik gewiss noch mehr zu Herzen gehen können. Trotzdem ist insgesamt eine eindrucksvolle Leistung vom Chor der Staatsoperette und insbesondere vom spiel- und sangesfreudigen Kinderchor zu hören gewesen.
Puccini auf Deutsch?
Dass diese "Bohème" in deutscher Sprache gesungen wurde, mag Puristen unter den Freunden der italienischen Oper verstören, diente gewiss der Verständlichkeit von Doppeldeutigkeiten und Wortwitz, konterkarierte allerdings die Entsprechung von Text und Musik. Dass der deutsche Text zudem nicht durchweg überzeugend prononciert formuliert wurde, hat eher enttäuscht – wobei die Solistenriege sehr unterschiedlich zu bewerten ist.
Emotionale Darstellung
Eine Glanzrolle hat Christina Maria Fercher als Mimì absolviert, ein glasklarer Sopran, ausgewogen timbriert, sowohl sanglich als auch darstellerisch voller Emotionen. Jongwoo Kim als Rodolfo besticht zwar mit seinem donnernden Tenor, lässt aber vokale Feinheit sowohl in der stimmlichen Gestaltung als auch in der Aussprache vermissen. Just diesen Part hätte man sich dosierter gewünscht.
Herausragend hingegen war auch die Musetta von Julie Sekinger, in allen Lagen fein geführt, eine überzeugende Entsprechung von Diva und Vamp. Die weiteren Herren der Künstler-WG absolvierten ihre Parts absolut zufriedenstellend, wobei Grzegorz Sobczak als Marcello insofern besonders gefiel, als dass er eine ausgeprägt emotionale Breite bewies, während Bryan Rothfuss als Schaunard und Andreas Mattersberger als Colline eher die komischen Seiten betonten und in die Tiefen ihrer Rollen vielleicht erst noch hineinwachsen werden.
Mehr Infomationen:
Oper "La Bohème" von Giacomo Puccini
Staatsoperette Dresden
Szenen aus Henri Murgers La vie de Bohème | Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica | Musik von Giacomo Puccini | Deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze
Adresse:
Kraftwerk Mitte 1-32
01067 Dresden
Termine:
4., 15., 16., 26. und 27. Juni 2024
Mitwirkende:
Musikalische Leitung: Johannes Pell, Christian Garbosnik
Regie: Matthias Reichwald
Bühne: Karoly Risz
Kostüme: Toto
Dramaturgie: Mark Schachtsiek, Valeska Stern
Chorleitung: Thomas Runge
Besetzung:
Mimì: Christina Maria Fercher, Steffi Lehmann
Musetta: Julie Sekinger, Charlotte Watzlawik
Rodolfo: Jongwoo Kim, Timo Schabel
Marcello: Grzegorz Sobczak, Hinrich Horn
Schaunard: Bryan Rothfuss, Markus Liske
Colline: Elmar Andree, Andreas Mattersberger
Benoît: Andreas Sauerzapf
Alcindoro: Gerd Wiemer
Parpignol: Andreas Sauerzapf
Sergeant: Tobias Märksch, Claudius Ehrler
Chor der Staatsoperette Dresden, Kinderchor der Staatsoperette, Orchester der Staatsoperette Dresden
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | MDR KLASSIK am Morgen | 03. Juni 2024 | 07:10 Uhr