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Medienwissenschaftler Jan Claas van Treeck spricht über TikTok als popkulturelles Medium. Bildrechte: MDR MEDIEN360G
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Interview mit Jan Claas van Treeck TikTok ist Popkultur

TikTok ist Popkultur

Medienwissenschaftler Jan Claas van Treeck spricht über TikTok als popkulturelles Phänomen und beschreibt den Content als "schwierige Melange aus Entertainment, Information und psychischer Beeinflussung".

Do 08.09.2022 11:31Uhr 06:39 min

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Interview mit Dr. Jan Claas van Treeck "Den Krieg werden sie so nicht gewinnen."

26. September 2022, 12:50 Uhr

"Es ist eine schwierige Melange aus Entertainment, Information und psychologischer Beeinflussung", sagt Medienwissenschaftler Dr. Jan Claas van Treeck im Interview mit MDR MEDIEN360G. Außerdem spricht er über TikTok, Plattformlogiken und das Verifizieren von Fake News.

Jan Claas van Treeck: TikTok ist ein soziales Medium, das natürlich Popkultur war und auch immer noch ist. Also da geht's um Musik, da geht's um Tanz. Und auf dieser Plattform, auf der es eigentlich um Musik, um Tanz, um Kochen, um Spaß, um Freude, um Mode, um kindliche Selbstdarstellung geht, wird jetzt eben der Krieg dargestellt. Da ist jetzt die Frage: Was übernimmt was? Also, übernimmt der Krieg den Pop? Oder übernimmt der Pop den Krieg?

MEDIEN360G: Was bedeutet das?

Jan Claas van Treeck: Das erzählt uns vielleicht, dass die Plattformen, auf denen das stattfindet, Plattformen sind, die eigentlich für etwas ganz anderes gemacht wurden. Nämlich eigentlich eben für Tanzen, für Dokumentation von Familienfeiern, für Dokumentation von Freude. Und durch denselben Kanal, durch dieselben - ja, nennen wir es mal - Methoden, mit diesem Kanal umzugehen, läuft jetzt eben Krieg.

MEDIEN360G: Wird Krieg so trivialisiert?

Jan Claas van Treeck: Das weiß ich nicht. Es ist eine schwierige Melange aus Entertainment, Information, psychologischer Beeinflussung. Also, das sieht man ja, dass es inzwischen sowas gibt wie Open Source Intelligence. Also eine ganze Community an Leuten, die versuchen, aus Social-Media-Postings von russischen Kriegsteilnehmern, ukrainischen Kriegsteilnehmern Dinge auch wieder zu verifizieren. Also zu fragen: Ist das wirklich passiert? Oder ist das ein Fake? Und das ist natürlich etwas, was als Informationsgewinn für uns alle im Grunde hervorragend ist. Das ist sozusagen das Geschenk in der Berichterstattung, die wir eventuell bei anderen Kriegen - also diverse Einsätze am Golf zum Beispiel, wo es um Embedded Journalism ging - nicht gab. Da bekamen wir also nur die Bilder der Embedded Journalists und eben nicht Open Source Intelligence. Also, wie gesagt: Es ist und bleibt ein zweischneidiges Schwert.

MEDIEN360G: Wer produziert das?

Jan Claas van Treeck: Das wird gemacht von Menschen, für die das ohnehin alltäglich ist. Die sowieso immer auf den Knopf drücken. Das heißt, die drücken auf den Knopf. Egal, ob sie jetzt tanzen, egal, ob sie was kochen, egal, ob sie mit Freunden feiern oder eben, wenn sie bombardiert werden. Oder, wenn sie vielleicht an der Front sind. Das heißt, die Logik des Knopfdrückens und ganz einfach machen, die ist schon drin. Also so funktioniert ja auch dieses "Fuck you Russian Warship"-Meme. Das heißt, allein die Tatsache, dass sie den Funkspruch aufgenommen haben, beweist ja, dass sie schon völlig drin waren in dieser Logik. Dass sie gesagt haben: Wir wissen noch nicht, was passiert, aber wir drücken jetzt ganz einfach mal den Knopf. Vielleicht passiert ja irgendetwas, was ein gutes Meme abgibt, ein gutes TikTok, ein gutes Reel.

MEDIEN360G: Warum sehen wir kaum russische Clips?

Jan Claas van Treeck: Der Unterschied ist ganz einfach der, dass die jungen Menschen, die in Russland den Knopf drücken, ganz einfach nicht mehr auf den westlichen Plattformen sind. Weil die westlichen Plattformen ganz einfach nicht mehr in Russland sind. Also auch TikTok hat sich völlig aus dem russischen Markt verabschiedet. Wie gesagt, ich denke, dass die Leute den Knopf drücken, weil die immer den Knopf drücken. Also egal, ob es jetzt mein Essen ist, meine Pizza, mein Tanz, meine Großmutter, die ich besuche, oder eben mein Fronteinsatz, meine Flucht, mein Aufenthalt im Bombenschutzkeller.

MEDIEN360G: Wie wird Social Media zur Waffe?

Jan Claas van Treeck: Die Militärs haben dafür einen klaren Begriff. Der ist Psy-Ops, also Psychological Operations, bei denen es darum geht, in irgendeiner Form entweder den Gegner psychologisch zu beeinflussen oder die eigenen Truppen psychologisch zu beeinflussen, die Moral zu erhöhen. Und das Spannende an solchen sozialen Medien wie TikTok ist ganz einfach, dass hier eigentlich eine kommerzielle Logik, eine popkulturelle Logik, benutzt wird, jetzt für Psy-Ops. Das heißt, es wird ganz einfach durch diesen Kanal gedrückt. Und dadurch wird die Psy-Ops vielleicht noch besser, weil es eben popkultureller wird. Es wird einfacher zugänglich. Wir alle hängen dran. Wir sehen's. Wir produzieren's vielleicht. Wir liken's. Wir teilen's. Wir kommentieren das Ganze.

MEDIEN360G: Kann man das steuern?

Jan Claas van Treeck: Die russische Idee ist ja, dass man das steuern könnte. So, und die klappt ja nicht. Angeblich ist ja Wladimir Putin jemand, der sich seine E-Mails noch ausdrucken lässt, also jemand, der das Internet nicht verstanden hat. Die interessante Figur dabei ist vielleicht Selenskyj. Denn das, was Selenskyj da macht, ist ganz klar gemacht von jemandem, der die Logik kennt. Das heißt, der weiß ganz genau, wie es funktioniert. Also Selenskyj, dieses berühmte "Er und seine Buddys", diese Selfie-Logik - die hat er längst gefressen. Das heißt, es gibt diese Plattform - TikTok, Instagram, Facebook, was auch immer - und er weiß, wie die funktioniert. Das heißt, er weiß auch, was ankommt. Und deswegen produziert er sowas die ganze Zeit. Aber die gesamte Ukraine produziert sowas die ganze Zeit und flutet damit den kompletten Kanal. Das heißt, wären überhaupt noch Russen auf diesen Kanälen in irgendeiner Form vorhanden, hätten die jetzt keine Chancen mehr, weil die ganz einfach in der großen Macht der Bilder an die Wand gedrückt werden.

MEDIEN360G: Warum fesselt uns das so?

Jan Claas van Treeck: Das ist, ganz einfach, die Kürze. Also, jeder längere Text, den ich lese, dazu kann ich sehr viel schneller eine kritische Distanz aufbauen. Weil ich ganz einfach in dem Text eventuell Inkosistenzen aufdecke. Oder weil der Text zwischendurch Längen hat. Also vielleicht ist der Anfang super spannend, das Ende ist super spannend, aber in der Mitte ist es vielleicht langweilig. Und diese Langweiligkeit erlaubt es mir, drüber nachzudenken. Aber bei TikTok gibt es das eben nicht, sondern das alles ist so kurz, dass es da gar keine Längen geben kann. Und in dem Moment, wo wir das sehen, ist es ja durch die Algorithmen schon vorausgesucht. Das heißt, die langweiligen Dinge erreichen uns ja gar nicht mehr. Dementsprechend ist es perfekt und vielleicht unterläuft es durch die Kürze und natürlich auch durch die Bildhaftigkeit so etwas wie Routinen der kritischen Hinterfragungsmöglichkeit.

MEDIEN360G: Woran lässt sich der Erfolg des WarToks messen?

Jan Claas van Treeck: Den Krieg werden sie so nicht gewinnen. Das heißt, zum einen könnte man den Erfolg messen in der Menge. Und wenn ich die pure Menge sehe, dann muss ich sagen: Die ukrainische Seite hat alles übernommen. So. Und auch wir haben die ukrainische Seite mit übernommen und deswegen hat die ukrainische Seite sozusagen alle Kanäle vollgemacht. Das ist das Eine. Das Andere ist natürlich: Wie messe ich den Erfolg von so etwas wie Psy-Ops? Und vielleicht ist der messbar in politischen Entscheidungen. Also vielleicht ist die Tatsache, dass die Bundesregierung jetzt doch schwere Waffen liefert, auch ein Effekt davon, dass es eine große Mobilisierung in der deutschen zivilen Bevölkerung gibt, die das dann weitergibt an politische Vertreter, die dann Druck machen.

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