Interview mit Ines Hoge-Lorenz "Unsere Aufgabe ist hinterfragen, einordnen, erklären"

28. April 2021, 07:00 Uhr

Corona und besondere redaktionelle Regeln stellen den MDR während der Sachsen-Anhalt-Wahl vor schwierige Aufgaben. Magdeburgs Funkhauschefin Ines Hoge-Lorenz erläutert das Konzept hinter der Wahlberichterstattung.

Steffen Grimberg: Wir sind zu Gast im Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt in Magdeburg und treffen die Direktorin Ines Hoge-Lorenz. Ihnen stehen spannende Zeiten bevor. Anfang Juni wird hier in Sachsen-Anhalt gewählt. Wie bereitet sich denn das Landesfunkhaus auf die Wahlen im Juni vor?

Ines Hoge-Lorenz: Also die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, das kann ich versichern. Wir haben schon im vergangenen Jahr angefangen mit einer Projektgruppe, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich zusammengefunden haben, um Projekte für alle Ausspielwege aufzusetzen. Und jetzt sind wir in der "heißen Phase", so wenige Wochen vor der Wahl. Wir arbeiten natürlich auch mit den Kolleginnen und Kollegen in Leipzig zusammen, und mit den Kollegen der ARD. Das ist wichtig. Digitalisierung ist dabei ein besonderes Stichwort. Zum einen, weil die Parteien in Pandemie-Zeiten, in Corona-Zeiten ganz anders agieren: Wahlkampfveranstaltungen werden voraussichtlich digital stattfinden, es wird nur wenig Begegnungen geben. Das wird eine neue Herausforderung sein, sowohl für die Parteien, als auch für uns als Berichterstatter.

Steffen Grimberg: Alle Ausspielwege heißt Online, Radio und Fernsehen zusammen. Ist das das erste Mal (im MDR), dass so etwas bei einer Wahl stattfindet?

Ines Hoge-Lorenz: Eine crossmediale Arbeitsgruppe hatten wir auch schon bei der Wahl 2016. Es ist nicht das erste Mal, aber die Anforderungen gerade im digitalen Bereich werden natürlich immer größer. Und was man machen kann und was wir machen wollen - diese Ansprüche sind natürlich immer höher geworden.

Steffen Grimberg: Das war die Technik. Welche Regeln gilt es denn inhaltlich-journalistisch zu beachten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einer solchen Vorwahl-Phase?

Ines Hoge-Lorenz: Wir müssen darauf achten, dass wir ausgewogen berichten, dass wir unserer journalistischen Verantwortung gerecht werden. Wir arbeiten da natürlich nach einem redaktionellen Konzept. Dieses Konzept ist die Basis dafür. Das Prinzip ist das der abgestuften Chancengleichheit, danach arbeiten wir, denn wir wollen auch transparent sein. Wir wollen zeigen - sowohl nach innen, wie auch nach außen -, was wir machen, wovon wir berichten und deshalb halten wir uns daran.

Steffen Grimberg: Das Wahlberichterstattungskonzept des MDR wird ja immer veröffentlicht. Das ist auch mit Ihrem schon geschehen oder geplant?

Ines Hoge-Lorenz: Das ist in den nächsten Tagen geplant. Es ist auf jeden Fall fertig, wir haben gerade die aktuelle Fassung vergangene Woche von den Kolleginnen und Kollegen aus Leipzig bekommen. Dort wird alles zusammengefasst und demnächst wird es dann auch veröffentlicht. (Anm. der Red.: Dieses Interview wurde am 6. April 2021 im MDR-Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt in Magdeburg geführt. Das Konzept zur Wahlberichterstattung zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ist seit dem 19. April 2021 veröffentlicht.)

Steffen Grimberg: Diese Konzepte sind sehr, sehr detailliert - auch im Vergleich, was andere ARD-Anstalten vor Wahlen publizieren. Es sind einzelne Sendungen im Detail beschrieben. Es gibt auch Stimmen, die sagen, solche Vorgaben könnten den journalistischen Handlungsspielraum einschränken. Wie gehen Sie damit um?

Ines Hoge-Lorenz: Das sehe ich ganz entspannt, weil wir das nicht tun. Wir haben ein Konzept. Aber daneben berichten wir natürlich nach wie vor über alle aktuellen, wichtigen Ereignisse und Geschehnisse in der gebotenen Ausgewogenheit. Aber es ist natürlich wichtig, wenn wir über Parteitage reden, wenn wir über Wahlkampfauftakt- und -abschlussveranstaltungen reden, dass es dafür ein Konzept gibt. Denn die ein oder andere Partei überlegt sich vielleicht: "Ich mache einen Wahlkampfabschlusstag an einem Tag X, und am Tag Y kommt noch jemand aus Berlin und dann mache ich noch eine Veranstaltung." Wir können unmöglich über zwei oder drei Veranstaltungen von einer Partei berichten. Sondern wir wollen, dass es für alle Parteien gleich ist. Und deswegen muss festgelegt werden, bei welcher Veranstaltung wir sind und worüber wir berichten. Völlig unbenommen ist davon die aktuelle Berichterstattung, die bei uns natürlich für alle Ausspielwege auf dem Plan steht.

Steffen Grimberg: Dass heißt: Wenn aktuell etwas passiert, was von journalistischem Interesse ist, dann kommt das ins Programm, auch wenn es nicht im Konzept "vorausgeahnt" wurde?

Ines Hoge-Lorenz: Genau, das wird auf jeden Fall so sein. In dem Konzept geht es darum, dass bestimmte Festlegungen zu Wahlkampfveranstaltungen drinstehen. Ansonsten sind wir natürlich bei allen aktuellen Geschehnissen dabei.

Steffen Grimberg: Wie gehen Sie denn mit Parteien um, wie zum Beispiel der AfD, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja in seiner momentanen Form eher ablehnt und hier jetzt Raum und Zeit bekommt, sich und ihre politischen Ziele darzustellen?

Ines Hoge-Lorenz: Jede Partei, die demokratisch gewählt ist, die zugelassen ist in unserem Land, hat einen Anspruch, entsprechend dargestellt zu werden. Auch das ist im Wahlkonzept festgehalten. Und die Chancengleichheit im Wettbewerb um Wählerstimmen steht im Grundgesetz und daran halten wir uns. Nichtsdestotrotz gilt es für uns Journalistinnen und Journalisten, dass wir uns kritisch mit den Inhalten und mit den Zielen der Parteien auseinandersetzen. Und deshalb haben wir auch kleine Expertenteams jeweils bei den Parteien, die genau Bescheid wissen. Und unsere Aufgabe ist es, zu hinterfragen, einzuordnen, zu erklären, und eben auch die kritischen Punkte anzusprechen.

Steffen Grimberg: Das heißt, auch die CDU muss jetzt nicht befürchten, dass sie wegen ihres Widerstands gegen die Beitragserhöhung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk strenger ins Gericht genommen wird als andere Parteien?

Ines Hoge-Lorenz: Auch die CDU wird natürlich gleich behandelt. Wir berichten unabhängig und überparteilich, ohne persönliche oder gesellschaftliche Präferenzen. Das kann und darf dabei keine Rolle spielen.

Steffen Grimberg: Wie verhindern Sie denn, dass einzelne Journalistinnen und Journalisten, die ja sicher auch eine Meinung haben, ihre politischen Präferenzen bei der Berichterstattung zum Ausdruck bringen?

Ines Hoge-Lorenz: Auch hier gibt es Grundlagen, an die wir uns halten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die politisch aktiv sind, dürfen in den Wochen vor der Wahl nicht in die politische Berichterstattung hier im Haus eingreifen. Sie müssen sich zurückziehen aus dem Bereich. Das ist klar geregelt. Und ansonsten gibt es das Vier-Augen-Prinzip, danach arbeiten wir in den Redaktionen. Das heißt, es gibt immer einen Chef oder eine Chefin vom Dienst, die die Beiträge abnehmen. Und auch für die journalistischen Beiträge selbst gelten die Grundsätze, die wir im journalistischen Alltag haben, so dass da nichts passieren kann. Daneben haben wir auch verschiedene journalistische Mittel. Es gibt ja auch die Möglichkeit, einen Kommentar oder eine Meinung als Journalist zu sprechen (oder) zu schreiben. Das muss dann entsprechend gekennzeichnet werden und ist damit klar unterscheidbar von Berichten, die die journalistische Objektivität zu Grunde liegen haben.

Steffen Grimberg: Ist das jetzt bei der bevorstehenden Wahl vorgekommen oder kommt das vor? Haben Sie Kolleginnen und Kollegen im Landesfunkhaus, wo Sie sagen müssen: "Wegen deiner parteipolitischen Aktivität kannst du jetzt nicht an der aktiven Berichterstattung teilnehmen?" Oder ist das eher eine theoretische Überlegung?

Ines Hoge-Lorenz: Ich glaube, das ist schon eine ganz praktische Überlegung. Es hat solche Fälle gegeben. Bei uns im Haus ist mir jetzt kein Fall bekannt.

Steffen Grimberg: Durch die Pandemie ist vieles anders als sonst. Welche besonderen Herausforderungen kommen denn hier auf den MDR noch zu?

Ines Hoge-Lorenz: Die Digitalisierung ist natürlich auch für uns hier jetzt wichtig: Wie werden die Parteien ihren Wahlkampf bestreiten? Wie berichten wir darüber? Das ist die eine Seite. Dann gibt es ganz praktische Dinge, die sich jetzt verändert haben. Wir haben früher immer den Wahlabend im Landtag verbracht und aus dem Landtag gesendet. Das wird in diesem Jahr anders sein. Wir werden von der Messe hier in Magdeburg senden, weil wir da einfach mehr Platz haben. Weil wir auch da ein Hygiene-Konzept einhalten müssen. Wenn wir die Wahl-Gewinnerinnen und -Gewinner, -Verliererinnen und -Verlierer begrüßen wollen, müssen wir die Abstände einhalten.

Wir haben auch eine Wahlarena geplant vor der Wahl. Am 31. Mai soll die hier im Haus stattfinden mit den Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der Parteien. Und da wollen wir eigentlich in den Dialog kommen. Die Kandidaten sollen sich den Fragen der Bürgerinnen und Bürger stellen. Da sind Bürgerinnen und Bürger eingeladen. Und wir wissen im Moment nicht genau, ob wir das tatsächlich machen können, ob wir alle testen mit einem Schnelltest an dem Abend, ob wir Fragen vorher digital einsammeln. Das wird sich zeigen, je nachdem wie sich die Pandemie entwickelt. Was einen Menschen außerhalb dieses Funkhauses bewegt, die unklare Situation durch die Pandemie - genauso ist es bei uns auch. Bestimmte Sachen müssen sich entwickeln und wir müssen jeden Tag neu gucken, wie sich die Lage entwickelt. Es ist in Pandemie-Zeiten schon ein etwas anderer Wahlkampf, eine etwas andere Vorbereitung - und es wird auch ein anderer Wahlabend sein.

Steffen Grimberg: Welche ganz konkrete Bedeutung werden denn die Wahlen in Sachsen-Anhalt haben - jetzt nicht für den MDR, sondern für Sachsen-Anhalt als Bundesland?

Ines Hoge-Lorenz: Vor fünf Jahren wurde hier die erste "Kenia-Koalition" in Deutschland gegründet. Jetzt wird sich zeigen, wie die Menschen darüber denken und was am Ende dabei herausgekommen ist. Darüber werden sie abstimmen. Sie werden auch darüber abstimmen, wie die Corona-Politik bei ihnen angekommen ist. Wir werden genau schauen: Wie wird das Abschneiden der AfD sein, die ja aus dem Stand sehr gute Zahlen hier im Land (Sachsen-Anhalt) erreicht hat. Und dann ist natürlich auch noch eine Frage: Wie polarisiert ist die Gesellschaft nach dieser ganzen Zeit? Auch das wird sich in den Wahlergebnissen widerspiegeln - beim Abschneiden der AfD, aber auch im Rest der Wahlergebnisse. Und dann ist auch die Frage: Was ist eigentlich mit den Themen jenseits der Pandemie - spielen die noch eine Rolle? Was ist mit dem Thema Klima? Und wichtig wird in Sachsen-Anhalt sein: Wie stabil sind die politischen Verhältnisse nach der Wahl? Welche Mehrheitsverhältnisse haben wir? Wer wird in den Landtag kommen und wie können Koalitionen nach dieser Wahl am 6. Juni aussehen?

Steffen Grimberg: Welche Bedeutung hat die Wahl - Landtagswahlen gelten da ja auch immer als Gradmesser - für die Bundespolitik?

Ines Hoge-Lorenz: Auch da wird sich zeigen, welchen Einfluss die Pandemie-Politik gehabt hat, da bin ich mir sehr sicher. Zum anderen wird sicherlich auch eine Rolle spielen: Wo stehen wir hier im Osten Deutschlands, in Sachsen-Anhalt, im Jahr 31 der Deutschen Einheit? Wie nah sind wir uns gekommen, gibt es da immer noch Unterschiede? Ich finde sehr spannend, ob sich die Wahlergebnisse hier von denen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg unterscheiden? Auch daraus wird man dann in Berlin sicherlich die ein oder andere Erkenntnis ziehen.

Steffen Grimberg: Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, spricht ja spöttisch weiter von ARD und ZDF als dem "Westfernsehen". Welche Bedeutung hat die Wahl denn für den MDR? Denn immerhin ist ja die eigentlich von allen Ministerpräsidenten, auch Herrn Haseloff, unterschriebene Erhöhung des Rundfunkbeitrags hier in Sachsen-Anhalt gescheitert.

Ines Hoge-Lorenz: Also für den MDR und auch für den MDR in Sachsen-Anhalt ist es erstmal wichtig, dass es ein Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt. Dass wir weitermachen können mit Qualitätsjournalismus hier im Land und damit auch ein Stück weit zur Demokratie beitragen. Für den MDR ist es außerdem wichtig, in Gesamtdeutschland die ostdeutschen Interessen darzustellen: Das, was die Menschen hier bewegt, was sie in den vergangenen Jahren bewegt hat. Warum denken und ticken sie so, wie sie das heute tun? Warum gibt es immer noch Unterschiede? Warum spielt das Thema Ostdeutschland heute manchmal eine größere Rolle als vor 10 oder 20 Jahren? Das hätte ich mir selbst auch nicht so träumen lassen - es ist aber so. Daher ist eine starke Stimme aus Sachsen-Anhalt, aus dem Osten Deutschlands sehr wichtig. Und deswegen … Sehr wichtig. Punkt.

Steffen Grimberg: Letzte Frage, Frau Hoge-Lorenz: Worauf sind Sie persönlich besonders gespannt bei dieser Wahl?

Ines Hoge-Lorenz: Das sind ganz verschiedene Punkte. Wie läuft der Wahlkampf, wie wirkt sich das aus? Wie wird der Wahlabend sein, bei den Auflagen, die wir haben werden. Wie weit sind wir mit der Pandemie-Bekämpfung an dem Tag? Das sind alles Dinge, die uns beschäftigen. Briefwahl wird eine Rolle spielen: Wie viele Menschen werden schon weit vor der Wahl abstimmen? Und wie wird (sich) das alles beeinflussen? Ich glaube, der 6. Juni wird ein sehr spannender Tag sein hier in Sachsen-Anhalt.

Steffen Grimberg: Und wir werden uns das dann anschauen, hier im Programm und auf den Ausspielwegen von MDR Sachsen-Anhalt. Frau Hoge-Lorenz, ganz herzlichen Dank für das Interview.

Ines Hoge-Lorenz: Gerne.

Dieses Interview wurde am 6. April 2021 im MDR-Landesfunkhaus Sachsen-Anhalt in Magdeburg geführt.